LU BECKISCHE BLATTER
ZEITSCHRIFT DER GESELLSCHAFT ZUR BEFORDERUNG GEMEINNÜUTZIGER TATIGKEIT
LÜBECK, DEN 16. JULI 1950
SE CHS U N D ACH T ZI GST ER IA HR G A N G | NU M MER 1e
Zum 200. Todestage Johann Sebastian Bachs
28. Juli 1750
J o h ann Wolfgang von Goethe :
„Ich sprachs mir aus: als wenn die ewige Harmoniesich mit sichselbst unterhielte, wie sichs etwa in Gottes Busen,
kurz vor der Weltschöpfung möchte zugetragen haben. So bewegte sichs auch in meinem Innern, und es war
mir, als wenn ich weder Ohren, am wenigsten Augen, und wieder keine übrigen Sinne besäße noch brauchte.“
(Aus Goethes und Zelters Briefwechsel, geschrieben am 21. Juni 1827)
Rich ard Wagner :
„Will man die wunderbare Eigentümlichkeit, Kraft und Bedeutung des deutschen Geistes in einem unver-
gleichlich beredten Bilde erfassen, so blicke man scharf und sinnvoll auf die sonst fast unerklärlich rätselhafte
Erscheinung des musikalischen Wundermannes Sebastian Bach. Er ist die Geschichte des innerlichssten
Lebens des deutschen Geistes während des grauenvollen Jahrhunderts der gänzlichen Erloschenheit des
deutschen Volkes. Da seht diesen Kopf, in der wahnsinnigen französischen Allongeperücke verssteckt, diesen
Meister ~ als elenden Kantor und Organisten zwischen kleinen thüringischen Ortschaften, die man kaum
dem Namen nach kennt, mit nahrungslosen Anstellungen sich hinschleppend, so unbeachtet bleibend, daß es
eines ganzen Jahrhunderts wiederum bedurfte, um seine Werke der Vergessenheit zu entziehen; selbst in der
Mussik eine Kunstform vorfindend, welche äußerlich das ganze Abbild seiner Zeit war, trocken, steif, pedantisch,
wie Perücke und Zopf in Noten dargestellt: und nun sehe man, welche Welt der unbegreiflich große Sebastian
aus diesen Elementen aufbaute ! Auf diese Schöpfungen weise ich nurhin; denn es ist unmöglich, ihren Reich-
tum, ihre Erhabenheit und alles in sich fassende Bedeutung durch irgendeinen Vergleich zu bezeichnen.“
(Aus seinem Aufsatz „Was ist deutsch?'"", 1865)
Bach-Motette
(Dem Leipziger Thomanerchor gewidmet)
Die Nittagssonne überflammte weit Die Bässe schritten hin in dumpfer Trauer,
den hohen Raum. Durch bleigefaßte Scheiben und schluchzend sangen Cello, Gamben, Geigen.
drang milder Glanz in goldner Freudigkeit Durch Menschenbrust zogs wie ein süßer Schauer,
sanft leuchtend über allem Menschentreiben. und Flöte, Harfe tönten mit im Reigen. -
Wo sonst die steinern-hellen Pfeiler blaßten, Der hehre Klang zerfloß auf der Empore;
ergoß ein Lichtstaub sich, ein fließend Glimmen die Orgel schwieg. Da klang aus sechzig Kehlen
durchs Schiff. Des Meisters Hände rührten Tasten, das „Singt dem Herrn ein neues Lied“ vom Chore,
und aus der Orgel brachen tausend Stimmen. als wollten Engelstimmen sich vermählen.
Die Klänge rauschten heilig durch den Raum, Dann jagte eine Fuge auf und nieder,
um sich zu tasten zart und zag heran und hier und dort sprang die Figur hervor;
an Herzen, die in erdenfernen Traum sie stürmte, zweigte sich und fand sich wieder
versanken, als der Töne Kampf begann. im tiefen Baß und jubelnd im Tenor. -
Auf höchste Höhen stürmten die Trompeten, Nun brach der Jubel ab. Soprane rein
Oboen, Tuben, Hörner sind erwacht; und dunkler Alt verwoben zum Finale.
sie rühmten laut - wie Stimmen der Propheten - Die Töne gingen in den Himmel ein
des großen Gottes Güte, Liebe, Macht. und grüßten ihren Meister im Chorale.
(Von Kurt Gerlach aus „Sonette um JToh. Seb. VBach'’)