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Der Kristallisationskern einer künftigen Organisation Es ist nicht zu leugnen, daß hierbei Fürsten, wie
kann aber aus einer Künstlerkolonie erwachsen, zum es also neuerdings Darmstadt und nach ihm Stutt-
mindesten muß er, wenn er sich anderswoher ent- gart wieder lehrten, eine große und dankenswerte
wickelt, durch sie gestärkt werden. Wir dürften Reolle gespielt haben. Die verständnisvolle Protektion
Raum genug und bei einheitlichem Wollen auch die mußte vorangehen, dann kamen Anregung und Absatz
Mittel haben, um bei Bauumwälzungen einen wesent- hinzu. So erhielten wir Düsseldorf, München,
lichen Teil unseres architektonischen und malerischen Karlsruhe, Weimar, Dresden. Es geht aber auch
Reichtums zu erhalten, um Ersparnisse zu vermeiden, ohne Fürsten, wie z. B. die Niederländer, in ge-
die sich später als enorme Verluste, wie wir sie wisser Weise Frankfurt a. M. und einzelne moderne
bereits erlitten haben, herausstellen. Wir bedürfen Keolonien es zeigen. Ich bin überzeugt, für manchen
aber der Macht der Einsichtigen, die der Gegenwart deutschen Künstler würde der Wohnsitz in einem
gerecht werden, ohne die Enkel ohne Not zu schädigen. Bundesstaat mit republikanischer Verfassung gerade
Sicherlich würde auch ein mit großen Befugnissen einen Anziehungspunkt bedeuten. Absat ? Nun ja,
ausgestatteter Museumsdirektor, wie ihn der erwähnte dunsere kleine Galerie redet zwar keine glänzende
lezte Artikel der „Lübeckischen Blätter“ wünscht, be- Sprache; mancher, der das Geld dazu hat, könnte
sonderen Rückhalt in einer Künstlerkolonie am Orte sich vielleicht etwas lebhafter an der Hebung der
finden können. Künste beteiligen, von denen die Musik auch hier
Eine Künstlerkolonie wird sonst noch annehmbare am meisten von der Heitströmung getragen wird,
Werte schaffen. Für Architektur und Jnnendekoration,. und schließlich würde Lübeck allein stets nur ein
für das Kunstgewerbe nach mannigfacher Richtung kleiner Markt bleiben. Freilich größer und reicher
hin können, wie Darmstadt lehrt, eine Fülle von An. als Darmstadt ist es doch. Je mehr die Idee am
regungen — namentlich bei uns durch örtliche Motive Orte Plagtz greift, also durch die Kolonie selbst, desto
originelle Anregungen erwachsen, die ihrerseits wieder lebhaster wird auch die Erwerbslust an schönen
materielle Erwerbsquellen, neue Industrien eröffnen. Stücken angeregt werden, und daun soll der Markt
Wenn schon kleine Orte so auf dem gesamten, eurxx eben weit über das Lokale hinausgehen. Darauf
päischer Bildung zugänglichen Erdkreise hohen Ruf ind auch die modernen Malerkolonien, wie beispiels-
erhielten, sollte dies auf einem Boden, wie ihn dweise die sehr bekannte, im Einflußkreise Bremens
Lübeck bisher noch bietet, nicht leichter zu erreichen stehende in Worpswede angewiesen. Hier bildete
sein, umfassender als in einer immer ziemlich kuust- nicht Fürstenprotektion die Grundlage, sondern
arm gewesenen Mittelstahtt? Vor noch nicht gar lediglich jener zweite Punkt: die Anregung. Diese
vielen Jahren würde man über den Propheten ge. wirkte so stark auf einzelne Künstler, daß sie geradezu
lächelt haben, der die heutige Stellung der von jeher tonangebend wurden. Die Heide ist Mode geworden,
als urlangweilig verschrienen Beamtenstadt Darmstadt durch die Malerei ebenfalls in der Literatur, und
in der Kunstwelt vorauszusagen gewagt haben würde. die Mode wird wieder verschwinden; die Kolonie
Aber der Geist lebte dort schon lange; unter vielleicht auch, da sie einzig von einzelnen Persön-
anderen stammen von dort die beiden Jugendfreunde lichkeiten gestütt wird. Anders wäre dies in Lübeck,
Ludwig Hoffmann, der Erbauer des Reichsgerichts, denn außer der Anregung kämen, wie ich andeutete,
und Alfred Messel. auch lokaler Absay und als notwendige Konsequenz,
Nun wird man vielleicht einwerfen, ja, dont wenn die Sache überhaupt angefaßt wird, lokale
konnte auch ein Fürst frei schalten! Dieser Einwurf Protektion hinzu, könnten alle Faktoren einer
würde, nachdem ich so das Zweckmäßige andeutete, größeren, unabhängigen Stadt mitspielen. Und die
die Möglichkeitsfrage auslösen. Anregung? Wo wäre die Verbindung des Einzig-
Der Begriff „Kolonie" mag auf diesem Gebiete artigen mit dem Vielsseitigen stärker in Deutschland
modern sein, mag etwas Neues auf bisher unber gegeben als bei uns? Für den Architektur,, Land-
tretenem, abgelegenen Boden bedeuten. Ursprünglich schafts. und Genremaler ist sie unerschöpflich| Auch
aber waren die Stätten, wo die „Schulen“ erwuchsen, Historien, Porträt. und sonderlich Marinemaler
in künstlerischer Beziehung nicht etwas wesentlich sänden reichen Stoff. Solcher entzückenden Stadt-
Anderes. Deshalb sei es gestattet, von feinen Unter. winkel mit oft großartig darüber sich aufbauenden
scheidungen abzusehen und den Begriff „Künstler Motiven, wie wir sie haben, dürfen sich wenige
kolonie“ schlechthin als einen Niederlassungsort einer deutsche Städte rühmen. Unsere Wälder und
mehr oder minder großen Vereinigung von Künstlen HVinnenseen, Heiden und Koppeln mit weidenden
aufzufassen. - Wo immer haben sich unsere Künstler, Herden bringen, zumal doch der weitere Umkreis in
also in erster Linie Malerkolonien, niedergelassen Lauenburg, Olstholstein und Mecklenburg einzu-
und entwickeln können ? beziehen wäre, mit das Schönste, was an Tiefland-