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übertragen. Die Lösung der Chorkapellen ist gleich haben auch auswärtige, namentlich flandrische Kunst-
der der gotischen Dome der Ostseegruppen auf die werke erworben und nach ihrer Marienkirche überge-
Kathedrale von Soissons zurückzuführen, wobei in führt. Beim sogenannten Marienaltar erscheint dies
der Ausbildung der Abschlüsse der ungewöhnlich noch weniger befremdend, war doch der Stifter aus
[8,25 m) breiten Seitenschiffe noch eine besondere Kleve am Niederrhein gebürtig. Aber auch viele
Eigenart entwickelt ist. Schaumann weist nun nach, lübische Künstler haben uns hier ihre Werke hinter-
wie in dem östlichen Teile des Schiffbaues Mauer- lassen, die mit zu den besten ihrer Zeit gehören.
reste einer früheren romanischen Basilika erhalten So sei von den Bildwerken noch das lebensgroße
sind, und die verschiedenartige Durchbildung der Steinbildnis der Madonna erwähnt, das 1420 ge-
Pfeiler des Schiffes in dem östlichen und westlichen arbeitet ist und einst einen kleinen Nebenaltar schmückte.
Teile des großen Kirchenraumes auf zwei kurz hinter- Die heilige Jungfrau, deren von welligem, aufgelösten
einander folgende Bauabschnitte der gotischen Zeit Haar umrahmtes Antlitz eine so lebenswarme Durch-
zurückzuführen ist. bildung zeigt, wird von Knorr in seiner Schrift.
An die bassilikale Anlage sind nach und nach „Der Meister des Neukirchener Altares“ gleich den'
eine Reihe von Anbauten angegliedert, die südlice HVBildwerken dieses z. Z. im Kieler Thaulowmuseum
Vorhalle, die Briefkapelle, die Bürgermeisterkapelle, aufbewahrten Bildwerkes einem Hamburger Meister
die Molenkapelle, die Trese, die Totenkapelle usw., zugeschrieben. Es sei noch auf die vielen Schranken
welche neben der Geschichte ihrer Stifter von der der Kapellen und Altäre, die Gestühle, die Wand-
Bauweise verschiedener Jahrhunderte Zeugnis ablegen. leuchter und Grabplatten aufmerksam gemacht, die
Das Äußere des Baues mit seinen mächtigen Doppel- auch, abgesehen von dem künstlerischen Schmuck und
türmen macht durch die das gewöhnliche Maß weit Beiwerk, allein durch ihre stoffgerechte Durchbildung
überschreitenden Größenverhältnisse und die Klarheit des Studiums des Architekten wert erscheinen. Was
der Bildung der konstruktiven Glieder, denen jedes aber auch die Marienkirche an baulichen, malerischen
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glatte Kupferabdeckung der Strebebögen und Streber. schicken des Staates, der Stadt, seiner Geschlechter,
pseiler erst hergestellt sein, nachdem die ursprünglichen, dem wirtschaftlichen Streben und Wirken der Ge-
aus Werkstein gehauenen zierlichen Abdeckungen und meinde. Wir haben hier ein redendes Zeugnis von
Bekrönungen den Unbilden des nordischen Klimas der einstigen Blüte der Vormacht unserer nordischen
zum Opfer gefallen sind. Ob der Wunsch, es möge Hansa vor uns.
einst ein Meister kommen, der dieses für die Bauge- Es ist nun kein Wunder, daß uns gerade in
schichte des Nordens so wichtige Baudenkmal in Lübeck neben den großen kirchlichen Denkmälern ein
seiner einstigen Schönheit wiederherstellen möge, mittelalterlicher Bau hinterlassen ist, welcher in seiner
Berechtigung hat, scheint zweifelhaft. Jene jetzt Bestimmung so recht Zeugnis ablegt von dem aus-
vergangenen Hierate waren nicht heimatberechtigt, geprägten Gemeinsinn der Bürgerschaft und in so
und ihr Ersatz durch kupferne Mützen entsprach ausgesprochener Art in ganz Deutschland nicht seines-
den klimatischen Erfordernissee. Somit war er gleichen hat, das Heilige-Geist-Hospital. Schau-
der künstlerische Ausdruck eines zielbewußten mann stellt in seiner eingehenden Baubeschreibung
Willens. einen Vergleich an zwischen dem eigentlichen Haupt-
Der reiche Schatz an künstlerischen Werken, den raum des Hauses, der großen Halle der Hospitaliten, dem
das Innere der Kirche birgt, ist so groß, daß auch sogenannten,, langen Hause“ und dem von Viollet.le Duc
nur die Aufzählung der wichtigsten Stücke den wiedergegebenen in Tonnerre in Frankreich erbauten Ho-
Rahmen dieser Betrachtung überschreiten würde, und spitale, das wenigstens in den Hauptzügen auffallende
der Leser somit auf die Ausführungen von Schau. Ähnlichkeit mit dem Lübecker Bau hat. Der weite, luftige
mann und Bruns verwiesen werden muß, in denen Raum enthält vier Reihen kajütenartige Wohnräume,
der Lettner mit seinen Bildwerken, Gemälden und und zwar eine Straße für die Männer und eine
der Wendeltreppe, der alte Hochaltar, die Altäre der für die Frauen. Wenn auch diese hölzernen Ein-
Kapellen, das Sakramentshaus, die Kanzel, die Taufe, bauten erst aus der ersten Hälfte des 19. Jahr-
die Orgel, die vielgenannte astronomische Uhr usw. hunderts stammen, so lassen doch die Lage der Ein-
mit allem ihren künstlerischen Schmucke in eingehender gänge und die Angliederung der Wirtschafts. und
Weise beschrieben und durch Abbildungen anschaulich sonstigen Nebenräume darauf schließen, daß ähnliche
gemacht sind. Nicht alle Werke entstammen heimischna Kammern und Abteile zur Unterbringung der Be-
Künstlern. Die lübischen Kaufleute, deren Handels- wohner schon früher bestanden haben, was auch durch
tätigkeit alle damals bekannten Länder umfaßte, urkundliche Nachweise bestätigt wird.