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Zum Gedächtnis Kaiser Wilhelms. zugute kommen würde, ist schon in früheren Erörte-
.. rungen an dieser Stelle gesagt worden, wie anders
Es ist sehr erfreulich zu sehen, wie weit sich der würde der Gedanke, daß die g anz e Stadt unseres
Gedanke in unserer Stadt verbreitet hat, daß wir Kaisers Wilhelm in Treuen gedenken will, sich aus-
Kaiser Wilhelm nicht durch ein totes Standbild ehren sprechen, wenn die Kaiser:Wilhelm-Halle an den
sollen, sondern durch die Stiftung eines Unternehmens, Plat gestellt wird, der von führenden Männern
in dem sein Geist lebendig und Leben schaffend fort- unseres Staatswesens schon mehrfach erwähnt ist:
wirkt. Diese Erkenntnis zeigt sich in den Vor- an den Ehrenhof vor unserem Holstentor. Schon
schlägen, die in letzter Zeit für die Verwendung der in seinem Schenkungsbriese für den Theaterbauplay
Denkmalsmittel gemacht sind: dem einer monumentalen hat Senator Possehl darauf hingewiesen, daß dort
Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in St. Gertrud und die Stätte für „eine größere Volkslesehalle“ sei; in
dem einer Kaiser-Wilhelm. Halle mit Bücher- und der Bürgerschastssitung vom 19. Dezember 1905
Lesehalle, Vortragssälen, Rechtsauskunftstelle und hat unser jeziger Bürgermeister sich diesen Gedanken
Räumen für andere gemeinnützige Einrichtungen. zu eigen gemacht. Dort, wo in Zukunsst der Mittel-
Beide Vorschläge ruhen auf gesundem Boden, punkt zwischen den zwei Hälften der Stadt sein wird,
denn beide verkörpern Ideen, die das Leben Kaiser so gelegen, daß auch St. Lorenz und die Bewohner
Wilhelms erfüllten; erinnert uns die Kirche an den des Landgebietes -- mögen sie nun zu Land oder
aufrichtigen einfachen Christensinn des Mannes, der zu Wasser ankommen ~ leicht Anteil an ihren
in seinen Siegen nur Gottes Führung sah, so spricht Schätzen und Einrichtungen haben werden, würde
die Halle von dem Fürsten, der in hohem Alter der vorgeschlagene Hallenbau wirklich ein Gedächtnis-
noch den Geist und das Herz hatte, für die neuen mal des ganzen Staates für unseren Kaiser sein,
sozialen Gebilde unserer Zeit Formen zu squchen, ein Gedächtnismal, das allen Bürgern, jedes Standes
in denen sie sich gesund entwickeln können. und Geschlechtes, jeder Konfession und jeder Partei-
Welchem von beiden Vorschlägen werden wir den richtung, gehören würde.
Vorzug geben ? Endlich aber, und das ist vielleicht das wichtigste:
Recht beachtenswert sind zunächst die Einwen. auch dem Zweck, des Deutschen Reiches Stifter zu
dungen, die, offenbar von kirchlicher Seite, in Nr. 5 ehren, würde der Hallenbau besser entsprechen; denn
dieser Blätter gegen den Kirchenbauplan erhoben sind; würde die Kirche mehr ein Gedächtnis an die persön-
mit Recht scheint es dem Schreiber bedenklich, eine lichen, man könnte sagen, privaten Gesinnungen des
Kirche nach einem modernen Staatsmann und Politiken. Fürsten sein, so wäre die Halle eine Fortsezung
zu nennen, und wenn es in der höfischen Atmosphäre seines Lebenswerkes gerade als deutscher Kaiser.
Berlins, in dem Preußen, dessen König der Landes- Wir gedenken hier seines herrlichen Wortes bei
bischof ist, wenigstens noch zu erklären ist, daß man der Feier in Versailles am 18. Januar 1871: „Uns
Profanes und Religiöses so verquickt, so scheint es aber und unseren Nachfolgern an der Kaiserkrone
in einem Freistaat wie Lübeck geradezu absurd. wolle Gott verleihen, allezeit Mehrer des Reiches
Auch dient der Plan den wirklichen Bedürfnissen zu sein, nicht an kriegerischen Eroberungen, sondern
der Kirche in unserer Zeit jchlecht; sie muß alle an den Gütern und Gaben des Friedens auf dem
Mittel, die ihr zufließen können, zusammenfassen, um Gebiete nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Ge-
möglichst viel kleinere Gotteshäuser und vor allem sittung." Auf einer ehernen Tafel sollte man dies
möglichst viel Seelsorger zu beschaffen; eine große Wort einlassen im Eingang einer solchen Halle, und
Prachtkirche mit ihren ungeheuren Kosten würde auf lesen sollten es alle, die hineingehen in diesen Bau: sie,
lange Zeit diesen Bedürfnissen Licht und Luft weg- die sich dort Rat und Hülfe suchen in den verwickelten
nehmen. Rechtsverhältnissen unserer Zeit, und sie, die dort
Weitere Einwendungen sind sicher von der Seite Erholung für die Stunden der Muße, Anregung für
zu erwarten, die so erfreulich und erfolgreich gegen ihr Denken und Fühlen, Hilfsmittel im Kampf ums
das Durchschnittsdenkmal gekämpft hat, von den für Dasein und für ihren Anteil an der Arbeit unseres
die Kunst interessierten, ++ denn an monumentalen Volkes gewinnen wollen. Solch ein Denkmal ließe
Kirchen fehlt es gerade in Lübeck nicht, und das uns des Reichsgründers nicht nur gedenken, es würde
Profil unserer Stadt ist mit ihren Türmen und ssein Leben, seine Arbeit so recht in uns fortsezen:
Schiffen so wundervoll, daß wir es durch das Wagnis in ihm wäre er wirklich mitten unter uns und
eines neuen Domturmes oder einer Riesenkuppel nur in uns. 36.
gefährden können. r
Daß ferner diese Kirche nur einem kleinen Teil
Lübecks, ja nur einem Teil der Vorstadt St. Gertrud