Entwicklung in jeder Beziehung zum Besten des
Staates dient.
Ich bin dann einigermaßen enttäuscht worden
durch die aus einem so warmen Herzen kommenden
Worte des Herrn Direktor Stiller. Er meinte, er
hätte eine ganz blutige Rede dem Sinne nach gehört
und solche Reden sei man im Bürgerschaftssaale
bisher nicht gewohnt gewesen. Sie müssen solche
Reden aber gewohnt werden, Herr Direktor Stiller,
und wenn es Ihnen noch so schwer fällt, müssen Sie
sich darin zu schicken wissen. Wenn daß nicht der
Fall ist, bleibt Ihnen nichts anderes zu tun übrig,
als die Tür von draußen zuzumachen. Wir machen
sie hinter uns nicht von draußen zu, sondern, weil
wir drinnen sind, von innen, und wir streben dann,
die Tür möglichst weit zu öffnen, damit andere auch
noch mit hineinkommen. Was Sie als die Über-
zeugung des Bürgertums mitgeteilt haben, hat hier
im Saal Zustimmung gefunden. Demgegenüber muß
ts.ibc Gu Dirctto? Stiller tr ber Öffeatlichkeit
gedacht wird. Herr Direktor Stiller sagte, das
allgemeine Wahlrecht sei nur eine Phrase, noch nicht
erprobt durch irgendwelche Exempel, und da sind
Sie es gewesen, die „Bravo“ und „Sehr richtig“
E eclih muc mit did Schiüäl bes Uübetschen
Wahlkreises besiegel. Wenn Sie meinen, daß das
allgemeine gleiche und geheime Wahlrecht noch keine
Probe auf das Exempel gemacht hat, müssen Sie
blind sein und keine Zeitungen lesen, die in den
lezten Tagen Ausführungen über Ausführungen
gebracht haben, daß Leute in vielen Kreisen, die
Ihnen weit näher stehen als uns, der Meinung
sind, die allgemeine Entwicklung gehe zum allgemeinen
gleichen und geheimen Wahlrecht. Die gesamte
politische Entwicklung wird dahin führen, und sie
muß dahin kommen, daß immer breiteren und
weiteren Kreisen die Möglichkeit zur Mitarbeit
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auch Sie werden noch in die Lage kommen miüssen,
müssen, hier dem Empfinden und den Anschau-
ungen der breiten Schichten der Bevölkerung Rechnung
zu tragen. Über die Anschauungen, die einzelne von
Ihnen haben, müssen wir hinwegsehen, die kommen
nicht in Betracht. Herr Pape hat gesagt, daß der
früher liberale Herr Stiller, der einst sein Vorbild
gewesen sei, es längst nicht mehr wäre. Nein, ganz
gewiß nicht. Es gibt Leute, die sich so weit nach
rechts entwickeln, daß Hopfen und Malz an ihnen
verloren ist, und einer von diesen ist auch Herr
Stiller und anscheinend und wahrscheinlich, das wird
s –êô Verhandl. d. Bürgerschaft am 19. Februar 1906.
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sich ja nachher durch die Abstimmung erweisen, auch
die Mehrzahl der Mitglieder der lübeckischen Bürger-
schaft. Das wissen wir ganz genau, daß wir auch
als geschickte Debatter Sie nicht überzeugen können.
Ach, ich weiß ganz genau, wie Sie denken. Ich
habe Sie nicht zu überzeugen gehofft, und ich bin
nicht des Glaubens gewesen, daß mir das gelingen
könnte. Ihre Anschauungen sind mir zur Genüge
bekannt gewesen. Aber wenn Sie meinen, daß wir
bei einer solchen Vorlage nicht unsere Anschauungen
hätten zur Geltung bringen dürfen, wären wir
wirklich Waschlappen und einer Ohrfeige wert gewesen,
wenn wir es nicht getan hätten. Wie Sie sich dar-
über wundern können, daß wir hier unsern Stand-
punkt vertreten, ist mir ganz unverständlich. Herr
Direktor Stiller meinte das. (Widerspruch.) Ja,
gewiß hat er das gesagt, lesen Sie das nur im
Stenogramm nach. Wenn es unkorrigiert abgedruckt
wird, werden Sie sehen, daß er dieser Auffassung
gewesen ist. Wir täuschen uns über Ihre Auf-
fassungen nicht. Sie sind wieder auf dem Wege,
einen Schritt zu tun, der Haß und Verbitterung in
der Volksmasse großziehen wird. Wir aber sind be-
strebt, die Entwicklung nicht zu hemmen, Fondern
ihr alle Hindernisse aus dem Wege zu räumen, so
daß sie friedlich und schiedlich in ruhiger Weise vor
sich geht. So wie Sie es machen, führt es der-
maleinst zu einem HZusammenstoß, bei dem unter
Umständen hohe Güter gesundheitlicher oder anderer
Art in schwere Gefahr kommen können. Das wollen
wir vermeiden, weil unser Ziel ist, daß wir uns in
friedlicher Weise mit den Volksgenossen auseinander-
fen und die gesetzmäßige Entwicklung ihren Weg
gehen lassen.
B w ist die Rednerliste erschöpft, und es folgt
die Spezialberatung.
Dr. Benda (zu Anlage 1): Hat Herr Wisell
wirklich beantragt, daß nur jeder m änn l i ch e An-
gehörige die Erteilung des lübeckischen Staatsbürger-
rechts begehren darf ?
Wortführer Dr. Görtz: Ich darf dazu be-
merken, daß Herr Wisssell beantragt : Jeder zwanzig-
jährige oder schon früher für volljährig erklärte
männliche Angehörige usw.
Dr. B end a: Ich will dann nur konstatieren,
daß Herr Wissell mit diesem Antrage von dem-
heuer. Fe cg emu Gh der Rees
Kommission hat überreichen lassen, abweicht, indem
er nur die Männer zu Bürgern machen will,
während nach dem Programm der Sozialdemokratie
auch Frauen alle Rechte des Bürgers, insbesondere
das Wahlrecht haben sollen.