Full text: Lübeckische Blätter. 1906 ; Verhandlungen der Bürgerschaft. 1906 (48)

' un... T:: „NV. [:::-- Gegensatz zu jenen früheren Bestrebungen dazu ge- kommen, die Vorschläge zu machen, die im vorigen Jahre Geset geworden sind und um deren Konsequenz es sich heute handelt? Wir sind, wie ich schon sagte, lediglich aus der Überzeugung dazu gekommen, daß, wenn wir die Freiheit, die unsere Vorfahren erworben haben, entsprechend dem schönen lateinischen Spruche am neuen Rathause zu Hamburg ernstlich zu erhalten bemüht sein wollten, die Maßregeln er- greifen mußten, die notwendig waren, die Unab- hängigkeit unseres Stadtstaates, die wir alle bis auf den heutigen Tag als etwas Wünschenswertes und Erhaltenswertes angesehen haben, auch für die Zu- kunft sicherzustellen. Da war es in der Tat nur ein Gebot der Selbsterhaltung, diese Maßnahme zu ergreifen, der Selbsterhaltung gegenüber der Partei des Herrn Vorredners, der Partei, die, wie die Reichstagswahlen ergeben haben, rein ziffernmäßig genommen eine Mehrheit in unserm Staate gefunden hat. Wir können uns in dieser Beziehung weitere Erörterungen sparen. Es war einfach notwendig, daß wir in dieser Weise vorgingen. Wir konnten unsern Staat, der in verfassungs- und verwaltungs- rechtlicher Beziehung ganz anders dasteht wie die monarchischen Bundesstaaten des Reiches, nicht einer Partei, nicht einer Massse der Bevölkerung preis- geben, wir konnten nicht geschlossenen Auges ins Verderben hineinrennen. Es war selbstverständlich, daß, wenn wir uns nicht zur rechten Zeit auf unsere Pflicht besonnen hätten, dann die Mehrheit auch in der Bürgerschaft schließlich einmal der Partei des Herrn Vorredners zugefallen wäre, und dadurch würden wir unser Staatswesen in seinen Existenz- grundlagen in Frage gestellt haben. Weil wir uns dieser Tatsache und unsrer Pflicht bewußt waren, haben wir ganz klar und mit voller Absicht die Sache so zu gestalten versucht und gestaltet, wie es im vorigen Jahre geschehen ist. Daß das der Partei des Herrn Vorredners nicht angenehm ist, glaube ich gern, aber die Herren werden sich dauernd an den Gedanken gewöhnen müssen, daß das hanseatische Bürgertum auch insofern der Gesinnung der Vor- fahren nicht unähnlich ist, als es auch heute noch im richtigen Augenblick das Notwendige zu tun weiß, und mit Entschiedenheit zu tun weiß. Ohne Sentimentalität und ohne Furcht haben wir das- jenige getan, was nach unserer klaren und festen Über- zeugung notwendig war für die Erhaltung unseres Gemeinwesens. Jch bin auch überzeugt, daß es die große Mehrheit der Bürgerschaft nie gereuen wird, diesen Schritt mit dem Senate getan zu haben. Nicht das Bestreben, ungerecht vorzugehen, Vorrechte für einzelne Kategorien von Bürgern zu schaffen und andern in ihren Rechten zu beschränken, wie der Herr Vorredner sich etwa ausdrückte, hat uns die Feder diktiert bei unserer lezten Verfassungsreform, sondern die leidige, bittere Notwendigkeit. Das Bürgertum Lübecks würde ganz gewiß bereit gewesen sein, mit allen Volkskreisen unter gleichmäßiger Be- teiligung aller gemeinsam an der weiteren Entwicklung der Vaterstadt zu arbeiten, wenn es nur möglich gewesen wäre. Es war aber nicht möglich. Sie sprachen davon, daß dadurch, daß wir die Sache so gestaltet haben, erst eine Unzufriedenheit in die Be- völkerung hineingetragen wäre. Das glaube ich nicht. Wir haben doch das Reichstagswahlrecht, wir haben doch auf dem Gebiete der Reichspolitik die freieste Betätigung des Staatsbürgers, aber wo sind, wenn ich mich in der Reichspolitik richtig zu orientieren glaube, die Ansätze einer Anerkennung dieser Politik bei Ihnen für das, was auf dem Gebiete der Ver- fassungspolitik, auf dem Gebiete der Sozialpolitik geschehen ist? (Lebhaftes sehr richtig.) Wo ist die allerbescheidenste Anerkennung, wo ist das Bestreben einer positiven Mitarbeit Ihrer Partei mit den bür- gerlichen Parteien an der innern und äußern Stärkung und Entwicklung des im Reiche geeinten deutschen Volkes? Das mußte hier einmal gesagt werden. Es mukte gesagt werden, damit nicht die etwas pathetischen Worte des Herrn Vorredners über unge- rechte, ungleichmäßige Behandlung der verschiedenen Kreise der Bevölkerung widerspruchslos über diesen Saal hinausklingen. Übrigens involviert die Ungleich. mäßigkeit durchaus noch keine Ungerechtigkeit. Es ist ein Spiel mit Worten, ein dialektisches Spiel, wenn Sie in dieser Weise die Ungleichheit ohne weiteres einer Ungerechtigkeit gleichsegen. Die Ungleichheit an dem Anteil an den politischen Rechten ergibt sich aus den historischen Verhältnissen, aus politischen Notwendigkeiten, wie sie für uns im vorigen Jahre maßgebend waren. Da ist von Ungerechtigkeit ab- solut nicht die Rede, weder von objektiver noch viel weniger von subjektiver und bewußter. Ich habe vorhin ausgeführt, daß es dem Wunsche des lübecki- schen Bürgertums ganz entschieden besser entsprechen würde, wenn es möglich wäre, die objektive Ungleich- heit zu beseitigen und ein allgemeines gleiches Wahl- recht aller Bürger zu statuieren. Daß das nicht möglich ist, bedauern wir außerordentlich. Nun ist über den Maßstab gesprochen und gesagt, es wäre für die Auffassung des Bürgertums charakteristisch, daß das Maß der politischen Rechte nach dem Ein- kommen abgestuft werde. Ich habe wiederholt, auch in der Presse, der der Herr Vorredner nicht fern steht, von Geldsackspolitik gelesen. Das ist wirklich, ich will mich ganz vorsichtig ausdrücken, nicht ganz objektiv. Es ist dieser Maßstab nicht gewählt zu dem Zwecke, um dem Besitze, dem Gelde irgendein
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