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lassen. Man wird erwidern, daß das, was gestrichen
werden soll, gerade das Bildende in den mathe-
matischen und physikalischen Lehrslunden sei. Nicht
viel anders würde es sein, wenn man in den Fremd-.
sprachen durchweg Übersezungen an die Stelle der
Originale sezen wollte. Man denkt ja nicht mehr
so ängstlich von Übersetzungen wie früher und regel-
mäßig habe ich im Unterricht selbst Übersezungen
herangezogen, auch mit meinen Schülern gelesen,
wenn es sich darum handelte, andere griechische
Dramen von Äschylos, Sophokles, Euripides oder
Aristophanes kennen zu lernen, die in der Klasse
nicht gelesen werden konnten. Aber bleibenden Ge-
winn hat der Mensch und vor allem der jugendliche
Mensch nur von dem, was er sich redlich erarbeitet
h;: Langsame Arbeit ist die Voraussezung ruhiger
ildung.
Es bleibt nun noch die Frage übrig, wer das
Griechische als Unterrichtsfach wählen soll. Daß
der Weg über das Griechische für alle, die sich dem
Studium der Geisteswissenschaften widmen wollen,
der beste ist, wird nach dem Gesagten wohl allgemein
anerkannt werden. Aber wir wollen doch nicht alle
Gelehrte werden, wird man sagen, wir brauchen
tüchtige Ingenieure, Kaufleute, Chemiker, Seeleute,
Offiziere. Und für sie alle, heißt es vielfach, ist das
Erlernen des Griechischen nur Zeitvergeudung ? Es
sind dieselben Bedenten, die schon Melanchthon bei
seinen + scholastischen –~ Gegnern betampft hatte:
das Studium der Alten überhaupt ist schwierig und
nützt wenig; das Erlernen des Griechischen gar dient
nur falschem Bildungsstolze!
Aber auch wenn man nur auf den unmittelbaren
Nuten sieht, den das Erlernen einer Sprache ge-
währt, tut man mit solchen Vorwürfen dem Grie-
chischen Unrecht. Denn man übersieht den großen,
unmittelbaren Gewinn, den wir aus der Kenntnis
des Griechischen zum Verständnis des lexikalischen
Bestandteils dieser Sprache schöpfen, der in alle
Kultursprachen Eingang gefunden hat, besonders in
die wissenschaftliche Terminologie, die sie erleichtert
und durchgeistigt, was sich besonders den Medizinern
und Naturwissenschastlern bemerkbar macht. Aber
ehe wir auf die Frage vom unmittelbaren Nuyen
für den Beruf eingehen, sollte doch eine Einigung
darüber erzielt werden, ob es denn überhaupt die
Aufgabe der Schule ist, solche Kenntnisse zu ver-
mitteln, die im Berufsleben unmittelbar nugbar sind.
Bei einer Fachschule wird die Antwort unbedingt
bejahend lauten, im übrigen aber wird man daran
festhalten, daß die Schule + die sogenannte höhere
Knabenschule – wohl fürs Leben, aber nicht für
einen Beruf. vorbereiten soll; denn je mehr Arbeits-
teilung und Spezialisierung der Berufsarten fort-
schreiten, je mehr auch die Universität zur Fachschule
wird, um so mehr muß die Schule - die höhere
Knabenschule – eine allgemeine Bildung darbieten.
Ich sage nicht: di e allgemeine Bildung, denn die
hat es wohl früher gegeben, man hat auch versucht,
ein solches Ideal festzuhalten, indem man von allem
möglichen Wissenswerten etwas in den Lehrplan auf-
nahm. Aber dieser Versuch muß als gescheitert an-
gesehen werden, und es ist grundfalsch, wenn noch
kürzlich ein Naturforscher erklärt hat, es sei Halb-
bildung, wenn man nicht von allem etwas wisse,
sondern das ist Halbbildung, wenn man nichts ganz
weiß. Deshalb ist, nachdem das Einheitsideal als
unerreichbar erwiesen, bewußte Entwicklung zur
Mannigfaltigkeit die leicht erklärliche Folge. Aber
wenn man einseitige Bildung fordert, soll man nun
auch konsequent sein und anerkennen, daß verschiedene
Wege nach Rom führen; wenn die früher geltende
Unterschäßung des bildenden Wertes der Natur-
wissenschaften aufgehört hat, so sollte nun nicht ein-
seitige Überschäßung die Folge sein. Davor sollte
schon die Erwägung uns bewahren, daß die Männer,
denen die Naturwissenschaften und verwandte Zweige
ihre Riesenerfolge verdanken, zum größten Teil auf
dem alten Gymnasium ihre Bildung empfangen haben.
Also verschiedene Arten allgemeiner Bildung!
Wie wir sie nennen wollen, ist schwierig zu sagen.
Humanistisch und Realistisch bezeichnen den Gegen-
siand nur sehr mangelhaft. In neun Jahreskursen
werden am Gymnasium 34 Stunden Mathematik
und Rechnen erteilt, am Realgymnasium 42, an der
Oberrealschule 47, entsprechend in den Naturwissen-
schaften 18-20, 29 und 36,*) an den verschiedenen
Reformanstalten (Gymnasien und Realgymnasien **)
sind dieselben Zahlen 35 zu 42 und 44, 19 zu 27
und 29. Das sind Unterschiede, aber nicht des
Wesens, sondern des Grades, und rechtfertigen das
Schlagwort real nicht. Der wesentliche Unterschied
liegt in der Auswahl der Sprachen und viel besser
paßt deshalb die englische Bezeichnung elassical und
modern side.
Der Nachdruck liegt aber auch mit vollem Recht
auf den Sprachen. Die Sprachen werden immer
den gemeinsamen Grundstock aller Jugendbildung
abgeben. Denn das einfachste und verbreitetste Mittel
auf Menschen zu wirken ist die Sprache und wird
es in alle Ewigkeit bleiben, wie denn auch das wert:
vollste und anziehendste Objekt unserer Beobachtungen
immer der Mensch sein wird mit dem Spiel seiner
Kräste und dem Konflikt zwischen Kausalität und
Freiheit. Ein wahrhaft menschenbildendes Studium
*) Nach den preußischen Lehrplänen.
*®) Frankfurt und Altona.