Full text: Lübeckische Blätter. 1906 ; Verhandlungen der Bürgerschaft. 1906 (48)

TTT lassen. Man wird erwidern, daß das, was gestrichen werden soll, gerade das Bildende in den mathe- matischen und physikalischen Lehrslunden sei. Nicht viel anders würde es sein, wenn man in den Fremd-. sprachen durchweg Übersezungen an die Stelle der Originale sezen wollte. Man denkt ja nicht mehr so ängstlich von Übersetzungen wie früher und regel- mäßig habe ich im Unterricht selbst Übersezungen herangezogen, auch mit meinen Schülern gelesen, wenn es sich darum handelte, andere griechische Dramen von Äschylos, Sophokles, Euripides oder Aristophanes kennen zu lernen, die in der Klasse nicht gelesen werden konnten. Aber bleibenden Ge- winn hat der Mensch und vor allem der jugendliche Mensch nur von dem, was er sich redlich erarbeitet h;: Langsame Arbeit ist die Voraussezung ruhiger ildung. Es bleibt nun noch die Frage übrig, wer das Griechische als Unterrichtsfach wählen soll. Daß der Weg über das Griechische für alle, die sich dem Studium der Geisteswissenschaften widmen wollen, der beste ist, wird nach dem Gesagten wohl allgemein anerkannt werden. Aber wir wollen doch nicht alle Gelehrte werden, wird man sagen, wir brauchen tüchtige Ingenieure, Kaufleute, Chemiker, Seeleute, Offiziere. Und für sie alle, heißt es vielfach, ist das Erlernen des Griechischen nur Zeitvergeudung ? Es sind dieselben Bedenten, die schon Melanchthon bei seinen + scholastischen –~ Gegnern betampft hatte: das Studium der Alten überhaupt ist schwierig und nützt wenig; das Erlernen des Griechischen gar dient nur falschem Bildungsstolze! Aber auch wenn man nur auf den unmittelbaren Nuten sieht, den das Erlernen einer Sprache ge- währt, tut man mit solchen Vorwürfen dem Grie- chischen Unrecht. Denn man übersieht den großen, unmittelbaren Gewinn, den wir aus der Kenntnis des Griechischen zum Verständnis des lexikalischen Bestandteils dieser Sprache schöpfen, der in alle Kultursprachen Eingang gefunden hat, besonders in die wissenschaftliche Terminologie, die sie erleichtert und durchgeistigt, was sich besonders den Medizinern und Naturwissenschastlern bemerkbar macht. Aber ehe wir auf die Frage vom unmittelbaren Nuyen für den Beruf eingehen, sollte doch eine Einigung darüber erzielt werden, ob es denn überhaupt die Aufgabe der Schule ist, solche Kenntnisse zu ver- mitteln, die im Berufsleben unmittelbar nugbar sind. Bei einer Fachschule wird die Antwort unbedingt bejahend lauten, im übrigen aber wird man daran festhalten, daß die Schule + die sogenannte höhere Knabenschule – wohl fürs Leben, aber nicht für einen Beruf. vorbereiten soll; denn je mehr Arbeits- teilung und Spezialisierung der Berufsarten fort- schreiten, je mehr auch die Universität zur Fachschule wird, um so mehr muß die Schule - die höhere Knabenschule – eine allgemeine Bildung darbieten. Ich sage nicht: di e allgemeine Bildung, denn die hat es wohl früher gegeben, man hat auch versucht, ein solches Ideal festzuhalten, indem man von allem möglichen Wissenswerten etwas in den Lehrplan auf- nahm. Aber dieser Versuch muß als gescheitert an- gesehen werden, und es ist grundfalsch, wenn noch kürzlich ein Naturforscher erklärt hat, es sei Halb- bildung, wenn man nicht von allem etwas wisse, sondern das ist Halbbildung, wenn man nichts ganz weiß. Deshalb ist, nachdem das Einheitsideal als unerreichbar erwiesen, bewußte Entwicklung zur Mannigfaltigkeit die leicht erklärliche Folge. Aber wenn man einseitige Bildung fordert, soll man nun auch konsequent sein und anerkennen, daß verschiedene Wege nach Rom führen; wenn die früher geltende Unterschäßung des bildenden Wertes der Natur- wissenschaften aufgehört hat, so sollte nun nicht ein- seitige Überschäßung die Folge sein. Davor sollte schon die Erwägung uns bewahren, daß die Männer, denen die Naturwissenschaften und verwandte Zweige ihre Riesenerfolge verdanken, zum größten Teil auf dem alten Gymnasium ihre Bildung empfangen haben. Also verschiedene Arten allgemeiner Bildung! Wie wir sie nennen wollen, ist schwierig zu sagen. Humanistisch und Realistisch bezeichnen den Gegen- siand nur sehr mangelhaft. In neun Jahreskursen werden am Gymnasium 34 Stunden Mathematik und Rechnen erteilt, am Realgymnasium 42, an der Oberrealschule 47, entsprechend in den Naturwissen- schaften 18-20, 29 und 36,*) an den verschiedenen Reformanstalten (Gymnasien und Realgymnasien **) sind dieselben Zahlen 35 zu 42 und 44, 19 zu 27 und 29. Das sind Unterschiede, aber nicht des Wesens, sondern des Grades, und rechtfertigen das Schlagwort real nicht. Der wesentliche Unterschied liegt in der Auswahl der Sprachen und viel besser paßt deshalb die englische Bezeichnung elassical und modern side. Der Nachdruck liegt aber auch mit vollem Recht auf den Sprachen. Die Sprachen werden immer den gemeinsamen Grundstock aller Jugendbildung abgeben. Denn das einfachste und verbreitetste Mittel auf Menschen zu wirken ist die Sprache und wird es in alle Ewigkeit bleiben, wie denn auch das wert: vollste und anziehendste Objekt unserer Beobachtungen immer der Mensch sein wird mit dem Spiel seiner Kräste und dem Konflikt zwischen Kausalität und Freiheit. Ein wahrhaft menschenbildendes Studium *) Nach den preußischen Lehrplänen. *®) Frankfurt und Altona.
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