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an der Betrachtung des einen Satzes: „Er lebt in
seinem Beruf.“ . Welch unendliches Glück ist in
diese Worte eingeschlossen und wie ist es jedem
erreichbar, der überhaupt einen Beruf für sich hat,
sei es der niedrigste oder der höchste.
Der Erdarbeiter, der mit seinem Spaten ver-
wachsen ist, der ihn formt und glättet, ihn mit immer
neuen Stielen versieht, bis er einen gefunden hat,
der sich seiner Hand am besten schmiegt, der eben
der seine ist, den er gegen keinen anderen tauschen
möchte, – der Maurer, welcher nicht geistlos Stein
auf Stein packt, sondern bei jedem Griff sein Bestes
tut, der sich freut über jede scharfe Kante, die ev
hochführt, der auf neue Mittel und Vereinfachungen
sinnt und bald den Blick sich erwirbt, welcher mit
den Steinen fühlt, wie sie lasten und schweben, das
ist ein glücklicher Mensch, der es weit bringt. Die
ganze Kraft des Körpers, des Verstandes, des Gemütes
an eine Aufgabe setzen, das heißt leben. – Der Schuh-
macher, welcher wirklich mitfühlt, wo den Leuten der
Schuh drückt, der nicht ruht, bis seine Arbeit sauber
und blank, passend und gesund aus seinen Händen
geht. Der Geschäftsmann, welcher dem Volke seine
fleinsten Wünsche abfühlt, wie eine Mutter dem
Kinde, welcher sein Glück darin findet, der Allgemein-
heit zu dienen und ~ sie zu erziehen zur Reinlich-
teit, zur Gediegenheit, zum edlen Geschmack ~ und
wie die tausend Einflüsse sind, welche er auszuüben
vermag , der lebt in seinem Beruf. ~~ Und erst
der Arzt! Welcher Mensch, der den Vorzug hatte,
einem Arzte von Gottes Gnaden gegenüberzustehen,
hätte nicht gefühlt, wie des Mannes ganze Kraft sich
spannte, wie er mit dem ersten Blick die geheimen
Zusammenhänge von Seele und Körper bei seinem
Patienten ergründete, wie alles um ihn her zu ver-
sinken schien und nur das Leben des einen Kranken
und sein Schmerz ihn beschäftigte. All sein Wissen
sammelt sich auf einen Punkt, all sein Fühlen tastet
nach dem Verstehen des Leidenden mit dem wunder-
baren Griff, der, aus Ehrfurcht, Mitleid und Ent-
schiedenheit gemischt, den Kranken fühlen läßt, daß
ein ganzer Mensch sein Wesen für ihn einseßt. Es
wäre verlockend, einmal die Ideale des Berufslebens
aufzustellen. Hier nur noch ein Beispiel: Ich sah
einmal als Knabe einen Pumpenmacher bei der Arbeit
und habe das nie vergessen können. Er war wie ein
Zaubermann in der Gegend weit und breit berühmt;
er kannte die Wasserverhältnisse des ganzen Landes
und war für kein Geld zu bewegen, seine Brunnen
anzulegen, wo es schlechtes Wasser gegeben hätte. Er
sah so stolz aus, hatte klare, glückliche Augen und
lüpfte seine Mütze vor dem Bürgermeister nicht mehr
und nicht weniger, wie vor jedem Arbeiter. Aber
wenn er am Werke war, da scheute er keine Mühe,
und wenn die Hände und Füße nicht reichten, so
mußten die Zähne helfen. Der Mann war wie im
Fieber, die Werkzeuge flogen, wie von Zauberhänden
getragen. Erst standen wir alle verwundert um ihn
her, dann aber wurde der eine dorthin geschickt, der
andere hierhin, alles mußte helfen, der Bürgermeister
selbst wurde angestellt, es war, als müsse die Welt
untergehen, wenn die Pumpe nicht fertig würde.
Alles um den Mann war beherrscht von seinem
eisernen Willen und beglückt vom Segen einer
lebendigen Arbeit. Dann aber war das Werk auch
fertig, zehnmal so schnell und doppelt so gut, als
es ein anderer gemacht hätte. Der Mann strahlte,
erklärte uns nachträglich wie ein Feldherr den Gang
des Gefechtes und was er alles wieder gelernt. Das
nächste Mal wolle er es besser machen.
So ist das Leben, welches kein Fertigsein und
keinen Stillstand kennt. Leben ist Zeugungslust,
Zeugungskraft und Schöpferwille. Es ist der einzige
Weg zum Glück. Ein lebendiger Mensch duldet keine
toten Bestandteile in Fsich. So wie der Körper keine
toten Zellen duldet, die ihn schmerzen und quälen,
bis er sie entfernt oder mit seinem Blut gereinigt
und sich zu eigen gemacht hat, so sträubt sich der
lebendige Geist gegen tote Gewohnheit und totes
Wesen. Sehen wir uns alle großen Menschen an.
Was sie dazu machte, ist das Leben und nur das
Leben gewesen, die Kraft, sich alles in ihrer Weise
zu eigen zu machen. Die großen Staatsmänner, die
großen Naturforscher, Techniker, Arzte, Künstler,
Geschichtsschreiber <– nehmen wir Bismarck, Helm-
holz, Siemens, Virchow, Böcklin, Mommsen sind
nicht die gefülltesten Magazine, nicht die an Wissen
reichsten ihres Berufes gewesen, sondern die Lebendigen,
die Fleisch und Blut zu machen wußten aus dem
Stoff und sFich alle Erfahrungen und Sinneseindrücke
lebend bewahrten, damit sie sich untereinander be-
fruchteten. So wurden ihre Werke aus einem Guß
und Abdrücke ihrer Persönlichkeit. '
Wir haben lang verweilt, uns den Begriff des
Lebens klar zu machen, aber wir haben den Stand-
punkt erreicht, von welchem aus wir das religiöse
Leben zu überblicken und zu verstehen vermögen.
Was die Berufsbegeisterung in den engen Grenzen
der Facharbeit, das ist das religiöse Leben in allen
Weiten der Welt. Erinnern wir uns des erwähnten
Pumpenmachers, des freudigen Aufgehens in seinem
Werk, genießen wir seinen hellen, scharfen Blick, seinen
Eifer, alles an seiner Aufgabe von Grund aus zu
verstehen, neu zu gestalten und zu verbessern, denken
wir uns nun in sein Schaffensglück hinein und dann
nehmen wir uns statt des dunkeln Brunnens in der
Tiefe, statt der Mechanik der Saugpumpe, statt der
Werkzeuge, die er führt + die ganze Welt mit allen