Full text: Lübeckische Blätter. 1906 ; Verhandlungen der Bürgerschaft. 1906 (48)

7T7 1 an der Betrachtung des einen Satzes: „Er lebt in seinem Beruf.“ . Welch unendliches Glück ist in diese Worte eingeschlossen und wie ist es jedem erreichbar, der überhaupt einen Beruf für sich hat, sei es der niedrigste oder der höchste. Der Erdarbeiter, der mit seinem Spaten ver- wachsen ist, der ihn formt und glättet, ihn mit immer neuen Stielen versieht, bis er einen gefunden hat, der sich seiner Hand am besten schmiegt, der eben der seine ist, den er gegen keinen anderen tauschen möchte, – der Maurer, welcher nicht geistlos Stein auf Stein packt, sondern bei jedem Griff sein Bestes tut, der sich freut über jede scharfe Kante, die ev hochführt, der auf neue Mittel und Vereinfachungen sinnt und bald den Blick sich erwirbt, welcher mit den Steinen fühlt, wie sie lasten und schweben, das ist ein glücklicher Mensch, der es weit bringt. Die ganze Kraft des Körpers, des Verstandes, des Gemütes an eine Aufgabe setzen, das heißt leben. – Der Schuh- macher, welcher wirklich mitfühlt, wo den Leuten der Schuh drückt, der nicht ruht, bis seine Arbeit sauber und blank, passend und gesund aus seinen Händen geht. Der Geschäftsmann, welcher dem Volke seine fleinsten Wünsche abfühlt, wie eine Mutter dem Kinde, welcher sein Glück darin findet, der Allgemein- heit zu dienen und ~ sie zu erziehen zur Reinlich- teit, zur Gediegenheit, zum edlen Geschmack ~ und wie die tausend Einflüsse sind, welche er auszuüben vermag , der lebt in seinem Beruf. ~~ Und erst der Arzt! Welcher Mensch, der den Vorzug hatte, einem Arzte von Gottes Gnaden gegenüberzustehen, hätte nicht gefühlt, wie des Mannes ganze Kraft sich spannte, wie er mit dem ersten Blick die geheimen Zusammenhänge von Seele und Körper bei seinem Patienten ergründete, wie alles um ihn her zu ver- sinken schien und nur das Leben des einen Kranken und sein Schmerz ihn beschäftigte. All sein Wissen sammelt sich auf einen Punkt, all sein Fühlen tastet nach dem Verstehen des Leidenden mit dem wunder- baren Griff, der, aus Ehrfurcht, Mitleid und Ent- schiedenheit gemischt, den Kranken fühlen läßt, daß ein ganzer Mensch sein Wesen für ihn einseßt. Es wäre verlockend, einmal die Ideale des Berufslebens aufzustellen. Hier nur noch ein Beispiel: Ich sah einmal als Knabe einen Pumpenmacher bei der Arbeit und habe das nie vergessen können. Er war wie ein Zaubermann in der Gegend weit und breit berühmt; er kannte die Wasserverhältnisse des ganzen Landes und war für kein Geld zu bewegen, seine Brunnen anzulegen, wo es schlechtes Wasser gegeben hätte. Er sah so stolz aus, hatte klare, glückliche Augen und lüpfte seine Mütze vor dem Bürgermeister nicht mehr und nicht weniger, wie vor jedem Arbeiter. Aber wenn er am Werke war, da scheute er keine Mühe, und wenn die Hände und Füße nicht reichten, so mußten die Zähne helfen. Der Mann war wie im Fieber, die Werkzeuge flogen, wie von Zauberhänden getragen. Erst standen wir alle verwundert um ihn her, dann aber wurde der eine dorthin geschickt, der andere hierhin, alles mußte helfen, der Bürgermeister selbst wurde angestellt, es war, als müsse die Welt untergehen, wenn die Pumpe nicht fertig würde. Alles um den Mann war beherrscht von seinem eisernen Willen und beglückt vom Segen einer lebendigen Arbeit. Dann aber war das Werk auch fertig, zehnmal so schnell und doppelt so gut, als es ein anderer gemacht hätte. Der Mann strahlte, erklärte uns nachträglich wie ein Feldherr den Gang des Gefechtes und was er alles wieder gelernt. Das nächste Mal wolle er es besser machen. So ist das Leben, welches kein Fertigsein und keinen Stillstand kennt. Leben ist Zeugungslust, Zeugungskraft und Schöpferwille. Es ist der einzige Weg zum Glück. Ein lebendiger Mensch duldet keine toten Bestandteile in Fsich. So wie der Körper keine toten Zellen duldet, die ihn schmerzen und quälen, bis er sie entfernt oder mit seinem Blut gereinigt und sich zu eigen gemacht hat, so sträubt sich der lebendige Geist gegen tote Gewohnheit und totes Wesen. Sehen wir uns alle großen Menschen an. Was sie dazu machte, ist das Leben und nur das Leben gewesen, die Kraft, sich alles in ihrer Weise zu eigen zu machen. Die großen Staatsmänner, die großen Naturforscher, Techniker, Arzte, Künstler, Geschichtsschreiber <– nehmen wir Bismarck, Helm- holz, Siemens, Virchow, Böcklin, Mommsen sind nicht die gefülltesten Magazine, nicht die an Wissen reichsten ihres Berufes gewesen, sondern die Lebendigen, die Fleisch und Blut zu machen wußten aus dem Stoff und sFich alle Erfahrungen und Sinneseindrücke lebend bewahrten, damit sie sich untereinander be- fruchteten. So wurden ihre Werke aus einem Guß und Abdrücke ihrer Persönlichkeit. ' Wir haben lang verweilt, uns den Begriff des Lebens klar zu machen, aber wir haben den Stand- punkt erreicht, von welchem aus wir das religiöse Leben zu überblicken und zu verstehen vermögen. Was die Berufsbegeisterung in den engen Grenzen der Facharbeit, das ist das religiöse Leben in allen Weiten der Welt. Erinnern wir uns des erwähnten Pumpenmachers, des freudigen Aufgehens in seinem Werk, genießen wir seinen hellen, scharfen Blick, seinen Eifer, alles an seiner Aufgabe von Grund aus zu verstehen, neu zu gestalten und zu verbessern, denken wir uns nun in sein Schaffensglück hinein und dann nehmen wir uns statt des dunkeln Brunnens in der Tiefe, statt der Mechanik der Saugpumpe, statt der Werkzeuge, die er führt + die ganze Welt mit allen
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