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vorbehalten ist. Erschüttert und tief von Goetheschem
Leidenschaftsleben hingerissen lauschte man und wunderte
sih am Schlusse, daß diese tiefe Wirkung von —
Dilettanten ausgegangen war. Allerlei Hochachtung
vor der ernsten Hingabe, der echten, warmen Begeiste-
cung, die hier am Werke gewesen war!
Eine Serenade von Haydn und Mozarts „Kleine
Nachtmusik“ gaben dem Ganzen einen stimmungsvollen
Rahmen. Das war ein Abend voller Einheitlichkeit
und Stil. Vivant sequentes. 1054.
Evangelischer Bund. Hauptverein Lübeck.
Der Lübecker Hauptverein des Evangelischen Bundes
hielt am 22. November 1906 im Bildersaal der
Gemeinnützigen Gessellschaft eine gut besuchte Mit-
gliederversammlung ab. Nach einer Vorstandswahl
und nach einigen Mitteilungen des Vorsitzenden er-
stattete Herr Amtsrichter Dr. Eschenburg Bericht über
die 19. Generalversammlung des Bundes in Graudenz
und Danzig, die er als Abgeordneter des Lübecker
Hauptvereins besucht hatte. Der Redner schilderte
die Lage von Graudenz und die hervorragenden Ge-
bäude der Stadt, gab einige Stimmungsbilder aus
den Verhandlungen des Gesamtvorstandes und aus
den öffentlichen Bundesversammlungen, schilderte die
führenden Persönlichkeiten und skizzierte kurz die
wichtigsten unter den gehaltenen Reden und Vorträgen.
Es waren fesselnde, anschauliche Bilder, die an dem
geisiigen Auge der Zuhörer vorüberzogen, und die
Ausführungen des Redners fanden allseitigen, wohl-
verdienten Beifall. Der Rest des Abends war der
Besprechung innerer Vereinsangelegenheiten gewidmet.
Neues aus dem Verlag von Ludwig Möller.
Ein Lutherbildnis liegt uns vor. Wer im Jahre
1883 den 400 jährigen Geburtstag Dr. M. Luthers
mitgefeiert hat, wer sich erinnert der hellen Be-
geisierung, welche für den Glaubenshelden der Refor-
mation sowie den ganzen Menschen Luther damals
wachgerufen wurde, wer überhaupt durch einigermaßen
tieferes Interesse seiner großen Persönlichkeit mehr
und mehr näher zu treten versucht, den wird ein
neues Lutherbildnis interessieren. Doch zugleich wird
sich dem Beschauer die Frage aufdrängen: Ist es
ders elbe Luther, der mir durch Wort und Schrift
durch Lehre und Glauben, ja durch seine ganze große
geschichtliche Tat zum sichtbaren, lebendigen Bilde vor
meinem geistigen Auge geworden ist ?
Von verschiedenen Gesichtspunkten aus wird das
bei Möller verlegte Blatt (Kupfergravure) nach dem
Originalgemälde von K. Astfalck verschieden beurteilt
werden müssen. Sicher handelt es sich hier in erster
Linie um den Standpunkt des gläubigen Protestanten,
soweit er in einzelnen Menschen mehr oder weniger
in den Vordergrund tritt. Dieserhalb seien auch nur
Auszüge aus den Urteilen einiger namhafter Theologen
hier wiedergegeben, denen dies Lutherbildnis vor-
gelegt war.
Herr Hof: und Dom-Prediger a. D. Stoecker, Berlin,
äußert sich: „Die gewaltigen Partien um seinen Mund,
die in manchen zeitgenössischen Bildern die ungeheure
über Papst und Kaiser siegreiche Energie vergegen-
wärtigen, sind bei Ihnen ein wenig gemäßigt.
Dafür ist in Augen und Stirn ein Zug gekommen,
der die Glaubensmacht und das Mysstische herrlich
wiedergibt. Es ist der Luther, der die „Freiheit des
Christenmenschen“ durchdenkt, mehr als das Schreiben
„an den christlichen Adel deutscher Nation“, obwohl
der letztere Zug nicht fehlt. Je länger ich das Bild
sehe, je lieber wird es mir."
Ein anderer schreibt: „Jhr Luther gefällt mir
und uns allen außerordentlich. Das ist eine kraft-
volle Figur. So stellt sich die große Mehrzahl der
evangelischen Christenheit ihren Reformator tatsächlich
vor, und zu dieser Leistung sage ich: Bravo.“
Leichter und objektiver läßt sich über die neue
Radierung „Jm letzten Abendschein“ von G. Fritz
urteilen. Diese trägt troß Eingehens auf mancherlei
Einzelheiten, troß eines unverkennbaren Hanges zu
behaglicher Breite, zum Weichen, zum Lyrischen, durch
den kräftigen Gegensatz der hellbeleuchteten wuchtigen
und uralten Steinbrücke zum tiefdunklen Wasser des
Flusses und den ernst-ehrwürdigen Pappeln den
Ausdrucé monumentaler Größe. Sicherlich zählt
dieses Blatt nächst den Worpsweder Radierungen
von Vogeler und Hans am Ende sowie denjenigen
von Kohnert oder Fischbeck zu den allerbesten des
Verlags und ist es nicht ohne persönliche Note. Die
Technik der umfangreichen Nadelarbeit, welche ganz
besonders als W a nd b i l d geeignet erscheint, ist voll
Reiz und Frische. C.
E u-
Theater und Musik.
Stadthallentheater. „Stein unter Steinen.“ (23. Nov.)
Sudermann hat mit Philippi die ausschließliche
Tendenz auf die Bühnenwirkung gemein. Philippi
ist freilich grobdrähtiger, roher, skrupelloser. Er ver-
wendet alle möglichen Mittel moderner maschineller
Technik, um möglichst klozig und darum überwältigend
auf den Zuschauer einzuhauen. Sudermann verkleidet
seine theatralischen Absichten hinter Lebensprobleme,
die er aus den modernen Verhältnissen herausgreift.
Er schreibt dann ein sogenanntes Tendenzstück. Ein
solches könnte man auf den ersten Blick auch hinter
„Stein unter Steinen“ suchen. Man findet aber kein
Tendenzstück. Das Stück handelt dem äußeren Ver-
laufe nach von einem Verbrecher, der nach verbüßter
Strafe wieder in der Gesellschaft eine geachtete
Stellung zu erringen versucht und hierbei hart gegen
die Engherzigkeit der Mitmenschen zu kämpfen hat.
Aber eine Tendenz, gerichtet gegen die Borniertheit
der Menschen in ihrem Verhalten gegen einstmalige