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Es wird uns nun mitgeteilt, daß der Verband
der deutschen Ostseebäder, dem Travemünde auch
angehört, alljährlich im Herbst nach Schluß der
Saison auf direkte Veranlassung der König-
lichen Eisenbahndirektion Stettin sich an die
Mitglieder des Verbandes mit der schriftlichen An-
frage richtet, welche etwaigen Wünsche bezüglich des
nächstjzährigen Sommerfahrplanes die einzelnen Bade-
verwaltungen vorzubringen haben. Weshalb nun
die Verwaltung von Travemünde, die in den Händen
des Finanzdepartements ruht, diese schriftlichen An-
fragen stets unbeantwortet läßt, wie wir hören, ist
um so unverständlicher, als nach den Mitteilungen
in den Lübeckischen Anzeigen vom 2. d. M. die
von seiten der Handelskammer wiederholt bei der
Königlichen Eisenbahndirektion Altona gestellten An-
träge auf Ausgabe direkter Feriensonderzug-
karten bisher einen Erfolg nicht gehabt haben. Es
ist nun freilich nicht anzunehmen, daß Travemünde
durch Vermittlung des Verbandes sofort z. B.
Feriensonderzüge zu ermäßigten Fahrpreisen erhalten
wird; aber die Erfolge, die der Verband, dem fast
alle Ostseebäder als Mitglieder angehören, dank
seiner anerkannten Beziehungen zu den staatlichen
Behörden nach den verschiedensten Richtungen hin,
speziell auf dem Gebiete der Eisenbahnverbindungen
nach den einzelnen Ostseebädern bisher erzielt hat,
berechtigen zu der Annahme, daß der Verband auch
Travemünde mit der Zeit wird helfen können.
Jedenfalls erscheint es wenig opportun, die Be-
mühungen und gutgemeinten Vorschläge des Verbandes
einfach zu ignorieren, schon mit Rücksicht darauf,
daß, wie auch aus den Verhandlungen vor dem
Bezirkseisenbahnrat vom 29. September a. e. zweifel-
los hervorgeht, eine gesunde und ständige Weiter-
entwicklung des Seebades Travemünde nur dann
zu erwarten ist, wenn auch das Jnland, insbesondere
die Reichshauptstadt, ein größeres Kontingent von
Badegästen, als es bisher der Fall war, nach Trave-
münde entsenden wird. .
. Im übrigen möchten wir in Übereinstimmung
mit den Ausführungen in den Lübeckischen Anzeigen
vom 5. September d. J.. wo es heißt: „Es wird
in Travemünde noch gar viel zu ordnen sein,
besonders auch auf dem Gebiet der verschiedenen
Verwaltungen, über deren Nichtzusammenfassung
durch eine dazu geeignete und befugte Persönlichkeit
uns seitens der Kurgäste in diesem Jahre die ver-
schiedensten Klagen zugegangen sind“ ~~ uns den
Vorschlag gestatten, eine Zentralstelle, ein sogenanntes
Badekommissariat, und zwar in der Nähe von Neu-
Travemünde, zu schaffen, wo den Badegästen jederzeit
oder zu gewissen Bureaustunden, wie es in anderen
größeren Bädern und Sommerfrischen der Fall ist,
Auskunft und Rat erteilt wird.
Vielleicht wird der Verein „Seebad Travemünde“,
von dessen Gründung in den Tagesblättern zu lesen
war, auch dieser für die Förderung der Interessen
des Bade- und Kurortes Travemünde hochwichtigen
Frage demnächst näher treten. 1148
Gottlieb Nicolaus Stolterfoht.
Der 6. November, der in Erinnerung der schweren
Schicksale, welche vor einem Jahrhundert an diesem
Tage unsre Stadt trafen, im Herzen jedes Lübeckers
ernste Gedanken wachgerufen hat, hat uns Veranlassung
gegeben, den Namen eines verdienten Mannes zu
nennen, der auch an diesem Tage bei dem Sturme
der Feinde auf unsre Stadt durch eine Kugel sein
Leben einbüßte. Es war dieses: Gottlieb Nicolaus
Stolterfoht, Prediger an der Burgkirche, dem
Heiligen-Geist-Hospital und dem Pockenhause, geboren
zu Lübeck am 21. März 1763 als Sohn des Kauf-
manns Nicolaus Ludwig Stolterfoht. Wir ent-
nehmen privaten Notizen aus dem Leben und Wirken
dieses Mannes, daß er sich im besonderen der Er-
ziehung der weiblichen Jugend gewidmet und als Mit-
glied der Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger
Tätigkeit seine Wünsche in betreff des Unterrichts der
weiblichen Jugend zu Gehör zu bringen verstanden
und mit Beihülfe der gedachten Gesellschaft die Indu-
striesschule für dürftige Mädchen in den bescheidenen
Räumen seiner Amtswohnung im Umgange der Burg-
kirche errichtete, eine Schule, welche unter dem Schutze
der Gemeinnützigen Gesellschaft bis vor wenigen Jahren
bestanden und viel Segen gestiftet hat.
Der Name des vortrefflichen Mannes ist der
Nachwelt durch eine Stiftung erhalten, welche der
Sohn desselben, der Makler Joh. Nic. Stolterfoht, am
15. Juni 1863 errichtete unter dem Namen Prediger
Gottl. Nicolaus Stolterfoht- Stiftung, deren
Einkünfte bestimmt sind zur Linderung der Sorge
von Witwen und Waisen von Geistlichen dieser Stadt,
denen wie einst seiner eigenen Familie der Ernährer
durch frühzeitigen Tod entrissen ist. 610.
Theater und Musik.
Stadthallentheate. Der Prophet. Oper von
G. Meyerbeer. (6. November.)
Sympathisch berührt das Textbuch des „Propheten“
sicher nicht, aber Bühnenwirksamkeit ist ihm nicht ab-
zusprechen, und das allein schon war für Meyerbeer
genügend, den Stoff zu komponieren. Sein Bestes
hat er in dieser Oper nicht geboten, aber genug
Schönes, um das Werk auf dem Repertoire halten zu
können. Die Szenen zwischen Johann von Leyden
und Fides, seiner Mutter, gehören zu den glücklichsten
Eingebungen eines der raffiniertesten Macher auf
musikalischem Gebiete, denn sie bergen echteste Emp-
findung, fein geschwungene melodische Linien von einer