Full text: Lübeckische Blätter. 1906 ; Verhandlungen der Bürgerschaft. 1906 (48)

a 37 Gustav Kühl F. Einen treuen Sohn seiner Vaterstadt haben wir vor wenigen Tagen zur ewigen Ruhe in die heimische Erde gebettet. Treue war der beherrschende Zug in Gustav Kühls Wesen, Treue in allen Dingen, y; s jf wr u L.; dahingeschritten in jene Welt, die frei ist von allem Häßlichen, Niedrigen und Gemeinen. „Er war der wunderbarste Mensch, mit dem mich das Leben zu- sammenführte,“ so schreibt in diesen Tagen ein älterer Fachgenosse von ihm. Ja er war ein wunderbarer Menschh Mit reichen Gaben ausge- stattet, vielseitig veranlagt, verfügte er über eine er- staunliche wissenschaftliche und künstlerische Bildung. Ein echtes Poetengemüt verklärte ihm Leben und Erscheinungswelt. Er war selbst dichterisch produktiv. Vor allem aber war er einer der feinsten und ver- ständnisvollsten Kunstinterpreten, der geborene Ver- künder moderner Kunst -- und in diesem Sinne ein „Kulturträger,“ wie einer seiner Freunde ihn kürz- lich nannte. Dazu kam eine ganz außergewöhnliche musikalische Begabung, die vielleicht die bedeutendste Seite seines künstlerischen Wesens ausmachte. Auch auf diesem Gebiete war er Künstler, Kunsthistoriker und Ästhetike.. Am größten aber war er als Mensch, als Gesamtpersönlichkeit, deren Zauber sich kaum jemand entziehen konnte. Ernst und. tief, zart und fein, dabei von einem Schimmer sonntags- kindlicher Fröhlichkeit umwoben, von edelsten Humor durchwärmt, so gewann seine kristallhelle Seele die Herzen der Menschen. Gustav Kühl wurde am 9. September 1869 in Lübeck als Sohn eines Kaufmanns geboren. Nach dem frühen Tode des Vaters wuchs er unter liebe- voller mütterlicher Obhut im Hause seines Groß- vaters auf. Er besuchte das Gymnasium des Kathga- rineums und widmete sich mit 18 Jahren dem Studium der Theologie. Nachdem er mit der ihm eignen Pflichttreue dieses Studium zu einem für ihn ehrenvollen Abschluß gebracht hatte er bestand im Jahre 1893 in Kiel das theologische Amts- examen mit Auszeichnung, ~ entschloß er sich, sich der Literatur. und Kunstwissenschaft zu widmen. Bevor er von Neuem die Universität bezog, war er ein Jahr lang in seiner Vaterstadt als Lehrer an der Knabenmittelschule und als Privatlehrer tätig. Dann wandte er sich zunächst nach München und studierte dort Germanistik. Wenige Jahre später erwarb er in Kiel mit einer bedeutenden Arbeit über die Bordesholmer Marienklage ~ einer Arbeit, bei der ihm auch seine hervorragenden mussikalischen Kenntnisse zugute kamen, – den Dotktortitel der ur e. g ,t! ! c tts mit literarischen und künsilerischen Kreisen als Kunstschriftsteller. Er schrieb Aufsäte über Detlev von Liliencron, Richard Dehmel, Nietsche, Hans von Bülow und veröffentlichte ein Bändchen lyrischer Gedichte unter dem Titel „Wimpel und Winde“ (1901). Schon damals aber lenkte er seine Blicke auf das Buchgewerbe, auf Buchschmuck, Ornamentik und Schrift, Bestrebungen, die ihm später die Aufforderung einbrachten, als Mitarbeiter am Königlichen Kunstgewerbemuseum in Berlin einzu- treten. Bevor er jedoch diese Stellung annahm, erweiterte er seinen Gesichtskreis durch einen mehr- jährigen Aufenthalt in Nord-Amerika, von dem er mit reichen Anregungen heimkehrte. Auch in Amerika setzte er seine literarische Tätigkeit fort: er lieferte Beiträge für die „Zukunft“, die „Jugend“ und ver- schiedene andere deutsche Zeitschriften. Nach Berlin zurückgekehrt wurde er zunächst Hilfsarbeiter am Kunstgewerbemuseum. Nebenher führte er seine kunst- geschichtlichen Studien weiter, machte verschiedene Studienreisen nach Italien und Frankreich und ver- öffentlichte eine Monographie über Mörike. Im Jahre 1906 wurde er zum Direktorial-Assistenten an der Bibliothek des Königlichen Kunstgewerbe- museums ernannt, der erste Inhaber dieser erst neu geschaffenen Stelle. Nicht lange hat er sich des er- reichten Zieles, für sein äußeres Leben einen festen Rahmen gefunden zu haben, freuen dürfen. Dazu fiel auf die lezten Monate seines Lebens ein tiefer dunkler Schatten, der plötzliche Tod seiner Braut, der Witwe Fritz Koegels, des Niewsche:Forschers. Durch diesen Verlust ins innerste Mark getroffen, vermochte er der tückischen Krankheit nicht genügend Widerstand zu leisten: er starb am 20. Oktober an den Folgen einer Blinddarmoperation. Damit sanken die großen Hoffnungen ins Grab, die seine Fachgenossen und seine zahlreichen Freunde auf seine weitere Wirksamkeit gesetzt hatten. Ein umfassendes Bild seiner jeßt ah- geschlossenen Lebensarbeit wird erst entworfen werden können, wenn Jsein literarischer Nachlaß der Öffentlich- keit übergeben sein wird, mit dessen Sichtung eine Freundeshand bereits begonnen hat. Mit seiner Vaterstadt Lübeck verknüpften Gustav Kühl mancherlei Bande der Verwandtschaft und der Freundschaft, am meisten aber die Sehnsucht seines Herzens, die Heimatsliebe. Wie gerne eilte er herbei, wenn man ihn rief, um auch in der Heimat zu geben und mitzuteilen aus dem reichen Schatz seines Wissens und Könnens. Seine Rezitationen Liliencronscher und Falkescher Dichtungen, sein Vortrag über die Schriftformen werden den Mitgliedern und Freunden der Gemeinnützigen Gesellschaft noch unvergessen sein.
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