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Gustav Kühl F.
Einen treuen Sohn seiner Vaterstadt haben wir
vor wenigen Tagen zur ewigen Ruhe in die heimische
Erde gebettet. Treue war der beherrschende Zug
in Gustav Kühls Wesen, Treue in allen Dingen,
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dahingeschritten in jene Welt, die frei ist von allem
Häßlichen, Niedrigen und Gemeinen. „Er war der
wunderbarste Mensch, mit dem mich das Leben zu-
sammenführte,“ so schreibt in diesen Tagen ein
älterer Fachgenosse von ihm. Ja er war ein
wunderbarer Menschh Mit reichen Gaben ausge-
stattet, vielseitig veranlagt, verfügte er über eine er-
staunliche wissenschaftliche und künstlerische Bildung.
Ein echtes Poetengemüt verklärte ihm Leben und
Erscheinungswelt. Er war selbst dichterisch produktiv.
Vor allem aber war er einer der feinsten und ver-
ständnisvollsten Kunstinterpreten, der geborene Ver-
künder moderner Kunst -- und in diesem Sinne ein
„Kulturträger,“ wie einer seiner Freunde ihn kürz-
lich nannte. Dazu kam eine ganz außergewöhnliche
musikalische Begabung, die vielleicht die bedeutendste
Seite seines künstlerischen Wesens ausmachte. Auch
auf diesem Gebiete war er Künstler, Kunsthistoriker
und Ästhetike.. Am größten aber war er als
Mensch, als Gesamtpersönlichkeit, deren Zauber
sich kaum jemand entziehen konnte. Ernst und. tief,
zart und fein, dabei von einem Schimmer sonntags-
kindlicher Fröhlichkeit umwoben, von edelsten Humor
durchwärmt, so gewann seine kristallhelle Seele die
Herzen der Menschen.
Gustav Kühl wurde am 9. September 1869 in
Lübeck als Sohn eines Kaufmanns geboren. Nach
dem frühen Tode des Vaters wuchs er unter liebe-
voller mütterlicher Obhut im Hause seines Groß-
vaters auf. Er besuchte das Gymnasium des Kathga-
rineums und widmete sich mit 18 Jahren dem
Studium der Theologie. Nachdem er mit der ihm
eignen Pflichttreue dieses Studium zu einem für ihn
ehrenvollen Abschluß gebracht hatte er bestand
im Jahre 1893 in Kiel das theologische Amts-
examen mit Auszeichnung, ~ entschloß er sich, sich
der Literatur. und Kunstwissenschaft zu widmen.
Bevor er von Neuem die Universität bezog, war er
ein Jahr lang in seiner Vaterstadt als Lehrer an
der Knabenmittelschule und als Privatlehrer tätig.
Dann wandte er sich zunächst nach München und
studierte dort Germanistik. Wenige Jahre später
erwarb er in Kiel mit einer bedeutenden Arbeit
über die Bordesholmer Marienklage ~ einer Arbeit,
bei der ihm auch seine hervorragenden mussikalischen
Kenntnisse zugute kamen, – den Dotktortitel der
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mit literarischen und künsilerischen Kreisen als
Kunstschriftsteller. Er schrieb Aufsäte über Detlev
von Liliencron, Richard Dehmel, Nietsche, Hans
von Bülow und veröffentlichte ein Bändchen
lyrischer Gedichte unter dem Titel „Wimpel und
Winde“ (1901). Schon damals aber lenkte er
seine Blicke auf das Buchgewerbe, auf Buchschmuck,
Ornamentik und Schrift, Bestrebungen, die ihm später
die Aufforderung einbrachten, als Mitarbeiter am
Königlichen Kunstgewerbemuseum in Berlin einzu-
treten. Bevor er jedoch diese Stellung annahm,
erweiterte er seinen Gesichtskreis durch einen mehr-
jährigen Aufenthalt in Nord-Amerika, von dem er
mit reichen Anregungen heimkehrte. Auch in Amerika
setzte er seine literarische Tätigkeit fort: er lieferte
Beiträge für die „Zukunft“, die „Jugend“ und ver-
schiedene andere deutsche Zeitschriften. Nach Berlin
zurückgekehrt wurde er zunächst Hilfsarbeiter am
Kunstgewerbemuseum. Nebenher führte er seine kunst-
geschichtlichen Studien weiter, machte verschiedene
Studienreisen nach Italien und Frankreich und ver-
öffentlichte eine Monographie über Mörike. Im
Jahre 1906 wurde er zum Direktorial-Assistenten
an der Bibliothek des Königlichen Kunstgewerbe-
museums ernannt, der erste Inhaber dieser erst neu
geschaffenen Stelle. Nicht lange hat er sich des er-
reichten Zieles, für sein äußeres Leben einen festen
Rahmen gefunden zu haben, freuen dürfen. Dazu
fiel auf die lezten Monate seines Lebens ein tiefer
dunkler Schatten, der plötzliche Tod seiner Braut, der
Witwe Fritz Koegels, des Niewsche:Forschers. Durch
diesen Verlust ins innerste Mark getroffen, vermochte
er der tückischen Krankheit nicht genügend Widerstand
zu leisten: er starb am 20. Oktober an den Folgen
einer Blinddarmoperation. Damit sanken die großen
Hoffnungen ins Grab, die seine Fachgenossen und
seine zahlreichen Freunde auf seine weitere Wirksamkeit
gesetzt hatten. Ein umfassendes Bild seiner jeßt ah-
geschlossenen Lebensarbeit wird erst entworfen werden
können, wenn Jsein literarischer Nachlaß der Öffentlich-
keit übergeben sein wird, mit dessen Sichtung eine
Freundeshand bereits begonnen hat.
Mit seiner Vaterstadt Lübeck verknüpften Gustav
Kühl mancherlei Bande der Verwandtschaft und der
Freundschaft, am meisten aber die Sehnsucht seines
Herzens, die Heimatsliebe. Wie gerne eilte er herbei,
wenn man ihn rief, um auch in der Heimat zu geben
und mitzuteilen aus dem reichen Schatz seines Wissens
und Könnens. Seine Rezitationen Liliencronscher
und Falkescher Dichtungen, sein Vortrag über die
Schriftformen werden den Mitgliedern und Freunden
der Gemeinnützigen Gesellschaft noch unvergessen sein.