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erreicht hatte, nämlich alle von der Möglichkeit des
Experimentes zu überzeugen. Ein Leichtes war es
nunmehr ferner, die schon von anderen Experimen-
tatoren gezeigten „Verwandlungen der Materie“
vorzuführen. Blumen, sonst zart und lehnig, wurden
im Augenblicke durch kurzes Untertauchen in die
kalte Flüssigkeit steinhart und zerspitterten wie sprödes
Glas. Ein dünner Gummischlauch wird zum stahl-
harten Stab, der unter dem Hammerschlag zu Atomen
zerstäubt. Das sonst so überaus lebhafte und flüssige
Quecksilber ist schmiedbar geworden, so lange es im
gefrorenen Zustande bleibt. Leider nimmt es sehr
rasch wieder die Wärme der Umgebung an. Die
glimmende Zigarre brennt plöylich mit heller Flamme
in der Flüssigkeit, die schnell verdampft, wenn
Tropfen auf den Tisch spriten. Das Bier im
Seidel bedeckt sich, läßt man einige Tropfen Luft
hineinfallen, mit Eiskristallen, während es über dem
Bier dampft, als sei es Grog.
Mit der flüssigen Luft, so schloß mein Pri-
vatissimum beim Vortragenden, ist ein Stück Weltall
auf die Erde heruntergeholt. Die tiefe Temperatur
und diese Körper repräsentieren Zustände, welche es
vorher niemals auf der Oberfläche unseres Planeten,
der alten Mutter Erde, gegeben hat! Die Elektrizität
kannten wir im Gewitter. Den Dampf, den wir
im Kessel ausnützen, hatten wir schon immer in den
am Himmel hinziehenden Wolken, die hohen Hitze-
grade im geschürten Feuer und schon vordem in den
Vulkanen der Erde, ehe ein Prometheus sie der
Menschheit entgegenbrachte. Aber Körper mit so
niedriger Temperatur, wie die flüssige Luft, haben
sich noch niemals auf der Oberfläche des von uns
bewohnten Weltkörpers bilden können! Dies zu
entdecken, war dem Genie des Menschen vorbehalten.
1044.
Synode.
In der Kriegsstube des Rathauses fand am Mitt-
woch den 24. Oktober, 5'ss Uhr, unter dem Vorsitz des
Herrn Amtsrichters Dr. Leverkühn eine Sitzung der
Synode der evangelisch-lutherischen Kirche im Lübeckischen
Staate statt. Als Kommissare des Kirchenrates waren
die Herren Bürgermeister Dr. Eschenburg, Senator
Dr. Fehling und Senior D. Ranke in der Sitzung
anwesend. Vor Eintritt in die Tagesordnung gedachte
der Vorsigende in ehrenden Worten der seit der lezten
Sitzung aus der Synode ausgeschiedenen Mitglieder,
des verstorbenen Herrn Kapt. J. H. Steffen und des
in den Ruhestand getretenen Herrn Hauptpastor
L. Trummer, des früheren stellvertretenden Vorsißenden
der Synode. Der erste Antrag des Kirchenrats betraf
die Abrechnung über die Verwaltung der Allgemeinen
Kirchenkasse im Jahre 1905. Aus der Abrechnung
ist bemerkenswert, daß der Ertrag der HZinsen um
I
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M R-
# 79,82, der der Kirchenstezer um f 204,95
gegen den Voranschlag zurückgeblieben war. Gleichwohl
konnte bei einer Gesamteinnahme von M 125 341,88,
welcher eine Gesamtausgabe von FM 122534,11
gegenüberstand, ein Überschuß von M 2807,77 erzielt
werden, da auch die Bureau- und Verwaltungskosten
des Kirchenrats und der Synode M 165,50 und die
Beihülfen an lübeckische Theologen zu den Kosten der
Vorbereitung auf die zweite Prüfung A 1575,
weniger als veranschlagt erfordert hatten. Von dem
Überschuß wurden f 1515,78 zu kirchlichen Ein-
richtungen in der Vorstadt St. Gertrud bestimmt.
Die Abrechnung wurde von der Synode mitgenehmigt.
Gleichfalls mitgenehmigt wurde der zweite Antrag des
Kirchenrats auf Aufbesserung der Gehälter der an den
städtischen und vorstädtischen Kirchen angestellten
Organisten. Bereits im Frühjahr hatten sich die be-
teiligten Kirchengemeinde-Vorstände darüber verständigt,
daß und in welcher Richtung die Organistengehälter
einer Aufbesserung bedürften; der Kirchenrat hatte
seine Zustimmung zu diesen Vereinbarungen erteilt.
Demgemäß wurde nunmehr beschlossen, den Kirchen-
gemeinden zur Aufbesserung der Gehälter der Organisten
für das Verwaltungsjahr 1906 die Summe von
. 2870 zur Verfügung zu stellen. Ferner wurde
ein Antrag von Pastor Harder-Nusse und Genossen be-
raten, die Synode wolle den Kirchenrat ersuchen, das
Ruhestandsgeseß vom 2. April 1898 einer Revision zu
unterziehen. Die gewünschten Abänderungen des Gesetzes
begegneten indessenmannigfachem Widerspruch; namentlich
wurde auch von den Vertretern des Kirchenrates auf
das Bedenkliche der geplanten Änderungen hingewiesen,
so daß der Antragsteller sich veranlaßt sah, seinen An-
trag zurückzuziehen. Man wird es freilich den Ver-
tretern der ländlichen Kirchengemeinden nachempfinden
können, wenn sie es als einen unerfreulichen Zustand
bezeichnen, daß sie zwar Mitglieder der Synode seien,
aber an allen Beratungsgegenständen, welche die all-
gemeine Kirchenkasse betreffen ~ und das sind weitaus
die meisten Verhandlungsgegenstände der Synode ~,
nicht teilnehmen dürfen. Indessen wird man einen
besseren und geeigneteren Unlaß, als ihn gerade das
Ruhegehaltsgeseß darbot, abwarten müssen, um vielleicht
den Wünschen der ländlichen Kirchenvertreter in dieser
Richtung entgegenzukommen. Dagegen fand ein
weiterer Antrag von Pastor Lütge und Genossen die
Zustimmung der Synode; er regte beim Kirchenrat
eine Revision der Ordnung des Glockenläutens an.
Namentlich zwei Punkte waren es, die als einer Ab-
änderung bedürftig bezeichnet wurden; einmal das
vielfach so dünne Geläut: könnten nicht die herrlichen,
alten und neuen Kirchenglocken, die wir besitzen, viel
volltöniger zu Gehör kommen? Sodann die jett
gültige Vorschrift, daß morgens acht Uhr der Sountag
von allen Glocken der lutherischen Kirchen gemeinsam