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kaufsrechtes für die Gemeinde, vertragliche Par-
zellierungsverbote usw. unter Umständen von
Nugzen sein können.
Eine Gartenstadtgemeinde, die sich alle diese
Vorteile zunuge zu machen weiß, wird meiues Er-
achtens keinen vergeblichen Kampf gegen die Ver-
teuerung des für Wohn- oder Gevwerbezwecke
erforderlichen Bodens zu führen brauchen. Weiß sie
dazu durch materielle und ideelle Unterstützung
gemeinnüßziger Baugesellschaften, durch Preisaus-
schreiben für einen geschmackvollen Wohnungsbau
usw. das zu schaffende Städtebild günstig zu beein-
flussen, so wird sie in der Tat vor außerordentlich
verlockende Aufgaben gestellt Fein.
In den für Lü be > vorgesehenen weitaus.
greifenden Stadterweiterungsplänen, deren Durch-
führung in der Hauptsache nicht durch private, sondern
durch staatliche Initiative gesichert erscheint, steht die
Ansiedelung der Industrie durchaus im Vordergrund.
Das wohlverstandene lübeckische Interesse verlangt
dies. Städtische Siedelungen von der landschaftlichen
Schönheit, wie sie die Gartenstadtbewegung erstrebt,
werden namentlich an den schmalen Ufern der Trave
nicht überall möglich sein. Aber für die Förderung
der Ästhetik und Hygiene des Anbaues läßt sich bei
gutem Willen auch hier sehr viel leisten. Vor allem
aber wird man gut tun, sich auch für die staatlichen
[übeckischen Siedelungspläne den Grundgedanken der
Gartenstadtbewegung zu eigen zu machen, daß eine
Erfüllung aller modernen Anforderungen der Hygiene,
Asthetik und Städte-. und Wohnungsbautechnik und
daß vor allem auch eine wirksame und dauernde
wirtschaftliche Förderung der Industrie und aller in
ihr Beschäftigten nicht möglich ist ohne eine groß-
zügige und planmäßige Bodenbvolitik! M.
Kvédukation in der Volksschule?
Sicherlich wird mancher, der den wirklich stolzen
Bau der neuen Volksschule in der Vorstadt St.
Jürgen betrachtet, zugleich bedauern, daß diese Schule
nicht sofort als Doppelschule wie unsere anderen
städtischen Volksschulen gebaut ist. Aus Sparsam-
keitsgründen ist der weitere Ausbau vorläufig unter-
blieben. Ein Notbehelf soll auch die Organisation
der Anstalt sein, wie der Artikel des Herrn Möller
in Nr. 41 der Lübeckischen Blätter selbst zugibt,
und als einen Notbehelf sehe auch ich den inneren
Aufbau dieser Schule an, wenn sie eine städtische
Volksschule und keine Bezirksschule sein soll. Nicht
aber finde ich wie Herr Möller in ihrer Organisation
êinen wesentlichen Fortschritt oder gar „einen be-
deutungsvollen Keim für eine Änderung unseres
Volksschulwesens überhaupt.“
Daß Mädchen und Knaben auch im lübeckischen
Staat gemeinsam unterrichtet werden, ist nichts Neues,
geschieht es doch in allen kleineren Schulsystemen,
wie z. B. in den Bezirksschulen. Herr Möller hat
aber sicherlich etwas anderes im Auge, er bricht in
seinem Artikel eine Lanze für die genteinsame Er-
ziehung beider Geschlechter auch für unsere acht-
stufigen Volksschulen. Daß der gemeinsame Unterricht
von Knaben und Mädchen nach der erziehlichen
Seite mancherlei Vorteile bieten kann, wenn er in
der Hand eines tüchtig geschulten Lehrers liegt, ist
gewiß nicht zu leugnen. Aber wo Licht ist, da ist
auch Schatten, und zwar hier recht tiefer.
Mag die gemeinsame Erziehung von Knaben
und Mädchen in Amerika und anderen außerdeutschen
Ländern Prinzip sein – ob sie es wirklich ist, ver-
mag ich augenblicklich nicht zu beurteilen , ein
und derselbe Leisten paßt nicht für jeden Schuh,
und was für das platte Land sich ohne viel Nachteil
anwenden läßt, kann auf die Großstadt mit ihren
zahlreichen Verführungen gerade in sittlicher Be-
ziehung nicht ohne weiteres übertragen werden.
Daher achte ich die sittlichen Gefahren, die
hier drohen, keineswegs gering, wenngleich von
anderer Seite auch behauptet werden mag, daß
gerade bei der gemeinsamen Erziehung die sittlichen
Schäden wesentlich herabgestimmt werden.
Ferner bieten sich nicht unerhebliche schultech-
nische Schwierigkeiten bei den getmischt organisier-
ten größeren Schulsystemen. Auf diese näher einzugehen,
ist hier nicht der Ort.
Vor allem aber will ich hier auf einen Punkt
aufmerksam machen, der sich bei der gemischt orga-
nisierten achtstufigen Schule gegenüber der nach
dem Geschlecht getrennt aufgebauten achtstufigen
Anstalt zeigen würde: die bedauerlicherweise nötige
Herabsetzung der Ziele unserer städtischen
Volksschulen. Wohl jeder, der mit aufmerksamem
Auge die geistige Entwicklung unserer Jugend beob-
Fu ereunet, tab hier Frick betet T
Mädchen d mit den Knaben beim gemeinsamen
Unterricht in vielen Fächern nicht gleichen Schritt
halten können. Jch erwähne zum Beweise nur eins
der Hauptfächer, das Rechnen. Was nach dem
Lehrplan der jetzigen achtstufigen Knabenschulen in
diesem Fach geleistet werden soll, kann in gemischt
organisierten Anstalten nicht geleistet werden.
1- müßte hier also das Lehrziel niedriger gesteckt
werden.
Aber auch noch manche andere Umwälzung, die
für Unterricht und Erziehung in dieser und jener
Hinsicht rückschrittlich wirken müßte, würde sich ergeben.
Es möge nur kurz auf einige solcher Punkte hinge-
wiesen werden, in denen jetzt bei Knaben und