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Zur Verbreiterung des Schüsselbudens.
Dem Vernehmen nach wird sich die Bürgerschaft
binnen kurzem mit der Frage der Verbreiterung des
Schüsselbudens von neuem zu beschäftigen haben,
nachdem die Kommission, welche eingesezt ist, um
die mit der Durchführung der Verbreiterung ver-
bundenen allgemeinen Fragen nochmals zu prüfen,
ihren Bericht erstattet haben wird. Ob von der
Kommission nochmals die Frage der Notwendigkeit
der Verbreiterung aufgerollt worden ist, entzieht sich
einstweilen der öffentlichen Kenntnis. Man wird
sich darauf gefast machen müssen, daß diese Frage
von ihr als abgetan betrachtet wird, nachdem sie in
dem Kommissionsbericht vom 17. September 1903
entschieden bejaht worden ist.
Dennoch scheint dem Schreiber dieser Zeilen die
Frage, ob die von der ersten Kommission befürwortete
Festlegung der bekannten blauen Linie für die Ost-
seite des Schüsselbudens notwendig und ob der
Wegfall der kleinen Häuser vor der Westfront der
Marienkirche in der Tat wünschenswert ist, einer
erneuten Prüfung zu bedürfen.
Die Freunde der Verbreiterung berufen sich auf
den lebhaften Verkehr, der nach Fertigstellung des
neuen Postgebäudes noch steigen werde. Ob dieser
Grund wirklich stichhaltig ist, darüber läßt sich zum
mindesten streiten. Schreiber dieses hat, so oft er
auch den Schüsselbuden passiert hat, einen Verkehr,
für den der Schüsselbuden in seinem jezigen Zustand
zu eng wäre, nicht beobachtet. Bei der außerordent-
lichen Kostspieligkeit der Straßenverbreiterungen aber,
und bei den unheimlich anwachsenden Ausgaben, vor
die sich unser Staatswesen gestellt sieht, ist doch
gewiß der Sat unanfechtbar, daß in dieser Beziehung
nicht das bloß Wünschenswerte, sondern nur das
unbedingt Notwendige den Maßstab abgeben
darf. Ob dieser Maßstab bei den schon beschlossenen
Straßenverbreiterungen (so z. B. bei der Straße
„AnderMauer“') innegehalten ist, muß hier dahingestellt
bleiben. Bei dem Schüsselbuden sind es jedenfalls
außer diesen Erwägungen noch andere Gründe, die
gegen die Festlegung der blauen Linie für die Ost-
front der Straße und die damit verbundene Frei-
legung der Wesifront der Marienkirche sprechen.
Überall sonst im deutschen Vaterlande ist man
davon zurückgekommen, die Kirchen von den sie um-
gebenden Gebäuden freizulegen, da derartig über-
ragende Gebäude gerade durch den unmittelbaren
Gegensatz von klein und groß um so wuchtiger
wirken. Bei der Westfront der Marienkirche trifft
dies in ganz besonderem Maße zu. Dazu kommt,
daß gerade die Westfront der Marienkirche, im Gegen-
sat z. B. zu der der Jakobikirche, offensichtlich nicht
dazu gebaut ist, unmittelbar von der Straße gesehen
zu werden. Schließlich wird das Vorhandensein der
Häuser an dieser Stelle auch aus dem Grunde an-
genehm empfunden, weil sie den Passanten vor dem
Zugwind schützen.
Alle diese Gründe scheinen aber für die Freunde
der Schüsselbuden- Verbreiterung nicht zu existieren.
Hören wir, was die zur Vorprüfung der Senats.
vorlage eingesetzte ertte Kommission zu sagen hat:
„Die Kommission ist endlich der Meinung, daß
die Verbreiterung des Schüsselbudens eine ganz be-
deutende Verschönerung des Stadtbildes im Herzen
der Stadt herbeiführen wird. Es wird sich künftig
am östlichen Ende der Holstenstraße die keineswegs
reizlose Rückfront des vorhandenen Postgebäudes
vorteilhafter präsentieren. Dann wird linker Hand
der Postneubau, der nach den der Kommission ge-
wordenen Mitteilungen in monumentaler Weise her-
gestellt werden soll, bedeutstam zur Geltung kommen.
Rechter Hand folgt weiter, zumal wenn der nicht
eben günstig wirkende Pflügsche Weinspeicher einem
angemessenen Neubau Plat gemacht haben wird, als
sehr wirksamer Abschluß das neue Werkhaus der
Marienkirche, und es tritt endlich die imposante
Westfront der Kirche in voller Wucht und Kraft
hervor, befreit von den unschönen Bauwerken, die
jetzt davorstehen, jedoch den umgebenden Baulichkeiten
noch so nahe, daß der mächtige Bau nicht etwa
isoliert erscheinen wird.“
Die Meinung der Mitglieder, die der Kommission
angehört haben, in allen Ehren. Aber es gibt gerade
unter denjenigen, denen die Wahrung der ästhetischen
Interessen für unser Stadtbild am Herzen liegt,
manchen, der die obigen Säte nicht unterschreiben
möchte.
“. die beiden Postgebäude kann hier hinweg-
gegangen werden. Sie sind einmal da und man
muß sich mit ihnen abfinden. Aber der Pflügsche
Weinspeicher wird hinweg gewünscht, damit das
Marienwerkhaus als wirksamer Abschluß zur Geltung
komme! Das ist doch wohl, mit Verlaub, eine Um-
wertung aller architektonischen Werte! In dem Pflüg-
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und durch seine schöne Gliederung — dies gilt ganz
besonders von der Fassade, die nach der Holstenstraße
zu liegt – inmitten der neuen Backsteinbauten ge-
radezu klassisch wirkt. Wie günstig steht dieses Ge-
bäude gerade an dieser Stelle, wo es sich in Farbe
und Stil von der Backsteingotik der dahinter auf-
steigenden Marienkirche abhebt! Freilich, unsere Zeit
hat dieses erstaunlich sichere ästhetische Gefühl unserer
Altvorderen verlorene. Wird in der Nähe der