Full text: Lübeckische Blätter. 1906 ; Verhandlungen der Bürgerschaft. 1906 (48)

B()1 Zur Verbreiterung des Schüsselbudens. Dem Vernehmen nach wird sich die Bürgerschaft binnen kurzem mit der Frage der Verbreiterung des Schüsselbudens von neuem zu beschäftigen haben, nachdem die Kommission, welche eingesezt ist, um die mit der Durchführung der Verbreiterung ver- bundenen allgemeinen Fragen nochmals zu prüfen, ihren Bericht erstattet haben wird. Ob von der Kommission nochmals die Frage der Notwendigkeit der Verbreiterung aufgerollt worden ist, entzieht sich einstweilen der öffentlichen Kenntnis. Man wird sich darauf gefast machen müssen, daß diese Frage von ihr als abgetan betrachtet wird, nachdem sie in dem Kommissionsbericht vom 17. September 1903 entschieden bejaht worden ist. Dennoch scheint dem Schreiber dieser Zeilen die Frage, ob die von der ersten Kommission befürwortete Festlegung der bekannten blauen Linie für die Ost- seite des Schüsselbudens notwendig und ob der Wegfall der kleinen Häuser vor der Westfront der Marienkirche in der Tat wünschenswert ist, einer erneuten Prüfung zu bedürfen. Die Freunde der Verbreiterung berufen sich auf den lebhaften Verkehr, der nach Fertigstellung des neuen Postgebäudes noch steigen werde. Ob dieser Grund wirklich stichhaltig ist, darüber läßt sich zum mindesten streiten. Schreiber dieses hat, so oft er auch den Schüsselbuden passiert hat, einen Verkehr, für den der Schüsselbuden in seinem jezigen Zustand zu eng wäre, nicht beobachtet. Bei der außerordent- lichen Kostspieligkeit der Straßenverbreiterungen aber, und bei den unheimlich anwachsenden Ausgaben, vor die sich unser Staatswesen gestellt sieht, ist doch gewiß der Sat unanfechtbar, daß in dieser Beziehung nicht das bloß Wünschenswerte, sondern nur das unbedingt Notwendige den Maßstab abgeben darf. Ob dieser Maßstab bei den schon beschlossenen Straßenverbreiterungen (so z. B. bei der Straße „AnderMauer“') innegehalten ist, muß hier dahingestellt bleiben. Bei dem Schüsselbuden sind es jedenfalls außer diesen Erwägungen noch andere Gründe, die gegen die Festlegung der blauen Linie für die Ost- front der Straße und die damit verbundene Frei- legung der Wesifront der Marienkirche sprechen. Überall sonst im deutschen Vaterlande ist man davon zurückgekommen, die Kirchen von den sie um- gebenden Gebäuden freizulegen, da derartig über- ragende Gebäude gerade durch den unmittelbaren Gegensatz von klein und groß um so wuchtiger wirken. Bei der Westfront der Marienkirche trifft dies in ganz besonderem Maße zu. Dazu kommt, daß gerade die Westfront der Marienkirche, im Gegen- sat z. B. zu der der Jakobikirche, offensichtlich nicht dazu gebaut ist, unmittelbar von der Straße gesehen zu werden. Schließlich wird das Vorhandensein der Häuser an dieser Stelle auch aus dem Grunde an- genehm empfunden, weil sie den Passanten vor dem Zugwind schützen. Alle diese Gründe scheinen aber für die Freunde der Schüsselbuden- Verbreiterung nicht zu existieren. Hören wir, was die zur Vorprüfung der Senats. vorlage eingesetzte ertte Kommission zu sagen hat: „Die Kommission ist endlich der Meinung, daß die Verbreiterung des Schüsselbudens eine ganz be- deutende Verschönerung des Stadtbildes im Herzen der Stadt herbeiführen wird. Es wird sich künftig am östlichen Ende der Holstenstraße die keineswegs reizlose Rückfront des vorhandenen Postgebäudes vorteilhafter präsentieren. Dann wird linker Hand der Postneubau, der nach den der Kommission ge- wordenen Mitteilungen in monumentaler Weise her- gestellt werden soll, bedeutstam zur Geltung kommen. Rechter Hand folgt weiter, zumal wenn der nicht eben günstig wirkende Pflügsche Weinspeicher einem angemessenen Neubau Plat gemacht haben wird, als sehr wirksamer Abschluß das neue Werkhaus der Marienkirche, und es tritt endlich die imposante Westfront der Kirche in voller Wucht und Kraft hervor, befreit von den unschönen Bauwerken, die jetzt davorstehen, jedoch den umgebenden Baulichkeiten noch so nahe, daß der mächtige Bau nicht etwa isoliert erscheinen wird.“ Die Meinung der Mitglieder, die der Kommission angehört haben, in allen Ehren. Aber es gibt gerade unter denjenigen, denen die Wahrung der ästhetischen Interessen für unser Stadtbild am Herzen liegt, manchen, der die obigen Säte nicht unterschreiben möchte. “. die beiden Postgebäude kann hier hinweg- gegangen werden. Sie sind einmal da und man muß sich mit ihnen abfinden. Aber der Pflügsche Weinspeicher wird hinweg gewünscht, damit das Marienwerkhaus als wirksamer Abschluß zur Geltung komme! Das ist doch wohl, mit Verlaub, eine Um- wertung aller architektonischen Werte! In dem Pflüg- r Gt rr U:: rs] und durch seine schöne Gliederung — dies gilt ganz besonders von der Fassade, die nach der Holstenstraße zu liegt – inmitten der neuen Backsteinbauten ge- radezu klassisch wirkt. Wie günstig steht dieses Ge- bäude gerade an dieser Stelle, wo es sich in Farbe und Stil von der Backsteingotik der dahinter auf- steigenden Marienkirche abhebt! Freilich, unsere Zeit hat dieses erstaunlich sichere ästhetische Gefühl unserer Altvorderen verlorene. Wird in der Nähe der
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