DOA.
erblicken also auf dem Holzschnitt gar nicht das
1479 vollendete innere Holstentor, an das wir
denken müssen, wenn, wie bei Bruns, von einem
„inneren Holstentor“ die Rede ist, sondern einen
noch weiter ostwärts, unmittelbar am Ende der
Holstenstraße, noch vor der Holstenbrücke gelegenen
Torbau von 1376, außerhalb dessen später noch
drei andere Tore diesen durch Dänen und Holsteiner
gefährdetsten Zugang zur Stadt abzuschließen ver-
mochten.
An der Ecke der Königstraße und der zweiten
Gasse, die nördlich von der vom Hürtertor zum
„langen Haus“ führenden Hürstraße gelegen ist, also
der Johannisstraße, erblickt man auffallenderweise
statt des bekannten Giebelhauses unserer jetzigen
Löwenapotheke einen von hoher Mauer begrenzten
Garten, obwohl das stattliche Gebäude mit seinem
gotischen Vorder- und seinem romanischen Hinter-
giebel damals schon längst existierte, hatte doch in
ihm beim Besuche Karls IV. im Jahre 1375 die
Kaiserin ihren Aufenthalt genommen.
Bemerkenswert sind die zahlreichen Bäume
innerhalb der Stadt, z. B. am Domchor, neben dem
Norderturm von St. Marien und in vielen Gärten,
welch letztere die größte Ausdehnung hinter der
Münze zwischen Wahm- und Hürstraße, zwischen
Fleischhauer- und Johannisstraße, besonders aber
zwischen Hunde- und Glockengießerstraße aufweisen.
Bei der Staffage fallen außer den von Bruns
hervorgehobenen Gegenständen die hohen Schiffs.
masten zwischen der Engelsgrube und dem Burg-.
kloster sowie die vielen Vogelschwärme und Schwäne
auf; vielleicht ist auch die Neigung zum Schießen
zu beachten, welche die Wagenpassanten vor und in
dem Burgtor sowohl als vor dem Mühlentor ver-
raten. Das Schießen als eine Betätigung von
Frohsinn und Feststimmung ist bekanntlich mehr ein
Charakteristikum der Oberdeutschen als der Bewohner
der Wasserkante.
Vielleicht ist dieser Nebenumstand ebenso wie
die sichtliche Vorliebe, mit welcher die Hopfen-
anpflanzungen in der Nähe des Burgtors behandelt
sind, neben dem von Bruns beigebrachten Material
ein Anzeichen dafür, daß unser Holzschnitt von
einem Oberdeutschen, etwa einem Bewohner Mittel.
frankens, vielleicht einem Nürnberger herrührt.
Gerade die liebevolle Berücksichtigung der Pflanzen-
und Tierwelt, derer gelegentlich der Bäume, Gärten,
Hopfenanpflanzungen; der Schwäne und Vogel-
schwärme gedacht wurde, ist ein Charakteristikum der
Nürnberger Maler und Zeichner aus der Mitte des
sechzehnten Jahrhunderts. Überhaupt ist die Staffage
auf unserem Holzschnitte mit solcher Liebe und
Sorgfalt, so sicher, frisch und zugleich anmutend
behandelt worden, daß man sich versucht fühlen
könnte, ihr eine besondere Betrachtung zu widmen,
namentlich auch, was den dem Nürnberger wiederum
besonders vertrauten Frachtfuhrwerk. und Kahnverkehr
anbelangt: lag doch Nürnberg im Mittelpunkt des
deutschen Frachtverkehrs; ebenso wurde mitten in
Nürnberg, jedem Stadtbewohner sichtbar, auf der
Pegnitß das ehrbare Gerbereihandwerk ähnlich be-
trieben, wie es auf unserm Holzschnitte seitens der
Weißgerber und Lohgerber an der Wakenitz so an-
ziehend dargestellt ist.
Mit Recht führt Bruns als ein Anzeichen ,für
einen oberdeutschen Ursprung des Werkes + die
ausnahmslos hochdeutschen Bezeichnungen der be-
merkenswertesten Bauten“ an, nur irrt er sich, wenn
er diese Bezeichnungen als „ausnahmslos“ hinstellt.
Es ist vielmehr auffällig, daß mitten unter den
hochdeutschen Bezeichnungen sich der plattdeutsche
Name für die Ägidienkirche vorfindet: „S. Illigen.“"
Aus Sunt-Jlligen machte man in Lübeck Sun.Tilgen
und noch heute kann man bei älteren Leuten für die
Agidienstraße die Bezeichnung Tilgenstrat hören.
In der Hoffnung, mit Hülfe dieser Bezeichnung
eine Spur zu finden, die vielleicht zu genauerer
Datierung führen könnte, sah Rezensent zunächst die
Kosmographie Sebastian Münsters ein. Wir haben
auf unserer Stadtbibliothek vier Exemplare dieser
ältesten großen, deutsch und lateinisch geschriebenen
Weltkunde, die verschiedenen Auflagen des 24mal
neu aufgelegten Werkes entstammen: den Jahren 1572,
1576, 1598 und 1628. Das älteste stammt von
1572, ist also gleichzeitig mit unserm Holzschnitt.
Allein Münster war bereits 1552 verstorben, seine
Kosmographie noch 11 Jahre früher erschienen.
Indessen wird Lübeck zweifellos bereits in den Auf.
lagen abgebildet gewesen sein, die noch zu Lebzeiten
Münsters erschienen waren, war es doch eine der
berühmtesten Städte. So ist Lübeck beispielsweise
in der 1493 von Koberger zu Nürnberg in lateinischer
und deutscher Sprache gedruckten bilderreichen Welt-
chronik des Hartmann Schedel an einer Stelle in
der Art abgebildet, daß in einem Sammelbilde Lübeck
neben Augsburg, Aachen und Metz .und über acht
Städten minderen Ranges angeordnet wird.*) Das
Stadtbild in der Kosmographie von 1572 trägt nun
aber einen merklich älteren Charakter als das auf
unserem Holzschnitt, der ihm doch gleichzeitig ist,
so daß wir schon aus diesem Umstande folgern dürfen:
das Lübecker Bild in der Kosmographie von 1572
ist den ältesten Auflagen des Werkes entnommen
. *) Vgl. Keune, die ältesten Stadtbilder von Mey und
Trier, im Jahrbuch der Gesellschaft für lothringische Geschichte
. Altertumskunde, "Vand 17, s. hätte, "S. 186-220,