1 7
erscheint, so wenig wird sich mit ihr der Philologe
zufrieden geben dürfen. Die Stelle: „a quo (vom
IMescenreizabach an) sursum limes eurrit per sil-
vam Delvunder usque in fluvium Delvundam“
enthält kein Wort davon, daß zwischen Mescenreiza
und Delvenau ein Flußlauf oder irgend ein Ge-
wässer die Grenze gebildet hat: nicht ein Fluß, eine
Mulde, ein Moor, sondern der Delvunderwald hat
hier nach dem klaren Wortlaut als Grenze gedient,
der Limes hat sich von der Mescenreiza bis zur
Delvenau durch Wald hindurchgezogen. Zudem sind
auf dieser Strecke sämtliche Wasserläufe genau mit
Namen bezeichnet: auf die Albia folgt der rivulus
Mescenreiza, dann der fluvius Delvunda, dann
der Bach Horehenbici und das Quellgebiet der
Bille, Bilenispring. Selbst die Größenverhältnisse
sind in den Bezeichnungen rivulus Mescenreiza und
fluvius Delvunda auffallend richtig wiedergegeben,
und da sollte die 500 bis 800 m breite Taljenke
eines ziemlich langen ehemaligen Schmelzwasser-
siromes, der nach Struck damals wasserreicher sein
mußte als der heutige Mühlenbach, mit keinem Worte
erwähnt worden seimn? Wer aber einem argumen-
tum e silentio keinen Wert beimessen will, der wird
sich wenigstens fragen müssen: wie pflegt dann sonst
die Ausdrucksweise zu sein da, wo in dieser Limes-
beschreibung die Grenze zweifellos innerhalb eines
Flusses oder einen Fluß entlang läust? Da finden
sich zwei Ausdrucksweisen, die beide den darzustellenden
Verlauf so anschaulich, wie man es nur wünschen
kann, wiedergeben: „in Horbinstenon vadit usque,“
d. h. der Limes verläuft in der Horbesste bis zum . . .
und: „in fumen Zuentinam, per quem limes
delabitur usque,“ d. h. in die Schwentine, in welcher
sich die Grenze hinabzieht bis zum . .. Nach solchen
Wahrnehmungen wird man die Worte: „per silvam
Delvundam schwerlich wie Struck übersegen dürfen:
„Den Mühlenbach entlang." ~~ Hu diesen philo-
logischen Bedenken kommen militärische, die Struck
bestimmen, seine bisher besprochene Deutung als die
weniger passende hinzustellen.
Jetzt begeht Struck eine wunderliche Inkonsequenz.
Dieselben militärischen Bedenken, die ihn jchließlich
vom Mühlenbach absehen lasen, sprechen in viel
stärkerem Maße gegen die zweite seiner Möglich-
keiten, aber hier läßt er sie, offenbar seiner Theorie
zuliebe, unbeachtet. Der Limes, meint Strutt, ist
von der Mescenreiza aus am östlichen Rande des
Delvenautales entlang gegangen bis zu der Stelle,
wo die Delvenau „in ostwestlicher Richtung strömt."
Diese Deutung ist in philologischer Beziehung besser,
denn zu ihr würden die Worte „per silyam Del-
vundam,“ wenn auch nicht völlig, jo doch eher
passen als zu der Mühlenbachdeutung, aber sie er-
icheint aus militärischen Gründen nicht annehmbar.
Die große, breite Delvenausenke, die größte, welche
den baltischen Landrücken von der Oder bis zur
Nordsee durchsezt, nach Struck selbst „eine unweg-
same Grenzzone zwischen den Völkern," würde dann
nicht in der Front vor dem Limes, sondern un-
mittelbar hinter dem Rücken dieser wichtigen Ver-
teidigungslinie gelegen haben! ~ Nein, nicht am
östlichen, sondern nur am westlichen Talrande ist
der Limes denkbar, falls er sich überhaupt an der
Mündung der Delvenauniederung in die Elbe entlang
zog, zumal hier die bedeutenden, steil abfallenden,
zur Verteidigung ausgezeichnet geeigneten Höhen
nordöstlich von Lauenburg sich erheben. Allein der
Versuch, den Limes an dem westlichen Talrand zu
suchen, würde wiederum dem klaren Wortlaut wider-
sprechen, demzufolge der Limes die Messcenreiza ent-
lang zog und von ihr quer durch den Delvunderwald
zur Delvenau hinübersprang. Mit kurzen Worten:
die Frage nach dem Beginn des Limes ist durch
Struck ebensowenig gelöst wie durch seine Vorgänger.
Ähnlich verhält es sich mit der Hauptstrecke des
Limes. Struck geht hier derselben Ortsbezeichnung
gegenüber ebenso kühn vor wie oben, indem er die
Worte „per silvam“ wiederum „den Fluß entlang“
übersezt oder hier vielmehr: zwei Flüsse entlang.
Die Worte: „Vune in Horbinstenon (so lautet
nach der neuesten Ausgabe Adams*) die beste Lesart,
neben der sich dreimal die Lesart Horbistenon und
einmal Harbistenon findet) vadit usque in Tra-
vena (daneben dreimal die Lesart "Travennam)
silvam, sursumque per ipsam in Bulilunkin“
deutet Struck, der Limes sei von der Bestemündung
erst die Trave, dann die Brandsau entlang bis Blunk
gezogen: „Man wird nicht umhin können, die Trave
als die Linie, entlang der der Limes durch den Trave-
wald nach Norden weiter ging, zu betrachten." Aber
von der Trave ist ebensowenig als von der Brandsau
die Rede, vielmehr nur von einem Walde Travena,
sowie oben von einem Walde Delvunder, Delunder
oder Delvundez.
Bedenkt man, daß Adam die Gewässser der Limes-
strecte stets bei ihren Namen nennt: Albia, Del-
vunda, stagnum Oolse, Zuentina, pelagus Scy-
ihyeum; daß er selbst die Namen solch kurzer
Bäche anführt, wie der Mescenreiza, der Horchen-
bek, der Horbeste; ja selbst von Quellen, wie der
Bilenispring und sogar von Furten, wie der
Agrimsfurt am Agrimshof, so erscheint es un-
denkbar, daß dieser hervorragende Schriftsteller, der
gerade in geographischer Beziehung und für die
Ostseeländer die wichtigste Autorität des früheren
Mittelalters ist, gerade den wichtigsten Wasßserlauf
Lckotur r e UNO ut EHU r Ic s
Adamus. editio altera von Waitz, Hannover, 1876, S. 51.