Full text: Lübeckische Blätter. 1906 ; Verhandlungen der Bürgerschaft. 1906 (48)

152 in Lübeck, die heilige Katharina war. Sie ist die schönste Ruine Wisbys. Noch stehen in ursprüng- licher Höhe die romanischen Umfassungsmauern des Langhauses und die von ihm durch einen kühn ge- wölbten Triumphbogen geschiedenen fünf Achtectseiten des Chores mit ihren hohen schmalen Fensteröffnungen, die noch Reste zierlichen Maßwerks bergen; wohl. erhalten sind auch die zwölf achtseitigen Säulen des Langschiffs mit ihren an den Seitenwänden von ausdrucksvollen romanischen Konsolen getragenen Gurtbögen, dagegen sind die übrigen Gewölbeteile verschwunden. So haben Licht und Regen freien Zutritt und lassen Efeu und wilden Wein üppig gedeihen, der das Innere zu umziehen beginnt. Der großartige und harmonische Eindruck dieses Bauwerks wird allen Teilnehmern unvergeßlich bleiben. Ernster wirkt die gleichfalls ein Gemisch von romanischen und gotischen Bauteilen darstellende große St. Nikolauskirche des Dominikanerordens, deren größtenteils unversehrt gebliebene schlichte massige Gewölbekappen von zwölf viereckigen Pfeilern und scharf zugeschnittenen Spitzbögen getragen werden. Besonders charakteristisch ist ihre dem Meere zuge- wandte hochragende Westfront mit ihren zahlreichen kleinen rundbogigen Nischen und Fenstern und ihren zwei großen zwölfblättrigen Rosen, in deren Mitte der Sage nach bis zur Plünderung Wisbys durch König Waldemar Atterdag Karfunkelsteine gesessen haben sollen, die den Schiffern als Leuchtfeuer dienten. Ein ganz eigenartiges Bauwerk ist die nahe ge- legene Kirche des ehemaligen Heiligengeisthospitals (Helgeandskyrkan). Sie besteht aus einem achteckigen Hauptteil in zwei Stockwerken, die miteinander durch ein großes Schalloch in Verbindung stehen, und aus einem länglich viereckigen Chor, das sich von beiden Geschossen aus durch je eine große rundbogige Mauer- öffnung überblicken läßt. Vielleicht war das untere Stockwerk für die kranken und gebrechlichen Jnsassen des Hospitals, das obere für deren Pflegerinnen bestimmt. Das Erklimmen des ehemaligen Dach- bodens mittelst der engen Wendeltreppen wurde reichlich belohnt durch einen herrlichen Rundblick auf die Stadt und das Meer. Größeren Verfall zeigen die übrigen Kirchen- ruinen: St. Klemens, von dem noch der Triumph- bogen und ein Teil des Chorgewölbes steht; St. Olof, dessen Turmreste malerisch vom saftigen Grün des botanischen Gartens umhüllt werden; St. Gertrud, die Kirche der niederländischen Kaufleute, deren Trümmer noch über dem Portal eine Darstellung ihrer Schußpatronin aufweisen; die Dreifaltigkeits- kirche (St. Drotten) mit wohlerhaltenem hohen massigen Turm und ragendem Triumyhbogen: St. Lorenz (St. Lars), die einzige in Kreuzesform an- gelegte Kirche Wisbys mit breiten Galerien und ihrem von der westlichen Giebelmauer im Verein mit den beiden benachbarten Säulen getragenen Turm; St. Johannes, das erste Gotteshaus, in dem die lutherische Lehre gepredigt wurde, mit breschen- artig zersezter Mauer und überhängenden Gewölhe- resten und schließlich die ihr benachbarte, bis auf eine kurze Mauerstrecke verschwundene Petrikirche. Von den Profanbauten fanden die wenigen noch aus der Hansezeit vorhandenen hochragenden steinernen Häuser die gebührende Beachtung, mehr noch das 1662 von Hans und Karin Burmeister in deutschem Charakter aus Holz gebaute trauliche Burmeistersche Haus, dessen alte Inneneinrichtung zum Teil noch wohlerhalten ist. Nach dem Rundgang durch die Stadt begab Jich ein Teil unserer Gesellschaft durch das Nordertor nach dem durch drei Steinsäulen bezeichneten Galgen- berg, von dem aus sich ein herrlicher Blick auf Wisby und seine scharf vom umliegenden Gelände sich abhebende helle Ringmauer, auf die halbwegs bis dahin gelegene Ruine der St. Jürgenkirche (St. Göran) mit ihren drei hohen Giebeln und auf die den Hintergrund abschließende Küstenpartie bis zu dem von der Brandung zerspülten Vorgebirge Hogklint bot. Andere pilgerten hinaus zu der etwa einen Kilo- meter vom Südertore entfernten Kreuzweide, „Kors- betningen“, wo 1361 das Aufgebot der Gotländer dem Belagerungsheer König Waldemars erlag und wo noch jeßt die Erinnerung an diesen für Wisbys Wohlstand vernichtenden Schlag wachgehalten wird durch ein Steinkreuz mit der Jnschrift: ANNO DNI M CCC LXI FERIA III POST IACOBI ANTE PORTAS WISBY IN MANIBUS DANORUM CECIDERUNT GUTENSES HIC SEPULTI. „Jm Jahre des Herrn 1361 am Dienstag nach Jakobi (27. Juli) fielen die Goten unter den Händen der Dänen und sind hier begraben. Betet für sie." Jm vorigen Jahre ist dicht bei dieser Stelle ein Massengrab entdeckt und bloßgelegt, das an 300 wirr durcheinander liegende Skelette ge- fallener Dänen barg. Die bemerkenswertesten Er- gebnisse dieser Ausgrabung waren uns bereits von deren Veranstalter, unserm freundlichen Führer Herru Archivar Dr. Wennersten beim Besuch des Archiv- gebäudes vorgeführt : Panzerteile, Ledergürtel, Pfeile, Schädel, die mit den sie bedeckenden rostigen Ketten- hauben zusammengewachsen waren, und Knochen, namentlich Schienbeine und Oberschenkel, mit mehr- fachen Spuren wuchtiger Hiebe, die anscheinend auf liegende, von ihren stürzenden Pferden mit zu Boden gerissene Reiter geführt waren.
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.