Full text: Lübeckische Blätter. 1906 ; Verhandlungen der Bürgerschaft. 1906 (48)

4) Reste, insonderheit der wuchtige, sechs Stockwerke hohe „Mantelturm.“ Um 7 Uhr nahmen wir, Bornholm und Christiansö hinter uns lassend, bei schönstem, ganz ruhigem Wetter die Hauptmahlzeit ein, immer von neuem den roten Feuerball der scheidenden Sonne bewundernd. ,„Wie herrlich die Sonne untergeht. So stirbt ein Held," zitiete meine wohlbelesene Tischnachbarin. Noch lange hielt uns die Schönheit der einbrechenden Nacht auf Deck zusammen. Am Mittwoch morgen gegen 9% Uhr lief unser Schiff bei schönsten Sonnenschein, vorbei an der den äußeren Hafen seewärts abschließenden Mole mit dem Leuchturm, in das innere Hafenbecken Wisbys ein. Eine sinnige Begrüßung war es, daß hier drei ohnehin durch das blendende Weiß ihrer Schiffskörper die Blicke auf sich lenkende Dampfer, die stolze „Hansa“ und hinter ihr die kleineren Schwesterschiffe „Gotland“ und „Visby“, uns zu Ehren im vollen Flaggenschmuck prangten. Doch nicht genug hieran des freundlichen Empfangs: als die „Linnea“ an der westlichen Kaimauer anlegte, harrte hier inmitten eines zahlreichen Publikums Herr Bürgermeister C. Een, dasselbe Stadtoberhaupt, das vor 25 Jahren die Hanseaten gastlich aufnahm, und hieß unsern Vorsitzenden mit Gruß und Hand- schlag willkommen, indem er uns zugleich für den Abend mit Einladungen zu einem Konzert in der Katharinenkirchenruine und zu einer sich hieran an- schließenden geselligen Vereinigung im Pavillon des botanischen Gartens, dem Gefellschaftshause der „Badefreunde“, beehrte. Die Zeit bis zu dem auf die Mittagsstunde an- gesezten Frühstüc an Bord wurde sogleich von mehreren kleineren Gruppen zu einem Rundgang durch die Stadt benutzt, deren programmäßige Be- sichtigung allerdings erst für die Nachmittagsstunden vorgesehen war. Wir hatten uns hierbei wie auch beim Ausflug des nächsten Tages der freundlichen und aufopfernden Führung der Herren Archivar Dr. Oskar Vilh. Wennersten und Lektor Hjalmar Jansson sowie der bekannten Bildhauerin Frau Bruse-:Bendixen zu erfreuen. Zu . allseitigem Bedauern fehlte bei diesen Unternehmungen ihr Veranstalter Geheim- rat Schäfer, der in der Nacht zuvor von einem Unwohlsein befallen war und im nahen Badehotel Ruhe und Erholung juchte. _ Es kann nicht die Aufgabe der Berichterstattung sein, eine eingehende Topographie von Wisby zu liefern, nur die hauptsächlichsten der in kurzer Zeit- spanne sich drängenden Eindrücke, welche uns die zahlreichen Baudenkmäler hinterließen, mögen hier festgehalten werden. Eine mächtige, im 12. und 13. Jahrhundert aus Kalkitein aufgeführte Ringmauer, deren Höhe zwischen 6–9 m wechselt, umschließt noch heute in einer Länge von über 3 km die ganze Stadt mit Aus- nahme der westlichen Partie in der Nähe des jetzigen Hafens. Sie wird durch starke, meist viereckige zinnenbekrönte Türme gegliedert, die bis zur Höhe von 20 m aufsteigen. Von diesen Türmen sind einschließlich der drei Stadttore noch 28 erhalten, dazu kommen neun auf der Mauer hängende zier- lichere Satteltiürme. Das nach Südwesten zu im Huge der Ringmauer die Stadt deckende Schloß Wisborg, ehemals die stärkste FFestung des Nordens, ist freilich 1679 von den Dänen auseinandergessprengt und die Ruine später bis auf wenige Uberreste in Kalk verwandelt. Von den zahlreichen mittelalterlichen Kirchen Wisbys wird nur noch eine, der an 52 m lange dreischiffige Dom oder die Marienkirche, benutzt. Im Jahre 1225 geweiht, ist sie von den Deutschen auf Wisby im Rundbogenstil errichtet, jedoch noch im selben Jahrhundert nach Osten zu in gotischer Bau- art erweitert. Südseitig ist am Ende des 15. Jahr- hunderts eine große schöne spätgotische Kapelle vor- gebaut, die einen Dachreiter sowie reichen Fialen-, Maßwerk- und Bildsäulenschmuck trägt. Die barocte Bedachung des großen vierseitigen romanischen West- turmes und der beiden schlanken achtseitigen gotischen Türme neben dem Chor ist erst nach einer Feuers- brunst von 1744 entstanden. Im Inneren zogen unsere Aufmerksamkeit auf sich der alte becherförmige romanische Taufstein mit seiner Kumme aus ge- schlifsenem roten gotländischen Marmor, die 1684 vom Bürgermeister Wolter geschenkte, zu Lübeck aus Wallnuß- und Ebenholz gefertigte barocke Kanzel, das Denkgemälde für den 1566 beim Schiffbruch der verbündeten lübeckischen und dänischen Flotte unter Gotland ums Leben gekommenen und hier bestatteten Lübecker Bürgermeister und Admiral Bartolomäus Tinnappel, das, .). W. Feeit gezeichnet, seiner Mal- weise nach zweifellos ebenfalls lübeckischen Ursprungs ist und einer Inschrift nach „von Friedrich Stroot- mann von Lübeck Anno 1726" renoviert wurde, ferner ein neben diesem Gemälde an der nördlichen Chorwand angebrachtes schönes Sandsteinepitaph für Ingeborg Tidemand (f 1577), sowie schließlich eine Anzahl schön gemeißelter Grabsteine, unter denen die zu beiden Seiten des Altars befindlichen des Landeshauptmanns Henrich Rosenkranz (f 1537) und des Hermann Juel (f 1607) und seiner Ehefrau mit den lebensgroßen Relieffiguren der Genannten geziert sind. Dem Dome am nächsten verwandt ist die am Großen Markte belegene 58 m lange Klosterkirche des Franziskanerordens, deren Schutzheilige, gleichwie
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