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Reste, insonderheit der wuchtige, sechs Stockwerke
hohe „Mantelturm.“
Um 7 Uhr nahmen wir, Bornholm und Christiansö
hinter uns lassend, bei schönstem, ganz ruhigem Wetter
die Hauptmahlzeit ein, immer von neuem den roten
Feuerball der scheidenden Sonne bewundernd. ,„Wie
herrlich die Sonne untergeht. So stirbt ein Held,"
zitiete meine wohlbelesene Tischnachbarin. Noch
lange hielt uns die Schönheit der einbrechenden Nacht
auf Deck zusammen.
Am Mittwoch morgen gegen 9% Uhr lief unser
Schiff bei schönsten Sonnenschein, vorbei an der
den äußeren Hafen seewärts abschließenden Mole
mit dem Leuchturm, in das innere Hafenbecken
Wisbys ein. Eine sinnige Begrüßung war es, daß
hier drei ohnehin durch das blendende Weiß ihrer
Schiffskörper die Blicke auf sich lenkende Dampfer,
die stolze „Hansa“ und hinter ihr die kleineren
Schwesterschiffe „Gotland“ und „Visby“, uns zu
Ehren im vollen Flaggenschmuck prangten. Doch
nicht genug hieran des freundlichen Empfangs: als
die „Linnea“ an der westlichen Kaimauer anlegte,
harrte hier inmitten eines zahlreichen Publikums
Herr Bürgermeister C. Een, dasselbe Stadtoberhaupt,
das vor 25 Jahren die Hanseaten gastlich aufnahm,
und hieß unsern Vorsitzenden mit Gruß und Hand-
schlag willkommen, indem er uns zugleich für den
Abend mit Einladungen zu einem Konzert in der
Katharinenkirchenruine und zu einer sich hieran an-
schließenden geselligen Vereinigung im Pavillon des
botanischen Gartens, dem Gefellschaftshause der
„Badefreunde“, beehrte.
Die Zeit bis zu dem auf die Mittagsstunde an-
gesezten Frühstüc an Bord wurde sogleich von
mehreren kleineren Gruppen zu einem Rundgang
durch die Stadt benutzt, deren programmäßige Be-
sichtigung allerdings erst für die Nachmittagsstunden
vorgesehen war. Wir hatten uns hierbei wie auch
beim Ausflug des nächsten Tages der freundlichen
und aufopfernden Führung der Herren Archivar Dr.
Oskar Vilh. Wennersten und Lektor Hjalmar Jansson
sowie der bekannten Bildhauerin Frau Bruse-:Bendixen
zu erfreuen. Zu . allseitigem Bedauern fehlte bei
diesen Unternehmungen ihr Veranstalter Geheim-
rat Schäfer, der in der Nacht zuvor von einem
Unwohlsein befallen war und im nahen Badehotel
Ruhe und Erholung juchte.
_ Es kann nicht die Aufgabe der Berichterstattung
sein, eine eingehende Topographie von Wisby zu
liefern, nur die hauptsächlichsten der in kurzer Zeit-
spanne sich drängenden Eindrücke, welche uns die
zahlreichen Baudenkmäler hinterließen, mögen hier
festgehalten werden.
Eine mächtige, im 12. und 13. Jahrhundert aus
Kalkitein aufgeführte Ringmauer, deren Höhe zwischen
6–9 m wechselt, umschließt noch heute in einer
Länge von über 3 km die ganze Stadt mit Aus-
nahme der westlichen Partie in der Nähe des jetzigen
Hafens. Sie wird durch starke, meist viereckige
zinnenbekrönte Türme gegliedert, die bis zur Höhe
von 20 m aufsteigen. Von diesen Türmen sind
einschließlich der drei Stadttore noch 28 erhalten,
dazu kommen neun auf der Mauer hängende zier-
lichere Satteltiürme. Das nach Südwesten zu im
Huge der Ringmauer die Stadt deckende Schloß
Wisborg, ehemals die stärkste FFestung des Nordens,
ist freilich 1679 von den Dänen auseinandergessprengt
und die Ruine später bis auf wenige Uberreste in
Kalk verwandelt.
Von den zahlreichen mittelalterlichen Kirchen
Wisbys wird nur noch eine, der an 52 m lange
dreischiffige Dom oder die Marienkirche, benutzt. Im
Jahre 1225 geweiht, ist sie von den Deutschen auf
Wisby im Rundbogenstil errichtet, jedoch noch im
selben Jahrhundert nach Osten zu in gotischer Bau-
art erweitert. Südseitig ist am Ende des 15. Jahr-
hunderts eine große schöne spätgotische Kapelle vor-
gebaut, die einen Dachreiter sowie reichen Fialen-,
Maßwerk- und Bildsäulenschmuck trägt. Die barocte
Bedachung des großen vierseitigen romanischen West-
turmes und der beiden schlanken achtseitigen gotischen
Türme neben dem Chor ist erst nach einer Feuers-
brunst von 1744 entstanden. Im Inneren zogen
unsere Aufmerksamkeit auf sich der alte becherförmige
romanische Taufstein mit seiner Kumme aus ge-
schlifsenem roten gotländischen Marmor, die 1684 vom
Bürgermeister Wolter geschenkte, zu Lübeck aus
Wallnuß- und Ebenholz gefertigte barocke Kanzel, das
Denkgemälde für den 1566 beim Schiffbruch der
verbündeten lübeckischen und dänischen Flotte unter
Gotland ums Leben gekommenen und hier bestatteten
Lübecker Bürgermeister und Admiral Bartolomäus
Tinnappel, das, .). W. Feeit gezeichnet, seiner Mal-
weise nach zweifellos ebenfalls lübeckischen Ursprungs
ist und einer Inschrift nach „von Friedrich Stroot-
mann von Lübeck Anno 1726" renoviert wurde,
ferner ein neben diesem Gemälde an der nördlichen
Chorwand angebrachtes schönes Sandsteinepitaph für
Ingeborg Tidemand (f 1577), sowie schließlich eine
Anzahl schön gemeißelter Grabsteine, unter denen
die zu beiden Seiten des Altars befindlichen des
Landeshauptmanns Henrich Rosenkranz (f 1537) und
des Hermann Juel (f 1607) und seiner Ehefrau mit den
lebensgroßen Relieffiguren der Genannten geziert sind.
Dem Dome am nächsten verwandt ist die am
Großen Markte belegene 58 m lange Klosterkirche
des Franziskanerordens, deren Schutzheilige, gleichwie