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und so ist es bei ihm in noch höherem Grade ge-
rechtfertigt, wenn sein Andenken durch eine Ausstellung
seiner nachgelassenen Arbeiten hier lebendig erhalten
wird, als bei Milde, den die Hamburger auch heute
noch für sich in Anspruch nehmen. Sie dürfen dies
auch, lebte Milde doch bis zu seinem 36. Jahre in
Hamburg und hatte dort seine bemerkenswertesten
selbständigen Werke geschaffen. Liebhaberei und ein
seltenes Vermögen, sich in die alte Kunst zu vertiefen,
Freude an der bis ins kleinste gehenden Ausführung
veranlaßten ihn hier, Aufnahmen unserer Kunst-
denkmäler zu machen, deren Wert wesentlich höher
geschätt werden müßte, wenn die Photographie nicht
erfunden worden wäre. Als Talent war ihm
W. Cordes unbedingt überlegen. Die Vorzüge
Mildes fehlten ihm nicht, aber er konnte malen, er
sah die Natur als Maler mit Maleraugen an, ihn
reizte in erster Reihe das Malerische, antiquarische
Interessen veranlaßten ihn nicht, irgend etwas zu
zeichnen oder zu malen, und wenn eine schleichende
Krankheit ihn nicht gerade in der Zeit befallen hätte,
in der er im Begriffe stand, sich völlig auszureifen,
wenn der Tod ihm nicht vorzeitig den Pinsel aus
der Hand genommen hätte, dann wäre der Name
Cordes nicht nur in der Geschichte der lübeckischen
Kunst von besonderer Bedeutung, dann würde er auch
überall mit Ehren genannt werden müssen, wenn von
der deutschen Malerei des 19. Jahrhunderts die Rede
ist. Er gehörte zu den Künstlern, die der modernen
Malerei die Bahn brachen. Er erkannte, daß es
keine Berechtigung habe, einseitig die Landschaft oder
das sog. „Genre“ zu pflegen, er hielt die Schilderung
von Unglücksfällen, Staatsaktionen und dergl. aus
vergangenen Jahrhunderten, wie wir sie den „Historien-
malern“ verdanken, für unmalerisch, er verlangte, daß
das Kunstwerk seine Entstehung einem inneren oder
äußeren Erlebnis des Künstlers verdanke und daß
das Malerische dabei das Bestimmende sein müsse.
Diese Grundsätze seiner Kunst gehen aus der Aus-
stellung überall hervor, gleichzeitig aber können wir
hier seinen Werdegang verfolgen und sehen, wie er
sich, von Stufe zu Stufe aufwärts schreitend, entwickelt.
Er war als der Sohn eines Kaufmanns (von der
angesehenen Firma Nöltingk & Cordes) am 16. März
1824 geboren und sollte dem Wunsche des Vaters
entsprechend ebenfalls Kaufmann werden. Vom Vater
aber, der ein Schüler des alten Hauffmann und kein
ganz unpraktischer Dilettant war, hatte er die Liebe
zur Kunst geerbt und so wurde ihm das Kontor zum
Gefängnis, und statt ins Hauptbuch vertiefte er sich
in die Natur und hielt mit Bleistift und Feder fest,
was ihm auffiel. Er zeichnete seine Freunde, den
Haushund, Pferde und Reiter, bekannte Stadtfiguren
und Ansichten aus Lübeck, und es währte nicht lange,
bis der Vater einsah, daß der junge Wilhelm keine
Lust zum Kaufmannssstande hatte. Er gab, vielleicht
mit einigem Widerstreben, seine Einwilligung zum
Berufswechsel und so gut vorbereitet, als es hier
möglich war, bezog Cordes die Prager Kunstakademie.
Die Wahl gerade dieser Kunstschule muß etwas auf-
fällig erscheinen und läßt sich nur durch die Ver-
mutung erklären, daß der alte Cordes irgendwelche
Beziehungen zu Prag und den dortigen Kunstlehrern
hatte. Der angehende Künstler kam hier in eine
strenge Schule, in der das Hauptgewicht auf die
Zeichnung gelegt wurde. Der Leiter der Prager
Akademie gehörte der Richtung der Cornelius an und
so sind die ersten Kompositionsversuche des jungen
Cordes auch Illustrationen zu geschichtlichen Vorgängen
und zu Sagen im Stile seiner Lehrer. Er machte
damals, wie einige Skizzen verraten, auch eine Studien-
fahrt nach Kuttenberg, der baugesschichtlich so interessanten
(jetzt leider ganz tschechischen) Stadt. Einige Bild-
nisse, die damals entstanden, sind in strengen Linien
gezeichnet und erinnern an die Art Mildes, wenngleich
schon in diesen Köpfen die größere malerische Be-
gabung hervortritt. Nach Lübeck zurückgekehrt, entdeckte
er die Schönheiten der Vaterstadt, er zeichnet und
malt alles, was ihm malerisch erscheint, und noch auf
späteren Werken begegnet man im Hintergrund Einzel-
heiten, die aus Lübeck genommen sind. Er hatte in
Prag etwas Tüchtiges gelernt, er hatte sorgfältige
anatomische Studien gemacht, auch die Anatomie des
Pferdes eingehend studiert, aber er erkannte doch, daß
ihm Prag das nicht bieten konnte, was er eigentlich
suchte, und so ging er zu seiner weiteren Ausbildung
nach Dresden, Frankfurt a. M. und nach einem vor-
übergehenden Aufenthalt in Paris nach Düsseldorf.
Hier entwickelte er sich rasch und kam 1856 als
fertiger Künstler in die engere Heimat zurück. Die
Zeitereignisse ergriffen ihn lebhaft, so hatte er als
Freiwilliger im v. Wasmerschen Korps den Feldzug
in Schleswig-Holsten im Jahre 1848 mitgemacht,
und auch dieser Zeit verdanken wir verschiedene Zeich-
nungen von bleibendem Interesse. Von nachhaltigem
Einfluß waren auf ihn seine Reisen nach Dänemark
und Norwegen, und. eine große Anzahl seiner reifsten
Werke zeigt die künstlerische Ausbeute dieser Studien-
fahrten. Mehr und mehr belebten sich seine Land-
schaften, bis schließlich die Menschen und die sie um-
gebende Landschaft in eins verschmolzen. Nun hatte
er erreicht, was ihm als Ziel vorschwebte, der Meeres-
strand und seine Bewohner schien seine Domäne
werden zu wollen, seine ersten großen Erfolze erzielte
er mit Bildern aus dem Seemannsleben, „Die letzte
Ehre“ kaufte der König von Preußen (nachmals
Kaiser Wilhelm), und so ist es begreiflich, daß Cordes
größere Seereisen bis nach England unternahm, immer
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