Full text: Lübeckische Blätter. 1906 ; Verhandlungen der Bürgerschaft. 1906 (48)

369 daß die ihr während der Dienstzeit anvertraute Blüte der männlichen Jugend unseres Volkes mit größtem Nutzen für die Pflege und Ausbildung des Körpers die Schule des Heeres durchmacht. Unsere Schulverwaltung und unsere Lehrer end- lich haben bereits seit Jahren ihre Überzeugung, wie wichtig Baden und Schwimmen für die Gesundheit und die Erziehung der Schuljugend ist, betätigt. Allein in der Badeanstalt im Krähenteiche sind von den rund 770000 in den sechs Jahren ihres Be- stehens abgegebenen Bädern mehr als hunderttausend zu ermäßigten Preisen von Schulklassen im Klassen- verbande unter Leitung der Lehrer genommen worden, eine Einrichtung, die die Behörde auf Anregung des hiesigen Schwimmvereins verfügt hat; auch in unseren Frei-Badeanstalten werden alljährlich tausende solcher Klassenbäder genommen. Seit einigen Wochen ist hier mit Genehmigung der Behörde, von den Schwimmwarten unseres Schwimmvereins geleitet, ein Lehrkursus für Klassen-Schwimmunterricht im Betriebe, woran 25 Lehrer und Seminaristen sich beteiligen; durch die daselbst gelehrte Methode wird der Schwimmlehrer instandgesezt, bis zwanzig Schwimmschüler g le ich z e i t i g auszubilden. Am 27. Juni wurde dem Bürgerausschuß ein Senatsdekret vorgelegt, worin der Senat seine Ab- sicht erklärt, zur Mitgenehmigung der Bürgerschaft zu stellen, daß auf dem Grundstück Parade Nr. 1 ein Hallenschwimmba d, dessen Kosten auf A 525000 veranschlagt werden, errichtet werde. Wenn diese Anstalt, wie nun wohl demnächst mit Sicherheit zu erwarten, bewilligt, erbaut und in Betrieb gesezt sein wird, wird es auch nicht mehr lange dauern, daß die Unterweisung im Schwimmen in den obligatorischen Lehrplan der hiesigen Schulen aufgenommen wird. Wer aber die Jugend hat, der hat die Zukunft! BG] . Die Eröffnung der Idiotenanstalt. Im Frühjahr 1903 hielt Herr Hauptlehrer Strakerjahn auf einem Herrenabend der Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit einen Vortrag über die Errichtung einer Idiotenanstalt in Lübeck. Einige Monate später wurde ein Aufruf veröffentlicht, der um Gaben für eine folche Anstalt bat. Sofort gingen ansehnliche Beiträge ein, und dem bald darauf gegründeten „Verein zur Fürsorge für Geistesschwache“ traten zahlreiche Mitglieder bei. Allerdings wurden auch Einwendungen gegen den geplanten Bau gemacht. Die erforderlichen Mittel, so hörte man sagen, seien so bedeutend, daß die mit Bei- trägen für gute Zwecke schon überlasteten Lübecker nicht imstande seien, sie auch noch aufzubringen; mehrere Jahrzehnte würden vergehen, ehe eine Anstalt eröffnet werden könne. Eine besondere Anstalt für unseren Staat, so meinten andere, sei ganz überflüssig; es gäbe genügend Idiotenanstalten in Deutschland, dort möge man die wenigen Schwachsinnigen aus dem lübeckischen Gebiet unterbringen. Beide Einwendungen sind jetzt durch die Tatsachen widerlegt. Der unermüdlichen Arbeit des Vorstandes, den reichen Gaben der Barmherzigkeit und der ver- sländnisvollen Hülfe der Behörden ist es zu verdanken, daß schon mit dem 1. Juli d. J. die praktische Tätig- keit begonnen werden kann. Der Verein hat das im Besitze des Staates befindliche Grundstück Kloster- straße 10 gemietet und durch Umbau zu einer Anstalt einrichten lassen. Am Sonnabend sind die ersten Zöglinge in ihr neues Heim eingezogen, kaum drei Jahre nach dem Erscheinen jenes ersten Aufrufs. Auch als überflüssig darf man eine besondere An- stalt für Lübeck nicht mehr bezeichnen. Einige Lübecker Idioten waren ja in auswärtigen Anstalten, besonders der Alsterdorfer, untergebracht. Doch wurden bis- weilen auch Aufnahmegesuche wegen Überfüllung jener Anstalten abgewiesen. Das Kostgeld für auswärtige Zöglinge ist außerdem so hoch, daß nur wenige Eltern imstande sind, es aufzubringen. Nehmen sie dazu aber die Hülfe der Armenansstalt in Anspruch, so verliert der Vater sein Wahlrecht. Viele dieser un- glücklichen Kinder mußten deshalb bisher auf die Unterbringung in einer Anstalt verzichten. Sie blieben in einer für ihre Fortbildung und Erziehung ungeeigneten Umgebung und bildeten eine traurige Last für ihre Angehörigen. Von jetzt an steht auch ihnen die segensreiche Anstaltserziehung offen. Tat- sächlich sind viele Idioten für die neue Anstalt an- gemeldet, von denen aber wegen des beschränkten Raumes nur einige aufgenommen werden können. Endlich ist es für die Eltern, deren Kinder bisher auswärts untergebracht waren, eine große Wohltat, daß es nun in Lübeck eine Anstalt für Schwachsinnige gibt. Wie groß diese Wohltat ist, zeigt die hohe Freude einer armen Witwe über die Nachricht, daß ihre Tochter von der Alsterdorfer nach der Lübecker Anstalt über- führt werden solle. Seit Jahren hat sie ihr Kind nicht gesehen, weil sie die Ausgaben für eine Reise nach Alsterdorf scheute und weil sie die anderen noch kleinen, oft kranken Kinder nicht verlassen konnte. Jetzt wird das schwachsinnige Kind in die neue Anstalt aufge- nommen. Dann kann die Mutter es jeden Sonntag besuchen. Ihr Kind war für sie schon so gut wie tot, jetzt ist es ihr wiedergegeben. Kann man bei solchen Erfahrungen den Bau einer Lübecker Idiotenanstalt noch überflüssig nennen ? . rh
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