Full text: Lübeckische Blätter. 1906 ; Verhandlungen der Bürgerschaft. 1906 (48)

343 seit den Tagen des Mittelalters zugenommen. Die Geldheirat ist die Urform der Eheschließung, ein alter Brauch, den unsere Zeit nur konserviert, nicht geschaffen hat. Wie kommt es, daß meist das Gegenteil geglaubt wird? Die alte Naivität ist verloren gegangen. Die Geldheirat wird heute anders, niedriger gewertet. Das verfeinerte sittliche Empfinden sagt jedem, daß des Geldes wegen keine Ehen geschlossen werden sollten. Dennoch geschieht es. Das Ideal ist da, wird aber verletzt. Wie ist das möglich ? Da denken viele: wir sind in einem Zeitalter des Niedergangs; das Ideal war in einer früheren besseren Kultur- gh bt. Der t Mott. gelten sehen. Heute tun sie's nicht; dann werden sie früher so gegolten haben. Wie könnten sie sonst da sein? So konstruiert er sich eine große Ver- gangenheit, die nie gewesen ist. Denn das Ideal war, das ist seine Bestimmung, immer nur in einer Minderheit wirklich. Besonders im Mittelalter. Der Idealist sollte sich freuen, daß er damals noch nicht lebte. Er wäre im Mittelalter noch weniger auf seine Rechnung gekommen als heute. Nicht in die Vergangenheit flüchten! Das verrät außer Schwäche meist auch noch Unkenntnis. Ich sagte vorhin, daß die selbständigen Meiste- rinnen in der Regel Witwen waren. Alber nicht alle. Jn einigen Hünften gab es auch Fräulein Meisterinnen oder jedenfalls weibliche Zunftmeister, die nicht durch den Tod ihres Mannes Zunkftrechte erlangten. HZ. B. bei den Leinewebern, bei den Hökern (zwei saßen mit frischen Heringen auf dem Markte), vielleicht auch bei den Badern und Gärtnern, besonders aber den Krämern. Zwischen 1317 und 13565 wurden sogar über 100 Frauen, meist Krämerinnen, ins Bürgerrecht aufgenommen. Be- sondere Frauenzünfte hat es aber in Lübeck nicht gegeben. Neben diesen selbständigen weiblichen Gewerbetreibenden finden sich unselbständige. Arbeiterinnen, weibliche Gesellen oder Mägde, be- schäftigten z. B. die Badsstöver, d. h. Badestuben- besitzer (ich erinnere an ihre berühmte Zunftgenossin Agnes Bernauer), die Lichtmacher, die Laken. und Haardeckenmacher, Leinenweber (spinnersche, siden- werkersche, smalweversche) und Bernsteindreher; bei den letzteren bekamen sie sogar denselben Lohn wie die Knechte. Auch bei den Schumachern und Schneidern haben zeitweilig weibliche Arbeiter Ver- wendung gefunden; denn 1466 und 1370 wurde ihnen verboten, sie zu beschäftigen. Wie stellte sich die damalige Männerwelt zu dieser Frauenarbeit ? JFhr Vordringen stieß auch da- mals auf Widerspruch. Wie den Witwen ihr Recht, das Geschäft ihres Mannes fortzuseßen, beschränkt wurde, habe ich bereits erwähnt. Die selbständige Tätigkeit lediger Frauen in den Zünften erregte be- sunderes Mißfallen. Auch die Gefsellenverbände weigerten sich gelegentlich mit weiblichen Arbeitern zusammen zu arbeiten. Die öffentliche Gewalt hat diesen Bestrebungen aber Jahrunderte Widerstand geleistet und erst im 16. und 17. Jahrhundert nach- gegeben. Infolgedessen kam Frauenarbeit im zünftigen Handwerk im 18. Jahrhundert nur noch ganz ver- einzelt vor. In den nicht zünftigen Gewerben unterlag die Frauenarbeit dagegen kaum einer Beschränkung. Sie waren in Lübeck wenig umfangreich, ~~ denn die Zunft beherrschte fast das ganze Gewerbegebiet , deshalb auch die Zahl der in ihnen beschästigten Frauen. Es gab u. a. weibliche Wirte, Eierhändle- rinnen, Kauffrauen aller Art, ja Bankeusen und Ärztinnen. In Frankfurt a. M. hat man zwischen 1389 und 1497 15 weibliche Ärzte gezählt, darunter 4 jüdische; 3 waren Augenärztinnen. Auch in Lübeck haben wir mindestens einen weiblichen Arzt gehabt. Eine Urkunde von 1468 berichtet uns, daß „Barbara de dofften jodinnen unde astinnen,“ also eine getaufte Jüdin, verstorben sei. Die höchsten Träume moderner Frauenrechtlerinnen waren scchon einmal Wirklichkeit. (Fortsetzung folgt.) Jahresbericht über den Knabenhort in der Vorstadt St. Lorenz für das Jahr 1905. Der Hort zählte beim Beginn des Jahres 48 Zöglinge, von denen im Laufe dieser Zeit 16 austraten, während 19 aufgenommen wurden, so daß am Jahres- schlusse 51 Hortinsassen gezählt werden konnten. Der Besuch war im ganzen regelmäßig, bis auf einen Knaben, der sich wiederholt umhertrieb. Ein Zögling mußte wegen grober Widersetzlichkeit entlassen werden. Leider ist auch ein Todesfall zu verzeichnen. Die Beschäftigung der Kinder erfolgte in gewohnter Weise. Nach der Anfertigung der Schularbeiten wurde täglich der jeweiligen Witterung entsprechend entweder im Hortraum, vder auf dem Schulhofe gespielt. Die Herstellung von Laubsäge- und Papp- arbeiten konnte infolge der beengten Verhältnisse des alten Hortraumes (ein Klassenzimmer der 3. St. Lorenz-Knabenschule) nicht genügend geübt werden. Trotzdem hatte die mit der Weihnachtsfeier verbundene Ausstellung eine stattliche Anzahl von Handfertigkeits- gegenständen aufzuweisen. Das dazu erforderliche Holz wurde während des ganzen Jahres in dankenswerter Weise aus den Sägewerken der Herren Meier und Grube kostenlos geliefert. ;
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