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seit den Tagen des Mittelalters zugenommen. Die
Geldheirat ist die Urform der Eheschließung, ein
alter Brauch, den unsere Zeit nur konserviert, nicht
geschaffen hat.
Wie kommt es, daß meist das Gegenteil geglaubt
wird? Die alte Naivität ist verloren gegangen.
Die Geldheirat wird heute anders, niedriger gewertet.
Das verfeinerte sittliche Empfinden sagt jedem, daß
des Geldes wegen keine Ehen geschlossen werden
sollten. Dennoch geschieht es. Das Ideal ist da,
wird aber verletzt. Wie ist das möglich ? Da denken
viele: wir sind in einem Zeitalter des Niedergangs;
das Ideal war in einer früheren besseren Kultur-
gh bt. Der t Mott.
gelten sehen. Heute tun sie's nicht; dann werden
sie früher so gegolten haben. Wie könnten sie sonst
da sein? So konstruiert er sich eine große Ver-
gangenheit, die nie gewesen ist. Denn das Ideal
war, das ist seine Bestimmung, immer nur in einer
Minderheit wirklich. Besonders im Mittelalter.
Der Idealist sollte sich freuen, daß er damals noch
nicht lebte. Er wäre im Mittelalter noch weniger
auf seine Rechnung gekommen als heute. Nicht in
die Vergangenheit flüchten! Das verrät außer
Schwäche meist auch noch Unkenntnis.
Ich sagte vorhin, daß die selbständigen Meiste-
rinnen in der Regel Witwen waren. Alber nicht
alle. Jn einigen Hünften gab es auch Fräulein
Meisterinnen oder jedenfalls weibliche Zunftmeister,
die nicht durch den Tod ihres Mannes Zunkftrechte
erlangten. HZ. B. bei den Leinewebern, bei den
Hökern (zwei saßen mit frischen Heringen auf dem
Markte), vielleicht auch bei den Badern und Gärtnern,
besonders aber den Krämern. Zwischen 1317 und
13565 wurden sogar über 100 Frauen, meist
Krämerinnen, ins Bürgerrecht aufgenommen. Be-
sondere Frauenzünfte hat es aber in Lübeck nicht
gegeben. Neben diesen selbständigen weiblichen
Gewerbetreibenden finden sich unselbständige.
Arbeiterinnen, weibliche Gesellen oder Mägde, be-
schäftigten z. B. die Badsstöver, d. h. Badestuben-
besitzer (ich erinnere an ihre berühmte Zunftgenossin
Agnes Bernauer), die Lichtmacher, die Laken. und
Haardeckenmacher, Leinenweber (spinnersche, siden-
werkersche, smalweversche) und Bernsteindreher; bei
den letzteren bekamen sie sogar denselben Lohn wie
die Knechte. Auch bei den Schumachern und
Schneidern haben zeitweilig weibliche Arbeiter Ver-
wendung gefunden; denn 1466 und 1370 wurde
ihnen verboten, sie zu beschäftigen.
Wie stellte sich die damalige Männerwelt zu
dieser Frauenarbeit ? JFhr Vordringen stieß auch da-
mals auf Widerspruch. Wie den Witwen ihr Recht,
das Geschäft ihres Mannes fortzuseßen, beschränkt
wurde, habe ich bereits erwähnt. Die selbständige
Tätigkeit lediger Frauen in den Zünften erregte be-
sunderes Mißfallen. Auch die Gefsellenverbände
weigerten sich gelegentlich mit weiblichen Arbeitern
zusammen zu arbeiten. Die öffentliche Gewalt hat
diesen Bestrebungen aber Jahrunderte Widerstand
geleistet und erst im 16. und 17. Jahrhundert nach-
gegeben. Infolgedessen kam Frauenarbeit im zünftigen
Handwerk im 18. Jahrhundert nur noch ganz ver-
einzelt vor.
In den nicht zünftigen Gewerben unterlag
die Frauenarbeit dagegen kaum einer Beschränkung.
Sie waren in Lübeck wenig umfangreich, ~~ denn
die Zunft beherrschte fast das ganze Gewerbegebiet
, deshalb auch die Zahl der in ihnen beschästigten
Frauen. Es gab u. a. weibliche Wirte, Eierhändle-
rinnen, Kauffrauen aller Art, ja Bankeusen und
Ärztinnen. In Frankfurt a. M. hat man zwischen
1389 und 1497 15 weibliche Ärzte gezählt, darunter
4 jüdische; 3 waren Augenärztinnen. Auch in
Lübeck haben wir mindestens einen weiblichen Arzt
gehabt. Eine Urkunde von 1468 berichtet uns,
daß „Barbara de dofften jodinnen unde astinnen,“
also eine getaufte Jüdin, verstorben sei. Die höchsten
Träume moderner Frauenrechtlerinnen waren scchon
einmal Wirklichkeit. (Fortsetzung folgt.)
Jahresbericht über den Knabenhort
in der Vorstadt St. Lorenz
für das Jahr 1905.
Der Hort zählte beim Beginn des Jahres 48
Zöglinge, von denen im Laufe dieser Zeit 16 austraten,
während 19 aufgenommen wurden, so daß am Jahres-
schlusse 51 Hortinsassen gezählt werden konnten. Der
Besuch war im ganzen regelmäßig, bis auf einen
Knaben, der sich wiederholt umhertrieb. Ein Zögling
mußte wegen grober Widersetzlichkeit entlassen werden.
Leider ist auch ein Todesfall zu verzeichnen.
Die Beschäftigung der Kinder erfolgte in gewohnter
Weise. Nach der Anfertigung der Schularbeiten
wurde täglich der jeweiligen Witterung entsprechend
entweder im Hortraum, vder auf dem Schulhofe
gespielt. Die Herstellung von Laubsäge- und Papp-
arbeiten konnte infolge der beengten Verhältnisse des
alten Hortraumes (ein Klassenzimmer der 3. St.
Lorenz-Knabenschule) nicht genügend geübt werden.
Trotzdem hatte die mit der Weihnachtsfeier verbundene
Ausstellung eine stattliche Anzahl von Handfertigkeits-
gegenständen aufzuweisen. Das dazu erforderliche Holz
wurde während des ganzen Jahres in dankenswerter
Weise aus den Sägewerken der Herren Meier und
Grube kostenlos geliefert.
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