Full text: Lübeckische Blätter. 1906 ; Verhandlungen der Bürgerschaft. 1906 (48)

266 auf diese geradezu tragisch wirkende Epoche in dem Seelenleben Behns, auf diesen schneidenden Gegen- sat zwischen ihm, dem tief Gebeugten, und seinem vertrauensvoll in die Zukunft blickenden Freunde Curtius. Aber es erfolgt der erlösende Umschwung. Behn bleibt nicht befangen in seiner Täuschung. Schon der Besuch König Wilhelms im September 1868 stellt ihn in den Bann dieser milden, in sich gefesteten Heldengestalt. Und er sieht, wie die Ver- hältnisse seine Befürchtungen nicht erfüllen, wie sie im Gegenteil das Gedeihen Lübecks mächtig fördern. Er lernt Bismarck verstehen und bewundern, und als das große Jahr 1870 kommt, da sind die Worte, die er über die Kriegserklärung am 18. Juli als Senatskommissar in der Bürgerschaft spricht, für ihn sein Friedensschluß: „Wir danken es dem Schirmherrn unseres Norddeutschen Bundes, daß er bis an die äußerste Grenze gegangen ist, um dem Vaterlande die schweren Prüfungen eines Krieges zu ersparen. Wir danken es aber auch dem Schirm- herrn unseres Bundes, daß er im entscheidenden Augenblicke die deutsche Ehre gewahrt hat und daß er sich bewußt geblieben ist, wie das ganze deutsche Volk treu ihm zur Seite steht Das Glück der Schlachten ist ein zweifelhaftes Ding. Auf alle Wechselfälle eines langen und blutigen Krieges müssen wir gefaßt sein. Aber wenn je ein Krieg vom alten Erbfeinde leichtfertig herausgefordert, wenn je ein Krieg von deutscher Seite in gerechter Sache aufgenommen ist, so ist es ~ soweit Menschen zu urteilen vermögen – der nun bevorstehende. Dies Bewußtsein wird die Kraft und die Ausdauer stählen, den endlichen Sieg uns verbürgen." Und im Jahre darauf, zum ersten Male als Bürgermeister der Vaterstadt, feiert er mit Worten edler Begeiste- rung den neuerstandenen Kaiser am Geburtstage König Wilhelms, und die Begrüßungsverse Geibels vom Jahre 1868, die er damals nur als „passend“ bezeichnet hatte, rauschen durch seine Rede als der prophetische Wunsch des Dichters, der eine so wunder- bare Erfüllung gefunden hat. Jetzt steht Behn auf dem Gipfel seines Lebens und seines Wirkens. In der Vollkraft des männ- lichen Alters widmet sich der Bürgermeister Lübecks, zu dem alle Kreise der Bevölkerung mit gleicher Verehrung und gleichem Vertrauen aufsschauen, den großen Aufgaben der neuen Zeit. Auch aus seiner Seele sind alle Schatten geschwunden. Er schreibt gegen Ende 1871: ,Ich begrüße diese Zeit um so freudiger, als dadurch die Schatten von 1866 aus- getilgt sind und ich für meine Vaterstadt eine ge- sicherte, dem Ganzen dienende, doch freibürgerliche Zukunft sehe . . . . Als eine besjondere Gnade muß ich es erkennen, daß es mir vergönnt ist, in diesen unvergeßlichen Zeitläuften an die Spitze unseres Freistaates gestellt zu sein und daher all den wichtigen Staatsaktionen meine Unterschrift unter- sezen zu dürfen.! Es beginnt die Epoche der lübeckischen Geschichte, die auf allen Gebieten des staatlichen, kommunalen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens neue Zustände geschaffen, neue Probleme aufgestellt hat, an deren Lösung das gegenwärtige Geschlecht noch arbeitet, und auch die Nachkommen noch arbeiten werden. Bis dem 82 jährigen Greise die müde Hand sinkt, wirkt der Rastlose als Führer und Leiter in dieser schier unermeßlichen Fülle der Geschäste. Wohl tritt jetzt manchmal ein gewisses retardierendes Element seines Wesens stärker hervor, das dem immer bedächtig und vorsichtig rechnenden sorgsamen Haushalter des öffentlichen Gutes, der auch in seiner Jugend nie ein Heißsporn gewesen ist, auch früher schon eigen war. Behn, der dereinst im Jahre 1846 dem Freunde Curtius die berühmte Eisenbahnkarte entworfen hatte, auf der alle die Eisenbahnlinien, die die Mißgunst der Nachbarstaaten der Hansestadt verweigert hatte, mit schwarzen Strichen verzeichnet waren, jene Karte, die nach Curtius' Zeugnis dessen diplomatischer Sendung in Berlin, Frankfurt und Wien so gute Dienste leistete, derselbe Behn hatte schon lebhaft gegen den Bau der Hamburger Bahn zu Beginn der sechziger Jahre Ert eb. zs : sh Ì)*>u tire selben Bedenken bedrücken ihn in den späteren Jahren, wenn es sich um große weitausschauende, die Finanzkräste des kleinen Stadtstaates gewaltig an- spannende Unternehmungen, z. B. den Bau des Elbe- Trave:Kanals, handelt. Er war kein Mann schneller Entschlüsse. Aber wenn seine Bedenken überwunden, seine Befürchtungen widerlegt waren, dann konnte niemand mit größerem Eifer und anhaltenderer Arbeitsfreudigkeit sich der Bewältigung der neuen Aufgabe hingeben als er. Fehlings Buch ist dem öffentlichen Wirken des Bürgers und Staatsmannes Behn gewidmet, aber die Schilderung des liebenswürdigen Menschen kommt des- halb nicht zu kurz. Nicht nur in den ersten Kapiteln der Schrift, die die Kindheit, die Universitäts- und Wander- jahre Behns mit wohltuender Wärme zeichnen und durch die Mitteilung des Tagebuches über die griechische Reise einen anmutenden Schmuck empfangen, werden wir in das Familienleben Behns eingeführt. Auch auf den späteren Blättern umrahmen gleichsam die in der Mitte stehenden Haupt- und Staatsaktionen mit feiner Feder zierlich entworfene Arabesken, die das Wesen und die Eigenart des Menschen Behn, sein privates glückliches Leben an der Seite der ge- liebten Gattin, im Kreise der fröhlich heran- hrzjewwen Kinder in kleinen Genrebildchen reizvoll izzieren.
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