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auf diese geradezu tragisch wirkende Epoche in dem
Seelenleben Behns, auf diesen schneidenden Gegen-
sat zwischen ihm, dem tief Gebeugten, und seinem
vertrauensvoll in die Zukunft blickenden Freunde
Curtius. Aber es erfolgt der erlösende Umschwung.
Behn bleibt nicht befangen in seiner Täuschung.
Schon der Besuch König Wilhelms im September
1868 stellt ihn in den Bann dieser milden, in sich
gefesteten Heldengestalt. Und er sieht, wie die Ver-
hältnisse seine Befürchtungen nicht erfüllen, wie sie
im Gegenteil das Gedeihen Lübecks mächtig fördern.
Er lernt Bismarck verstehen und bewundern, und
als das große Jahr 1870 kommt, da sind die
Worte, die er über die Kriegserklärung am 18. Juli
als Senatskommissar in der Bürgerschaft spricht,
für ihn sein Friedensschluß: „Wir danken es dem
Schirmherrn unseres Norddeutschen Bundes, daß er
bis an die äußerste Grenze gegangen ist, um dem
Vaterlande die schweren Prüfungen eines Krieges
zu ersparen. Wir danken es aber auch dem Schirm-
herrn unseres Bundes, daß er im entscheidenden
Augenblicke die deutsche Ehre gewahrt hat und daß
er sich bewußt geblieben ist, wie das ganze deutsche
Volk treu ihm zur Seite steht Das Glück der
Schlachten ist ein zweifelhaftes Ding. Auf alle
Wechselfälle eines langen und blutigen Krieges
müssen wir gefaßt sein. Aber wenn je ein Krieg
vom alten Erbfeinde leichtfertig herausgefordert,
wenn je ein Krieg von deutscher Seite in gerechter
Sache aufgenommen ist, so ist es ~ soweit Menschen
zu urteilen vermögen – der nun bevorstehende.
Dies Bewußtsein wird die Kraft und die Ausdauer
stählen, den endlichen Sieg uns verbürgen." Und
im Jahre darauf, zum ersten Male als Bürgermeister
der Vaterstadt, feiert er mit Worten edler Begeiste-
rung den neuerstandenen Kaiser am Geburtstage
König Wilhelms, und die Begrüßungsverse Geibels
vom Jahre 1868, die er damals nur als „passend“
bezeichnet hatte, rauschen durch seine Rede als der
prophetische Wunsch des Dichters, der eine so wunder-
bare Erfüllung gefunden hat.
Jetzt steht Behn auf dem Gipfel seines Lebens
und seines Wirkens. In der Vollkraft des männ-
lichen Alters widmet sich der Bürgermeister Lübecks,
zu dem alle Kreise der Bevölkerung mit gleicher
Verehrung und gleichem Vertrauen aufsschauen, den
großen Aufgaben der neuen Zeit. Auch aus seiner
Seele sind alle Schatten geschwunden. Er schreibt
gegen Ende 1871: ,Ich begrüße diese Zeit um so
freudiger, als dadurch die Schatten von 1866 aus-
getilgt sind und ich für meine Vaterstadt eine ge-
sicherte, dem Ganzen dienende, doch freibürgerliche
Zukunft sehe . . . . Als eine besjondere Gnade muß
ich es erkennen, daß es mir vergönnt ist, in diesen
unvergeßlichen Zeitläuften an die Spitze unseres
Freistaates gestellt zu sein und daher all den
wichtigen Staatsaktionen meine Unterschrift unter-
sezen zu dürfen.! Es beginnt die Epoche der
lübeckischen Geschichte, die auf allen Gebieten des
staatlichen, kommunalen, wirtschaftlichen und sozialen
Lebens neue Zustände geschaffen, neue Probleme
aufgestellt hat, an deren Lösung das gegenwärtige
Geschlecht noch arbeitet, und auch die Nachkommen
noch arbeiten werden. Bis dem 82 jährigen Greise
die müde Hand sinkt, wirkt der Rastlose als Führer
und Leiter in dieser schier unermeßlichen Fülle der
Geschäste. Wohl tritt jetzt manchmal ein gewisses
retardierendes Element seines Wesens stärker hervor,
das dem immer bedächtig und vorsichtig rechnenden
sorgsamen Haushalter des öffentlichen Gutes, der
auch in seiner Jugend nie ein Heißsporn gewesen
ist, auch früher schon eigen war. Behn, der dereinst
im Jahre 1846 dem Freunde Curtius die berühmte
Eisenbahnkarte entworfen hatte, auf der alle die
Eisenbahnlinien, die die Mißgunst der Nachbarstaaten
der Hansestadt verweigert hatte, mit schwarzen Strichen
verzeichnet waren, jene Karte, die nach Curtius'
Zeugnis dessen diplomatischer Sendung in Berlin,
Frankfurt und Wien so gute Dienste leistete, derselbe
Behn hatte schon lebhaft gegen den Bau der
Hamburger Bahn zu Beginn der sechziger Jahre
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selben Bedenken bedrücken ihn in den späteren
Jahren, wenn es sich um große weitausschauende, die
Finanzkräste des kleinen Stadtstaates gewaltig an-
spannende Unternehmungen, z. B. den Bau des Elbe-
Trave:Kanals, handelt. Er war kein Mann schneller
Entschlüsse. Aber wenn seine Bedenken überwunden,
seine Befürchtungen widerlegt waren, dann konnte
niemand mit größerem Eifer und anhaltenderer
Arbeitsfreudigkeit sich der Bewältigung der neuen
Aufgabe hingeben als er.
Fehlings Buch ist dem öffentlichen Wirken des
Bürgers und Staatsmannes Behn gewidmet, aber die
Schilderung des liebenswürdigen Menschen kommt des-
halb nicht zu kurz. Nicht nur in den ersten Kapiteln der
Schrift, die die Kindheit, die Universitäts- und Wander-
jahre Behns mit wohltuender Wärme zeichnen und durch
die Mitteilung des Tagebuches über die griechische
Reise einen anmutenden Schmuck empfangen, werden
wir in das Familienleben Behns eingeführt. Auch auf
den späteren Blättern umrahmen gleichsam die in der
Mitte stehenden Haupt- und Staatsaktionen mit
feiner Feder zierlich entworfene Arabesken, die das
Wesen und die Eigenart des Menschen Behn, sein
privates glückliches Leben an der Seite der ge-
liebten Gattin, im Kreise der fröhlich heran-
hrzjewwen Kinder in kleinen Genrebildchen reizvoll
izzieren.