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weitläufig auseinandersegen konnte, dem mit dem
Namen von Personen, die er im Buche liest, sogleich
die Menschen wieder vor Augen stehen, die diese
Namen trugen, und die Ereignisse, um die es sich
handel. Wer Behn im öffentlichen Leben der
Vaterstadt wirken sah, wer Zeuge gewesen ist von
einzelnen Begebenheiten, die hier geschildert sind, dem
wird jetzt Behns Persönlichkeit im Zusammhange
seines Wesens und seiner Entwicklung vielfach in
einem neuen Lichte erscheinen. Neue Liebe und
Verehrung wird seinem Gedächtnis bei solchen
Lesern erwachsen, und die Freude, mit welcher diese
Leser das Buch lesen, wird nur übertroffen worden
sein von der Freude, die der Verfassser bei der
Ausarbeitung seiner Schrift empfunden haben muß.
Handschriftliche, während eines Zeitraumes von
60 Jahren angesammelte Aufzeichnungen Behns
boten dem Verfassser ein unschätzbares Material für
die Ausarbeitung seines Buches. Neben ihnen bilden
seine Quellen die Akten des Senates, die Verhand-.
lungen zwischen Senat und Bürgerschaft und, ganz
besonders für die Zeit vor 1858, dem Jahre, in
welchem Behn in den Senat gewählt wurde, die
„Neuen Lübeckischen Blätter.“ Mit feinem Ver-
ständnis auswählend aus der Fülle dieses überreichen
Stoffes, sorgfältig abwägend, formend und bildend
mit leichter kunstverständiger Hand und mit dem
prüfenden Blicke des objektiv urteilenden Geschichts-
forschers, der auch die Schwächen seines Helden
keineswegs übersieht, hat der Autor das Lebensbild
Behns in plastischer Rundung gezeichnet, und er
läßt es sich abheben von dem Hintergrunde des aus
der alten von vergangener Herrlichkeit träumenden
Reichsstadt zur modernen Großstadt, aus dem von
übermächtigen Nachbarstaaten bedrängten mit eigenen
unzureichenden Kräften schwer um die selbständige
Existenz ringenden Kleinstaat zu einem kräftig vor-
wärtsstrebenden geachteten Gliede des Deutschen
Reiches sich ausschwingenden Lübecks.
So ist ein Buch entstanden, das niemand ungelesen
lassen darf, der den Entwicklungsgang Lübecks während
der letzten zwei Menschenalter verstehen will, das
für alle Darstellungen der inneren Geschichte unserer
Stadt, die wir bisher aus diesem Zeitraum besitzen,
bedeutungsvolle Ergänzungen bringt, und das auch
dem genauen Kenner unserer heimischen Verhältnisse
viel wichtiges Neues zu sagen weiß.
Wie reizvoll ist es, sich von diesem Buche einführenzu
lassen in die Anfänge Behns im öffentlichen Leben der
Vaterstadt; in die Zeit der vierziger Jahre, da der jugend-
frische Anwalt, zurückgekehrt in die Vaterstadt von
fröhlicher Wanderfahrt durch Frankreich, Italien und
Griechenland, eintrat in den Kreis der Männer, die
damals Jung-Lübeck waren, die geistigen Erwecker
und Führer der gleichsam nach langem Winterschlafe
zu frischem tatkräftigen Schaffen sich arbeitsfreudig
erhebenden Stadt. Hier vor allem hat der Ver-
fasser die „Neuen Lübeckischen Blätter“ benutzt, dieses
wertvollste Archiv für das gesamte geistige Leben des
damaligen Lübecks, in dem man freilich zu lesen
verstehen muß mit den Augen der Leser, die damals
jung waren, zu empfinden mit den Herzen der
patriotischen Männer, die diese Artikel schrieben.
Hier auch erfahren wir bisher Unbekanntes. Wir
lernen den jugendlichen Behn als Journalisten
kennen. Die für die Vorgeschichte unserer Staats-
verfassung von 1848 so wichtigen Artikel, die damals
Widerspruch und Zustimmung gewaltig erregend die
öffentliche Meinung in Lübeck beeinflußten und
förderten, und über deren Verfasser man bisher nur
Vermutungen aussprechen konnte, sie sind fast alle
von Behn geschrieben. Auch Behns Stellung zu
dem endgültigen Verfassungswerk selbst erscheint in
ganz neuer Beleuchtung Das „besondere Gut-
achten des Dr. Theodor Behn vom 2. Oltober
1848," das sich für das allgemeine Wahlrecht der
lübectischen Bürger aussprach, und wegen dessen man
Behn bis in die Gegenwart hinein als den Ver-
fechter des allgemeinen gleichen Wahlrechts ange-
sprochen hat, wir erfahren hier, wie es entstanden ist.
Nicht aus Überzeugung von seiner Vortrefflichkeit,
sondern aus Patriotismus nach schwerer Entschließung
die eigene Meinung zurückdrängend und von zwei
Übeln das kleinere wählend hat Behn sich für den
Vorschlag des Senates erklärt.
Wir begleiten dann Behn weiter durch seine Tätig-
keit als Mitglied und Führer der Bürgerschaft in den
Senat und sehen, wie in den fünfziger und sechziger
Jahren keine Reform, keine wesentliche Anderung der
Gesetzgebung durchgeführt worden ist ohne seine rastlose
Arbeit, seine kluge, die entgegengesezten Strömungen
meisternde Taktik. Dann kommt die schwere Zeit
von 1866. Behn, dessen Ehrgeiz war, der
geliebten Vaterstadt zu nützen, der in stiller emsiger
Arbeit seinen Stolz fand in dem Bewußtsein, daß
Lübeck nach seiner großen Vergangenheit auch
in der Gegenwart mit Ehren bestehe, vermag sich in
die preußisch.deutsche Politik nicht zu sinden. Mit
Besorgnis und Mißtrauen in die redlichen Absichten
Preußens verfolgt er die Entwicklung der Dinge.
Er fürchtet für die Selbständigkeit Lübecks. „Das
Schicksal meiner teuren Vaterstadt als „freie Stadt"
besiegelt, das Ende einer ruhmwürdigen Geschichte von
641 Jahren!“ klagt er schmerzlich, und mit bittrem
Kummer zitiert er 1868 Platos Worte: „Dann geht ein
Staat sicher unter, wenn das Eisen und das Erz die Ober-
hand und die Autorität erlangen und maßgebend
sind." Nicht ohne tiefe Ergriffenheit blickt der Leser