Full text: Lübeckische Blätter. 1906 ; Verhandlungen der Bürgerschaft. 1906 (48)

IZ weitläufig auseinandersegen konnte, dem mit dem Namen von Personen, die er im Buche liest, sogleich die Menschen wieder vor Augen stehen, die diese Namen trugen, und die Ereignisse, um die es sich handel. Wer Behn im öffentlichen Leben der Vaterstadt wirken sah, wer Zeuge gewesen ist von einzelnen Begebenheiten, die hier geschildert sind, dem wird jetzt Behns Persönlichkeit im Zusammhange seines Wesens und seiner Entwicklung vielfach in einem neuen Lichte erscheinen. Neue Liebe und Verehrung wird seinem Gedächtnis bei solchen Lesern erwachsen, und die Freude, mit welcher diese Leser das Buch lesen, wird nur übertroffen worden sein von der Freude, die der Verfassser bei der Ausarbeitung seiner Schrift empfunden haben muß. Handschriftliche, während eines Zeitraumes von 60 Jahren angesammelte Aufzeichnungen Behns boten dem Verfassser ein unschätzbares Material für die Ausarbeitung seines Buches. Neben ihnen bilden seine Quellen die Akten des Senates, die Verhand-. lungen zwischen Senat und Bürgerschaft und, ganz besonders für die Zeit vor 1858, dem Jahre, in welchem Behn in den Senat gewählt wurde, die „Neuen Lübeckischen Blätter.“ Mit feinem Ver- ständnis auswählend aus der Fülle dieses überreichen Stoffes, sorgfältig abwägend, formend und bildend mit leichter kunstverständiger Hand und mit dem prüfenden Blicke des objektiv urteilenden Geschichts- forschers, der auch die Schwächen seines Helden keineswegs übersieht, hat der Autor das Lebensbild Behns in plastischer Rundung gezeichnet, und er läßt es sich abheben von dem Hintergrunde des aus der alten von vergangener Herrlichkeit träumenden Reichsstadt zur modernen Großstadt, aus dem von übermächtigen Nachbarstaaten bedrängten mit eigenen unzureichenden Kräften schwer um die selbständige Existenz ringenden Kleinstaat zu einem kräftig vor- wärtsstrebenden geachteten Gliede des Deutschen Reiches sich ausschwingenden Lübecks. So ist ein Buch entstanden, das niemand ungelesen lassen darf, der den Entwicklungsgang Lübecks während der letzten zwei Menschenalter verstehen will, das für alle Darstellungen der inneren Geschichte unserer Stadt, die wir bisher aus diesem Zeitraum besitzen, bedeutungsvolle Ergänzungen bringt, und das auch dem genauen Kenner unserer heimischen Verhältnisse viel wichtiges Neues zu sagen weiß. Wie reizvoll ist es, sich von diesem Buche einführenzu lassen in die Anfänge Behns im öffentlichen Leben der Vaterstadt; in die Zeit der vierziger Jahre, da der jugend- frische Anwalt, zurückgekehrt in die Vaterstadt von fröhlicher Wanderfahrt durch Frankreich, Italien und Griechenland, eintrat in den Kreis der Männer, die damals Jung-Lübeck waren, die geistigen Erwecker und Führer der gleichsam nach langem Winterschlafe zu frischem tatkräftigen Schaffen sich arbeitsfreudig erhebenden Stadt. Hier vor allem hat der Ver- fasser die „Neuen Lübeckischen Blätter“ benutzt, dieses wertvollste Archiv für das gesamte geistige Leben des damaligen Lübecks, in dem man freilich zu lesen verstehen muß mit den Augen der Leser, die damals jung waren, zu empfinden mit den Herzen der patriotischen Männer, die diese Artikel schrieben. Hier auch erfahren wir bisher Unbekanntes. Wir lernen den jugendlichen Behn als Journalisten kennen. Die für die Vorgeschichte unserer Staats- verfassung von 1848 so wichtigen Artikel, die damals Widerspruch und Zustimmung gewaltig erregend die öffentliche Meinung in Lübeck beeinflußten und förderten, und über deren Verfasser man bisher nur Vermutungen aussprechen konnte, sie sind fast alle von Behn geschrieben. Auch Behns Stellung zu dem endgültigen Verfassungswerk selbst erscheint in ganz neuer Beleuchtung Das „besondere Gut- achten des Dr. Theodor Behn vom 2. Oltober 1848," das sich für das allgemeine Wahlrecht der lübectischen Bürger aussprach, und wegen dessen man Behn bis in die Gegenwart hinein als den Ver- fechter des allgemeinen gleichen Wahlrechts ange- sprochen hat, wir erfahren hier, wie es entstanden ist. Nicht aus Überzeugung von seiner Vortrefflichkeit, sondern aus Patriotismus nach schwerer Entschließung die eigene Meinung zurückdrängend und von zwei Übeln das kleinere wählend hat Behn sich für den Vorschlag des Senates erklärt. Wir begleiten dann Behn weiter durch seine Tätig- keit als Mitglied und Führer der Bürgerschaft in den Senat und sehen, wie in den fünfziger und sechziger Jahren keine Reform, keine wesentliche Anderung der Gesetzgebung durchgeführt worden ist ohne seine rastlose Arbeit, seine kluge, die entgegengesezten Strömungen meisternde Taktik. Dann kommt die schwere Zeit von 1866. Behn, dessen Ehrgeiz war, der geliebten Vaterstadt zu nützen, der in stiller emsiger Arbeit seinen Stolz fand in dem Bewußtsein, daß Lübeck nach seiner großen Vergangenheit auch in der Gegenwart mit Ehren bestehe, vermag sich in die preußisch.deutsche Politik nicht zu sinden. Mit Besorgnis und Mißtrauen in die redlichen Absichten Preußens verfolgt er die Entwicklung der Dinge. Er fürchtet für die Selbständigkeit Lübecks. „Das Schicksal meiner teuren Vaterstadt als „freie Stadt" besiegelt, das Ende einer ruhmwürdigen Geschichte von 641 Jahren!“ klagt er schmerzlich, und mit bittrem Kummer zitiert er 1868 Platos Worte: „Dann geht ein Staat sicher unter, wenn das Eisen und das Erz die Ober- hand und die Autorität erlangen und maßgebend sind." Nicht ohne tiefe Ergriffenheit blickt der Leser
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