IAZ
Als eine besonders glückliche Fügung betrachte
ich es, in einem Augenblick in den Senat eintreten
zu dürfen, in dem dank der Energie von Rat und
Bürgerschaft Lübecks wirtschaftliches Leben sich auf
einer aufsteigenden Kurve bewegt. Nachdem der
Entschluß, den Stillstand, ja den mit Recht be-
fürchteten Rückgang Lübects im Handel und Verkehr
durch den Bau des Elbe-Trave.Kanals zu begegnen,
zur Tat geworden war, trat für kurze Zeit eine
gewisse Ruhepause in unserer Entwickelung ein.
Dann aber kam man sehr bald zu der Erkenntnis,
daß man auf halbem Wege nicht stehenbleiben
dürfe, sondern auf der einmal betretenen Bahn
weiterschreiten müsse. Großes ist in den letzten
Jahren geschaffen und erreicht. Die Vertiefung
und die Regulierung der Trave sichern uns im
Verein mit dem Kanal den Verkehr auf dem Wasser,
den weiter auszubauen der Tatkraft unserer Kauf-
mannschaft unter Mitwirkung des Staates obliegt.
Die Verlegung des Bahnhofs ermöglicht die so
dringend notwendige Verbesserung unserer Verkehrs-
verhältnisse zu Lande durch Einführung besserer
Zugverbindungen und Aufnahme neuer Verkehrs-
linien. Der Ankauf großer Ländereien am Ufer
der Trave setzt uns in die Lage, Gelände für
industrielle Anlagen zu annehmbaren Preisen zur
Verfügung zu halten, und durch die erst
kürzlich bewilligte Uferbahn erhalten diese Grund-
stücke ihren wahren Gebrauchswert. Alle diese
Unternehmungen sind Schritte vorwärts, aber
keiner derselben bildet einen Abschluß, sondern
jeder bedeutet nur den Anfang zu neuer Arbeit.
Große Aufgaben stehen uns noch bevor, und es
wird der Anspannung aller Kräfte bedürfen, um
sie glücklich zu lösen. Wir haben neulich hier
das stolze Wort gehört: Was wir sind, das sind
wir durch uns selbst. In ihm liegt aber auch die
Mahnung, was wir werden wollen, das müssen
wir aus uns selbst werden. Bringen tut uns
niemand etwas, im Gegenteil, wir befinden uns
im lebhastesten wirtschaftlichen Wettbewerb. Wie
ich aber im geschäftlichen Leben niemals die Kon-
kurrenz gefürchtet habe, sondern in ihr nur den
Ansporn zu neuer Energieentfaltung und dadurch
zur Steigerung der eigenen Leistungsfähigkeit
erblickt habe, so hoffe und glaube ich, wird auch
unser Gemeinwesen aus diesem Wettbewerb ge-
kräftigt hervorgehen. Wenn ich bisher im wesent-
lichen die Fragen berührt habe, die für Handel
Schiffahrt und Industrie in Betracht kommen, so
geschah dies, weil wir uns augenblicklich in einer
wirtschaftlichen Entwickelungsperiode befinden, wie
Lübeck sie seit langer, langer Zeit nicht durch-
gemacht hat. Dabei sollen aber die großen
laufenden Aufgaben, welche die Verwaltung von
Stadt und Land mit sich bringt, nicht gering ein-
geschäßt werden, ebensowenig wie die Bedeutung
von Gewerbe und Landwirtschaft. Der Staat hat
die Verpflichtung, allen Berufszweigen und
allen Volksschichten die gleiche Aufmerksamkeit
zu widmen, denn wir alle zusammen bilden
ein Ganzes. Krankt ein Glied, so krankt der
ganze Körper. Arbeiten aber alle Teile gemeinsam
unter wohlwollender Rücksichtnahme auf die be-
rechtigten Eigenheiten der einzelnen, so werden
wir zweifellos die vor uns liegenden Aufgaben
lösen, und Lübeck wird auf dem Wege der günstigen
Entwickelung fortschreiten. Daß dies geschehe, dazu
werde ich nach Kräften das Meinige beizutragen
versuchen.
Milde-Ausstellung im Museum.
Carl Julius Milde hat sich so große und bleibende
Verdienste um Lübeck erworben, daß es eine Pflicht
der Dankbarkeit ist, sein Andenken lebendig zu er-
halten. Was er im Kunstleben unserer Stadt
bedeutete, was er zur Erhaltung und Rettung unserer
Kunstschäße getan hat, sein Wirken als Konservator
der Naturhistorischen Sammlung, das alles ist noch
unvergessen. Dagegen ist der Künstler Milde, der
schon zu seinen Lebzeiten nur von wenigen erkannt
wurde, allzu schnell einer unverdienten Vergessenheit
anheimgefallen. Milde wurde am 16. Februar 1803
in Hamburg geboren, war erst Schüler von Suhr
und Gerdt Hardorff, fand in der Familie Speckter
neue Anregung und ging mit Erwin Speckter nach
Dresden und München. Nachdem er auf zwei
Studienreisen einen mehrjährigen Aufenthalt in
Italien genommen hatte, ließ er sich im Jahre 1838
in Lübeck nieder und blieb hier bis zu seinem am
19. November 1875 erfolgten Tode. Lübeck wurde
ihm zur zweiten Heimat, das Nölting’sche Haus, in
dem er sein künstlerisches Schaffen begann, wurde
sein Heim, und so darf er jezt mit gutem Recht
für Lübeck in Anspruch genommen werden. Aus
allen diesen Gründen hat der Vorstand der Gemälde-
sammlung beschlossen, im Museum eine Ausstellung
der Werke Mildes aus öffentlichem und privatem
Besitze zu veranstalten, die heute eröffnet wird.
Eine eingehendere Würdigung dieser Ausstellung
soll einer der nächsten Nummern dieser Blätter
vorbehalten bleiben; für heute sei nur erwähnt, daß
die Ausstellung einen Überblick über das Lebenswerk
des Künstlers gibt und so vollständig ist, als dies