Full text: Lübeckische Blätter. 1906 ; Verhandlungen der Bürgerschaft. 1906 (48)

he vollenden und nach seinem Sinne aufführen. Kein Amt und keine Stellung solle ihn beengen. Über- wältigt von so viel Glück zog der 51jährige Künstler 1864 nach München, aber schon vor Ablauf des nächsten Jahres war er gezwungen, München wieder zu verlassen. Als sich nämlich im Sommer 1865 im Bayerlande die Nachricht verbreitete, Richard Wagner wolle sich in München auf Kosten des Königs ausschließlich für seine Zwecke ein neues Opernhaus bauen, in München, das doch in seinem Hof- und Nationaltheater nicht nur ein schönes, sondern auch das größte Theater Deutschlands besaß, da bemächtigte sich aller Bevölkerungsschichten eine hoch- gradige Entrüstung. Und dabei hatte Wagner, nur um der allgemeinen Meinung einen Schritt entgegen- zukommen, in einem wichtigen Punkte sein eignes Ideal verlassen. Denn nicht die Großstadt München mit ihren sein neues Ideal störenden Traditionen war ein in seinem Sinne geeigneter Festspielort. Als die öffentliche Erregung bedrohlich anwuchs, verließ Wagner München, um dem nicht gerade willens- starken jungen Könige Konflikte zu ersparen, denen dieser nicht gewachsen war. 35 Jahre später, nach- dem inzwischen Bayreuth die Welt erobert hat, ist nun in München jenes Theater ganz nach den Wagnerschen Absichten von 1865 wirklich erbaut worden und tritt unter dem Namen Prinzregenten- theater mit Bayreuth in Wettbewerb. Wagner zog damals wieder in die Schweizer Berge und setzte hier die Komposition seines Dramas fort, wo er vor 15 Jahren die Dichtung entworfen hatte. Der Kreis von Anhängern, auf welche seine Ideen wirkten, wuchs allmählich, wenn auch langsam. Und nun sollte er eine neue Wendung der Dinge erleben, die seiner Schaffenslust einen ungeahnten Aufschwung gab. Um die Wende von 1870 fand das deutsche Volk wirklich jenen lang ersehnten Frühling der Auf- erstehung als Nation und Staat. Aus vollem Herzen jubelte Wagner dem neuen Deutschland, seinem Kaiser und Reichsbaumeister zu. Mitten unter ein- treffenden Siegesdepeschen vollendete er die Partitur seines Siegfried. Hatte er schon längst rückhaltlos zugegeben, daß er sich über die Bewegung von 1848 in einem großen Irrtum befunden habe, so durfte er doch mit vollstem Rechte sagen, daß auch in jenen Tazen seine künstlerische Begeisterung nichts anderem gegolten habe als der Auferweckung des deutschen Volkes zu einem neuen und größeren Dasein. Er- folgte sie nun anders, als er einst gedacht, so blieb nichtsdestoweniger sein Siegfried, der das zerbrochene Schwert schmiedet, und sein Siegfried, der durchs Feuer dringt und Brünnhilden erweckt, das erhabenste dichterische Abbild für die großen Taten der Gegen- wart. . So trat der nun fast 60jährige Künstler vor das neugeeinte Deutschland hin mit dem jjegt vollendeten vierteiligen Drama, Rheingold, Walküre, Siegfried und Götterdämmerung, geformt aus jenem Sagenstoffe, den der germanische Stamm als sein eigentümlichstes Erbgut verehrt. Für die neue deutsche Kunst verlangte er ein Haus, in welchem ihre Gestalt sich unverstümmelt darstellen konnte. Er hatte nun wieder, wie vor 20 Jahren, den Mut, sich an das deutsche Volk zu wenden, und durfte in jenen Tagen wohl hoffen, daß die neuerstandene Nation neben dem Waffenruhm auch in der Kunst sich einer Großtat fähig erweisen werde. Der Anfang schien verheißungsvoll. Noch im Jahre 1871 wurde ihm von den Bürgern einer schlichten Mittelstadt draußen vor dem Tore ein schön gelegener Plat zur Errichtung des Festspielhauses geschenktt. Fünf Bedingungen mußte die Stadt erfüllen, um eine seinem Sinne entsprechende Festspielstadt zu sein. Seinem königlichen Wohltäter war er es schuldig, die Stadt innerhalb Bayerns zu suchen. Mußte es eine bayerische Stadt sein, so sollte sie doch der Mitte des Reiches nicht zu fern liegen, und drittens, worauf Wagner viel Gewicht legte, auch den aus dem Reiche ausgeschiedenen Volksgenossen in Osterreich möglichst nahe sein. Die vierte und fünfte Bedingung betreffen künstlerische und allgemein geistige Be- ziehungen. In der Technik des musikalischen Dramas hielt er sich für den Begründer eines neuen ursprüng- lichen Stiles; darum wollte er jede störende Tradition vermeiden nnd suchte einen jungfräulichen Boden für sein Drama. Umgekehrt betrachtete er seine Kunst im ganzen als eine organische Blüte deutschen Geisteslebens, und darum sollte das Gebiet, zu dem sein Haus gehörte, lutherisch-protestantische Erde sein; denn aus lutherischem Stamme war seit Jahrhunderten doch alles hervorgegangen, was selbständig deutsches Leben bedeutete. Das freundliche Städtchen am roten Main, Bayreuth, erfüllte diese Bedingungen, und die Väter der Stadt ehrten den Künstler durch bereitwilliges Entgegenkommen. Ebenfalls noch im Jahre 1871 begründete ein schlichter Bürger von Mannheim den ersten Richard-Wagner- Verein mit dem Zwecke, dem Meister Mittel zur Ausführung seines Planes zuzuführen. Aber dem guten Anfange entsprach der Fortgang der Bewegung nicht. Unter Hemmungen und Stockungen wurde das Haus aus billigstem Material schließlich in zwölfter Stunde zu den angesetzten Festspielen von 1876 fertiggestellt. Bismarck hatte es kühl abgelehnt, dem Werke Förderung zuteil werden zu lassen; der türkische Sultan und der Khedife von Ägypten haben die Kosten tragen helfen. Das waren die Wunschbilder und das die Schick-
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