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Die Leitung der Erholungsstätte liegt gewöhnlich
in der Hand einer Schwester, der das Personal
untersteht, bestehend in einer Köchin, zwei Aushilfen
und einem Nachtwächter. Überwacht wird der Be-
trieb durch einen Vorstand, in dem natürlich die
Arzte genügend vertreten sein müssen. Die Auf-
gabe dieser Arzte ist aber lediglich die Überwachung
des Betriebes vom hygienischen Standpuukt aus;
mit der Behandlung der einzelnen Kranken haben
sie nichts zu tun, dieselbe verbleibt uneingeschränkt
dem Hausarzte.
Der Betrieb der Erholungsstätte ist so ein-
gerichtet, daß die Kranken morgens zur Anstalt
herauskommen und abends wieder uach Hause zurück-
kehren. Die Nacht über verbleiben ne in ihrer
Wohnung. Mit Rücksicht darauf muß die Lage der
Stätte eine solche sein, daß sie nicht allzu fern von
der Haltestelle einer elektrischen Bahn liegt. Wege
von 10—15 Minuten kann man jedoch erfahrungs-
gemäß allen Besuchern zumuten. In dankenswerter Weise
haben sich bis jetzt fast überall die Betriebsleitungen
der Straßenbahnen zu weitgehenden Preisermäßigungen
für die Kranken verstanden. In der Erholungsstätte
erhalten die Kranken die volle Verköstigung; zwar ist
erstes Frühstück und Abendbrot eigentlich nicht vor-
gesehen, allein morgens nach dem Eintreffen und
abends vor dem Weggang wird ein kleiner Imbiß
gereicht, so daß man praktisch von einer vollen Be-
köstigung sprechen kann. Besonderer Wert wird auf
reichlichen Milchgenuß gelegt. Die Zeit zwischen
den einzelnen Mahlzeiten wird mit Spaziergang,
Liegekur, Spielen, event. mit leichter Arbeit nach
ärztlicher Vorschrift ausgefüllt Wie die bisherigen
Erfahrungen zeigen, läßt sich bei guter durchschnitt-
licher Belegung der Betrieb bei Erwachsenen mit
A 11,20, bei Kindern mit M 0,50 0,60 pro
Kopf und Tag ohne weiteren Zuschuß durchführen.
Was den Kreis der Kranken angeht, die der
Erholungsstätte zugewiesen werden können, so kann
man ganz allgemein sagen, jeder Kranke kann auf-
genommen werden, der imstande ist, den zweimaligen
täglichen Weg zwischen der Anstalt und seiner
Wohnung zurückzulegen. Die Erfahrung hat ge-
lehrt, daß das viel mehr Kranke ohne Schaden
fertig bringen, als man gewöhnlich glaubt; selbst
schwer Herzkranke nicht ausgenommen. Wiederholt
sind ferner in Berlin schwer Tuberkulöse bis einige
Tage vor ihrem Tode regelmäßig in der Erholungs-
stätte gewesen. Die Mehrzahl der Kranken, welche
die bis jezt bestehenden Erholungsstätten besucht
haben, waren Tuberkulöse vom leichtesten bis zum
schwersten Stadium. Für dieje Kranken bilden die
Walderholungsstätten eine wertvolle Ergänzung der
Lungenheilstätten. Die Landesversicherungsanstalten
die fast allein für die Überweisung der Kranken da-
hin in Betracht kommen, müssen sich, wie schon er-
wähnt, entsprechend ihren Aufgaben und Befugnissen
darauf beschränken, nur solchen Lungenleidenden das
Heilverfahren zu gewähren, bei denen dadurch Ver-
hütung oder doch wesentliches Hinausschieben der
Invalidität zu erhoffen ist, d. h. im wesentlichen den
Anfangsstadien. Hier greift die Walderholungsstätte
ein; sie nimmt alle Tuberkulösen ohne Unterschied
auf, auch die vorgeschrittenen, und entfernt damit
diese verderbliche Infektionsquelle wenigstens tags-
über aus dem Familienkreise. Außer den Tuber-
kulosen finden wir noch sonstige Kranke in den
Erholungsstätten: Nerven-, Herz,, Magen-, Darm-
kranke, Blutarme, ferner skrophulöse und rhachitische
Kinder, Rekonvaleszenten u. dergl.
Aber, wird man mir entgegenhalten, ist es nicht
gefährlich, Lungenkcranke mit anderen Kranken zu-
sammen zu verpflegen, droht diesen nicht die Gefahr
der Infektion? Nun, die Erfahrung hat gelehrt,
daß das nicht zu befürchten ist. In Berlin, wo
man doch sonst in dieser Beziehung unter dem Ein-
fluß der Kochschen Schule am vorsichtigsten ist, hat
man seit 1900. der Gründung der ersten Erholungs-.
stätte, Lungenkranke und andere Kranke immer
gemeinsam verpflegt, ohne daß sich daraus irgendein
Nachteil ergeben hätte. Im HWalde finden die
Tuberkelbazillen keine günstige Gelegenheit zur
Weiterverbreitung, sie gehen dort sehr bald zugrunde.
Selbstverständlich muß auf strenge Innehaltung der
nötigen Vorsichtsmaßregeln geachtet werden, so daß
jeder hustende Kranke seine Spuckflasche bekommt
und sie auch benutzt, daß Eßgeschirr und Decken
numeriert sind, so daß sie immer nur von dem-
selben Kranken in Gebrauch genommen werden, und
so noch verschiedenes andere. Daß bei genügender
Vorsicht, allerdings auch nur dann, der Umgang
mit Lungenkranken ungefährlich ist, dafür liefern den
besten Beweis die zahlreichen Ärzte an den Lungen-
heilanstalten, die mit Hunderten von Lungenkranken
in langdauernde Berührung kommen, und doch hat
eine jüngst veranstaltete Umfrage ergeben, daß keiner
bst rriser durch seinen Beruf an Tuberkulose er-
rankt ist.
Die Erfolge, die man bisher in den Wald.
erholungsstätten erzielt hat, sind recht befriedigende;
sie stehen hinter denen der Lungenheilstätten nur
wenig zurück. Gewichtszunahmen von sechs, acht,
zehn Pfund und noch mehr in wenigen Wochen
sind fast als Regel zu bezeichnen, und Hand in
Hand damit geht die Hebung der Gesundheit des
ganzen Körpers. Wie sehr die Erholungsstätten
einem Bedürfnis entgegenkommen, beweist der große
Andrang zu denselben, der in Berlin bereits zur