Full text: Lübeckische Blätter. 1906 ; Verhandlungen der Bürgerschaft. 1906 (48)

185 geworden ist. Man darf sie zu den populär geworde- nen Werken des Thomaskantors rechnen, während die übrigen drei Suiten sich dieses Vorzugs nicht rühmen dürfen. Nicht darum, weil sie den volkstümlichen Boden verlassen, der in der Suite durch die Ver- wendung alter Tanzformen gegeben ist, sondern weil man sie im Konzertsaal zu wenig hört. Wie sehr man unrecht tut, diese liebenswürdigen Schöpfungen des nicht immer ernsten Johann Sebastian zu ver- nachlässigen, bewies uns am Sonnabend die Aufführung der H- moll-Suite mit konzertierender Flöte. Es steckt viel Kunst, viel Humor und viel Grazie in den mit kecker Hand dahingeworfenen sieben Sätzen, vornehmlich in der entzückenden Badinerie, in der die geschwätzige Flöte sso viel zu erzählen hat. Herr Wunderlich spielte die Soli mit tüchtigem Können, und wenn der letzte Sat der Suite wiederholt werden mußte, durfte er einen Teil des Erfolges auch für sich beanspruchen. Wir vermuten übrigens, daß das Werk seinen Be- arbeiter gefunden hat, denn nicht immer schien uns Bach allein zu reden. Ob es nötig war, der Suite ab und zu ein modernes Mäntelchen umzuhängen ? Mit der an den Schluß des Konzertes gestellten siebenten Sinfonie in A-dur von Beethoven bewies Herr Kapellmeister Abendroth, der auswendig dirigierte, von neuem, daß wir in ihm einen außerordentlich tüchtigen Interpreten klassischer Werke zu schätzen haben. Die Spendung eines Lorbeerkranzes an den mit unermüdlichem Fleiß seines Amtes Waltenden wurde von der Zuhörerschast mit so unverkennbarer Freude aufgenommen, daß Herrn Abendroth die Wert- schäzung seiner liebenswürdigen Persönlichkeit und seines Wissens und Könnens nicht verborgen bleiben konnte. Eines großen und künstlerisch durchaus berechtigten Erfolges durfte sich die Solistin Frau Hirzel- Langenhan aus München rühmen, die sich des hier nie gespielten B-dur-Klavierkonzertes von Brahms angenommen hatte. Es ist kein Werk für Finger- akrobaten, auch wegen seiner Undankbarkeit genugsam verschrien. Nur eine ernste Musikernatur wird die die vielen und großen Schönheiten der vier Sähe dem Hörer vermitteln können, und zu ihnen darf sich Frau Hirzel-Langenhan rechnen. Ihre bis ins kleinste ausgefeilte Technik, ihr warmer Ton und ihr starkes Gestaltungsvermögen brachten selbst die dem Verständ- nis nicht ohne weiteres entgegenkommenden beiden ersten Sätze des Konzertes dem Hörer so nahe, daß diesem nicht zu viel mehr zugemutet wurde, um die Brahmssche Tonsprache würdigen zu können. Den stärksten Erfolg erzielten das Andante mit seinem edlen, zuerst vom Solovioloncello angestimmtem Ge- sange und das rondoartige Schlußallegro, das Frau Hirzel-Langenhan mit hinreißendem Temperament spielte. Das Publikum bereitete der Künstlerin die herzlichste Aufnahme, wofür sie durch eine Zugabe, Brahms' H-dur-Walzer, quittierte. IJ. Hennings. Gemeinnützige Rundschau. Der Volkshochschulverein München hat in der Lehrperiode vom Oktober 1904 bis Mai 1905 19 Vor- tragszyklen mit insgesamt 117 Vortragsstunden abge- halten. Die Frequenz betrug 4179 Personen, also durchschnittlich pro Zyklus 220. Im Vorjahre waren bei 23 Zyklen an 4556 Personen, also pro Zyklus an 198 Personen Eintrittskarten verkauft worden. Von den verkauften Eintrittskarten entfielen auf 1. Arbeiter, Handwerksgesellen und Handlungs- gehilfen 1886 = 45,1 Prozent gegen 1808 = 39,7 Prozent im Vorjahre; 2. Volksschullehrer, selbständige Kleingewerbtreibendse und Detaillisten, Subalternbeamte, Studierende 1619 = 38,8 Prozent gegen 1848 = 40,5 Prozent i. V.; 3. sonstige Hörer 674 = 16,1 Prozent gegen 905 = 19,8 Prozent im Vorjahr. Die Hörer machten von der Möglichkeit, Wünsche bezüglich künftiger Vorträge gelegentlich der Ausfüllung sstatistischer Karten zu äußern, regen Gebrauch. Auch die Benützung des Fragekastens zu schristlichen Anfragen, welche in Anknüpfung an das Vorgetragene an den Redner gerichtet werden, zeigt, daß ein Bedürfnis nach einem Kontakt zwischen Hörern und Dozenten vorhanden ist. Noch mehr schienen es die Hörer mit Dank zu be- grüßen, wenn ihnen Gelegenheit geboten wurde, nach dem Vortrage weitere mündliche Auskünfte sowie Er- läuterungen zu den ausgestellten Lehrgegenständen zu erhalten. Das Ideal der Volkshochschulkursse ist, daß der Redner sich nicht darauf beschränkt, einen Vortrag zu halten, um dann den Blicken der Hörer zu entschwinden, sondern daß er erfährt, welche Ausführungen auf das Denken der Zuhörer anregend gewirkt haben, und daß er dann denjenigen Anleitung gibt, die sich weiter ein- gehend mit dem Gegenstand beschäftigen möchten. Ihrem Zweck nach sollen die Volkshochschulvorträge nicht in erster Linie bequeme Unterhaltung, sondern Unterricht und Belehrung bringen. Dabei erweist es sich obwohl dies anfangs von Gegnern der Volks- hochschulbewegung bezweifelt wurde — als durchaus möglich, daß der Forscher, der dem Volke die Ergeb- nisse der Wissenschaft vorträgt, streng die Grenzlinie zieht zwischen solchen Gebieten, die gesicherte wissen- schaftliche Erkenntnis sind, und denjenigen, in welchen wir noch uneinig sind und nicht genügende Erkennt- nisse haben. Die umstrittenen Gebiete und einige besonders verwickelte Materien, für deren Verständnis jahrelange Vorbildung erforderlich ist, müsssen natürlich
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