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geworden ist. Man darf sie zu den populär geworde-
nen Werken des Thomaskantors rechnen, während die
übrigen drei Suiten sich dieses Vorzugs nicht rühmen
dürfen. Nicht darum, weil sie den volkstümlichen
Boden verlassen, der in der Suite durch die Ver-
wendung alter Tanzformen gegeben ist, sondern weil
man sie im Konzertsaal zu wenig hört. Wie sehr
man unrecht tut, diese liebenswürdigen Schöpfungen
des nicht immer ernsten Johann Sebastian zu ver-
nachlässigen, bewies uns am Sonnabend die Aufführung
der H- moll-Suite mit konzertierender Flöte. Es steckt
viel Kunst, viel Humor und viel Grazie in den mit
kecker Hand dahingeworfenen sieben Sätzen, vornehmlich
in der entzückenden Badinerie, in der die geschwätzige
Flöte sso viel zu erzählen hat. Herr Wunderlich
spielte die Soli mit tüchtigem Können, und wenn der
letzte Sat der Suite wiederholt werden mußte, durfte
er einen Teil des Erfolges auch für sich beanspruchen.
Wir vermuten übrigens, daß das Werk seinen Be-
arbeiter gefunden hat, denn nicht immer schien uns
Bach allein zu reden. Ob es nötig war, der Suite
ab und zu ein modernes Mäntelchen umzuhängen ?
Mit der an den Schluß des Konzertes gestellten
siebenten Sinfonie in A-dur von Beethoven bewies
Herr Kapellmeister Abendroth, der auswendig dirigierte,
von neuem, daß wir in ihm einen außerordentlich
tüchtigen Interpreten klassischer Werke zu schätzen
haben. Die Spendung eines Lorbeerkranzes an den
mit unermüdlichem Fleiß seines Amtes Waltenden
wurde von der Zuhörerschast mit so unverkennbarer
Freude aufgenommen, daß Herrn Abendroth die Wert-
schäzung seiner liebenswürdigen Persönlichkeit und
seines Wissens und Könnens nicht verborgen bleiben
konnte.
Eines großen und künstlerisch durchaus berechtigten
Erfolges durfte sich die Solistin Frau Hirzel-
Langenhan aus München rühmen, die sich des hier
nie gespielten B-dur-Klavierkonzertes von Brahms
angenommen hatte. Es ist kein Werk für Finger-
akrobaten, auch wegen seiner Undankbarkeit genugsam
verschrien. Nur eine ernste Musikernatur wird die
die vielen und großen Schönheiten der vier Sähe
dem Hörer vermitteln können, und zu ihnen darf sich
Frau Hirzel-Langenhan rechnen. Ihre bis ins kleinste
ausgefeilte Technik, ihr warmer Ton und ihr starkes
Gestaltungsvermögen brachten selbst die dem Verständ-
nis nicht ohne weiteres entgegenkommenden beiden
ersten Sätze des Konzertes dem Hörer so nahe, daß
diesem nicht zu viel mehr zugemutet wurde, um die
Brahmssche Tonsprache würdigen zu können. Den
stärksten Erfolg erzielten das Andante mit seinem
edlen, zuerst vom Solovioloncello angestimmtem Ge-
sange und das rondoartige Schlußallegro, das Frau
Hirzel-Langenhan mit hinreißendem Temperament spielte.
Das Publikum bereitete der Künstlerin die herzlichste
Aufnahme, wofür sie durch eine Zugabe, Brahms'
H-dur-Walzer, quittierte. IJ. Hennings.
Gemeinnützige Rundschau.
Der Volkshochschulverein München hat in der
Lehrperiode vom Oktober 1904 bis Mai 1905 19 Vor-
tragszyklen mit insgesamt 117 Vortragsstunden abge-
halten. Die Frequenz betrug 4179 Personen, also
durchschnittlich pro Zyklus 220. Im Vorjahre waren
bei 23 Zyklen an 4556 Personen, also pro Zyklus
an 198 Personen Eintrittskarten verkauft worden.
Von den verkauften Eintrittskarten entfielen auf
1. Arbeiter, Handwerksgesellen und Handlungs-
gehilfen 1886 = 45,1 Prozent gegen 1808 =
39,7 Prozent im Vorjahre; 2. Volksschullehrer,
selbständige Kleingewerbtreibendse und Detaillisten,
Subalternbeamte, Studierende 1619 = 38,8 Prozent
gegen 1848 = 40,5 Prozent i. V.; 3. sonstige
Hörer 674 = 16,1 Prozent gegen 905 = 19,8
Prozent im Vorjahr. Die Hörer machten von der
Möglichkeit, Wünsche bezüglich künftiger Vorträge
gelegentlich der Ausfüllung sstatistischer Karten zu
äußern, regen Gebrauch. Auch die Benützung des
Fragekastens zu schristlichen Anfragen, welche in
Anknüpfung an das Vorgetragene an den Redner
gerichtet werden, zeigt, daß ein Bedürfnis nach einem
Kontakt zwischen Hörern und Dozenten vorhanden ist.
Noch mehr schienen es die Hörer mit Dank zu be-
grüßen, wenn ihnen Gelegenheit geboten wurde, nach
dem Vortrage weitere mündliche Auskünfte sowie Er-
läuterungen zu den ausgestellten Lehrgegenständen zu
erhalten. Das Ideal der Volkshochschulkursse ist, daß der
Redner sich nicht darauf beschränkt, einen Vortrag zu
halten, um dann den Blicken der Hörer zu entschwinden,
sondern daß er erfährt, welche Ausführungen auf das
Denken der Zuhörer anregend gewirkt haben, und daß
er dann denjenigen Anleitung gibt, die sich weiter ein-
gehend mit dem Gegenstand beschäftigen möchten.
Ihrem Zweck nach sollen die Volkshochschulvorträge
nicht in erster Linie bequeme Unterhaltung, sondern
Unterricht und Belehrung bringen. Dabei erweist es
sich obwohl dies anfangs von Gegnern der Volks-
hochschulbewegung bezweifelt wurde — als durchaus
möglich, daß der Forscher, der dem Volke die Ergeb-
nisse der Wissenschaft vorträgt, streng die Grenzlinie
zieht zwischen solchen Gebieten, die gesicherte wissen-
schaftliche Erkenntnis sind, und denjenigen, in welchen
wir noch uneinig sind und nicht genügende Erkennt-
nisse haben. Die umstrittenen Gebiete und einige
besonders verwickelte Materien, für deren Verständnis
jahrelange Vorbildung erforderlich ist, müsssen natürlich