Full text: Lübeckische Blätter. 1906 ; Verhandlungen der Bürgerschaft. 1906 (48)

163 heute Abend das Hochofenwerk und alles was noch sonst die industrielle Entwicklung Lübecks genannt werden mag, als gegeben voraus, als eine gewaltige Naturkraft, deren Wesen, deren eigentümliche Existenz- bedingungen wir nicht zu ergründen haben, deren Wirkungen allein uns beschäftigen sollen. Und zwar nicht alle ihre Wirkungen, sondern, wie Herr von Thünen lediglich diejenigen Wirkungen in Betracht cz wr Eur.; allein die Wirkungen, die die werdenden industriellen Unternehmungen, zumal das Hochofenwerk, dadurch haben werden, daß ihretwegen eine große Anzahl von Menschen, die jetzt noch anderswo sind, im Lübeckischen Staatsgebiete sich ansiedeln werden. Indem wir un- sere Aufgabe so nehmen, gewinnen wir, wie ich hoffe, etwas von der idealen Unbefangenheit des Experi- mentes, die ich schon im Eingange pries. Mit welchem Rechte aber nehme gerade ich es mir heraus, Sie von diesen Dingen zu unterhalten, ich, der ich weder Aktionär des Hochofenwerkes noch Hochofen- Techniker bin? Ich tue das lediglich in meiner Eigenschaft als Mitglied dieser gemeinnützigen Gesellschaft. Wenn Sie das gedruckte Verzeichnis der in den Versammlungen der Gesellschaft während der ersten hundert Jahre ihres Bestehens gehaltenen Vorträge durchgehen, so finden Sie, namentlich in den ersten Jahrzehnten, eine Menge von Vorträgen über Angelegenheiten des allgemeinen Interesses, die von Nichtfachleuten gehalten sind. Es war damals üblich, daß jeder, der ein Scherflein hatte oder zu haben glaubte, es nicht für sich behielt. In dem Sinne der Gemeinnützigkeit von solcher älterer Art ist der heutige Vortrag gemeint. Es werden Gegen- stände gestreikt werden, die vielen unter meinen Zuhörern weit besser bekannt sind, als mir, und manchen unter Ihnen werden gerade die Lücken be- sonders auffallen, die meine Ausführungen lassen, zumal aber wird es an Widerspruch nicht fehlen. Das alles sehe ich voraus, troßdem aber hoffe ich, Sie werden mir es nicht verargen, daß ich überhaupt meine Stimme erhebe. Denn das Mitreden von Nichtfachleuten in öffentlichen Dingen ist nur dann sicherlich schädlich, wenn der Mitredende gewillt ist, der Stimme des besser Unterrichteten sein Ohr zu verschließen, und wenn er die Macht hat, bei solcher Gesinnung seiner Ansicht dennoch Geltung zu ver- schaffen. Indessen dies besonders zu betonen, ist kaum nötig in einem Gemeinwesen, dessen Leistungs- fähigkeit wesentlich darauf beruht, daß der unab- hängige Bürger seine Meinung vertritt, getrieben von dem Wunsche, dem Wohl des Ganzen zu dienen. Bin ich also auf Einwendungen gefaßt, so sage ich doch schon im voraus, daß ich gegen zwei Ein- wände allerdings taub sein würde, Einwände, die ich auf die Formeln bringen möchte : ] 1. daran ist ja vorläufig noch gar nicht zu denken, 2. aber was wird das für Kosten machen! Daran ist ja vorläufig noch gar nicht zu denken. Ja freilich, an sehr, sehr vieles, was erwogen werden kann, muß vorläufig noch gar nicht oder noch kaum oder erst in beschränktem Maße gedacht werden. Es soll aber jetzt auch eben nicht die Rede sein von dem, was vorläufig einmal gemacht werden muß, was einst- weilen genügt, womit man sich bis auf weiteres ab- finden kann, um die Unbequemlichkeit von der Hand zu bekommen. Das vielmehr soll aufgesucht werden, was v o r bedacht, v o r bereitet, v o r a u s gesehen wer- den muß, wenn etwas Gutes, Großes und Ganzes werden soll. Die Rehderschen Uferbaupläne, die den großartigen Hintergrund abgeben für alles, was uns heute beschäftigt, sind auf Schritt und Tritt dem Einwande ausgesetzt, daran sei vorläufig noch gar nicht zu denken, aber verringert sich dementsprechend ihr Wert? Im Gegenteil, darin gerade liegt ihre Bedeutung, daß sie mehr umfassen, als kurzsichtige Blicke, die nur von heute bis morgen reichen. Régner c'est prévoir. Und was wird das für Kosten machen! Sicher- lich, Kosten werden entstehen, Kosten über Kosten, und die Aufgabe wird groß sein, sie den Nächstinteressierten im Verhältnis ihres Interesses aufzuerlegen, den ferner Stehenden aber auch klar zu machen, daß sie ein Interesse haben, welches zu Ansprüchen an sie be- rechtigt. Ein Sprichwort sagt: umsonst ist der Tod. Das gibt hier viel zu denken. Umfonst ist hier das Mangelhafte zu haben, das nicht Lebensfähige, das Schädliche; Gutes, Großes und Ganzes, zufriedene Regsamkeit, lebendige Entwickelung kostet Geld. Es ist hier so viel Gelegenheit gegeben, mit falscher Sparsamkeit gründlich und nachhaltig zu schaden. Als ich früher in Hannover bei der Staatsanwaltschaft arbeitete, war ein Dezernat unbeliebt wegen der zahl- reichen, schweren und widerwärtigen Straffälle, die unaufhörlich herankamen aus dem JIndustriegebiet, welches sich im Westen der Stadt Hannover von Linden an bis gegen Neustadt am Rübenberge hin erstreckt. Dergleichen können wir uns hier auch leicht verschaffen, aber es wäre doch schade, wenn wir das, was wir an Wohlfahrtseinrichtungen sparten, dem- nächst ausgeben müßten an Strafvollstreckungskosten, wenn das erste Denkmal unserer industriellen Ent- wickelung ein neuer Flügel wäre an der Strafanstalt, die heute noch nicht unter Dach ist. Aber nun zur Sache oder vielmehr näher zur Sache, denn bei der Sache sind wir längst. Viele Menschen werden zu uns kommen, die jetzt noch an- derswo sind, um sich bei uns anzusiedeln. Wer wird
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