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heute Abend das Hochofenwerk und alles was noch
sonst die industrielle Entwicklung Lübecks genannt
werden mag, als gegeben voraus, als eine gewaltige
Naturkraft, deren Wesen, deren eigentümliche Existenz-
bedingungen wir nicht zu ergründen haben, deren
Wirkungen allein uns beschäftigen sollen. Und zwar
nicht alle ihre Wirkungen, sondern, wie Herr von
Thünen lediglich diejenigen Wirkungen in Betracht
cz wr Eur.;
allein die Wirkungen, die die werdenden industriellen
Unternehmungen, zumal das Hochofenwerk, dadurch
haben werden, daß ihretwegen eine große Anzahl von
Menschen, die jetzt noch anderswo sind, im Lübeckischen
Staatsgebiete sich ansiedeln werden. Indem wir un-
sere Aufgabe so nehmen, gewinnen wir, wie ich hoffe,
etwas von der idealen Unbefangenheit des Experi-
mentes, die ich schon im Eingange pries.
Mit welchem Rechte aber nehme gerade ich es
mir heraus, Sie von diesen Dingen zu unterhalten,
ich, der ich weder Aktionär des Hochofenwerkes noch
Hochofen- Techniker bin? Ich tue das lediglich in
meiner Eigenschaft als Mitglied dieser gemeinnützigen
Gesellschaft. Wenn Sie das gedruckte Verzeichnis
der in den Versammlungen der Gesellschaft während
der ersten hundert Jahre ihres Bestehens gehaltenen
Vorträge durchgehen, so finden Sie, namentlich in
den ersten Jahrzehnten, eine Menge von Vorträgen
über Angelegenheiten des allgemeinen Interesses, die
von Nichtfachleuten gehalten sind. Es war damals
üblich, daß jeder, der ein Scherflein hatte oder zu
haben glaubte, es nicht für sich behielt. In dem
Sinne der Gemeinnützigkeit von solcher älterer Art
ist der heutige Vortrag gemeint. Es werden Gegen-
stände gestreikt werden, die vielen unter meinen
Zuhörern weit besser bekannt sind, als mir, und
manchen unter Ihnen werden gerade die Lücken be-
sonders auffallen, die meine Ausführungen lassen,
zumal aber wird es an Widerspruch nicht fehlen.
Das alles sehe ich voraus, troßdem aber hoffe ich,
Sie werden mir es nicht verargen, daß ich überhaupt
meine Stimme erhebe. Denn das Mitreden von
Nichtfachleuten in öffentlichen Dingen ist nur dann
sicherlich schädlich, wenn der Mitredende gewillt ist,
der Stimme des besser Unterrichteten sein Ohr zu
verschließen, und wenn er die Macht hat, bei solcher
Gesinnung seiner Ansicht dennoch Geltung zu ver-
schaffen. Indessen dies besonders zu betonen, ist
kaum nötig in einem Gemeinwesen, dessen Leistungs-
fähigkeit wesentlich darauf beruht, daß der unab-
hängige Bürger seine Meinung vertritt, getrieben von
dem Wunsche, dem Wohl des Ganzen zu dienen.
Bin ich also auf Einwendungen gefaßt, so sage
ich doch schon im voraus, daß ich gegen zwei Ein-
wände allerdings taub sein würde, Einwände, die ich
auf die Formeln bringen möchte : ]
1. daran ist ja vorläufig noch gar nicht zu denken,
2. aber was wird das für Kosten machen!
Daran ist ja vorläufig noch gar nicht zu denken. Ja
freilich, an sehr, sehr vieles, was erwogen werden
kann, muß vorläufig noch gar nicht oder noch kaum
oder erst in beschränktem Maße gedacht werden. Es
soll aber jetzt auch eben nicht die Rede sein von dem,
was vorläufig einmal gemacht werden muß, was einst-
weilen genügt, womit man sich bis auf weiteres ab-
finden kann, um die Unbequemlichkeit von der Hand
zu bekommen. Das vielmehr soll aufgesucht werden,
was v o r bedacht, v o r bereitet, v o r a u s gesehen wer-
den muß, wenn etwas Gutes, Großes und Ganzes
werden soll. Die Rehderschen Uferbaupläne, die den
großartigen Hintergrund abgeben für alles, was uns
heute beschäftigt, sind auf Schritt und Tritt dem
Einwande ausgesetzt, daran sei vorläufig noch gar
nicht zu denken, aber verringert sich dementsprechend
ihr Wert? Im Gegenteil, darin gerade liegt ihre
Bedeutung, daß sie mehr umfassen, als kurzsichtige
Blicke, die nur von heute bis morgen reichen. Régner
c'est prévoir.
Und was wird das für Kosten machen! Sicher-
lich, Kosten werden entstehen, Kosten über Kosten, und
die Aufgabe wird groß sein, sie den Nächstinteressierten
im Verhältnis ihres Interesses aufzuerlegen, den
ferner Stehenden aber auch klar zu machen, daß sie ein
Interesse haben, welches zu Ansprüchen an sie be-
rechtigt. Ein Sprichwort sagt: umsonst ist der Tod.
Das gibt hier viel zu denken. Umfonst ist hier das
Mangelhafte zu haben, das nicht Lebensfähige, das
Schädliche; Gutes, Großes und Ganzes, zufriedene
Regsamkeit, lebendige Entwickelung kostet Geld. Es
ist hier so viel Gelegenheit gegeben, mit falscher
Sparsamkeit gründlich und nachhaltig zu schaden.
Als ich früher in Hannover bei der Staatsanwaltschaft
arbeitete, war ein Dezernat unbeliebt wegen der zahl-
reichen, schweren und widerwärtigen Straffälle, die
unaufhörlich herankamen aus dem JIndustriegebiet,
welches sich im Westen der Stadt Hannover von
Linden an bis gegen Neustadt am Rübenberge hin
erstreckt. Dergleichen können wir uns hier auch leicht
verschaffen, aber es wäre doch schade, wenn wir das,
was wir an Wohlfahrtseinrichtungen sparten, dem-
nächst ausgeben müßten an Strafvollstreckungskosten,
wenn das erste Denkmal unserer industriellen Ent-
wickelung ein neuer Flügel wäre an der Strafanstalt,
die heute noch nicht unter Dach ist.
Aber nun zur Sache oder vielmehr näher zur
Sache, denn bei der Sache sind wir längst. Viele
Menschen werden zu uns kommen, die jetzt noch an-
derswo sind, um sich bei uns anzusiedeln. Wer wird