Full text: Lübeckische Blätter. 1906 ; Verhandlungen der Bürgerschaft. 1906 (48)

148 anstaltungen, die m. E. ohne weiteres als Muster für Lübeck dienen könnten, enthält der Bericht über die Entwicklung der Literarischen Gesellschaft in Hamburg in den ersten zehn Jahren ihres Bestehens folgende interessante Schilderung. „Unsere Epoche steht so unter dem Zeichen des großen Mitleids, daß einzelne ,originelle" Geister schon längst begonnen haben, es als banal zu empfinden, wenn man seine Kräfte in den Dienst des aufstrebenden vierten Standes stellt. Aber die starke Sehnsucht der Edelgesinnten wird durch diese natürliche individualistische Reaktion wenig berührt und mehr als je wird heute jene Anschauung bekämpft, die Pfaffen aller Arten und Zeiten beseelte und durch den alten Scholastikee Thomas von Aquino unverhohlenen Ausdruck gefunden hat: „Für die Sklaven, die das Land bebauen, ist es zuträglich, daß sie stark am Körper, aber schwach an Verstande sind, denn so werden sie nüglicher sein für die Be- arbeitung des Landes und nicht ausarten in Umtriebe wider ihre Herren.! Für ein so lediglich auf Bildungsbestrebungen gerichtetes Unternehmen, wie die literarische Gesellschaft, war es selbstverständliche Pflicht, dieser auch heute noch stark verbreiteten An- schauung durch die Tat entgegenzutreten. Sie kannte den Wissensdrang vieler, weniger im Geiste als an Gelde Armen, ihren Hunger nach künstlerischem Ge- nuß und hatte vor allem das Herzensbedürfnis, in Hamburg eine immer wachsende, immer unabsehbarere Kunstgemeinde zu schaffen. So griff sie zur Einrichtung der großen Volks. unterhaltungsabende, die für Hamburg bahnbrechend gewirkt haben und vielleicht ihre schönste Tat sind. Die Idee war keineswegs neu. In anderen Städten waren solche Abende schon viele Jahre vorher mit großer Hingabe unternommen worden; auch in Ham- burg hatte sie der Verein „Freie Volksbühne“ wieder- holt veranstaltet, ohne damit eine Höhe zu erreichen, die vorbildlich wirken konnte. Der Verein ham- burgischer Musikfreunde hatte allerdings schon früher mit ausgezeichneten billigen Volkskonzerten begonnen. Der Gesellschaft war es vorbehalten, mit wirklich bedeutsamen literarischen Voltsunterhaltungsabenden im Frühjahr 1898 herauszutreten. Mancherlei Bestrebungen zur Hebung des Kunst- sinns im Volke hatten ungefähr gleichzeitig eingesetzt. Die hamburgischen Volksschullehrer waren sehr stark daran beteiligt. Die aus ihren Reihen gegründete „Lehrervereinigung zur Pflege der künstlerischen Bildung,“ deren begeisterungsvolle, selbstlose Tätig- keit noch lange nicht genug Würdigung und Ver-. ständnis findet, hatte eine lebhafte Agitation für die Pflege der Kunst in der Schule eingeleitet, Vor- stellungen klassischer Dramen und Konzerte erwirkt, zu denen lediglich Volksschiler Zutritt fanden. Auch die öffentliche Bücherhalle hatte bald darauf unter der verdienstvollen Führung der Patriotischen Gesellschaft ihre segensreiche Tätigkeit begonnen. Die literarische Gesellschaft hat bei ihren Volks- unterhaltungsabenden lediglich Kunst- und Bildungs- zielen nachgestrebt. Man dürfte vielleicht davon reden, daß es nebenher auch ein ideales Endziel dieser Abende sein könnte, ein etwas versöhnlicheres Element in die Betrachtung der sozialen Frage zu bringen. Die Gesellschaft hat daran uiemals gedacht; sie stand völlig unabhängig und frei von allen Vor- urteilen auf der Höhe reiner Kunstbetätigung und dachte nicht daran, ihr Werk mit politischen und religiösen Tendenzen zu verquicken, wie es an vielen anderen Orten geschah. Nur zu edelstem Ge- nuß wollte sie bilden und erziehen und dazu sollten ihr vor allem die großen und reinen Mittel unserer Literaturschäte dienen. Durch ihre unaussprechlichen Wirkungen gedachte sie die Herzen und den Geist ttkesansener Menschen aufzurichten und emporzu- ilden. Der Vorstand hatte mit den Volksunterhaltungs- abenden ursprünglich sehr weitgehende Pläne. Er versuchte eine staatliche Subvention zu erlangen, um dem Unternehmen eine großartige, tiefgreifende Aus- dehnung geben zu können. So hatte er z. B. die kühne Hoffnung, die Vorführung bedeutender Dramen in mustergiltigen Aufführungen zu ganz niedrigen Preisen ermöglichen zu können. Da jedoch die erhoffte Ettite Juielttit ausblieb, mußte man sich escheiden. Aber auch so haben diese Abende ihrem Zweck vortrefflich gedient und vielfach anregend gewirkt. Sie zeigen ihre bestimmten charakteristischen Merk- male. Indem die meisten derartigen Veranstaltungen die Unterhaltung allzusehr in den Vordergrund stellen und durch ein recht bunt gemischtes Programm große Abwechslung zu erreichen suchen, zeigen sie einen gewissen Mangel an einheitlicher, vertiefter Stimmung und entbehren des starken, nachhaltigen Eindrucks, weil sie zerstreuend wirken und so das Interesse zersplittern. Die Abende der literarischen Gesellschaft sind ebensosehr auf geistige Anregung wie auf ästhetische Erquickung gestellt. Durch alle Veranstaltungen ging ein leitender Gedanke, ein einheitlicher, nur mit ver- schiedenen Kunsstmitteln zum Ausdruck gebrachter *) Die nicht bewilligte Subvention war jedoch die mittelbare Veranlassung, daß der Gessellschaft aus einer wohl- gen. Lahurs:: Etiftvuq etre. Senkung, von trtze Mark üuerwicien gr t die qrte fit die Hotte: bei dem billigen Eintrittspreise von 20 Pf. ein Defizit ergaben.
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