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anstaltungen, die m. E. ohne weiteres als Muster
für Lübeck dienen könnten, enthält der Bericht über
die Entwicklung der Literarischen Gesellschaft in
Hamburg in den ersten zehn Jahren ihres Bestehens
folgende interessante Schilderung.
„Unsere Epoche steht so unter dem Zeichen des
großen Mitleids, daß einzelne ,originelle" Geister
schon längst begonnen haben, es als banal zu
empfinden, wenn man seine Kräfte in den Dienst
des aufstrebenden vierten Standes stellt. Aber die
starke Sehnsucht der Edelgesinnten wird durch diese
natürliche individualistische Reaktion wenig berührt
und mehr als je wird heute jene Anschauung bekämpft,
die Pfaffen aller Arten und Zeiten beseelte und
durch den alten Scholastikee Thomas von Aquino
unverhohlenen Ausdruck gefunden hat: „Für die
Sklaven, die das Land bebauen, ist es zuträglich,
daß sie stark am Körper, aber schwach an Verstande
sind, denn so werden sie nüglicher sein für die Be-
arbeitung des Landes und nicht ausarten in Umtriebe
wider ihre Herren.! Für ein so lediglich auf
Bildungsbestrebungen gerichtetes Unternehmen, wie
die literarische Gesellschaft, war es selbstverständliche
Pflicht, dieser auch heute noch stark verbreiteten An-
schauung durch die Tat entgegenzutreten. Sie kannte
den Wissensdrang vieler, weniger im Geiste als an
Gelde Armen, ihren Hunger nach künstlerischem Ge-
nuß und hatte vor allem das Herzensbedürfnis, in
Hamburg eine immer wachsende, immer unabsehbarere
Kunstgemeinde zu schaffen.
So griff sie zur Einrichtung der großen Volks.
unterhaltungsabende, die für Hamburg bahnbrechend
gewirkt haben und vielleicht ihre schönste Tat sind.
Die Idee war keineswegs neu. In anderen Städten
waren solche Abende schon viele Jahre vorher mit
großer Hingabe unternommen worden; auch in Ham-
burg hatte sie der Verein „Freie Volksbühne“ wieder-
holt veranstaltet, ohne damit eine Höhe zu erreichen,
die vorbildlich wirken konnte. Der Verein ham-
burgischer Musikfreunde hatte allerdings schon früher
mit ausgezeichneten billigen Volkskonzerten begonnen.
Der Gesellschaft war es vorbehalten, mit wirklich
bedeutsamen literarischen Voltsunterhaltungsabenden
im Frühjahr 1898 herauszutreten.
Mancherlei Bestrebungen zur Hebung des Kunst-
sinns im Volke hatten ungefähr gleichzeitig eingesetzt.
Die hamburgischen Volksschullehrer waren sehr stark
daran beteiligt. Die aus ihren Reihen gegründete
„Lehrervereinigung zur Pflege der künstlerischen
Bildung,“ deren begeisterungsvolle, selbstlose Tätig-
keit noch lange nicht genug Würdigung und Ver-.
ständnis findet, hatte eine lebhafte Agitation für die
Pflege der Kunst in der Schule eingeleitet, Vor-
stellungen klassischer Dramen und Konzerte erwirkt,
zu denen lediglich Volksschiler Zutritt fanden.
Auch die öffentliche Bücherhalle hatte bald darauf
unter der verdienstvollen Führung der Patriotischen
Gesellschaft ihre segensreiche Tätigkeit begonnen.
Die literarische Gesellschaft hat bei ihren Volks-
unterhaltungsabenden lediglich Kunst- und Bildungs-
zielen nachgestrebt. Man dürfte vielleicht davon
reden, daß es nebenher auch ein ideales Endziel
dieser Abende sein könnte, ein etwas versöhnlicheres
Element in die Betrachtung der sozialen Frage zu
bringen. Die Gesellschaft hat daran uiemals gedacht;
sie stand völlig unabhängig und frei von allen Vor-
urteilen auf der Höhe reiner Kunstbetätigung und
dachte nicht daran, ihr Werk mit politischen und
religiösen Tendenzen zu verquicken, wie es an
vielen anderen Orten geschah. Nur zu edelstem Ge-
nuß wollte sie bilden und erziehen und dazu sollten
ihr vor allem die großen und reinen Mittel unserer
Literaturschäte dienen. Durch ihre unaussprechlichen
Wirkungen gedachte sie die Herzen und den Geist
ttkesansener Menschen aufzurichten und emporzu-
ilden.
Der Vorstand hatte mit den Volksunterhaltungs-
abenden ursprünglich sehr weitgehende Pläne. Er
versuchte eine staatliche Subvention zu erlangen, um
dem Unternehmen eine großartige, tiefgreifende Aus-
dehnung geben zu können. So hatte er z. B. die
kühne Hoffnung, die Vorführung bedeutender Dramen
in mustergiltigen Aufführungen zu ganz niedrigen
Preisen ermöglichen zu können. Da jedoch die erhoffte
Ettite Juielttit ausblieb, mußte man sich
escheiden.
Aber auch so haben diese Abende ihrem Zweck
vortrefflich gedient und vielfach anregend gewirkt.
Sie zeigen ihre bestimmten charakteristischen Merk-
male. Indem die meisten derartigen Veranstaltungen
die Unterhaltung allzusehr in den Vordergrund
stellen und durch ein recht bunt gemischtes Programm
große Abwechslung zu erreichen suchen, zeigen sie
einen gewissen Mangel an einheitlicher, vertiefter
Stimmung und entbehren des starken, nachhaltigen
Eindrucks, weil sie zerstreuend wirken und so das
Interesse zersplittern.
Die Abende der literarischen Gesellschaft sind
ebensosehr auf geistige Anregung wie auf ästhetische
Erquickung gestellt. Durch alle Veranstaltungen ging
ein leitender Gedanke, ein einheitlicher, nur mit ver-
schiedenen Kunsstmitteln zum Ausdruck gebrachter
*) Die nicht bewilligte Subvention war jedoch die
mittelbare Veranlassung, daß der Gessellschaft aus einer wohl-
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bei dem billigen Eintrittspreise von 20 Pf. ein Defizit ergaben.