als derzeit schon in der sogenannten Steuerfindungs-.
kommission geschehen ist, bin ich für den Antrag des
Herrn Dr. Wittern und empfehle die Annahme des.
selben. Ich würde mich sehr freuen, wenn die Bürger-
schaft sich entschließen könnte, diesen Antrag dem Bürger-
ausschuß zur näheren Prüfung zu überweisen. (Bravo.)
Dr. Witt ern: Ich möchte nur auf die von
Herrn Windel angeregte Frage eingehen. Die Ant-
wort des Herrn ständigen Senatskommissars Senator
Dr. Schön ist um deswegen nicht ganz genügend,
weil er die Frage vielleicht nicht ganz so verstanden
hat, wie sie gemeint war. Herr Windel hat gefragt:
wie wird es, wenn jettt ein Gastwirt, der an der
Untertrave eine Wirtschaft betreibt, durch die Höher-
legung der Straße mehr in die Tiefe kommt? Läuft
er, wenn er selbst jezt auch unbehelligt bleibt, bei
späterem Verkauf Gefahr, daß dem Käufer die
Konzession nicht erteilt wird? Auf diese Frage
gibt es nach meinem Dafürhalten nur eine klare
Antwort. Die Frage, die in solchem Falle allein
zu prüfen sein wird, ist einzig und allein die Be-
dürfnisfrage. Denn wenn der jetzige Wirt die
Schankwirtschaft, soweit die Beschaffenheit des Lokals
in Frage kommt, anstandslos betreiben darf, muß
das auch der Nachfolger tun dürfen. Sonst müßte
man die Konzession dem Wirte jett schon entziehen.
Herr Windel fürchtet aber, daß, wenn einer der be-
teiligten Wirte sein Grundstück verkauft, das Polizei-
amt dann plötlich sagt: Ja, Freund, jezt bekommst
du keine Konzesssion, nicht, weil kein Bedürfnis vor-
liegt, sondern weil das Lokal nicht ausreicht. Dann
würde der Wirt noch ganz besonders durch die
Höherlegung geschädigt werden. Ich freue mich, daß
Herr Windel die Frage gestellt hat. Ich wünsche
aber, daß kein einziger Fall zu verzeichnen sein wird,
in dem man auf diese Weise die Gastwirte indirekt
zwingt, ihr Haus herunterzulegen und höher zu
bauen. Eine andere Frage als die Bedürfnisfrage
kann nicht entscheidend sein. .
Thiele: Ich bin für den Antrag Dr. Wittern.
Nicht allein den Gastwirten geht es so, sondern auch
den Privatleuten. Ich habe mir die Straße nicht
nur einmal angesehen, sondern mehrmals. Wenn
sich die Verhältnisse die Wohnungspfleger ansehen,
werden sie sagen müssen, da dürft ihr nicht wohnen.
Die Leute wohnen jett stellenweise im Keller. Ich
weiß aus eigener Erfahrung, wie es mir in der
Großen Burgstraße gegangen ist. Da ist die Straße
höher gelegt. Nicht allein, daß ich Geld hergegeben
habe zum Umbau meines Hauses, wovon ich keinen
Vorteil habe + mir wurde auch gesagt, das Haus
habe später mehr Wert, aber das ist natürlich
Zukunftsmusik -, ich habe die Summe auch noch
versteuern müssen. (Heiterkeit.)
507T —
Verhandl. d. Bürgerschaft am 1. Oktober 1906.
Die Bürgerschaft beschließt hierauf, den Antrag
von Dr. Wittern zur näheren Erwägung an den
Bürgerausschuß zu verweisen.
Es folgt die Beratung des Antrages von Dr.
Leverkühn.
Dr. Lev erkühn: Es ist nicht meine Absicht,
das zu wiederholen, was ich im Sommer eines
Abends hier gesprochen habe, an jenem Abend, an
dem ich die Freude hatte, daß mein Antrag mit
großer Mehrheit an den Bürgerausschuß zur Vor-
prüfung überwiesen wurde, der Antrag, den ich,
unterstützt von einer ansehnlichen Reihe von Bürger-
schaftsmitgliedern, gestellt hatte. Das wird jeden-
falls denen von vornherein zusagen, die im Industrie-
gebiet nur materielle Werte pflegen und sich ange-
legen sein lassen, vielleicht weniger denen, die mit
mir meinen, daß in jenem Gebiete auch ideale Werte
vorhanden sind, die der Förderung bedürfen. Aber
das sei, wie es wolle. Sie wissen im allgemeinen
darüber Bescheid, was ich gewollt habe. Was ich
gewollt habe, habe ich hier und an anderer Stelle,
wo ich den Vortrag gehalten habe, vorgebracht. Nicht
in der Auffassung, als ob mir eine Art Unfehlbar-
keit in diesen Dingen oder speziell technisches Wissen
eigen wäre. Keineswegs! Das, was ich für mich
in Anspruch genommen habe und in Anspruch nehme,
ist, klargelegt zu haben, daß eine ganze Reihe von
wichtigen Fragen dort der Lösung harren. Das be-
haupte ich nicht nur, das ist wirklich so, ich aber
habe außerdem die Meinung vertreten, sie könnten
einer Lösung insbesondere dann entgegengeführt wer-
den, wenn eine Zentralstelle mit ihrer Bearbeitung
ssich beschäftigte. Soll das nun nicht sein, dann
nicht. Wer für diese Fragen die Augen offen hat,
der wird immer aufs neue auf sie hingewiesen.
Vor wenigen Tagen ist mir die Anzeige eines
Buches in die Hände gekommen, das ich inzwischen
natürlich noch nicht gelesen habe oder mir habe ver-
schaffen können. Es ist verfaßt von einem Herrn
P. F. Walli, Doktor der Rechte und der Staats-
wissenschaften in Baden. Baden ist ein Land, in
dem, wenn ich so sagen darf, die Verländlichung der
Industrie sehr eigentümliche Gestalten angenommen
hat. Dieses Buch beschäftigt sich mit der Dezen-
tralisation der Industrie und der Arbeiterschaft in
Baden und mit der Verbreitung des Mehrfamilien-
hauses, der Mietskaserne, auf dem Lande; es ist in
diesem Jahre in Karlsruhe erschienen. Ich darf
wohl zwei Stücke aus der Anzeige mitteilen. „„Ge-
wisse Industrien bevorzugen die Stadt. Dann
wohnen die Arbeiter in der Stadt oder sie werden
in die Stadt gezogen (Landflucht), oder aber sie
müssen weite Strecken zu Fuß, zu Rad, zu Bahn
zurücklegen zwischen Wohnort und Arbeitsstätte. Die