Full text: Lübeckische Blätter. 1906 ; Verhandlungen der Bürgerschaft. 1906 (48)

als derzeit schon in der sogenannten Steuerfindungs-. kommission geschehen ist, bin ich für den Antrag des Herrn Dr. Wittern und empfehle die Annahme des. selben. Ich würde mich sehr freuen, wenn die Bürger- schaft sich entschließen könnte, diesen Antrag dem Bürger- ausschuß zur näheren Prüfung zu überweisen. (Bravo.) Dr. Witt ern: Ich möchte nur auf die von Herrn Windel angeregte Frage eingehen. Die Ant- wort des Herrn ständigen Senatskommissars Senator Dr. Schön ist um deswegen nicht ganz genügend, weil er die Frage vielleicht nicht ganz so verstanden hat, wie sie gemeint war. Herr Windel hat gefragt: wie wird es, wenn jettt ein Gastwirt, der an der Untertrave eine Wirtschaft betreibt, durch die Höher- legung der Straße mehr in die Tiefe kommt? Läuft er, wenn er selbst jezt auch unbehelligt bleibt, bei späterem Verkauf Gefahr, daß dem Käufer die Konzession nicht erteilt wird? Auf diese Frage gibt es nach meinem Dafürhalten nur eine klare Antwort. Die Frage, die in solchem Falle allein zu prüfen sein wird, ist einzig und allein die Be- dürfnisfrage. Denn wenn der jetzige Wirt die Schankwirtschaft, soweit die Beschaffenheit des Lokals in Frage kommt, anstandslos betreiben darf, muß das auch der Nachfolger tun dürfen. Sonst müßte man die Konzession dem Wirte jett schon entziehen. Herr Windel fürchtet aber, daß, wenn einer der be- teiligten Wirte sein Grundstück verkauft, das Polizei- amt dann plötlich sagt: Ja, Freund, jezt bekommst du keine Konzesssion, nicht, weil kein Bedürfnis vor- liegt, sondern weil das Lokal nicht ausreicht. Dann würde der Wirt noch ganz besonders durch die Höherlegung geschädigt werden. Ich freue mich, daß Herr Windel die Frage gestellt hat. Ich wünsche aber, daß kein einziger Fall zu verzeichnen sein wird, in dem man auf diese Weise die Gastwirte indirekt zwingt, ihr Haus herunterzulegen und höher zu bauen. Eine andere Frage als die Bedürfnisfrage kann nicht entscheidend sein. . Thiele: Ich bin für den Antrag Dr. Wittern. Nicht allein den Gastwirten geht es so, sondern auch den Privatleuten. Ich habe mir die Straße nicht nur einmal angesehen, sondern mehrmals. Wenn sich die Verhältnisse die Wohnungspfleger ansehen, werden sie sagen müssen, da dürft ihr nicht wohnen. Die Leute wohnen jett stellenweise im Keller. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie es mir in der Großen Burgstraße gegangen ist. Da ist die Straße höher gelegt. Nicht allein, daß ich Geld hergegeben habe zum Umbau meines Hauses, wovon ich keinen Vorteil habe + mir wurde auch gesagt, das Haus habe später mehr Wert, aber das ist natürlich Zukunftsmusik -, ich habe die Summe auch noch versteuern müssen. (Heiterkeit.) 507T — Verhandl. d. Bürgerschaft am 1. Oktober 1906. Die Bürgerschaft beschließt hierauf, den Antrag von Dr. Wittern zur näheren Erwägung an den Bürgerausschuß zu verweisen. Es folgt die Beratung des Antrages von Dr. Leverkühn. Dr. Lev erkühn: Es ist nicht meine Absicht, das zu wiederholen, was ich im Sommer eines Abends hier gesprochen habe, an jenem Abend, an dem ich die Freude hatte, daß mein Antrag mit großer Mehrheit an den Bürgerausschuß zur Vor- prüfung überwiesen wurde, der Antrag, den ich, unterstützt von einer ansehnlichen Reihe von Bürger- schaftsmitgliedern, gestellt hatte. Das wird jeden- falls denen von vornherein zusagen, die im Industrie- gebiet nur materielle Werte pflegen und sich ange- legen sein lassen, vielleicht weniger denen, die mit mir meinen, daß in jenem Gebiete auch ideale Werte vorhanden sind, die der Förderung bedürfen. Aber das sei, wie es wolle. Sie wissen im allgemeinen darüber Bescheid, was ich gewollt habe. Was ich gewollt habe, habe ich hier und an anderer Stelle, wo ich den Vortrag gehalten habe, vorgebracht. Nicht in der Auffassung, als ob mir eine Art Unfehlbar- keit in diesen Dingen oder speziell technisches Wissen eigen wäre. Keineswegs! Das, was ich für mich in Anspruch genommen habe und in Anspruch nehme, ist, klargelegt zu haben, daß eine ganze Reihe von wichtigen Fragen dort der Lösung harren. Das be- haupte ich nicht nur, das ist wirklich so, ich aber habe außerdem die Meinung vertreten, sie könnten einer Lösung insbesondere dann entgegengeführt wer- den, wenn eine Zentralstelle mit ihrer Bearbeitung ssich beschäftigte. Soll das nun nicht sein, dann nicht. Wer für diese Fragen die Augen offen hat, der wird immer aufs neue auf sie hingewiesen. Vor wenigen Tagen ist mir die Anzeige eines Buches in die Hände gekommen, das ich inzwischen natürlich noch nicht gelesen habe oder mir habe ver- schaffen können. Es ist verfaßt von einem Herrn P. F. Walli, Doktor der Rechte und der Staats- wissenschaften in Baden. Baden ist ein Land, in dem, wenn ich so sagen darf, die Verländlichung der Industrie sehr eigentümliche Gestalten angenommen hat. Dieses Buch beschäftigt sich mit der Dezen- tralisation der Industrie und der Arbeiterschaft in Baden und mit der Verbreitung des Mehrfamilien- hauses, der Mietskaserne, auf dem Lande; es ist in diesem Jahre in Karlsruhe erschienen. Ich darf wohl zwei Stücke aus der Anzeige mitteilen. „„Ge- wisse Industrien bevorzugen die Stadt. Dann wohnen die Arbeiter in der Stadt oder sie werden in die Stadt gezogen (Landflucht), oder aber sie müssen weite Strecken zu Fuß, zu Rad, zu Bahn zurücklegen zwischen Wohnort und Arbeitsstätte. Die
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