Full text: Lübeckische Blätter. 1906 ; Verhandlungen der Bürgerschaft. 1906 (48)

431 ö Verhandl. d. Bürgerschaft am 17. Septbr. 1906. Herrn Vorredners gegen das Klassenwesen sind in keiner Weise begründet. Er hat dann noch einen Punkt hervorgehoben, auf den ich kurz eingehen möchte. Das ist der, man möge diejenigen Sachen, zu deren Besorgung und Beschaffung sich manche Geschäftsleute unmittelbar nach dem Bekanntwerden eines Todesfalles an die Hinterbliebenen herandrängen und, wie ich zugeben muß, in häufig wenig taktvoller Weise herandrängen, direkt von der Stadt aus zu liefern und zu über- nehmen, wie das angeblich in Frankfurt am Main der Fall oder beabsichtigt sein soll. Diese Frage ist bereits früher einmal grundsätzllich von der früheren Kirchhofs. und Begräbnisdeputation, der jeßzigen Kirchhofsbehörde, erörtert worden. Der Senat hat den ihm darüber erstatteten und von ihm gebilligten Bericht der Bürgerschaft mitgeteilt, und zwar als Nr. 5 der Drucksachen vom Jahre 1900. Der Bericht hat sich allerdings nicht befaßt mit der Lieferung auch der Särge und der dazu gehörigen Sachen, sondern nur mit der der Pflanzen, Leuchter und was dahin gehört. Dort ist ausführlich dar- gelegt worden, daß nach Ansicht der Kirchhofsbehörde ein solches Vorgehen unter anderem aus Rücksicht auf die wirtschaftliche Lage einer nicht geringen An- zahl Gewerbetreibender besser unterbliebe. Es ist in ihm ferner dargelegt, daß, wenn man z. B. die Lieferung des Pflanzenschmuckes übernehmen wollte, die Behörde natürlich außer den Pflanzen jelbst auch die dafür nötigen Unterkunftsräume beschaffen müßte. Dann würden aber wahrscheinlich, wenn man nicht etwa ein Monopol schaffen wolle, was im allgemeinen grundsätzlich zu verwerfen Jei, die Privatunternehmer sich den Preisen der Gemeinde anpassen oder sie gar noch unterbieten. Jedenfalls würden schließlich doch die Unternehmer die Ge- schäfte machen, und die Stadt würde mit ihren Beständen an Coniferen und Palmen und ihren Gewächshäusern sitzen bleiben und sie nicht genügend ausnutzen können. Daher glaubte die Behörde, daß dieser Weg nicht zum Ziele führe. In bezug auf die Leuchterfrage wurde ausgeführt, daß die Preise für die Leuchter und Lichte durchaus angemessen jeien und daß darum auch hier kein Grund vorläge, dem Privatunternehmer Konkurrenz zu machen. Die Anregungen des Herrn Vorredners lassen sich nur dann verwirklichen, wenn man für die Friedhofsbehörde ein Monopol in bezug auf die Lieferung der Särge, der Dekorationen usw. schafft. Wenn Sie das Monopol wollen, ist die Sache zu machen, sonst nicht. _ Wiss ell: Ich möchte nur einigen Worten des Herrn Senator Dr. Stooss entgegentreten. Er be- streitet, daß ein unsozialer Geist aus der Vorlage weht, und beruft sich darauf, daß, nachdem nunmehr 70 Jahre das Klassenwesen hier bestanden habe, gar kein Grund vorliege, irgend etwas zu ändern. Als damals das Klassenwesen hier in Lübeck beim Begräbniswesen eingeführt wurde, war das gesamte Staatswesen in Klassen und Stände eingeteilt. Was aber damals maßgebend war, ist nicht der Beweis dafür, daß es auch heute noch maßgebend sein müßte. Mag es für die damalige Zeit richtig gewesen sein, in der heutigen Zeit gilt es nicht mehr, und Unterschiede dem Toten gegenüber sollten nicht gemacht werden. Der Herr Senator irrt auch, wenn er meint, daß keine Anregungen hervorgetreten seien, die darauf hinausliefen, dieses Klassenwesen abzuschaffen oder zu ändern. O doch! Allerdings nur das Klassenwesen in seiner extremsten und schärfsten Form hat man ändern wollen. In der Vorlage X1, dem Kommissionsbericht des Bürger- ausschusses zur Prüfung der Senatsvorlage betreffs Neuregelung des städtischen Begräbniswesens, heißt es im zweiten Absaß auf Seite 4: „Der jetzt noch häufig durch die Straßen der Stadt fahrende kahle Armenleichenwagen mit seinem oft des Blumen- schmucks völlig entbehrenden Sarge läßt den Unter- schied zwischen arm und reich so grell hervortreten, daß der Anblick ein wenig erfreulicher ist, daß viel- mehr schon aus sozialen Gründen eine Anderung der bisherigen Gepflogenheit wünschenswert erscheint.“ Das erkennt die Kommission hier an, allerdings nur bezüglich des Gegensazes zwischen den beiden äußersten Spitzen. Aber wenn es im allgemeinen zutrifft, trifft es auch zu für die einzelnen Gliede- rungen in dem ganzen Begräbniswesen. Ich werde darauf bei dem diesbezüglichen Paragraphen noch zurückkommen. Jh meine, im allgemeinen ist es ein unsozialer Geist, das ist in diesem Bericht, den ich eben erwähnte, selbst anerkannt, der darauf hin- ausgeht, bei Überführung der Leiche zur endgültigen Bestattung noch einmal einen Unterschied zu machen. Ich kann das wenigstens für sozial nicht ansehen, sondern für recht unsozial, und ich muß Sie daher dringend bitten, daß Sie dem von mir gestellten Antrag Ihre Zustimmung geben. Wenn Sie nicht so weit gehen wollen, wie es in der Schweiz ist, weil Sie meinen, die Kosten würden von unserm Gemeinwesen nicht getragen werden können, machen Sie es doch wenigstens so, wie es in Frankfurt a. M. in Vorschlag gebracht worden ist, daß nämlich [:: Srliris tiver Srbghr Vie t crtt "s uht Die Bedenken, daß man eingreift in die Rechts- sphäre jetzt schon bestehender Geschäfte, trifft ja auch zu bei den Unternehmungen und Veranstaltungen des Staates auf jedem andern Gebiete, die irgendwie
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