Full text: Lübeckische Blätter. 1906 ; Verhandlungen der Bürgerschaft. 1906 (48)

tatsächlich so, daß man unter einem Zwang steht, dem man sich kaum entziehen kann. Wie groß dieser Zwang ist, geht ja aus den Worten des Herrn Windel hervor, der diejenigen Leute, die in dieser Hinsicht von der Regel abweichen, gar als Maul- würfe bezeichnet, die an der Grundlage seiner Existenz wühlen. Ich bin im Grundprinzip natürlich völlig mit den Ausführungen des Herrn Windel insofern einverstanden, als ich es auch für verkehrt halte, ein einzelnes Gewerbe, eine einzelne Berufs- schicht herauszugreifen und sie mit Steuern zu belasten, damit sie dazu beiträgt, die Kasse des Staates zu füllen. Das halte ich für ganz verkehrt, und darum werde ich gegen die Vorlage stimmen. Ich meine, mit Zwang kann man das Trinken nicht bekämpfen, kann man nichts erreichen, man soll durch Überredung und Überzeugung wirken und dann der eigenen Überlegung und der freien Entschließung des einzelnen und der Einwirkung der Zeit das Weitere überlassen. Aber da ich einmal bei diesem Thema bin, gestatten Sie mir, daß ich auf einiges noch eingehe, die wesentlichen Gesichtspunkte wird mein Freund Schwartz noch erörtern. (Unruhe.) Ob es Ihnen angenehm ist oder nicht, kann ich nicht ändern, das ist mir auch ganz gleichgültig. Ich spreche auch nicht Ihnen zuliebe, sondern ich sage das, was ich für notwendig erachte. Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß in diesem Geset das preußische Vorbild etwas gar zu sehr kopiert ist. Es ist gesagt worden, daß, wenn jemand die Steuer nicht rechtzeitig entrichtet, der Betrieb geschlossen werden kann. Es hat damit der Senat den § 63 des preußischen Gewerbesteuergesezes Absatz II kopiert, nur daß dort dasselbe mit andern Worten gesagt ist wie hier. Der betreffende Absay lautet: „Nach fruchtloser Zwangsvollstreckung kann bis zur vollständigen Entrichtung des Rückstandes die fernere Ausübung des ssteuerpflichtigen Betriebes untersagt und die Einstellung desselben durch Schließung und Versiegelung der Geschäftsräume erzwungen werden." Nun ist aber in den preußischen Gewerbesteuergeset auch die Bestimmung enthalten, daß Betriebe, die ein Einkommen bis M 1500 im Jahre erzielen, frei von der Steuer sind. Damit ist für diese Betriebe ausgeschlossen, daß sie jemals zwangsmäßig geschlossen werden können. Hier ist aber diese Bestimmung nicht kopiert. Auch von den ganz kleinen Betrieben soll hier eine Gewerbesteuer entrichtet werden. Gerade in diesen Kreisen aber ist die Gefahr nur zu leicht vorhanden, daß sie nicht imstande sind, ihre Steuer bezahlen zu können, und sie wird man dann auf Grund dieser Bestimmung schließen können. Man wird also diesen Leuten die Existenz reinweg abschneiden und untergraben können. 21 1 Verhandl. d. Bürgerschaft am 9. April 1906. Ich bin der Meinung, daß diese Bestimmung so ungerecht ist, wie sie tatsächlich nicht ungerechter sein kann. Wenn man sich schon nach Preußen hat richten wollen, hätte man es auch nach der Richtung hin tun müssen, daß man die Bestimmung auf- genommen hätte, die Betriebe bis zu M 1500 Einnahme ganz frei von der Steuer sein zu lassen. Ich bin der Meinung, daß wir nicht einer einzelnen Schicht der Bevölkerung, einer Klasse des Gewerbes die Mittel abpressen dürfen, die wir für die Staats- kasse erforderlich haben. Das kann und darf die Zustimmung der Bürgerschaft nicht finden, und darum bitte ich Sie, diesem Geseß Ihre Zustimmung nicht geben zu wollen, sondern es abzulehnen. Tegtmeyer-Moisling: Ich stelle mich Ihnen als früherer Wirt vor, vor sechs Jahren habe ich meinen Betrieb aufgegeben. Ich muß von vornherein sagen, daß ich vollständig mit der Senatsvorlage einverstanden bin. Ich kann Ihnen sagen, daß ich es früher oft als ungerecht bezeichnet habe ~ auch im Wirteverein, den ich mitgegründet habe, habe ich Gelegenheit genommen, das auszusprechen wenn ein kleiner Wirt, der vielleicht Z 1000 Ein- kommen aus seiner Wirtschaft hat, mag es nun eine Gast- oder Schankwirtschaft sein, ebenso viel Gewerbe- steuer zahlen soll wie z. B. der Besitzer von Stadt Hamburg oder der Pächter des Ratsweinkellers. Das brauche ich Ihnen nicht weiter zu erzählen, das muß jeder fühlen. Deswegen ist es nicht mehr als gerecht, daß jetzt die Steuer, wie sie vorgeschlagen ist, erhoben wird. Nur eins bedaure ich in bezug auf den Kleinverkauf von Branntwein oder Spiritus. Man hat allerdings nicht gesagt, daß mit der Er- hebung der Steuer von M 30 der Kleinverkauf mit gemeint sein solle. Ich verstehe die Sache so, daß die Kommission, die aus den Polizeiherren und sechs bürgerlichen Deputierten besteht, feststellen wird, in welche Klasse diese Betriebe zu bringen sind und ob es sich im einzelnen Falle um eine Gastwirtschaft, eine Schankwirtschaft oder einen Kleinverkauf handle. Da möchte ich darauf aufmerksam machen, daß es nicht gerecht wäre, wenn man den Kleinverkauf mit den niedrigsten Sähen anseßen wollte. Diese Klein- verkäufe sind es gerade, die die Armsten von den Armen so herunterbringen. Ich kann Ihnen einen Fall davon erzählen. Ich bin Gemeindevorsteher. Gestern morgen kommt ein Mann zu mir, der sagt: Gestern abend habe ich in Lübeck mit guten Freunden, jedenfalls in einem Kleinverkauf, zu viel genossen. Ich kam dann an einer Wirtschaft vorbei, in der noch Licht brannte. Ich dachte, da trinkst du noch ein Glas Bier + das war jedenfalls der Nachdurst. – Aber den Herren, die da saßen, war dieser Arbeiter nicht genehm, auch wohl dem Wirt nicht.
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