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Weiter: Auf einer Wanderung trete ich in ein
Bauernhaus; im Hintergrunde, im Zwielicht der
großen Diele hantiert die Bauersfrau in ihrer bunten
Tracht, zwischen blinkenden Messsingschüsseln, beim
Scheine des flackernden Herdfeuers ~ ein unvergeß-
liches Bild! Nun bekommt das bunte Gewand der
Frau Interessc, die Messinggeräte stellen sich als
künstlerische Treibarbeiten heraus, eine buntbemalte
Truhe wird plötzlich entdeckt, dies Steingut ist von
längstgesuchter Art; und gesetzt den Fall, daß eine
ganze Reihe dieser Stücke für viele gute Worte und
noch mehr erworben werden und in ein Museum
wandern ~- da stehen nun die getriebenen Messing-
schüsseln in einem Schranke mit vielleicht zwanzig
anderen; sie sind kunstgeschichtlich von hohem Werte;
an anderer Stelle haben die Fayencen ihren Plat
gefunden, und wieder an anderer Stelle hat die
Truhe sich trefflich einreihen lassen; sie füllt nun
eine längst fühlbare Lücke in der historischen Ent-
wicklung der Holzbildhauerei aus. Solch’ ein Ver-
fahren ist eigentlich barbarisch. Ist nicht das ganze
Bild zerrissen, vielleicht unwiderbringlich zerstört!
Gewiß soll die Wissenschaft ihr scharfes, unerbitt-
liches Messer auch an solche intimen Bilder legen;
aber so reizvoll die Formen und Farben auch an
sich sein mögen, so wertvoll auch das Wissen ist von
der Verwendung und Zusammensegung der Farbe
auf den Fayencen, ~ die künstlerische Eigenart
jener Formen und Farben, das künstlerische Empfinden
des Volksstammes, der seine Formen und Farben
schuf oder benutzte, werden erst verständlich, wenn
dieselben in ihrer wirklichen Umgebung stehen, in
dem Milieu, in dem sie lebendig geworden sind.
Eine derartige Umgebung gibt bleibende, dauernde,
wertvolle Eindrücke, die nicht sobald wieder ver-
wehen, deren jtille Fruchtbarkeit, wenn man sie ge-
nießend, ohne zersplitterndes Urteil in sich aufnimmt,
um mit Goethe zu reden ~ ganz unschäzbar ist.
Es lassen sich natürlich nicht immer solche Milieus
schaffen, es gibt hundert und tausend Dinge, die
systematisch aufgestellt werden müssen, und systema-
tische Sammlungen sind unbedingt notwendig, aber
wenn man solche Interieurs schaffen kann und
unser deutsches Kulturleben ist noch heute so reich
daran + so soll man sie festhalten und soll ihnen
im Museum eine Stätte bereiten.
_ Aber echt müssen die Interieurs sein! Wenn
dieselben nur vom Künstler –~ mit Rücksicht auf
künstlerische Wirkung ~ zusammengestellt sind, so
ist das Fälschung, an der die Volksseele, der Volks-
geschmack nicht mehr empfunden werden kann. Da
tritt uns nichts weiter als die größere oder ge-
ringere künstlerische Schulung des Arrangeurs ent-
gegen.
Aus diesen Gedanken heraus ist das Altonaer
Muÿeum geschaffen worden, es will dem Beschaue
bleibende Eindrücke geben, die er mit sich hinaus
nimmt, will ihn erziehen zum Menschen, der nach
denklich die umgebende Natur und Kultur betrachtet
Das Altonaer Museum hat Jich auf seine Heimat
auf die Provinz Schleswig-Holstein beschränkt; in
der Kulturgeschichte ganz; in der naturhistorischen
Abteilung insofern weiter ausholend, als auch solche
Tiere in den Kreis der Darstellung bezogen wurdet,
die in dem Empfinden, dem Gedanken des nieder
deutschen Volkes eine Rolle spielen. Den Wolf
den Bären, den Elch auszuschließen, weil sie nicht
mehr in Schleswig-Holstein vorkommen, wäre Pe
danterie gewesen.
Drei Abteilungen umfaßt das Altonaer Museun;
eine kulturhistorische, eine naturhistorische und als
letzte, vor wenigen Monden erst dem Museum eiv
gereiht, die Abteilung für See- und Küstenfischerei,
die zum Teil ständige Ausstellung des deutschen
Seefischerei-Vereins ist. ö
Im oberen Stock befindet sich die kulturhistorisch
Abteilung; es ist versucht worden, so viel wie mög
lich in zusammenfassenden Gruppen eine Idee zit
Darstellung zu bringen. So sind z. B. die Innung
geräte einheitlich behandelt worden. In dem großen
Saale, in welchem die Bilder und sonstigen Erinne-
rungsstücke zur historischen Entwicklung Altonas, zit
Erhebung Schleswig-Holsteins 1848/51, die keta:
mischen Erzeugnisse der Provinz Platz gefunden haben,
E Ust tele vuiütt
die Vorlage arliefert hat. Auf einem großen Tit
stehen Willkommen und Humpen, Innungsbetht!,
eine Lade und Schafferstab, darüber hängen alt
Schilder und die Zeichen, unter denen die gur
genossen sich zu versammeln pflegten. An der Wan
finden sich alte Innungsfahnen, Meissterbriefe, st
ordnungen und dergleichen. Die Wände der Innung
stube sind durch Glasschränke bezeichnet, 11 .'!
die wertvollen silbernen Willkommen, Kredenzk!
Laden und Schilder aufgestellt sind. Auf tf
Weise ist innerhalb des Saales ein einheitlich g"
gestatteter Raum geschaffen, der inhaltlich und ttt
seiner Gesamtwirkung etwas Abgeschlossenes het
Ein gleicher Grundsat hat bei der Ausste !
der Trachten gewaltet. Sie sind nicht als Pusst,
steif nebeneinander in Schränke gestellt, sondett fi
sind nach landschaftlichen Gesichtspunkten 6<1}f!
gebildet worden. So sind die Trachten des hen
holsteinischen Waldgebietes z. B. auf plus.,
Figuren so zusammen vereinigt, daß ste das je
einer alten Spinnstube geben. Anachronismen ..
dabei selbstverständlich mit unterlaufen, für