Full text: Lübeckische Blätter. 1905 ; Verhandlungen der Bürgerschaft. 1905 (47)

Z I einem großen Mietshause überhaupt noch die Er- ziehung der Kinder so leiten und überwachen, daß schädliche Beeinflussungen ganz abgehalten werden? Die Kinder eines Mietshauses pflegen stets zusammen- vi tpoletsss Verkehr für seine eigenen Kinder hat. Die häßlichen Scheltworte der Erwachsenen sind noch das wenigste, obgleich auch sie schon Gift sind für eine Kinderseele. Wird nun zwar der Gebildete mit seinen Mitbe- wohnern einen gangbaren, freundnachbarlichen Verkehr anstreben, so ist das doch mit dem Ungebildeten anders. Dort werden Übelstände nicht mit be- sonnener Ruhe beseitigt, sondern dieselben arten aus zum Gegenstande des Zanks. Ist einmal der Zankapfel zwischen zwei Familien gefallen, dann wird der Zank weiter und weiter ge- trieben. Die Nadelstiche werden zu Treibereien und kleineren oder größeren Niederträchtigkeiten sich aus- wachsen und nicht selten sogar wird schließlich das Faustrecht die Stelle gütlicher Einigung vertreten. Da keine der Parteien weichen will, so müssen wohl oder übel die übrigen Mitbewohner mit Partei er- greifen, und so wächst Fich schließlich eine Haus- feindschaft aus, bis dann der Wirt ein gewaltsames Ende macht und entweder eine oder beide Parteien an die Luft setzt. Vor allem wird dem kleinen Mann, wenn er Besitzer eines eigenen Hauses ist, ein Gegenstand in die Hand gegeben, für welchen er etwas empfindet. Er muß wirtschasten lernen, er muß Ordnung halten lernen. Ordnungssinn und Häuslichkeitssinn werden also von selber wieder in die Seele des Volkes ein- ziehen. Wer verdenkt es dem Arbeiter, wenn er müde und matt nach Hause kommt von der Arbeit und muß nun die ellenlangen Erzählungen seiner besseren Hälfte über die Quälereien der Mit- bewohner mit anhören, daß er dann lieber in die Kneipe läuft, um nur nichts zu sehen und zu hören. Doch noch eins. Leben in den Mietshäusern nicht viele Tausende von Familien über ihre Ver- hältnisse? Steht der Mietspreis nicht in einem argen Mißverhältnis zum Jahreseinkommen ? Klingt es nicht wenigstens sonderbar, wenn man hört, daß ein Beamter mehr als die Hälfte seines Jahresein- kommens nur zur Bestreitung seiner Wohnungsmiete nötig hat? Unwillkürlich fragt man sich da, wovon besteht denn solche Familie? Nun man vermietet möblierte Zimmer oder ~ man hungert und friert. (Fortsetzung folgt.) 1127. Jahresbericht der Handelskammer zu Lübeck über das Jahr 1904. Der Bericht gedenkt am Eingang des verdienstvollen ersten Sekretärs der Handelskammer, des verstorbenen Syndikus Dr. Siewert, dessen Tod für Kaufmann- schaft und Handelskammer einen schweren Verlust bedeutete. Die Gesundung des Wirtschasstslebens seit der Krisis von 1902 hat auch im letzten Jahre Fort- schritte gemacht, doch das Tempo dieser Besserung hat sich gegenüber dem Vorjahr verlangsamt. Immerhin darf man darüber Genugtuung empfinden, daß die Entwicklung durch die schweren Störungen des letzten Jahres, wie durch den russisch-japanischen Krieg, die beispiellose Wasserarmut der größten deutschen Flußläufe und die Unsicherheit der handels- politischen Lage, nicht zum Stillsland gekommen ist. Die handelspolitischen Verhältnisse zu den übrigen Ländern neu zu regeln – für Lübeck kommen zu- nächst Rußland, Schweden, Finnland in Betracht ~ ist die allerwichtigste Aufgabe der Reichsbehörden. Aus den Einzelbetrachtungen des Berichts heben wir folgendes heraus. Die Handelskammer ist für Ande- rungen in dem Gesetz über den unlauteren Wett- bewerb eingetreten, um die erweisliche und grob-.fahr- lässige Irreführung des Publikums durch Straft bestimmungen zu verhindern. Der Errichtung von Kaufmannsgerichten standen ursprünglich große Be- denken gegenüber. Doch, nachdem der Entwurs Reichsgeseß geworden war, konnte die Handelskammer dem Ortsstatut betreffend die Errichtung eines Kaufmannsgerichts in Lübeck zustimmen, hat jedoch eine baldige Nachprüfung des Ortsstatuts empfohlen, Die Handelskammer hat die Eingabe des Detail listen-Vereins, welche die Aufhebung der Verordnung betr. das Verhängen der Schaufenster während der Stunden des Hauptgottesdienstes bezweckte, mit unter- stützt, und der Senat hat darauf die fragliche Ver- ordnung aufgehoben. Gleiches Entgegenkomme bewies der Senat bei der Frage der Lotsengebühren, die im Interesse der Erhaltung der Konkurrenzfähi keit Lübecks eine Herabsezung notwendig machten. Ein Verschlechterung der Eisenbahnverbindungen hatte si aus der Einrichtung der neuen Verbindung Stockholm Kopenhagen. Gjedser-Warnemünde ergeben, insofe nämlich als dadurch der Anschluß in Kopenhage wieder beseitigt war. Durch Zusammenwirken mil anderen Instanzen ist es gelungen, die abgebrochen Verbindung in Kopenhagen wieder herzustellen. Au die Einrichtung von Nachtschnellzügen, die auf de Hamburg-Lübeck-Warnemünder Strecke einen geeign ) [r h kt
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