Z I
einem großen Mietshause überhaupt noch die Er-
ziehung der Kinder so leiten und überwachen, daß
schädliche Beeinflussungen ganz abgehalten werden?
Die Kinder eines Mietshauses pflegen stets zusammen-
vi tpoletsss
Verkehr für seine eigenen Kinder hat.
Die häßlichen Scheltworte der Erwachsenen sind
noch das wenigste, obgleich auch sie schon Gift sind
für eine Kinderseele.
Wird nun zwar der Gebildete mit seinen Mitbe-
wohnern einen gangbaren, freundnachbarlichen Verkehr
anstreben, so ist das doch mit dem Ungebildeten
anders. Dort werden Übelstände nicht mit be-
sonnener Ruhe beseitigt, sondern dieselben arten aus
zum Gegenstande des Zanks.
Ist einmal der Zankapfel zwischen zwei Familien
gefallen, dann wird der Zank weiter und weiter ge-
trieben. Die Nadelstiche werden zu Treibereien und
kleineren oder größeren Niederträchtigkeiten sich aus-
wachsen und nicht selten sogar wird schließlich das
Faustrecht die Stelle gütlicher Einigung vertreten.
Da keine der Parteien weichen will, so müssen wohl
oder übel die übrigen Mitbewohner mit Partei er-
greifen, und so wächst Fich schließlich eine Haus-
feindschaft aus, bis dann der Wirt ein gewaltsames Ende
macht und entweder eine oder beide Parteien an die
Luft setzt.
Vor allem wird dem kleinen Mann, wenn er
Besitzer eines eigenen Hauses ist, ein Gegenstand in
die Hand gegeben, für welchen er etwas empfindet. Er
muß wirtschasten lernen, er muß Ordnung halten
lernen. Ordnungssinn und Häuslichkeitssinn werden
also von selber wieder in die Seele des Volkes ein-
ziehen. Wer verdenkt es dem Arbeiter, wenn er
müde und matt nach Hause kommt von der Arbeit
und muß nun die ellenlangen Erzählungen seiner
besseren Hälfte über die Quälereien der Mit-
bewohner mit anhören, daß er dann lieber in die
Kneipe läuft, um nur nichts zu sehen und zu hören.
Doch noch eins. Leben in den Mietshäusern
nicht viele Tausende von Familien über ihre Ver-
hältnisse? Steht der Mietspreis nicht in einem
argen Mißverhältnis zum Jahreseinkommen ? Klingt
es nicht wenigstens sonderbar, wenn man hört, daß
ein Beamter mehr als die Hälfte seines Jahresein-
kommens nur zur Bestreitung seiner Wohnungsmiete
nötig hat? Unwillkürlich fragt man sich da, wovon
besteht denn solche Familie? Nun man vermietet
möblierte Zimmer oder ~ man hungert und friert.
(Fortsetzung folgt.) 1127.
Jahresbericht
der Handelskammer zu Lübeck
über das Jahr 1904.
Der Bericht gedenkt am Eingang des verdienstvollen
ersten Sekretärs der Handelskammer, des verstorbenen
Syndikus Dr. Siewert, dessen Tod für Kaufmann-
schaft und Handelskammer einen schweren Verlust
bedeutete.
Die Gesundung des Wirtschasstslebens seit der
Krisis von 1902 hat auch im letzten Jahre Fort-
schritte gemacht, doch das Tempo dieser Besserung
hat sich gegenüber dem Vorjahr verlangsamt.
Immerhin darf man darüber Genugtuung empfinden,
daß die Entwicklung durch die schweren Störungen
des letzten Jahres, wie durch den russisch-japanischen
Krieg, die beispiellose Wasserarmut der größten
deutschen Flußläufe und die Unsicherheit der handels-
politischen Lage, nicht zum Stillsland gekommen ist.
Die handelspolitischen Verhältnisse zu den übrigen
Ländern neu zu regeln – für Lübeck kommen zu-
nächst Rußland, Schweden, Finnland in Betracht ~
ist die allerwichtigste Aufgabe der Reichsbehörden.
Aus den Einzelbetrachtungen des Berichts heben wir
folgendes heraus. Die Handelskammer ist für Ande-
rungen in dem Gesetz über den unlauteren Wett-
bewerb eingetreten, um die erweisliche und grob-.fahr-
lässige Irreführung des Publikums durch Straft
bestimmungen zu verhindern. Der Errichtung von
Kaufmannsgerichten standen ursprünglich große Be-
denken gegenüber. Doch, nachdem der Entwurs
Reichsgeseß geworden war, konnte die Handelskammer
dem Ortsstatut betreffend die Errichtung eines
Kaufmannsgerichts in Lübeck zustimmen, hat jedoch
eine baldige Nachprüfung des Ortsstatuts empfohlen,
Die Handelskammer hat die Eingabe des Detail
listen-Vereins, welche die Aufhebung der Verordnung
betr. das Verhängen der Schaufenster während der
Stunden des Hauptgottesdienstes bezweckte, mit unter-
stützt, und der Senat hat darauf die fragliche Ver-
ordnung aufgehoben. Gleiches Entgegenkomme
bewies der Senat bei der Frage der Lotsengebühren,
die im Interesse der Erhaltung der Konkurrenzfähi
keit Lübecks eine Herabsezung notwendig machten. Ein
Verschlechterung der Eisenbahnverbindungen hatte si
aus der Einrichtung der neuen Verbindung Stockholm
Kopenhagen. Gjedser-Warnemünde ergeben, insofe
nämlich als dadurch der Anschluß in Kopenhage
wieder beseitigt war. Durch Zusammenwirken mil
anderen Instanzen ist es gelungen, die abgebrochen
Verbindung in Kopenhagen wieder herzustellen. Au
die Einrichtung von Nachtschnellzügen, die auf de
Hamburg-Lübeck-Warnemünder Strecke einen geeign
)
[r
h
kt