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Volkstümliche Theatervorsstellungen.
In dem Aufsatz, den kürzlich die „Lübeckischen
Blätter“ über das neue Stadttheater brachten, wurde
die Forderung aufgestellt, daß das neue Theater
mehr, als es beim alten der Fall gewesen ist, dem
Arbeitersslande zugute kommen solle. Wir möchten
diese Forderung aufs wärmste unterstüten und zu
ihrer Bekräftigung hinweisen auf das interesssante
Referat, das der Kammerherr v. Ebart in Gotha
über volkstümliche Theatervorstellungen auf der IX.
Konferenz der Zentralstelle für Arbeiter.Wohlfahrts-
einrichtungen erstattet hat.!) v. Ebart erinnert zu-
nächst daran, wie lebhaft sich Goethe mit den Re-
formen des Theaters beschäftigt hat. „Stände ich
noch an der Spitze der Theaterleitung,“ so äußerte
er sich in seinen Gesprächen mit Eckermann, „ich
würde jetzt zum Besten der Kasse noch einen Schritt
weitergehen, und Ihr solltet erfahren, daß mir das
nötige Geld nicht ausbliebe. Ich würde auch die
Sonntage spielen lassen. Die große arbeitende
Klasse," fuhr Goethe weiter fort, „die an den
Wochentagen gewöhnlich bis spät in die Nacht be-
schäftigt ist, hat den Sonntag als einzigen Er-
holungstag, wo sie dann das edlere Vergnügen des
Schauspiels dem Tanz und Bier in einer Dorf-
schenke sicher vorziehen würde.“
Goethes Idee, auch an Sonntagen spielen zu
lassen, fand in weiten Kreisen die vollkommenste
Zustimmung und wurde als eine sehr glückliche be-
grüßt. Es erhob sich nur ein leiser Zweifel, ob der
Plan auch dem Hofe genehm sein würde.
„Der weimarische Hof,“ erwiderte Goethe, ,ist
zu gut und weise, als daß er eine Maßregel hin-
dern sollte, die zum Wohl der Stadt und einer be-
deutenden Anstalt gereicht. Der Hof wird gewiß
gern das kleine Opfer bringen und seine Sonntags-
Soireen auf einen andern Tag verlegen. Wäre dies
aber nicht annehmlich, so gebe es ja für die Sonn-
tage Stücke genug, die der Hof ohnedies nicht gern
sieht, die aber für das eigentliche Volk durchaus
geeignet sind und ganz trefflich die Kasse füllen.“
Und tatsächlich war das Weimarische Hoftheater
eines der ersten, das Goethes Idee verwirklicht hat.
Noch heute veranstaltet es regelmäßig Vorstellungen
is:: hie weniger bemittelten Bewohner von Stadt
und Land.
_ In Gotha wurden im Anfang des Jahres 1898
die ersten Volksvorstellungen veranstaltet. Bei
ihrer Einrichtung lehnte man sich nach Möglichkeit
an Z Beispiel des Stadttheaters zu Frankfurt
a. M. an.
Vertiz wr! u Hef ! ber Schriften der Hentralstelle.
Die Intendanz machte den Vorschlag, sieben
Volksvorstellungen, nämlich vier Schau- oder Lust
spiele und drei Opern zu geben, und bat, daß sie
der Aufgabe enthoben werden möchte, die Verteilung
der Eintrittskarten selbst in die Hand zu nehmen,
denn sie sah sich außerstande, dieselben ausschließ.
lich in die Hände derjenigen Personen gelangen zu
lassen, für welche sie nach der Tendenz des Unter
nehmens bestimmt waren. Es erschien daher erforder
lich, daß die Verteilung der Karten an Schulen,
Vereine, Gesellschaften oder Körperschaften von einet
amtlichen Stelle aus vorgenommen werde, welcher
die Intendanz eine gewisse Anzahl gegen Zahlung
des Gesamtpreises nach dem Maßstabe von 40 Pfg.
pro Karte zur Verfügung stellte und welche der
Intendanz gegenüber eine Gewähr dafür übernahm,
daß diese Karten nur zur besstimmungsgemäßen Ver
wendung gelangten.
Der Senator Dr. Tepelmann in Gotha, det
sich um die Einführung volkstümlicher Theatervor
stellungen besondere Verdienste erworben hat, gibt in
einem seinerzeit von ihm veröffentlichten Bericht vor
diesen Veranstaltungen folgende Schilderung:
„Nachdem bereits seit Jahren im Herzoglichen
Hoftheater zu Gotha während jeder Spielzeit mehrere
Vorstellungen zu ermäßigten Preisen veranstaltet
worden sind, haben in diesem Jahre auf Anregung
des Gothaischen Landtags zum ersten Male siebet
sogenannte Volksvorsstellungen, und zwar Sonntaj/
nachmittags, stattgefunden, zu denen jeder Play ohr!
Unterschied des Ranges zum Preise von 40 Pfs
abgegeben wurde. Erst dadurch ist der Besuch dt
Theaters allen denjenigen Kreisen der Bevölkerung
ermöglicht worden, denen solches bei Vorstellung!
zu gewöhnlichen wie auch zu ermäßigten Preiset
nicht oder doch nur äußerst selten möglich wält,
ohne sich drückenden pekuniären Einschränkungen an
anderer Stelle auszusegen. Dazu gehören vorzugt"
weise alle Arbeiter und Arbeiterinnen im eigentliche!
Sinne in Fabriken, Werkstätten, in der Landwirt
schaft und sonstigen wirtschaftlichen Betrieben, all
Dienstboten, ferner Gehülfen und Gehülfinnen "
allen gewerblichen Zweigen, das kaufmännische per
sonal, leßzteres natürlich nur bis zu einem gewiss?"
Grade, endlich auch kleinere Handwerker und dit
Unterbeamten der Post. und Eisenbahnverwaltun)
Die Intendanz des Hoftheaters wandte sich an det
hiesigen Stadtrat mit dem Ersuchen, selbst hi
Verteilung der Karten an die oben bezeichnet!
Kreise in die Hand zu nehmen, eventuell aber eit!
andere geeignete Stelle zu bezeichnen.
Der Stadtrat bezeichnete als solche die von ht
Gewerbegerichtsbeisißern gewählte Kommission pt
den städtischen Arbeitsnachweis. Die Zusamn
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