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Schon hierdurch waren die Straßen einem regen
Verkehre wenig förderlich. Es kam hinzu, daß sie
in erbärmlichster Weise gepflastert waren. Eine breite
Gosse an jeder Seite der Straße, an den Zugängen
zu den Häusern mit einer hölzernen Bohle überbrückt;
in der Mitte der Straße eine schmalere Rinne, an
den Straßenkreuzungen ebenfalls überdeckt: so wurde
das aus den zwischen den steilen Dächern der Giebel:
häuser sich hinziehenden Dachrinnen durch z. T.
künstlerisch verzierte Wasserspeier sich auf die Straße
ergießende Regenwasser abgeleitet. Wehe dem, der
bei Gewitterregen oder bei Tauwetter auf der Straße
sein mußte und von beiden Seiten mit Wasser über-
schüttet wurde, denn an Ausweichen auf die Seite
nahe den Häusern war, er durch die vor den Häusern
errichteten Beischläge und die zahlreichen in die
Straße vorspringenden Wohnkeller, die bis an den
Rinnstein reichten, verhindert. Jetzt ist nur noch
beim Hause der Schiffergesellschaft solcher Vorbau
erhalten.
Die Häuser selbst, größtenteils noch aus früheren
Jahrhunderten her ihr Äußeres bewahrend, hatten
durchweg auch im Innern noch ihre althergebrachte
Einteilung. Neben dem hohen, oft reich geschmückten
Portale je eine, vielleicht noch mit einem Kabinett
erweiterte, durch ein hohes und breites Fenster err
hellte Stube rechts und links der nach dem Hofe zu
sich erweiternden Diele, an der die durch Glasfenster-
wände abgeteilte große, helle Küche lag. Daneben
stieg die geräumige Doppeltreppe mit reich geschnitten
Pfosten und durchbrochenem Geländer empor, hinauf-
führend zu den Prachträumen im ersten Stockwerk
und zu den drei- und vierfach übereinander sich er-
hebenden Lagerräumen, deren oberster auch das große
Winderad mit dem bis auf die Diele reichenden
Windetau enthielt, um die Waren hinaufzuschaffen.
In den Räumen aber des an dem tief sich hinein-
ziehenden Hofe errichteten, vielfach noch mit einem
Querhause versehenen Flügelgebäudes befanden sich die
Wohn- und Schlafzimmer der Familie. Hier und
in den im ersten Stockwerk belegenen Gesellschafts-
räumen zeigte sich am meisten, welchen Anspruch
der Besitzer an Behaglichkeit und festliche Pracht
stellte. Auf Leinewand oder al kresco gemalte
Bilder zierten die Zwischenfelder der mit Stuck.
arbeiten oder mit gepreßten Leder-. oder Goldbrokat-
tapeten bedeckten Wände, während die Decke in reicher
Stuckarbeit mannigfaltigste Muster aufwies. Ver-
hältnismäßig wenige Häuser waren es, die in der
Beit, von der wir hier reden, von Grund aus neu
erstanden in jenem reichen und das üppige Wohl-
leben, verbunden mit Vornehmheit in der äußeren
Erscheinung kennzeichnenden Stile, den wir als Rokoko-
stil zu benennen pflegen.
Diese wenigen Striche mögen nun den Rahmen
bilden, von dem umschlossen die einzelnen Bilder
betrachtet werden möchten, welche wir aus mancherlei
Aufzeichnungen über das hiesige Leben zur Heit
unserer Urgroßeltern zu gewinnen versuchen wollen,
der Zeit etwa von 1780-1790, da die Allonge-
perrücke schon verschwunden war, nun aber Haar-
beutel und Puderquast die Aufgabe hatten, äußere
Würde und geistige Bildung der höheren Stände
dem den Zopf tragenden schlichten Bürger und
Handwerker gegenüber wirkungsvoll zum Ausdrucke
zu bringen. — Schon oben wurde gesagt, wie die
Macht des Herkommens eine fast unwiderstehliche
war; sie verlangte selbst im engsten Familienkreise
durchweg eine unnatürliche Förmlichkeit und eine
von der Etikette gebotene steife Umständlichkeit und
Breite im Ausdrucke, die alle herzlichen Empfindungen
verbergen mußte und nach unseren Begriffen von
Freundschaft und Liebe diese beiden Seelenregungen
fast zum Ersterben hätte führen müssen. Und nun
gar erst im Verkehre mit den solchem seelischen
Empfinden liebevoller Herzen fernstehenden Leuten!
Der Grundsagß unserer Tage: ,Zeit ist Geld“ er-
scheint überall gänzlich beiseite geseßt. Hier nur
ein Beispiel. Es zeigt zugleich, wie die auch jetzt
noch nicht vollständig von Erfolg gekrönten Be-
strebungen, Kaufleute und Handwerker durch ssofor-
tige Rechnungsstellung und Zahlung kapitalkräftiger
zu machen, schon damals nicht unbekannt waren.
In den Lübeckischen Anzeigen vom 31. Januar
1787 findet sich nämlich folgendes Inserat:
„Meinen schätbaren Freunden, bei denen ich
im letztverflossenen Jahre Credit suchte, danke ich
feyerlichst! für das mir geschenkte Vertrauen;
keine Bemühung, die sie je jdagegen von mir
fordern mögten, soll mir zu schwer dünken. Ich
wiederhole hiernächst meine so offt vergebens!
öffentlich und deutlich bekannt gemachte Warnung
und Bitte:
mir keinen Credit aufdringen zu wollen.
Ich bezale jedem Kaufherrn seine Waare, sowie
jedem Handwerker seine Arbeit, augenblicklich vnd
baar; nie aber werde ich Rechnungen ohne
obrigkeitliches Zuthun bezahlen; sie mögen mir,
yr! welchem Vorwand es auch sey, eingereicht
werden.
Was squche ich durch diese Bekanntmachung
zu gewinnen? Häusliche Ordnung und Ruhe;
möcht' ich doch nicht abermals meine Absicht ver-.
eitelt sehen! Brömbsen |
Cammerherr und Capitular.“ ]
Es war dieses der Kammerherr des russischen
Thronfolgers und lübeckische Domkapitular Friedrich-
]
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