Full text: Lübeckische Blätter. 1905 ; Verhandlungen der Bürgerschaft. 1905 (47)

1 6 Schon hierdurch waren die Straßen einem regen Verkehre wenig förderlich. Es kam hinzu, daß sie in erbärmlichster Weise gepflastert waren. Eine breite Gosse an jeder Seite der Straße, an den Zugängen zu den Häusern mit einer hölzernen Bohle überbrückt; in der Mitte der Straße eine schmalere Rinne, an den Straßenkreuzungen ebenfalls überdeckt: so wurde das aus den zwischen den steilen Dächern der Giebel: häuser sich hinziehenden Dachrinnen durch z. T. künstlerisch verzierte Wasserspeier sich auf die Straße ergießende Regenwasser abgeleitet. Wehe dem, der bei Gewitterregen oder bei Tauwetter auf der Straße sein mußte und von beiden Seiten mit Wasser über- schüttet wurde, denn an Ausweichen auf die Seite nahe den Häusern war, er durch die vor den Häusern errichteten Beischläge und die zahlreichen in die Straße vorspringenden Wohnkeller, die bis an den Rinnstein reichten, verhindert. Jetzt ist nur noch beim Hause der Schiffergesellschaft solcher Vorbau erhalten. Die Häuser selbst, größtenteils noch aus früheren Jahrhunderten her ihr Äußeres bewahrend, hatten durchweg auch im Innern noch ihre althergebrachte Einteilung. Neben dem hohen, oft reich geschmückten Portale je eine, vielleicht noch mit einem Kabinett erweiterte, durch ein hohes und breites Fenster err hellte Stube rechts und links der nach dem Hofe zu sich erweiternden Diele, an der die durch Glasfenster- wände abgeteilte große, helle Küche lag. Daneben stieg die geräumige Doppeltreppe mit reich geschnitten Pfosten und durchbrochenem Geländer empor, hinauf- führend zu den Prachträumen im ersten Stockwerk und zu den drei- und vierfach übereinander sich er- hebenden Lagerräumen, deren oberster auch das große Winderad mit dem bis auf die Diele reichenden Windetau enthielt, um die Waren hinaufzuschaffen. In den Räumen aber des an dem tief sich hinein- ziehenden Hofe errichteten, vielfach noch mit einem Querhause versehenen Flügelgebäudes befanden sich die Wohn- und Schlafzimmer der Familie. Hier und in den im ersten Stockwerk belegenen Gesellschafts- räumen zeigte sich am meisten, welchen Anspruch der Besitzer an Behaglichkeit und festliche Pracht stellte. Auf Leinewand oder al kresco gemalte Bilder zierten die Zwischenfelder der mit Stuck. arbeiten oder mit gepreßten Leder-. oder Goldbrokat- tapeten bedeckten Wände, während die Decke in reicher Stuckarbeit mannigfaltigste Muster aufwies. Ver- hältnismäßig wenige Häuser waren es, die in der Beit, von der wir hier reden, von Grund aus neu erstanden in jenem reichen und das üppige Wohl- leben, verbunden mit Vornehmheit in der äußeren Erscheinung kennzeichnenden Stile, den wir als Rokoko- stil zu benennen pflegen. Diese wenigen Striche mögen nun den Rahmen bilden, von dem umschlossen die einzelnen Bilder betrachtet werden möchten, welche wir aus mancherlei Aufzeichnungen über das hiesige Leben zur Heit unserer Urgroßeltern zu gewinnen versuchen wollen, der Zeit etwa von 1780-1790, da die Allonge- perrücke schon verschwunden war, nun aber Haar- beutel und Puderquast die Aufgabe hatten, äußere Würde und geistige Bildung der höheren Stände dem den Zopf tragenden schlichten Bürger und Handwerker gegenüber wirkungsvoll zum Ausdrucke zu bringen. — Schon oben wurde gesagt, wie die Macht des Herkommens eine fast unwiderstehliche war; sie verlangte selbst im engsten Familienkreise durchweg eine unnatürliche Förmlichkeit und eine von der Etikette gebotene steife Umständlichkeit und Breite im Ausdrucke, die alle herzlichen Empfindungen verbergen mußte und nach unseren Begriffen von Freundschaft und Liebe diese beiden Seelenregungen fast zum Ersterben hätte führen müssen. Und nun gar erst im Verkehre mit den solchem seelischen Empfinden liebevoller Herzen fernstehenden Leuten! Der Grundsagß unserer Tage: ,Zeit ist Geld“ er- scheint überall gänzlich beiseite geseßt. Hier nur ein Beispiel. Es zeigt zugleich, wie die auch jetzt noch nicht vollständig von Erfolg gekrönten Be- strebungen, Kaufleute und Handwerker durch ssofor- tige Rechnungsstellung und Zahlung kapitalkräftiger zu machen, schon damals nicht unbekannt waren. In den Lübeckischen Anzeigen vom 31. Januar 1787 findet sich nämlich folgendes Inserat: „Meinen schätbaren Freunden, bei denen ich im letztverflossenen Jahre Credit suchte, danke ich feyerlichst! für das mir geschenkte Vertrauen; keine Bemühung, die sie je jdagegen von mir fordern mögten, soll mir zu schwer dünken. Ich wiederhole hiernächst meine so offt vergebens! öffentlich und deutlich bekannt gemachte Warnung und Bitte: mir keinen Credit aufdringen zu wollen. Ich bezale jedem Kaufherrn seine Waare, sowie jedem Handwerker seine Arbeit, augenblicklich vnd baar; nie aber werde ich Rechnungen ohne obrigkeitliches Zuthun bezahlen; sie mögen mir, yr! welchem Vorwand es auch sey, eingereicht werden. Was squche ich durch diese Bekanntmachung zu gewinnen? Häusliche Ordnung und Ruhe; möcht' ich doch nicht abermals meine Absicht ver-. eitelt sehen! Brömbsen | Cammerherr und Capitular.“ ] Es war dieses der Kammerherr des russischen Thronfolgers und lübeckische Domkapitular Friedrich- ] kc Vi f S} [] a I) il 10 N1 [h N! V| ) qi bi kj w I } Di et in ß a; p? Q! 11 11 U P1 ka [4 (]| N) N1 N! )
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