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seitigen und grundsätzlichen Erörterungen, wie sie in
Lübeck die Bearbeitung der Wahlrechtsvorlage ge-
zeitigt hat, allen Umfanges verwertet werden konnten
und nach Zeitungsmeldungen auch verwertet worden
sind. Dagegen konnten in Lübeck die hervorragend
klaren und weitschauend begründeten Anschauungen
und Erwägungen, die im Hamburger Entwurf zum
Ausdruck gelangt sind, von der Kommission des
Bürgerausschusses nicht mehr oder richtiger noch nicht
beachtet werden, weil sie zur Zeit der Bericht.
erstattung noch nicht veröffentlicht waren. Diese
zeitliche Aufeinanderfolge der Hamburger Gesetzes-
vorlage nach dem Lübecker Bürgerausschußbericht
erfordert schon für sich allein bei der außerordent-
lichen Wichtigkeit und Schwierigkeit der zu regelnden
Materie dringend die Nachprüfuug der Darlegungen
des Kommissionsberichtes an der Hand der vielen
neuen Gesichtspunkte, die in der Schwesterstadt
Hamburg mit ihren zwar größeren, aber staatsrecht-
lich vielfach ähnlichen Verhältnissen maßgebend ge-
wesen sind, um einen so zunächst geradezu über-
raschenden Vorschlag zu machen, wie er in der vom
Senat erstrebten allgemeinen Einführung der Ver-
hältniswahl enthalten ist. Diese Hamburger Gesetzes-
vorlage kann bei der endgültigen Neuregelung unseres
Bürgerschaftswahlrechts unmöglich außer Betracht
bleiben, wie sie sicherlich gründlich in den Kreis der
Erörterungen gezogen wäre, wenn sie früher vor-
gelegen hätte. Daß eine einzelne Bürgerschafts-
situng zur gründlichen und ausgiebigen Nachprüfung
der umfangreichen Hamburger Vorlage niemals aus-
reichen kann, leuchtet auch ohne weitere Aus-
führung ein.
Ein Vergleich der beiden Vorlagen der Bürger-
ausschußkommission hier und des Senates in Ham-
burg dürfte diese Auffassung bestätigen, auch wenn
der Vergleich bei der Kürze der zur Verfügung
stehenden Zeit sich nur auf einige Hauptpunkte er-
strecken kann.
Der Bericht der Bürgerausschußkommission vom
2. Mai ds. Js. spricht es nochmals ausdrücklich
aus, es sei allseitig als Übelstand empfunden, daß
bei Annahme der Senatsvorlage die nicht zur
Sozialdemokratie gehörige Minderheit der Wähler
mit einem jährlichen Einkommen bis zu f 2000
völlig außerstande sein werde, gegenüber der weit
überwiegenden sozialdemokratischen Mehrheit die Wahl
auch nur eines nichtsozialdemokratischen Vertreters durch-
zuseßzen. Die Kommission berechnet unter Zugrunde-
legung von ganz besonders vorsichtig geschätzen
Zahlen — daß jede genauere Statistik fehlt, leugnet
niemand e daß bei 15 Vertretern, wie in der
Wahlabteilung II vorgesehen, die Verhältniswahlen
„auf die Dauer“ nicht ausreichen würden, um den
bürgerlichen Wählern in Abteilung Il noch Vertreter
f. r DU f h f
stimmig ab, weil dies Mittel „voraussichtlich nur
vorübergehenden Erfolg haben und auf die Dauer
nur dazu führen würde, die Zahl der sozial:
demokratischen Vertreter zu vermehren.“ Die Kom-
mission gibt zu, daß ein dauernder Erfolg zu er
zielen sei, wenn man die Vertreter der Abteilung I]
von den Wählern der Abteilung I mitwählen lasse.
Auch dies dauernden Erfolg versprechende Mittel
will die Kommission nicht, weil es zunächst offenbar
wenig folgerichtig sei, die Verhältniswahl nur für
Abteilung Il und nicht allgemein einzuführen; auch
sei es bedenklich, die Wähler der Abteilung I nun
noch weiter dadurch zu begünstigen, daß ihnen ein
Einfluß auch auf die Wahlen der Abteilung I] zu-
gestanden werde. Freilich sei geltend gemacht worden,
man könne Vorkehrungen treffen dagegen, daß die
Wähler von Abteilung I ihren Einfluß bei der
Wahl in Abteilung Il im eigenen Interesse miß
brauchten; z. B. könne man vorschreiben, daß diet
Vorschlagslisten für Abteilung IL nur von sjolchen
Wählern unterschrieben werden dürften, die nur in
Abteilung II wahlberechtigt seien. Nochmals hebt
die Kommission hervor, daß bei unveränderter An
nahme der Gesetzesvorlage den bürgerlichen Wählerr
der Abteilung I1 nicht möglich sein werde, ihren
Stimmen bei der Wahl einen direkten Einfluß zu
verschaffen, und dann wird das Ergebnis dahin ge
zogen, daß die Mehrheit der Kommission der Ansich
sei, „daß sich dieser Uebelstand unter den vorliegender
Verhältnissen nicht vermeiden lasse, da es an einem
geeigneten Mittel zu seiner Beseitigung fehle usw."
Daß dies Ergebnis gezogen wird, ist nach det
vorhergehenden Einzelausführungen des Kommissions
berichtes einigermaßen überraschend. Man erwartel
eigentlich nicht die glatte Ablehnung aller Neuerungen
Erssichtlich hat die Kommission zur Vorbereitung weitere!
Verhandlungen recht zweckmäßiger Weise in erster Linie
ihre Aufgabe darin gesehen, Berechnungen anzustelle
und Klarheit zu schaffen, wenn sie natürlich auch schließ
lich in der Sache selbst Stellung nehmen mußte. Einig
Fragen werfen sich aber doch auf. Warum will di
Kommission denn unter keinen Umständen eine Er
höhung der Vertreterzahl in Abteilung 11 ? Di
Erhöhung auch nur auf 20 oder 21 statt 15 Ver
treter, mag man auch die überaus skeptisch
schätzten Zahlen der Kommission selbst nicht ringt!
höher ansetzen, gewährt eine gute Möglichkeit, ent)
bürgerliche Kandidaten mit Hilfe der Verhältniswah!
durchzubringen, so daß dann auch bei 20 oder 21 Ver
tretern in Abteilung II die Zahl der Sozialdemokratt"
in der Bürgerschaft kaum noch vermehrt wird. Abe