Full text: Lübeckische Blätter. 1905 ; Verhandlungen der Bürgerschaft. 1905 (47)

306 seitigen und grundsätzlichen Erörterungen, wie sie in Lübeck die Bearbeitung der Wahlrechtsvorlage ge- zeitigt hat, allen Umfanges verwertet werden konnten und nach Zeitungsmeldungen auch verwertet worden sind. Dagegen konnten in Lübeck die hervorragend klaren und weitschauend begründeten Anschauungen und Erwägungen, die im Hamburger Entwurf zum Ausdruck gelangt sind, von der Kommission des Bürgerausschusses nicht mehr oder richtiger noch nicht beachtet werden, weil sie zur Zeit der Bericht. erstattung noch nicht veröffentlicht waren. Diese zeitliche Aufeinanderfolge der Hamburger Gesetzes- vorlage nach dem Lübecker Bürgerausschußbericht erfordert schon für sich allein bei der außerordent- lichen Wichtigkeit und Schwierigkeit der zu regelnden Materie dringend die Nachprüfuug der Darlegungen des Kommissionsberichtes an der Hand der vielen neuen Gesichtspunkte, die in der Schwesterstadt Hamburg mit ihren zwar größeren, aber staatsrecht- lich vielfach ähnlichen Verhältnissen maßgebend ge- wesen sind, um einen so zunächst geradezu über- raschenden Vorschlag zu machen, wie er in der vom Senat erstrebten allgemeinen Einführung der Ver- hältniswahl enthalten ist. Diese Hamburger Gesetzes- vorlage kann bei der endgültigen Neuregelung unseres Bürgerschaftswahlrechts unmöglich außer Betracht bleiben, wie sie sicherlich gründlich in den Kreis der Erörterungen gezogen wäre, wenn sie früher vor- gelegen hätte. Daß eine einzelne Bürgerschafts- situng zur gründlichen und ausgiebigen Nachprüfung der umfangreichen Hamburger Vorlage niemals aus- reichen kann, leuchtet auch ohne weitere Aus- führung ein. Ein Vergleich der beiden Vorlagen der Bürger- ausschußkommission hier und des Senates in Ham- burg dürfte diese Auffassung bestätigen, auch wenn der Vergleich bei der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit sich nur auf einige Hauptpunkte er- strecken kann. Der Bericht der Bürgerausschußkommission vom 2. Mai ds. Js. spricht es nochmals ausdrücklich aus, es sei allseitig als Übelstand empfunden, daß bei Annahme der Senatsvorlage die nicht zur Sozialdemokratie gehörige Minderheit der Wähler mit einem jährlichen Einkommen bis zu f 2000 völlig außerstande sein werde, gegenüber der weit überwiegenden sozialdemokratischen Mehrheit die Wahl auch nur eines nichtsozialdemokratischen Vertreters durch- zuseßzen. Die Kommission berechnet unter Zugrunde- legung von ganz besonders vorsichtig geschätzen Zahlen — daß jede genauere Statistik fehlt, leugnet niemand e daß bei 15 Vertretern, wie in der Wahlabteilung II vorgesehen, die Verhältniswahlen „auf die Dauer“ nicht ausreichen würden, um den bürgerlichen Wählern in Abteilung Il noch Vertreter f. r DU f h f stimmig ab, weil dies Mittel „voraussichtlich nur vorübergehenden Erfolg haben und auf die Dauer nur dazu führen würde, die Zahl der sozial: demokratischen Vertreter zu vermehren.“ Die Kom- mission gibt zu, daß ein dauernder Erfolg zu er zielen sei, wenn man die Vertreter der Abteilung I] von den Wählern der Abteilung I mitwählen lasse. Auch dies dauernden Erfolg versprechende Mittel will die Kommission nicht, weil es zunächst offenbar wenig folgerichtig sei, die Verhältniswahl nur für Abteilung Il und nicht allgemein einzuführen; auch sei es bedenklich, die Wähler der Abteilung I nun noch weiter dadurch zu begünstigen, daß ihnen ein Einfluß auch auf die Wahlen der Abteilung I] zu- gestanden werde. Freilich sei geltend gemacht worden, man könne Vorkehrungen treffen dagegen, daß die Wähler von Abteilung I ihren Einfluß bei der Wahl in Abteilung Il im eigenen Interesse miß brauchten; z. B. könne man vorschreiben, daß diet Vorschlagslisten für Abteilung IL nur von sjolchen Wählern unterschrieben werden dürften, die nur in Abteilung II wahlberechtigt seien. Nochmals hebt die Kommission hervor, daß bei unveränderter An nahme der Gesetzesvorlage den bürgerlichen Wählerr der Abteilung I1 nicht möglich sein werde, ihren Stimmen bei der Wahl einen direkten Einfluß zu verschaffen, und dann wird das Ergebnis dahin ge zogen, daß die Mehrheit der Kommission der Ansich sei, „daß sich dieser Uebelstand unter den vorliegender Verhältnissen nicht vermeiden lasse, da es an einem geeigneten Mittel zu seiner Beseitigung fehle usw." Daß dies Ergebnis gezogen wird, ist nach det vorhergehenden Einzelausführungen des Kommissions berichtes einigermaßen überraschend. Man erwartel eigentlich nicht die glatte Ablehnung aller Neuerungen Erssichtlich hat die Kommission zur Vorbereitung weitere! Verhandlungen recht zweckmäßiger Weise in erster Linie ihre Aufgabe darin gesehen, Berechnungen anzustelle und Klarheit zu schaffen, wenn sie natürlich auch schließ lich in der Sache selbst Stellung nehmen mußte. Einig Fragen werfen sich aber doch auf. Warum will di Kommission denn unter keinen Umständen eine Er höhung der Vertreterzahl in Abteilung 11 ? Di Erhöhung auch nur auf 20 oder 21 statt 15 Ver treter, mag man auch die überaus skeptisch schätzten Zahlen der Kommission selbst nicht ringt! höher ansetzen, gewährt eine gute Möglichkeit, ent) bürgerliche Kandidaten mit Hilfe der Verhältniswah! durchzubringen, so daß dann auch bei 20 oder 21 Ver tretern in Abteilung II die Zahl der Sozialdemokratt" in der Bürgerschaft kaum noch vermehrt wird. Abe
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