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Verein für entlassene Gefangene und sittlich
Verwahrloste.
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Am 30. März fand die Jahresversammlung des
Vereins im Gesellschastshause statt. Der Vorsitzende,
Herr Rat Velhagen, verlas zunächst den Jahres-
bericht, aus dem zu entnehmen ist, daß auch im ver-
gangenen Jahre recht erhebliche Anforderungen an
den Verein gestellt waren, denen gerecht zu werden
nicht immer leicht war. Der Jahresbericht wird
demnächst in diesen Blättern zum Abdruck kommen.
Anschließend an den Bericht gab Herr Fromm eine
Übersicht über den Vermögensbestand des Vereins.
Sodann erhielt Herr Landrichter Dr. Lienau das
Wort zu seinem Vortrage über die strafrechtliche
Behandlung jugendlicher Personen. Ausgehend von
dem für Jugendliche geltenden Recht besprach der
Redner eine Reihe von Abänderungsvorschlägen,
die bei der Revision des Strafrechts in Frage
kommen, insbesondere, ob die Strafmündigkeitsgrenze,
die bisher das zwölfte Lebensjahr bildete, herauf-
gesetzt werden solle. Während der Redner im Laufe
seiner Ausführungen diese Frage unbedingt bejahte
und für die Strafmündigkeit die Vollendung des
vierzehnten Lebensjahres als geeignete Grenze hielt,
glaubte er eine Reihe anderer Punkte, so die Herauf-
sezung der Grenze für die Bestrafung jugendlicher
Personen (§8 57 St..G.-B.) bis zum 20. oder 21.
Lebensjahr, ferner die Einführung eines anderen
Strafverfahrens, etwa die Bestrafung durch die
Schule oder durch ein besonderes Gericht, z. B.
durch das Vormundsgericht unter Hinzuziehung von
Laienelementen, nicht befürworten zu sollen. Zum
Schluß erwähnte der Redner noch, daß die Zahl der
jugendlichen Verbrecher in Lübeck verhältnismäßig
groß sei, indem sie den durchschnittlichen Satz von
10 4 zeitweise noch um ein geringes überstiegen hat.
An den Vortrag schloß sich eine lebhafte Diskussion, die
sich hauptsächlich um die Frage der Erhöhung der Straf-
mündigkeitsgrenze drehte. Während die Mehrzahl
der Anwesenden den Ausführungen des Vortragenden
zustimmte, fehlte es nicht an Stimmen, die es bei
den bestehenden gesezlichen Bestimmungen gerade mit
Rücksicht auf die häufig recht schweren Straftaten
zwölf: und dreizehnjähriger Kinder belassen zu sollen
rieten.
Nachdem an Stelle des aus dem Vorsstande aus-
scheidenden Herrn Rud. Fromm, der seit der
Gründung des Vereins dem Vorsstande angehört,
uunmehr aber eine Wiederwahl abgelehnt hat, Herr
Rentier Mildenstein gewählt war, teilte der Vor-
sitzende mit, daß er mit einem hiesigen Unternehmer
in Verbindung getreten sei zwecks Beschaffung von
Arbeiten für entlassene Gefangene.. Zum Schluß
machte er einige interessante Mitteilungen über den
im vorigen Jahre abgehaltenen Verbandstag in
Halle, an dem er als Vertreter des Vereins teil:
genommen hat. 1151.
Mus eum.
Um den Museunmsbesuchern die Übersicht zu erleichtern
und sie insbesondere auf hervorragende Neuheiten oder
zeitweilige Sonderausstellungen in den einzelnen Ab-
teilungen aufmerksam zu machen, ist am Eingange,
rechts neben der Garderobe, eine Tafel angebracht, welche
auf derartiges hinweist. Zurzeit steht z. B. auf der Tafel
zu lesen unter Gewerbemuseum: Dresdener Künstler
lebkuchen, Kunsttöpfereien von Mutz-Altona und Bruse-
Lübeck; unter Naturhistorisches Museum: Häckels Kunst
formen in der Natur. Eine Auswahl von Tafeln
dieses hochinteressanten Werkes, das sowohl für den
Naturfreund wie den Kunstverständigen eine Fülle
von Anregungen bietet, befindet sich in den Schau-
kasten der genannten Abteilung ausgelegt. In der
Gemäldeabteilung liegen Rembrandt-Blätter aus.
Am Scheidewege.
Neben der Frage der Verfassungsänderung hat eine
andere Vorlage von gleicher Bedeutung bislang nicht
die ihr gebührende Beachtung in der Bevölkerung
gefunden: die der Besteuerung des Wertzuwachses
des Grundes und Bodens in den Vorstädten, eint
Steuervorlage, welche, wie bekannt, bereits im Bürger
ausschuß angenommen wurde. Wohl die wenigstet
ahnen, wie einschneidend diese Anderung unseres
Steuersystems für Lübeck sein wird, sonst wärt
diese Frage sicher schon im Vatersstädtischen oder
Grundeigentümerverein erörtert worden. Nur der
Bürgerrechtsverein hat sich bislang mit ihr befaßt.
Bekanntlich agitieren in Lübeck seit langer Zet
die Bodenreformer für eine Besteuerung des Grundes
und Bodens nach dem sogenannten „gemeinen“ Werte.
Sie gehen von der Ansicht aus, daß der Staat dit
Wertsteigerung schafft und deshalb auch ein Anrecht
auf den Gewinn hat. Sie wollen der Spekulatiot
im Grunderwerbe entgegentreten und befürwortel
eine möglichst große Beteiligung des Staates selbst al
der Spekulation. Am liebsten sehen sie es, wenn det
Staat allen Boden in der Umgebung einer wachsendel
Stadt aufkauft, um entweder durch den Verkauf de!
Gewinn einzustreichen und so eine Kontrolle ühet
die Bodenpreise ausüben zu können, oder aber dt
Boden ganz für sich festzuhalten und ihn nut "
Form der Erbpacht auf Zeit abzugeben. Besondet!
das letztere ist das eigentliche Ziel.