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Handlung ganz unbeteiligt sind, empfinden wir als
hemmende und aufgebauschte Nebensache. Uber die
Äußerlichkeiten der Charakteristik in diesem Werke ist
Halbe längst hinausgewachsen, sein „Strom“ zeigt
Menschen in plastisch runder Lebensdeutlichkeit, gegen
die gesehen die Menschen in „Mutter Erde“ kon-
ventionell erscheinen. Dazu kommt, daß ein starker
Schuß Sentimentalität die echten Gefühlswirkungen
oft peinlich verdirbt. Trotz allem aber können wir
uns dem dichterischen Zauber, der das alles geheimns-
voll umspinnt, nicht entwinden; Halbe ist eben in
allem, auch in der naturalistischen Verkleidung, zu der
ihn die Zeitströmung versührte, ein Poet von Herz
und starker seelischer Schaukraft. Wie der vom Über-
menschentum, der von geistiger Überspanntheit innerlich
zerfressene, seelisch ausgebrannte und unsfruchtbare
Großsstadtmensch an der Heimaterde, an dem reinen
Winteratem seiner schneebedeckten Felder und an dem
Wiedererwachen einer ersten echten Jugendliebe gesundet
und erstarkt, das kann heute gewiß niemand besser zeigen
als Halbe. Mutter Erde, sein tief wurzelndes Heimats-
gefühl und dessen Stimmung ist das Grundmotiv
seiner späteren Dichtung und seine Wunderharfe ger
worden., aus deren Saiten er immer wieder echte Gold-
klänge hervorlodt. ~ Herr Sillé, zu desssen Ehren
der Abend angesetzt war, verkörperte P. Warkenthin,
den unter Schmerzen zur Kraft ringenden Heimatsucher,
ganz vortrefflich. In allen Rollen, die wir von ihm
sahen, zeigte er sich als ein von innen heraus, mit starker
Gefühlsteilnahme gestaltender Darsstellee. Wie sein
Oktavio in „Wallensteins Tod“ neulich, so war auch
sein Warkenthin eine mit vollster seelischer Hingabe,
vhne Routine und Mäychen, geformte eindrucksvolle
Leistung. Außer ihm müssen Frl. Anders, Herr
Hofer, besonders auch Frau von Vollmerstein
und Herr Krüger erwähnt werden.
Ein allerliebstes Stückchen, betitelt „Frühling,“
verfaßt von Herrn L. Sillé, versetzte zum Schluß des
Abends die Zuhörer in stürmische Heiterkeit. Die
„Liebe“ des sechzehnjährigen Gymnasiasten gibt den
Stoff her, der außerordentlich geschict mit Humor
durchwürzt zu einer knappen fesselnden Handlung ver-
arbeitet ie. Das Publikum dankte dem Verfasser
durch zahlreiche Hervorrufe und Blumenspenden ; doch
auch den übrigen Darstellern, vor alem Herrn Men-
zinger, der über eine wahrhaft köstliche kindliche
Naivität versügt, wie Frl. Anders, Frl. Brock
und Frl. Leßmann sei hier für ihr feines und
sicheres Spiel gedankt. H. Stodte.
Dalibor. Oper von F. Smetana. (24. März.)
Böhmens bedeutendster Komponist, Friedrich Sme-
tana (geb 1824), ist in unserer Vaterstadt fast un-
bekannt geblieben. Wenn nicht das böhmische Quartett
vor längerer Zeit das schöne RE-moll-Quartett ,Aus
meinem Leben“ in einem der Kammermusikabende von
Frl. Herrmann gespielt hätte, wäre uns die Bekannt-
schaft mit diesem rassigen Komponisten noch länger
vorenthalten geblieben. Und doch gehört Smetana
zu den anziehendsten Erscheinungen der neueren Zeit,
zu den Männern vor allem, die für die Schaffung
nationaler Musik sich unvergängliche Verdienste erworben
haben. Böhmens bedeutendster Kritiker, Emanuel
Choalla, hat recht, wenn er von diesem prächtigen Cho
rakterkopf sagt, daß Smetana nicht nur in der be-
gründeten Idee, sondern auch in seinen Kunsttaten
fortlebe. Wer immer die Schickkale der böhmischen
Musik von ihrem mächtigen Aufschwunge in den
sechziger Jahren an schreiben will, wird bei Smetana
lange Heit ausruhen müssen, um die große Bedeutung
dieses genialen Musiters ins rechte Licht zu sehen.
In Deutschland errang der Böhme nicht nur durch
seine noble Kammermusik und seine temperamentvollen
ssinfonischen Dichtungen viele Anhänger, sondern auch
durch seine Bühnenwerke, von denen „Die verkaustt
Braut“! wohl als das beste bezeichnet werden darf.
Daß man unrecht tut, seine große Oper ,, Dalibor"
zu vernachlässigen, hat uns die Aufführung am Freitag
bewiesen. In einer Zeit, in der man nach guten Opern
fahndet, sollte ein so schönes Werk aus langem Dorr
rösche::.schlafe erweckt werden. Das Libretto, das in
seinem Inhalte und Aufbau an Beethovens „Fidelio"
erinnert, ist recht geschickt gemacht. Nur im leytet
Aufzuge fällt es merklich ab. Hier muß entweder di
Regie das Ganze besser durcharbeiten, oder es hat der
Rotstift mehr gestrichen, als im Interesse der Bühnet
wirksamkeit zulässig wäre. Von wirklicher Schönheit
ist die Musik Smetanas. Das große Duett „düll
ich dein Herz an meinem schlagen,“ das Duett
zwischen Jutta und Veit, der prächtige Chor dr
Kinappen und vor allem die große Kerkerszene ind
Schöpfungen eines Mannes, der Anspruch darauf tr
heben darf, nicht vergessen zu werden. Wir haben
oft genug der Direktion gezürnt, daß sie uns Novt
täten bot, die nicht wert waren, daß ihnen gi
geopfert wurde, Smetanas „Dalibor“ söhnt uns ni!
vielem aus. Möge unser Publikum nun auch bt
weisen, daß es das Wertvolle zu schägen weiß, ui
so mehr, als die Oper in guter Aufführung und Uut
stattung geboten wurde. Was an Unsicherheit in h!
großen Enssembleszenen sich noch geltend machte, wi!
sicher die zweite Aufführung schon getilgt haben. t
Maurick als Dalibor und Frl. Wallfried al
Milada verdienten ein besonders warmes Lob. M
Roccogestalt des Kerkermeisters wurde Herr Schal
tresflich gerecht, nicht minder Frl. Daniela d!
Waisenmädchen Jutta. Herr Herrmanns war z'
König Wladislaw sehr reserviert; etwas lebendig
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