Full text: Lübeckische Blätter. 1905 ; Verhandlungen der Bürgerschaft. 1905 (47)

176 Handlung ganz unbeteiligt sind, empfinden wir als hemmende und aufgebauschte Nebensache. Uber die Äußerlichkeiten der Charakteristik in diesem Werke ist Halbe längst hinausgewachsen, sein „Strom“ zeigt Menschen in plastisch runder Lebensdeutlichkeit, gegen die gesehen die Menschen in „Mutter Erde“ kon- ventionell erscheinen. Dazu kommt, daß ein starker Schuß Sentimentalität die echten Gefühlswirkungen oft peinlich verdirbt. Trotz allem aber können wir uns dem dichterischen Zauber, der das alles geheimns- voll umspinnt, nicht entwinden; Halbe ist eben in allem, auch in der naturalistischen Verkleidung, zu der ihn die Zeitströmung versührte, ein Poet von Herz und starker seelischer Schaukraft. Wie der vom Über- menschentum, der von geistiger Überspanntheit innerlich zerfressene, seelisch ausgebrannte und unsfruchtbare Großsstadtmensch an der Heimaterde, an dem reinen Winteratem seiner schneebedeckten Felder und an dem Wiedererwachen einer ersten echten Jugendliebe gesundet und erstarkt, das kann heute gewiß niemand besser zeigen als Halbe. Mutter Erde, sein tief wurzelndes Heimats- gefühl und dessen Stimmung ist das Grundmotiv seiner späteren Dichtung und seine Wunderharfe ger worden., aus deren Saiten er immer wieder echte Gold- klänge hervorlodt. ~ Herr Sillé, zu desssen Ehren der Abend angesetzt war, verkörperte P. Warkenthin, den unter Schmerzen zur Kraft ringenden Heimatsucher, ganz vortrefflich. In allen Rollen, die wir von ihm sahen, zeigte er sich als ein von innen heraus, mit starker Gefühlsteilnahme gestaltender Darsstellee. Wie sein Oktavio in „Wallensteins Tod“ neulich, so war auch sein Warkenthin eine mit vollster seelischer Hingabe, vhne Routine und Mäychen, geformte eindrucksvolle Leistung. Außer ihm müssen Frl. Anders, Herr Hofer, besonders auch Frau von Vollmerstein und Herr Krüger erwähnt werden. Ein allerliebstes Stückchen, betitelt „Frühling,“ verfaßt von Herrn L. Sillé, versetzte zum Schluß des Abends die Zuhörer in stürmische Heiterkeit. Die „Liebe“ des sechzehnjährigen Gymnasiasten gibt den Stoff her, der außerordentlich geschict mit Humor durchwürzt zu einer knappen fesselnden Handlung ver- arbeitet ie. Das Publikum dankte dem Verfasser durch zahlreiche Hervorrufe und Blumenspenden ; doch auch den übrigen Darstellern, vor alem Herrn Men- zinger, der über eine wahrhaft köstliche kindliche Naivität versügt, wie Frl. Anders, Frl. Brock und Frl. Leßmann sei hier für ihr feines und sicheres Spiel gedankt. H. Stodte. Dalibor. Oper von F. Smetana. (24. März.) Böhmens bedeutendster Komponist, Friedrich Sme- tana (geb 1824), ist in unserer Vaterstadt fast un- bekannt geblieben. Wenn nicht das böhmische Quartett vor längerer Zeit das schöne RE-moll-Quartett ,Aus meinem Leben“ in einem der Kammermusikabende von Frl. Herrmann gespielt hätte, wäre uns die Bekannt- schaft mit diesem rassigen Komponisten noch länger vorenthalten geblieben. Und doch gehört Smetana zu den anziehendsten Erscheinungen der neueren Zeit, zu den Männern vor allem, die für die Schaffung nationaler Musik sich unvergängliche Verdienste erworben haben. Böhmens bedeutendster Kritiker, Emanuel Choalla, hat recht, wenn er von diesem prächtigen Cho rakterkopf sagt, daß Smetana nicht nur in der be- gründeten Idee, sondern auch in seinen Kunsttaten fortlebe. Wer immer die Schickkale der böhmischen Musik von ihrem mächtigen Aufschwunge in den sechziger Jahren an schreiben will, wird bei Smetana lange Heit ausruhen müssen, um die große Bedeutung dieses genialen Musiters ins rechte Licht zu sehen. In Deutschland errang der Böhme nicht nur durch seine noble Kammermusik und seine temperamentvollen ssinfonischen Dichtungen viele Anhänger, sondern auch durch seine Bühnenwerke, von denen „Die verkaustt Braut“! wohl als das beste bezeichnet werden darf. Daß man unrecht tut, seine große Oper ,, Dalibor" zu vernachlässigen, hat uns die Aufführung am Freitag bewiesen. In einer Zeit, in der man nach guten Opern fahndet, sollte ein so schönes Werk aus langem Dorr rösche::.schlafe erweckt werden. Das Libretto, das in seinem Inhalte und Aufbau an Beethovens „Fidelio" erinnert, ist recht geschickt gemacht. Nur im leytet Aufzuge fällt es merklich ab. Hier muß entweder di Regie das Ganze besser durcharbeiten, oder es hat der Rotstift mehr gestrichen, als im Interesse der Bühnet wirksamkeit zulässig wäre. Von wirklicher Schönheit ist die Musik Smetanas. Das große Duett „düll ich dein Herz an meinem schlagen,“ das Duett zwischen Jutta und Veit, der prächtige Chor dr Kinappen und vor allem die große Kerkerszene ind Schöpfungen eines Mannes, der Anspruch darauf tr heben darf, nicht vergessen zu werden. Wir haben oft genug der Direktion gezürnt, daß sie uns Novt täten bot, die nicht wert waren, daß ihnen gi geopfert wurde, Smetanas „Dalibor“ söhnt uns ni! vielem aus. Möge unser Publikum nun auch bt weisen, daß es das Wertvolle zu schägen weiß, ui so mehr, als die Oper in guter Aufführung und Uut stattung geboten wurde. Was an Unsicherheit in h! großen Enssembleszenen sich noch geltend machte, wi! sicher die zweite Aufführung schon getilgt haben. t Maurick als Dalibor und Frl. Wallfried al Milada verdienten ein besonders warmes Lob. M Roccogestalt des Kerkermeisters wurde Herr Schal tresflich gerecht, nicht minder Frl. Daniela d! Waisenmädchen Jutta. Herr Herrmanns war z' König Wladislaw sehr reserviert; etwas lebendig köt au lic T P MI z ! ( [ M [
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