Full text: Lübeckische Anzeigen 1913 (1913)

Militärmission nach Konstantinopel zu erhalten. Die türkische 
Regierung wird zur Verstärkung der englischen Marinemission 
weitere 28 englische Offiziere erbitten und der Chef der eng⸗ 
lischen Mission wird zum offiziellen Rat der Admiralität ernannt 
verden, während ein französischer General mit der vollkommenen 
Reorganisation der Gendarmerie beauftragt werden soll. Der 
heneral soll bei der Durchführung seiner Aufgabe von 42 
ranzösischen Offizieren unterstützt werden. die in nächster Zeit 
sach der Türkei abreisen werden. — Die Pforte ha. Mächten 
— 
rung des Gleichgewichtes am Goldenen Horn nicht eintreten wird. 
Neue Kämupfe in China. 
PO. London, 11. Dez. Wie der Daily Telegraph aus 
geking meldet, erhält sich dort hartnäckig das Gerücht, daß 
Heneral Tschang Hsun sich offen gegen die Regierung empört 
zat und zwar wegen Streitigkeiten, die zwischen ihm und dem 
Heneral Seng Kao Achang ausgebrochen sind. General Seng 
dao Tschang hatte dem aufständischen General den Befehl er⸗ 
leilt, einen Teil seiner Truppen zu entlassen. Dieser weigerte 
ich jedoch, der Aufforderung nachzukommen und nahm eine 
eindselige Haltung gegen die Pekinger Regierung ein, worauf 
ziese ihrerseits Maßnahmen zur Unterwerfung Achang Hsuns 
getroffen hat. Die Regierung hat 20 000 Mann gegen den 
aufrührerischen General entsandt. Zwischen den Gegnern soll 
s bereits zu einem Gefecht in der Umgebung von Nanking 
jekommen sein. Einzelheiten über diesen Kampf stehen noch 
rus, doch heißt es, daß die Verluste auf beiden Seiten sehr 
Hedeutend sein sollen. Die Erregung in Peking ist sehr grob 
ind allgemein wird angenommen, daß man am Vorabend 
roher Ereignisse steht. 
Der mexrikanische Bürgerkrieg. 
W. Newyhork, 11. Dez. Nach einer Depesche aus Mexiko 
vltet seit gestern nachmittag ein erbitterter Kampf vor 
Dampieco, dem Hafen für die Oelfelder. 
Hamburg, 11. Dez. Der Senat hat Serrn Senatssekretär 
Ernst Friedrich Emil Ludwig auf den 1. Januar 1914 zum 
Senatssyndikus, den Oberregierungsrat bei der Finanz⸗ 
zeputation Herrn Johann Daniel Krönig, J. U. Dr. auf den 
. Jamar 1914 zum Senatssekretär erwählt. 
WV. Berlin, 11. Dez. Die fozialdemokratische 
Fraktion wird in der metlenburgischen Verfas— 
ungsfrage eine Interpellation einbringen. Die Fraktion 
vählte an Stelle Bebels Scheidemann als ihren Vor⸗ 
sitßenden. 
W. Berlin, 11. Dez. Die im Frähijahr in Angriff ge⸗ 
iommene Denkschrift über Bauschwindel, die die Stellung⸗ 
iahme zur Frage ermöglichen foll, ob der zweite Teil des Ge⸗ 
etzes über Sicherung von Bauforderungen einzuführen ist, soll 
aach der Post im wesentlichen fertiggestellt sein. 
W. Straßburg, 11. Dez. Wie das Wolffbureau erfährt. 
übergab das Generalkommando den Artikel des Journal d'Al⸗ 
ace⸗Lorraine vom 5. November, worin der Redakteur Markus 
Allard, mit richtigen Namen Eugen Jung, aus Schiltigheim, die 
alsche Anschuldigung erhob, er sei von einem Offizier vor dem 
Broglielasino beleidigt und geschlagen worden, der Staats⸗ 
anwaltschaft. 
W. Sehsingfots, 11. Des. Der Oberschulrat beantwortete 
den ihm von dem Senat gegebenen Auftrag, einen Entwurf 
ur Vermehrung der Unterrichtsstunden in russischer 
Sprache für die Mittelschulen Finnlands auszu— 
irbeiten, mit der Erklärung, er sei außerstande, die Lehrpläne 
rgendwie abzuändern, mache jedoch den Vorschlag, den acht 
Tlassen der Mittelschulen zur Verstärkung des russischen Unter— 
ichts eine neunte hinzuzufügen. 
W'. Madrid, 11. Dez. Die Spanisch-Amerikanische 
Bank ist gestern auf Gerüchte über einen Krach von einer un⸗ 
gzeheuren Menschenmenge gestürmt worden. 15 bis 20 
Millionen Pesetas sind im Laufe des Tages zurückgezahlt 
worden. 
W. Petersburg, 10. Dez. Der Ausschuß der Reichsduma 
ür Reform des Polizeiwefens nahm einstimmig den 
ersten Antrag des Berichterstatters an, durch welchen die Gen⸗ 
darmeriekorps von der Untersuchung politischer Delikte ent—⸗ 
zunden und die Untersuchungsrichter allein mit der Vorunter⸗ 
uchung bei politischen Delikten beauftragt werden. 
W. Charkow, 11. Dez. Der Kongreß der Vertreter der 
Montanindustrie stellte fest, daß 19183 die Ausfuhr an 
Produkten der Montanindustrie 1850 900 000 Pud erreichte, ein 
Pehr von 181 390 000 Pud gegenüber dem Jahre 10912. 
W. Konstantinopel, 11. Dez. Von zuständiger Stelle wird 
z»em Wiener k. k. Tel-Korr.“Bur. mit Ermächtigung des Groß— 
vesirs die Meldung eines Wiener Blattes von einer angeblichen 
Oemission des Großwesirs kategorisch in Abrede gestellt. Der 
Hroßwesir habe sich lediglich gestern wegen einer Erkältung nicht 
auf die Pforte begeben. 
Edbeben in der Schweiz. 
PC. Genf, 11. Dez. Gestern nachmittag wurden in Mon⸗ 
treux zwei Erdstöße verspürt, die unter der Bevöllerung große 
tzestürzung hervorgetrufen haben. Die Erdstöße waren von einem 
Feräusch, das den Eindrudk einer fernen Erplosion hervorrief, 
zegleitet. Die Bewohner eilten erschredt auf die Straßen, be— 
»uhigten sich aber bald wieder, als keine weiteren Beben statt⸗ 
anden. Die Straßenbahnen blieben bei Eintritt des ersten 
krdstoßes mit einem harten Ruck stehen; mehrere Vassagiere 
erlifsten hierdurch Verletzungen. 
W. Samburg, 11. Dez. Das Luftschiff „Sachsen“ 
ist heute früh kurz vor 10 Tbehr zu seiner ersten Uebungsfahrt 
nach seiner Ankunft in Hamburg in der Richtung nach Quickbborn 
ufgestiegen. 
W. Bremen, 11. Dez. Zu der Meldung aus Baltimore be— 
reffend die Bestrafung des Kapitäns des Lloyddampfers 
Frankfurt“ wegen Verstobes gegen die Vorschriften für die 
‚rahtlose Telegraphie teilt der Norddeutsche Llond mit: Der 
Ddampfer „Frankfurt“ hat vorschriftsmähig zwei Funken⸗ 
elegraphisten. Infolge Erkrankung des ersten Offiziers ver⸗ 
wandte Kapitän Könnemann mit Rüdsicht auf die schwierigen 
Zchiffahrtsverhältnisse auf dem Delaware und in der Chesapeak⸗ 
zucht bei Nacht und Nebel den Telefunkenoffizier im Interesse 
er Sicherheit des Schiffes auf der Brücke. Währenddessen 
tand der erste Telegraphist zur Bedienung der drahtlosen Sta⸗ 
ion zur Verfügung. 
W. Bremerhaven, 11. Dez. Der Geestemunder 
danpfer Flifabetß Rigmers“‘, der bei BHelgoland 
nanövrierunsähig krieb, ist im Tau der Schlepper „Roland“ 
nd „Enak“ in Cuxhaven angekommen und auf der 
lltenbrucher Rede vor Anker gegangen. Außer dem Verlust 
er drei Schraubenflügel hat der Dampfer keinen Schaden er— 
itten. „Elisabeth Rickmers“ war auf der Reise von Hamburg 
iach Amsterdam. 
W. Berlin, 11. Dez. Der fiamesische Generalkonsul Frei— 
jerr v. M., der aus Aegypten hier eingetroffen ist, muhte im 
LBirchow-Krankenhaus Aufnahme suchen, weil er an den 
—„Ichwarzen Pocken erkrankt ist. Es sind die denkbar 
rößten Vorsichtsmaßregeln getroffen worden, um die Krank—⸗ 
eit auf die Person des Freiherrn v. M. zu beschränken. Die 
Familie befindet sich ebenfalls in dem genannten Krankenhaus. 
ks ist keines der Mitglieder der Familie bis jetzt erkrankt. 
)b der Generalkonsul sich die Ansteckung in Aegypten oder 
interwegs während der Ueberfahrt zugezogen hat, ist nicht 
rufgeklärt. 
DT. Berlin, 11. Dez. Gestern abend wurde ein überaus 
reister Ueberfall auf eine Lumpenhändlerin ver— 
bt. In der Bergstraße 3 bewohnt die Lumpenhändlerin Er⸗ 
Ardt einen alten Schuppen, in dem fsich auch ihr Geschäfts— 
erkehr abwickelt. Zu ihren geschäftlichen Arbeiten bediente sie 
ich der Hilfe eines Althändlers Pietsche. Gestern abend bemerkte 
nuin die Frau, wie ihre Hilfskraft sich in verdächtiger Weise 
im fie zu schaffen machte. Plötzlich blies Pietsche die Lampe aus und 
türzte sich in der Dunkelheit auf die 60iährige Frau, die er zu 
vürgen versuchte. Frau Erhardt rief um Hilfe, worauf Haus⸗ 
ewohner herbeieilten und die Frau befreiten. Pietsche wurde 
n Haft genommen. 
PO. Marfeille, 11. Dez. Der italienische Dampfer „Ami— 
izio“ ist bei Farakan aufgelaufen, an derselben Stelle, an der 
or 10 Jahren der Dampfer „Rossie“ auflief. Es herrscht an 
Jer ganzen Küste dichter Nebel, durch den die Strandung des 
dampfers hervorgerufen worden ist. 
W. Kahserlichte Marine. Eingetroffen: „Seeagdler“ 
in 8. Dez. in Lindi, Cormoran“ am 10. Dez. in Guam (Ma⸗ 
iannen), „Kaiserin“ am 7. Dez. in Kiel, „König Albert“ am 
. Dez. in Wilhelmshaven, Reichspostdampfer „Rhenania“ mit 
eni Ablösungstransport für Möwe“ am 8. Dez. in Dares⸗ 
alam. Reichspostdampfer, Rhenania“ hat mit der von „Möõwe“ 
bgelösten Besatzung die Heimreise angetreten. In Zangibat 
vird dieser Transport auf den Reichspostdampfer „Adolf Woer⸗ 
nann“ eingeschifft — In See gegangen: „Strakburg“ am 
3. Dez. von Kiel, die detachierte Division Kaiser“, „Ksnis 
Albert“ und „Straßburg“ am 9. Dez. von Wilhelmshaven. — 
Frivatpakete: An die Besatzungen des Gouvernements 
diautschou und der Schiffe in Ostasien, sowie an die Angehörigen 
„es ostasiatischen Marinedetachecnents können zu den belannten 
Bersendungsbedingungen Privatpakete kostenfrei verschick 
verden, wenn sie porto- und bestellgeldfrei bis spätestens 5. Jan. 
914 bei der Speditionsfirma Matthias Rohde & Co. Ham⸗ 
rurg, Sandtorkai 35, eintreffen. Für Verpadungs⸗ und Lade⸗ 
ebühr sind 30 Pfg. bei der annehmenden Postanstalt zu ent— 
ichten. Die Beförderung der Pakete soll mit dem am 12. Jan. 
914 von Hamburg abgehenden Ablösungsdampfer „Patricia“ 
folgen, der fahrplanmähig am 17. Februar in Hongkong und 
im 21. Februar in Tiingtau eintrifft 
— — ——— 
Deutscher Reichstag. 
Sitzung vom 11. Dezember 19135. 
Am Bundesratstische: Dr. Delbrück, v. Jagow, Kraetke, 
Dr. Lisco Kühn, v. Falkenhayn sowie zahlreiche andere Be⸗ 
ollmächtigte und Kommissare. F 
Der Platz des Abg. und zweiten Vizepräsidenten Dove 
Fortschr. Vpt.) der heute sein oo Lebensjahr vollendet, ist 
Nit einem prächtigen Rosenarrangement geschmückt. 
Präsident Dr. Kaempf eröffnete die Sißzung uͤm 1124 Uhr. 
Das Saus sebte die Generaldiskugsion dea — 
Prichshaushaltsetats iür 1914 
iort. F 
olbg. Dr. Ricklin (Els.): Was der Kriegsminister gestern 
gier ausgefuüͤhrt hat, waren nichts als Selbstverständlich⸗ 
ienEr hat es verftanden, immer an der eigentlichen 
Frage vorbeizureden. Graf Wesiarp hat von einer fortgeseg⸗ 
en Beschimpfung der Offiziere seitens der Zaberner Bevöl⸗ 
erung gesprochen. Er hat aber auch nicht den Schatten eines 
deweises dafür beibringen können. Andauernde Unruhe, 
hlocke des Präsidenten). Wäre das Militär am 28. Nodem⸗ 
ser nicht so vorgegangen, dann wäre es nicht zu den Unruhen 
ckommen. Ich begreife übrigens nicht, warum man den 
aatssekretär Zorn von Bulach gerade besonders angreift. 
r ist wahrhaftig in der ganzen Sache am unschuldigsten. 
Lir werden unfere Regierung im Landtage fragen: Was 
sasi Du in dieser ganzen Sache getan? Wenn die Antwort 
icht befriedigend ausfällt, wird ein Strafgericht über 
insere Regierung abgehalten werden. In französischer Zeit 
jalten wir viel mehr politische Freiheit; jetzt befinden wir 
ins iatfachlich in einer unwürdigen staatsrechtlichen Aus⸗ 
ahmestellung. Die scharfmacherischen Töne des Grafen 
Ddeftarp find nicht geeignet, uns besonders aufzuregen. Mit 
inem Himmeldonnerwetter“, ist bei uns nichts anzufangen. 
Isaß⸗Lothringen wird es niemals vergessen, mit welcher 
inmüligkeit die große Mehrheit des Reichstages in dieser 
Vweren Stunde auf seine Seite getreten ist (Beifall bei den 
xis), und, wenn wir auch zum großen Teil das Vertrauen 
ur Regierung verloren haben, so haben wir umsomehr 
ertrauen gewonnen zum deutschen Volk. 
Beifall). 
Abg. Hoch SZox Das Mißbilligungsvotum bedeutet die 
gernrteilung der Offizierswirtschaft. Als die Etatsberatung 
usgesetzt wuͤrde, weil der Reichskanzler nach Donaueschingen 
cfohlen war, glaubte man, daß der Reichskanzler nach seiner 
fückktehr mitteilen würde, wie die Sache erledigt werden 
olle. Er hielt es aber garnicht für nötig, dem Reichstag 
jne Mitleilung darüber zu machen. Für ihn schien die Sache 
rledigt. Aber für das Volk ist sie nicht erledigt. Der Reichs⸗ 
anzler hat erklärt, es gibt keine Nebenregierung. Das 
vollen wir ihm glauben, es gab nur eine Regierung, aber die 
bar er nicht. (Zustimmung bei den Soz.). In der Tat aber 
zibt es eine Nebenregierung— die derartige Zusammenstöße, 
hie sie in Zabern stattfanden, heraufheschwören will. Wir 
dissen ja, daß der erste Reichskanzler des Deutschen Reiches 
eshalb gestiirzt worden ist, weil er einer derartigen Politik 
ie Hand bieten wollte. Diese Kreise liegen auf der Lauer 
zegen das Reichstagswahlrecht, gegen das Koalitions- und 
Streikrecht der Arbeiter. Es ist in Preußen gar kein Wun—⸗ 
ser, wenn das Volk, wenn die Arbeiter unterdrückt werden; 
aben wir doch gestern den Typus des preußischen Landrats 
nit seiner Himmeldonnerwetterpolitik“ hier ganz unver— 
alscht genießen können. Wie kann ein solcher Beamter das 
Jolk, den Arbeiter gerecht beurteilen? Den Vorteil von der 
beraus reichen Ernte dieses Jahres hat nur das Groß— 
apital, haben die Reichen, den Nachteil haben die kleinen 
Ldeuie, die Arbeiter. Der uns zugegangene Etat ift ein Kul- 
turdorument ganz außerordentlicher Art. 354 Wiilliarden 
wverden allein für den Militaärismus ausgegeben. Für die 
Arbeiter hat man fast nichts übrig. Was man ihnen gibt, ist 
nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Auf internationalen 
donferenzen vertreten unsere Regierungsvertreter öfter 
Arbeiterforderungen. Auf Geheiß des Zentralverbandes 
deutscher Industrieller muß sie aber die Regierung später 
Wlehnen. Wir werden mit jeder Regierung und Partei zu 
ammenarbeiten, die wirklich etwas Gutes für das Volk tun. 
Dagegen lehnen wir es ab, bei einem parlamentarischen Re— 
zime in die Regierung einzutreten und dort als Minister 
Ihre Geschäfte zu besorgen. (Lebhafter Beifall bei den Soz.). 
Abg. Erzberger (Ztr.): Der Reichskanzler sprach von dem 
ogenannten Mißbilligungsvotum, von Meinungsverschie- 
oenheiten, die zum Bestandteil des politischen Lebens ge⸗ 
Jören. Davor behüte uns der Himmel, daß solche Meinungs⸗ 
derschiedenheiten zum Bestandteil des Reichssstages gehören. 
Braf Westarp ist sogar soweit gegangen, zu sagen, manche 
von den Reden, die in der vorigen Woche gehalten worden 
vären, würden wohl heute nicht mehr gehalten werden, es 
jei nur Strohfeuer gewesen. Soweit er damit anspielen 
vollte auf die geradezu meisterhaften Darlegungen des 
— DO— 
raktion und die Zentrumspartei im ganzen Deutschen Reiche 
noch einig und geschlossen hinter den Ausführungen des Abg. 
jehrenbach stehen. (Lebhafte Zustimmung im Zentrum.) 
der Abg. Graf Westarp hat sich bei seinen Argumenten auf 
den Staatsrechtlehrer Ihering bezogen. In dessem Buche 
Der Kampf ums Recht“ heißt es, daß zu derselben Zeit, da 
Bürger und Bauern Gegenstand der absolutistischen Willkür 
waren, Elsaß⸗Lothringen. für das deutsche Volt verloren 
—5— (Große Unruhe links; Zwischenrufe des Abg. Lede⸗ 
our; Vizepräsident Dr. Paasche: Ich bitte, die Zwischenrufe 
zu unterlassen. Abg. Ledebour ruft ironisch: Sie fördern die 
Beschäfte! Vizepräsident Dr. Paasche: Einen solchen Ton 
und eine solche Kritik meiner Amtsführung verbitte ich 
mir!) Wenn der Reichskanzler seine Demission nicht ein⸗ 
reicht, so liegt das in seinem Ermessen, aber der Reichstag 
kann daraus Konsequenzen ziehen. Fürst Bülow 
leistete dem Vaterlande eins seiner her— 
porragendsten Verdienste,als er exklärte, 
daß er nicht im Amte bleiben wollte, wenn 
zie Nationalliberalen nicht für die Reichsfinanzreform von 
1909 stimmen wollten. (Widerspruch bei den Nationallibe⸗ 
ralen; lebhafte Zurufe des Abg. Gröber an die Natl.) 
Vom Reichsschatzsekretär hätten wir erwartet, daß er, uns 
sagte, worin die Sparsamkeit, für die er so warm eintrat, sich 
zeigen solle. Der Wehrbeitrag ist der große Reservefonds 
zür das Heer bis zum Jahre 1916. Der neue Etat hält in 
den Einnahmen nicht das, was versprochen worden war. Die 
überschüsse sind im Abnehmen begriffen. Wir wünschen 
deshalb die Schaffung eines Ausgleichsfonds für das 
Reichsschatzamt. Der Kriegsminister hat zugesagt, modernen 
Anregungen gern Folge geben zu wollen. Vielleicht geht er 
da auf den Vorschlag ein, den unmoralischen und unsittlichen 
Duellzwang zu beseitigen. Hier würde ein Wort des obersten 
Kriegsherrn genügen. 
Braunschweigischer Bundesratsbevollmächtigter Wickl. 
Beh. Legationsrat Boden: Ich danke dem Reichstag für die 
außerordentlich sympathische Weise, mit der er die Lösung 
der braunschweigischen Frage hingenommen hat, wie es ins 
besondere von den Herren Spahn, Wiemer und Bassermann 
ausgedrückt worden ist. Braunschweig hat, ein Fürstenhaus, 
dessen Loyalität unter allen Umständen feststeht. (Lebhafte 
Zustimmung.) Die Verantwortung dafür nehmen wir gerne 
quf, uns in der überzeugung, daß die endgültige Lösung dem 
Vohle unseres Landes wie des Reiches entsprochen hat. 
Lebhafter Beifall). 
. Abg. Haußmann (Fortschr. Vpt.): Der Reichstag muß sich 
mehr mit den Fragen der auswärtigen Politik beschäftigen. 
Er sollte sich überlegen, ob er nicht eine besondere Kom⸗ 
mifsion einsetzen sollte, welche die auswärtige Politik ständig 
im Auge behielte. Es scheint jetzt der Augenblick für eine 
Innäherung zwischen Deutschland und Frankreich gekommen 
zu sein. Auf beiden Seiten mehren sich die Stimmen, 
welche dieses Ziel anstreben. Noch wichtiger, für uns ist aber 
eine Verständigung mit England, und wir sollten uns nicht 
gegen die Vorschläge hezüglich einer Pause in der Flotten⸗ 
bermehrung sträuben. Ich möchte den Kriegsminister fragen, 
ob den elsässischen Soldaten der Weihnachtsurlaub erst ver⸗ 
sagt und später erst durch Eingreifen einer höheren Stelle 
wieder bewilligt worden ist. Auch möchte ich wissen, ob die 
Absicht besteht, Zabern die Garnison zu entziehen, oder nur 
einen Regimentswechsel zu erlassen. 
Der Kriegsminister v. Falkenhayn verneint die Frage 
des Abg. Haußmann betr. den Weihnachtsurlaub. Die Frage 
zer Entziehung der Garnison zu erörtern, ergab sich noch 
ein Anlaß. Die Angelegenheit ist noch in der Schwebe. Vor 
der Klärung kann nichts darüber gesagt werden. Ich weise 
die Bemerkung des Abg. Ricklin zurüch, daß die Jagdscheine im 
Elsaß den Ausländern verweigert würden, weil die Offiziere 
die Franzosen als Konkurrenten bei der Jaadverpachtung 
betrachteten. 
Abg. Oertel (konf.), Der Dreibund bewährte seine 
getigen wenn sie auch Frankreich unangenehm war. Der 
reundschaft zu Rußland und England freuen wir, uns und 
aduch, daß die Beziehungen zu Frankreich korxrekt sind, Ueber 
bie braunschweigische Frage werden wir im Landtage sprechen. 
Unsere Haltung in der Zaberner Sache wird von gewissen 
nationalsiberalen Kreisen geteilt, auch das Zentrum und 
manche, die den Fraktionsstandpunkt nicht teilen, würden sich 
freuen, wenn von der ganzen Sache keine dauernde Verstim⸗ 
mung zurücdbleibt. 
Abg. Eraf von Westary (kon.): Ich beleidigte nicht die 
Zaberner Bevolferung, ich sadelte die unreifen Burschen. Der 
Wert des sogenannten Mißtrauensvotums wird von den ein⸗ 
selnen Parfeien verschieden heurteilt. Die Erfahrung lehrte, 
daß man in den parlamentarisch regierten Ländern schlim— 
ere Erfahrungen macht, als in den konstitutionellen Staaten. 
Wir wollen das Koalisfionsrecht nicht antasten, halten aber 
besonders das Arbeitswilligenschutzgesetz für nötig. Der 
Reichskanzler wird sich unsern Dank und unser Vertrauen er⸗ 
verben, wenn er in der Schaffung eines Zusammenschlusses der 
schaffenden Stände die Führerrolle übernimmt. 
Abg. Paasche (natlib.): Ein Mißtrauensvotum in dem 
Sinne, wie die Sozialdemokraten es wollen, beabfichtigen 
wvir nicht. Aber die Art der Behandlung der Angelegenheit 
durch den Reichskanzler, konnten wir nicht widerspruchslos 
Fingehen lassen. Die militärische Selbsthilfe muß ausscheiden, 
pir haben ein Volksheer. das dem Führer nur dang folgt, 
wenn es Vertrauen zu seiner Tüchtigkeit hat. Lebh. Bravso) 
Wir griffen nicht in ein schwebendes Verfahren ein, sondern 
daben ein politisches Urteil ab. Wir machten nicht gegen 
bie Rechte des Kaisers Front. wahren aber auch die Reschte 
es Reichstages. Wir stimmen der Forderung betr. Beseiti⸗ 
zung des Duelizwanges zu. Brayo beim Zentrum.), Der 
Zoldnialetat zeigt“ überall die gefunde Weiterentwidlung. 
Die Frage, ob der Arbeitswilligenschutz ausreicht, muß unter 
Wahrung ber Koalitionsfreiheit und unter Anlehnung an die 
Ausnahmegesetze geprüft werden. 
Darauf vertagt sich das Haus. 
In einer persönlichen Bemerkung verbittet sich Ricklin 
Elfasser) den Ton des Kriegsministers, der es, in den letzten 
Tagen voch nicht gelernt hat. den Reichstag in Berlin von 
dem Kasernenhof in Zabern zu unterscheiden. Geifall.) 
Die nächste Sitzung findet am Freitag um 10 Uhr statt. 
Auf dxr Tagesordnung stehen kurze Anfragen, kleine 
Peragen. Frtehang der Eigatsbergtung und die Inter- 
dellation der Sozialdemokraten detr. die Rüstungskommission. 
èInnchAUNccXÑÑnMWhn steecheteanMpkM V òXòäOXxÑÊοαäà
	        
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