Full text: Lübeckische Anzeigen 1913 (1913)

nentarischen Kreisen verbreitet. Auf eine Anfrage des Berliner 
okalanzeigers erklärte Statthalter Graf Wedel, daß er ein 
nücktrittsgesuch nicht eingereicht habe. Ueber etwaige Rücktritts⸗ 
ibsichten des Staatssekretärs Baron Zorn von Bulach und des 
Interstaatssekretärs Mandel war an zuständiger Stelle keinerlei 
sachricht zu erhalten. 
PC. Paris, 3. Dez. Der Pariser Korrespondent 
es Temops wvill über die Vorfälle in Zabern noch folgende 
Einzelheiten in Erfahrung gebracht haben: Vier 
Reserveoffiziere des 90. Infanterieregiments, die gebürtige 
klsässer sind, haben dem Obersten von Reuter die Demission 
ingereicht. Weiter berichtet das Blatt, Oberst von Reuter 
jat der Militärmufik verboten, wie bisher zweimal wöchentlich 
ruf dem Schloßplatz zu spielen. Außerdem hat er ihnen jede 
Mitwirkung an privaten Festlichkeiten untersagt. Infolgedessen 
at der Musikdirektor der Militärkapelle, der bereits 20 Jahre in 
diensten steht, seine Demission eingereicht. Außerdem ist den 
kinjährig-Freiwilligen vom Trainbataillon in Zabern, die Re⸗ 
erveoffiziere zu werden wünschten, mitgeteilt worden, daß sie 
»on der Avancementstabelle gestrichen worden sind und daß 
rußerdem die letzte Periode von 56 Tagen, die sie als Unter⸗ 
ffizier in der Armee gedient hätten, ungültig sei. Irgend 
nr Grund für diese Maßnahmen gab die Militärbehörde 
icht an. 
ne 
Ein volkstümlicher Etatpoften. 
Vom Staatsminister a. D. Otto bon Sentig. 
Viel zu wenig beachtet und viel zu selten berücsichtigt 
inser öffentliches Leben den nimmerruhenden Verdrängungs— 
ampf, den die Nationalitäten mitten im äußeren Frieden unab— 
ässig führen um Volksboden und Sprachbereich, um Wirt⸗ 
chaftsmacht und Rassengeltung. Zwar haben die Balkankriege 
eben erst gelehrt, in welcher leidenschaftlichen Erbitterung jahr⸗ 
jundertalte Stammesgegensätze noch heute blutig miteinander 
ringen, doch vergißt die politische Tagesarbeit nur gar zu oft, 
dal die Dänen in der Nordmark, die Polen und Tschechen im 
Isten, die Italiener in Südtirol, die Franzosen an der West⸗ 
zrenze des Reiches sich in fortdauernder Bewegung gegen 
inseren Volksbestand befinden. Auch überall da, wo größere 
veutsche Siedlungen und Menschenkolonien im europäischen und 
iberseeischen Auslande blühen, steht das deutsche Volkstum, 
vor allem seine Sprache, mehr oder weniger vor einer Lebens— 
rage. Die Bedeutung dieser Tatsache läßt sich an Treitschkes 
Wort messen: „Die Welt wird dem Volke gehören, dessen 
Sprache die meisten Menschen sprechen“. Eingedenk dessen 
ind ja denn auch die anderen Kulturnationen eifrig bemüht, 
»as Gebiet ihres geistigen Einflusses und damit ihrer wirt— 
chaftlichen Entfaltung auszudehnen. Die Errichtung von Unter—⸗ 
ichtsanstalten jeder Art, von der Volksschule bis zur Univer— 
ität, die Veranstalung von Sprachkursen und Ausstellungen, 
zibliotheken und Presse bilden die hierzu angewendeten Mittel. 
So arbeiten die Vereinigten Staaten von Nordamerika und 
England in Ostasien, Frankreich in Mazedonien und Anatolien, 
Syrien und am Libanon durch geistliche Orden ebenso wie durch 
daienmission. 
Unser westliches Nachbarland hat sich in der Alliance Fran— 
eaise einen eigenen Mittelpunkt geschaffen, von dem jene 
Bestrebungen zur Verbreitung französischer Sprache und Kultur 
inter lebhafter, offener Teilnahme der führenden Männer in 
skegieruig und Pa lamen', insbesondere unter Mitwirkung des 
uswärtigen Dienstes der Republik geleitet werden. 
In Deuischland hat der seit einem Menschenalter bestehende, 
n den letzten Jahren schnell wachsende, Verein sür das Deut'ch— 
um im Ausland“ sich gleichartige Aufgaben zur Abwehr und 
Hegenwirkung gestellt. Er verteidigt mit seinen 370 Landes⸗ 
»erbänden und Ortsgruppen in stiller, aber zäher Arbeit die 
Sprachgrenzen unmittelbar vor den Toren des Reiches, sucht 
die zahlreichen Sprachinseln in fremdem Lande zu schützen 
und stärkt den Fortbestand des Deutschtums in Uebersee durch 
Vermehrung und Vertiefung der geistigen und wirtschaftlichen 
Beziehungen zwischen hüben und drüben. Konnte er auch 
ür seine Zwecke mehr als 4 Millionen Mark aus privaten 
Mitteln aufwenden, so reichten diese Mittel doch gegenüber dem 
zewaltigen Umfange jener Aufgaben bei weitem nicht aus. 
Indessen brachten unausgesetzte Aufklärungsarbeit und zuneh— 
nendes Verständnis für die Pflichten, die dem deutschen Reiche 
eine Weltstellung auferlegt, Abhilfe. Vor einigen Jahren 
hereits brachte der Reichsetat eine Position: 
Förderung Deutscher Schul- und Unterrichtszwecke im Aus⸗ 
lande sowrte Anterstützung von Deutschen Bibliotheken und 
anderen »u gemeinnützigen Zwecken im Auslande bestehenden 
u 
Irrlichter des Glücks. 
Ein Gesellschaftsroman von der Riviera. 
Von Erich Friesen. 
(32. Fortsetzung) MNachdrucd verboten.) 
Und größer und größer werden ihre Augen — — und ihre 
zände beginnen zu zittern — — — 
Allmächtiger Gott, ist es denn möglich? 
Und wieder und wieder liest sie den Namen, der dort als 
Bittorios Gattin aufgezeichnet ssehk. Sie meint, es noch nicht 
sjassen zu können. Und angstvoll sorscht sie in den starren 
Zügen des Sterbenden, ob noch einmal die Besinnung zurück 
kehre, damit sie ihm sagen könne, daß — daß — — 
Vergebens. 
Langsam senken sich die Schatten des Todes herab auf 
zen lekten Herzog von Torlonia. 
13. 
Als der Marquis und die Marquise deEsterre von dem 
Wohltätigkeitsfest bei Lady Roseburry nach Hause zurudckehrten, 
geleitete Marquis Robert nicht wie sonst seine Gemahlin hinauf 
stach ihren Gemächern. 
Zwar half er ihr noch mit der ihm angeborenen Galanterie, 
die sich bei dieser vornehmen Natur niemals verleugnet, selbst 
nicht in Momenten höchster Erregung, aus dem Wagen, reichte 
er iht, die müde und abgespannt aussah, den Arm, um sie die 
breite Freitreppe hinaufzuführen. Dann aber — schon unten 
n der Halle — verließ er sie mit der Entschuldigung, er habe 
inen wichtigen Brief zu schreiben. 
Das war vor vielen, vielen Stunden. Und noch immer 
weilt der Marquis in seinem Arbeitszimmer. 
Der Diener, der meldete, daß das Abendessen serviert sei, 
oird hinter der Tir mit einem kurzen: „Ich habe keinen 
hunger!“ abgefertigt. Und die gnädige Frau Marquise, die sich 
benfalls in ihre Gemächer zuruckgezogen hat, gibt denselben 
eltsamen Bescheid. 
Eine wohlgeschulte Dienerschaft wundert sich über nichts. 
Und wenn sie sich wirklich im Stillen wundert, so darf sie 
ich doch beileibe nichts davon merken lafsen. 
So zudt man auch in Villa Fortung nur stillschweigend 
ie Achseln und ageht zur Tagesordnung uber. 
vaterländischen Unternehmungen mit Ausnahme der Kranken⸗ 
häuser und Armenunterstützungsvereine. 
Für 1913 waren zu diesen Zwecen eingestellt 1100 000 
Mark. Für 1914 wird eine Erhöhung von 400 000 Muge— 
ordert. Man darf überzeugt sein, daß diese Vermehrung von 
illen Seiten ohne Unterschied der Partei begrüsst werden und 
eichliche Frucht tragen wird. Man wird mehr als ehedem ver⸗ 
tehen lernen, welch auferordentliche, vaterländische Bedeutung 
»arin beruht, daß die gewaltige Zahl der Deutschen im Aus— 
land sich nicht preisgegeben glaubt von der alten Heimat, 
sondern die Hand des schirmenden Reiches spürt. 
Die Fremden aber, denen wir durch die deutsche Sprache 
die Kenntnis unseres Wesens und unserer Leistungen erschließen, 
merden unsere Freunde und unsere Kunden sein. 
* 
Deutsches Reich. 
Der Ka'ser, der mit dem Großherzog im Königlichen Schlosse 
u Baden-Baden ankam, wurde von der Großherzogin Luise 
m Vestibül aufs herzlichste begrüht. Unter den zahlreichen 
veschenken für die Großherzogin befindet sich auch ein pracht— 
»olles Blumenarrangement des Fürsten zu Fürstenberg. Der 
daiser fuhr um 8 Uhr 25 Min. im Sonderzug nach Donau— 
jichingen zurück. Die Grokßherzogin Luise und der Großherzog 
aben ihm bis zum Wagen Geleit. Zur Verabschiedung waren 
»ie Spitzen der Behörden und der preußische Gesandte von 
Hisendecher anwesend. In Donaueschingen ist der Kaiser um 
3 Uhr 40 Min. wieder eingetroffen. 
Reichsmittel sür San Franzisko. Im Reichstage ist der 
on 242 Abgeordneten unterzeichnete Antrag Bassermann, 
zaasche, Ebert, Haase, Erzberger, Krings, Gothein, Dr. 
zeckscher eingegangen, nach dem durch einen dritten Nachtrags- 
tat 500 000 Meäals erste Rate des Beitrages zu den Kosten der 
eutschen Ausstellung in San Franzisko 1915 eingestellt werden 
ollen. Der Ausgleich im Etat soll durch die Erhöhung des Ein— 
ahmepostens aus der Zigarettensteurr um 500 000 Muge⸗ 
chaffen werden. 
Zur Errichtung eines Kolonialgerichtshofes. Die Reichstags 
ommission zur Vorberatung des Gesetzentwurfs über die Errich— 
ung eines Kolonialgerichtshofes trat am Mittwoch zusammen 
ind beschloß, zwei Lesungen abzuhalten, um zunächst eine 
ßeneraldebatte durchzuführen. Von nationalliberaler Seite 
zurde angeregt, daß das Reichsjustizamt mit dem Reichsgericht 
rühlung nehmen möge über die Frage, ob die koloniale 
zerichtsbarkeit dem Reichsgericht angegliedert werden könne. 
der Staatssekretär des Reichsjustizamtes machte gegen die 
Ingliederung an das Reichsgericht erhebliche Bedenken geltend, 
ind verwies darauf, daß die Frage, ob das Reichsgericht dazu 
zeeignet sei, schon 1909 und 1910 eingehend und unter gebüh— 
ender Rücksicht auf das Reichsgericht geprüft, aber verneint 
norden sei. Der Staatssekretär des Reichskolonialamtes schloß 
ich dieser Auffassung an. Des weiteren wünschte die Kommission 
och Material über den bisherigen Umfang kolonialer Streit— 
älle, worauf sich die Kommission auf nächsten Mittwoch vertagte. 
DT. Der dritte drutsche Arbeterklongreß. In der gestrigen 
Zitzung, der unter anderen Ehrengästen auch Graf Posadowsky 
eiwohnte, wurde die Wohnungsfrage eingehend behan— 
elt. Der erste Referent zu diesem Thema war Stadtrat Dr. 
zoldt-Dortmund. Als zweiter Redner erhielt das Wort 
Irbeitersekretär W. Weyer-München⸗-Gladbach, worauf in die 
Rittagspause eingetreten wurde. In der Nachmittagssitzung 
ourde zunächst über die Lebensmittelversorgung und 
Teuerung und über die Wohnungsfrage lebhaft dis— 
utiert; hierzu wurden verschiedene Anträge und Resolu— 
ionen angenommen. In der vom Berichterstatter zur Woh— 
ungsfrage vorgelegten und vom Kongreß angenommenen Ent— 
chlicfung erachtete es der Kongreß als dringend no'wendig, daß 
er vorliegende Entwurf des preußischen Wohnungsgesetzes 
ntsprechend der am 22. Mai 1912 im Reichssstag angenommenen 
desolution ergänzt wird. — Sierauf sprach Gewerkschafts— 
ekretär Baltrusch-Köln über die Arbeitslosenfärsorge. 
dach einer längeren Diskussion wurde u. a. die vom Bericht⸗ 
rstatter beantragte Entschließung angenommen, in der 
»er Kongreß es für eine Notwendigkeit hält, daß in der 
Arbeitslosenfrage sowohl von Reichs wegen wie auch von den 
inzelnen Bundesstaaten und Kommunen durchgreifende Maß— 
rahmen ergriffen werden. Die Arbeitslosigkeit hat für die 
zetroffenen die bedenklichsten Folgen in materieller, moralischer 
ind sittlicher Hinsicht. Deshalb muß der Arbeitslosigkeit mit 
llen nur verfügbaren Mitteln vorgebeugt werden. Ferner 
am ein Antrag zur Annahme in dem der Konarek die Haltuna 
BRur Jeanette, die warmherzige kleine Zofe, klopft noch 
einmal schüchtern an die Tür zum Boudoir ihrer Herrin, um 
zu fragen, ob die gnädige Frau Marquise nicht irgend welche 
Befehle für sie habe. 
Ein kurzes „Nein!“ kommt als Antwort, gefolgt von der 
epreßt herausgestoßenen Frage: 
„Ist Monsieur Reginald schon zurücgekehrt?“ 
Als Jeanette die Frage verneint, glaubt sie ganz deutlich 
inen tiesen Seufzer von jenseits der Tür zu vernehmen. Aber 
2as muß wohl ein Irrtum sein! 
Nach einer halben Stunde ertönt die Glocke aus den Ge— 
nächern der Frau Marquise. Und der hinaufstürzenden Zofe 
vird der kurze Befehl zuteil: 
„Sobald Monsieur Reginald kommt, melde es mir sofort! 
börst du? Sofort!“ 
Und während die treue Jeanette über das seltsame Ge— 
aren ihrer Herrschaft grübelt und sich sorgt, geht Irene 
ben mit unruhigen Schritten von Gemach zu Gemach, mit 
chmerzendem Kopf und fliegenden Pulsen in die Abenddämme— 
ung hinauslauschend, ob nicht endlich ein Automobil heran⸗ 
erattelt komme und Reginald ihr Nachricht bringe von jenem 
Nädchen, dessen Anblick ihr Herz in seinen Grundvesten er— 
chüttert halte. 
Sie dankt es im stillen ihrem Gatten, dahß er sie den Abend 
ber allein läßt. Erst, nachdem sie Gewißheit hat, will sie 
ent Marquis gegenübertreten. Sie meint, ihm vorher nicht 
n die guten, treuen Augen blicken zu können. Sie begreift 
ar nicht mehr, wie sie zwei volle Jahre lang an seiner Seite 
eben konnte mit dem Druck jenes Geheimnisses auf dem Herzen 
Ich, hätte sie ihm längst vertraut! Hätte nicht stets etwas, 
zas stärker war als sie selbst, ihr die Lippen verschlossen! ... 
Aber von nun an soll das anders werden! Wie auch 
deginalds Botschaft ausfallen mag — Irene wird die Kraft 
Fesitzen. dem geliebten Gatten alles zu erzählen! Seine Hände 
dird sie fassen, sich an ihn klammern wird sie und mit unge— 
tumer Leidenschaft seine Verzeihung erflehen für das Unrecht, 
ah sie ihm so lange das Geheimmis ihrer ersten Ehe vor⸗ 
thalten! 
Aber erst: Gewißheit! Gewißheit!! 
So wartet Irene aguf Reginald, wie auf einen Boten 
der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung in der Frage der Volks 
versicherung bedauert und es mißbilligt, daß von sozialdemo 
ratischer Seite das Wolksversicherungswesen in den Dienst 
lassenkämpferischer politischer Bestrebungen gestellt werde. Be 
er vorgenommenen Ausschußwahl kam es wiederum zur leb— 
aften Auseinandersetzung zwischen der „Berliner“ und der 
Kölner“ Richtung. Hierauf ergrfff Graf Posadowsky das 
Wort zu einer längeren, mit stürmischem Beifall aufgenommenen 
Ansprache. Er wies auf die große Bedeutung des Kongresses 
zin und kam dann auf die tiefe Kluft, die zwischen den christ— 
ichnationalen Arbeitern und der Sozialdemokratie bestehe, zu 
prechen. Redner schloß mit den Worten: „Fahren Sie so 
fsort zu wirken für das wirtschaftliche Wohl, die geistige und 
ittliche Bildung des deutschen Arbeiterstandes, dann erweisen 
Ste dem deutschen Volke und dem deutschen Vaterlande einen 
uroßen unschätzbaren Dienst.“ Nach einem dreifachen Hoch 
fand der Kongrehß seinen Abschluß. — Die Bestimmung des 
Termins für den nächsten deutschen Arbeiterkongreß wurde 
dem Ausschuß überlassen. 
4 * 
Ausland. 
Desterreich⸗ Ungarn. 
Albanien als Königreich? Das Wiener Tageblatt erfährt 
aus griechischer Quelle, daßz sich der albanische Notable Surey 
Bey nach Bufarest begibt, dort mit dem aus Poisdam, zurüch 
lehrenden Prinzen Wied zusammentrifft und ihn nach Albanien 
begleitet. Inzwischen wird die Nationalversammlung nach Ein— 
willigung der Großmächte einen neuen Staat, das Königreich 
Albanien, proklamieren. Prinz Wied wird in Valong, landen. 
Surey Bey wird Ministerpräsident werden. Die neue Regelung 
der Verhältnisse Albaniens dürfte Ende Dezember erfolgen 
Fran kreich. 
C. Die Frage der Nachfolger des Kabinetts Barthou noch 
ungelöst. Ueber die Lösung der Ministerkrise verlautet absolui 
noch nichts Gewisses. Am meisten genannt von allen Kan— 
didaten wird augenblicklich Joan Düpuy. Briand, der auch 
sehr in Frage kam, soll sich, Journalisten gegenüber geäußert 
haben, daß er nicht daran denke, das Ministerium zu über— 
iehmen. Im allgemeinen hält man es für sicher, daß Pichon 
das Ministerium des Auswärtigen behalten wird, da man mit 
der Leitung der Geschäfte durch Pichon allseits sehr zufrieden 
st. Als aussichtsreicher Kandidat kommt auch der Senator 
Peytral in Betracht. 
PC. Fallen der Rente infolge der Ministerkrise. Der Fall 
»es Ministeriums hat einen großen Rückschlag auf die gestrige 
Börse gehabt. Die französische Rente, die vorgestern mit 86,05 
chloß, hat gestern mit 85,02 begonnen, mithin über 100 ver— 
oren. Es ist dies der stärkste Fall der Rente, der seit langen 
Jahren konstatiert worden ist. Selbst bei Beginn der 
Agadirkrise sank die Rente nur um 52 Centimes. Andererseits 
»emerkte man ein beträchtliches Anziehen der Auslandswerte, 
besonders der Schecks auf London. Man nimmt dies als ein 
eutliches Vorzeichen dafür an, daß die großen Kapitalien 
Frankreich verlassen werden in Anbetracht der zy 
rwartenden neuen Steuern. 
Rußland. 
Ruffische Duma. Die Budgetkommission der Reichsdum« 
hrachte folgende Anträge ein: Die Vertreter Rußlands im Aus 
lande sollten Maßregeln ergreifen gegen die Ausbeutung 
russischer Arbeiter im Auslande durch fremdeAgenten. 
Die Regierung solle Vorsorge treffen zur Unterdrückung 
angesetzlicher Einwanderung in Rußland. 
PC. Die Fortsetzung der Hetze gegen die Militärmission. 
Der russische Feldzug gegen die, deutsche Militärmission wird 
don, der Rowoije Wremia unbeirrt fortgesetzt. Sie schreibt: 
Falls tatsächlich das Armeekorps in Konstaäntinopel einem deut— 
schen Offizier übergeben werden sollte, so wird Rußland dafür 
die weitgehendsten Garantien in der Dardanellenfrage erhalten 
nüssen. Wenn man in Berlin die guten Beziehungen zu Veters— 
zurg weiter pflegen will, so muß man in dieser für Rußland 
so fundamentalen Frage nachgeben. — Die Wiener Allgemeine 
Zeitung meldet aus Berlin: In hiesigen unterrichteten Kreisen 
bdird, bestätigt, daß bei, der letzten Anwesenheit des russischen 
Ministerpräsisidenten Kokowtzow in Berlin dieser an den zu— 
tändigen Stellen die Bedenken Rußlands gegen die Berufung 
der deutschen Militärmission nach Konstantinopel zur Sprache 
zrachte und ũüber diese Frage mit dem Kaiser, dem Reichskanzler 
and Herrn von Jagow einen Meinungsaustausch hatte. 
P., Verftimmung über die franzöfische Kabinettskrise. Die 
ranzösische Ministerkrise hat hier starke Mißstimmung hervor⸗ 
— 
»em Augenblick, wo Rußland bei einer Orientpolitik der Hilfe 
Frankreichs bedarf. die Kraft, des Bundesgenossen, durch die 
nnere Krise geschwächt ist, während man in Finanzkreisen sehr 
Angehalten darüber ist, daß dadurch der Abschluß der 500- 
Millionen-⸗Anleihe auf unbestimmte Zeit verschoben ist. — Das 
läßßt sich denken! 
ι 
des Himmels. Nacht senkt sich herab auf die weißen Häuser 
Nizzas. Und noch immer wartet Irene. Bis Erschöpfung sie 
übermannt, so daß sie auf ihr Lager niedersinkt und bald 
einschläft. 
Stimmengewirr und gedämpfte eilige Schritte draußen auf 
der Treppe wedcen sie. Erschroden springt sie auf, dreht das 
elektrische Licht an und blickt nach der Uhr. 
.Schon zwei Uhr nachts! Und dabei der ungewohnke Lärm 
im Hause! Was bedeutet das? F 
Sie öffnet die Tür und lauscht hinaus..... 
Ganz deutlich vernimmt sie Reginalds erregte Stimme. 
Und dazwischen eine andere, fremde. 
„Wie steht es, Herr Doktor?“ 
„Schlecht.“ 
Großer Gott! Sie fürchten doch nicht etwa, daß —“ 
„Wer kann es wissen?“ 
„Meine arme Tante! Wer soll ihr die furchtbare Nach— 
richt überbringen —“ 
„Sagen Sie ihr noch nichts! Sie würde den Kranken 
sehen wollen. Und jede Aufregung, auch die kleinste, kann 
verhängnisvoll werden.“ 
Irene oben auf ihrem Lauscherposten fühlt ihr Herzblut 
tocken. Sie will hinuntereilen, will fragen, was geschehen, 
und vermag ses doch nicht, sich vom Fleck zu rühren. Wie 
eine Erstarrung ist es über sie gekommen. 
Unten Schritte. Und leises Schließen einer Tür. 
Dann wieder Stille. 
Jetzt kommt Leben in die bewcgungslose Gestalt dort oben. 
die bebenden Hände tasten nach der Klingel. 
Mit rotgeweinten Augen huscht die Kammerzofe die Treppe 
herauf. 
„Jeanette, großer Gott! Was ist passiert?“ 
Tränen stürzen aus den Augen des treuen Mädchens. 
zAch, Frau Marquise! Frau Marquise!“ 
„Was? Was? Die Wahrheit will ich wissen!“ 
„Der Herr Marquis —“ 
„Was ist's mit ihm? Rede! Ich befehle es dir!“ 
Der Herr Marquis hatte — einen —chlaganfall!“ 
Kein Schrecdensruf. Kein Tränenausbruch. Nicht einntal 
ein Aufschluchzen. Nur die Todesblässe in dem schönen Gesicht
	        
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