Full text: Lübeckische Anzeigen 1913 (1913)

Nadstalismus von lints wie gegen die Neaktion von rechts. — 
Hierauf wird in die Mittagspause eingetreten. Die Diskussion 
über die Referate fidet nachmittags statt. — Im weiteren Ver— 
lauf des 3. Deutischen Arbeiter-Kongresses entwickelt sich über 
Referate eine sehr lebhafte Diskussion, die fast die ganze Zeit 
des ersten Verhandlungstages ausfüllte. Einen Sturm der Ent⸗ 
rüstung riefen die Ausführungen des Delegierten Richter-Berlin 
hervor. Richter sprach im Auftrage des Verbandes der katho— 
lischen Arbeitervereine (Sitz Berlin), der 128 000 Mitglieder 
ählt, in heftigen Worten gegen die Streikfreiheit, die nach An— 
sicht seines Verbandes den christlichen Grundsätzen und der 
letzten päpstlichen Enzyklika widerspreche und nicht im Interesse 
der katholischen Arbeiterbewegung sei. Ein diesbezüglicher An⸗ 
trag, der von Richter gestellt wurde, wurde von dem Kongreß 
mit stürmischem Widerspruch aufgenommen und abgelehnt. 
Schlieklich wurde die von dem Berichterstatter Giesberts vorge 
schlagene Entschliehßung angenommen, der wir folgendes ent⸗ 
nehmen: „Die wichtigste Aufgabe für Staat und Gesellschaft in 
der gegenwärtigen und nächsten Zukunft besteht darin, den 
unteren Vollskreisen eine angemessene Anteilnahme an den 
Erfolgen unserer Wirtschaftstätigkeit sowie an den Fortschritten 
der Kultur zu vermitteln. Insbesondere obliegt es ihnen, den 
geistigen — und sozialen Aufstieg des Lohnarbeiters stark zu 
fördern und die Eindringung desselben in die bürgerliche Gesell⸗ 
schaft zu ermöglichen. Die Organisation der Arbeiter, die 
soziale Gesetzgebung und ein Teil der privaten Wohlfahrtspflege 
arbeiten erfolgreich an diesem Ziel. In Erwägung dieser Um⸗ 
tände protestiert der 3. Deutsche Arbeiter-Kongreh auf das 
Lebhafteste gegen die Treibereien einzelner Vertreter 
der Wissenschaft und des scharfmacherischen Unternehmertums, 
die Wirken und Erfolg der deutschen Gesetzgebung durch willkür⸗ 
liche und unberechtigte Verallgemeinerung einzeiner Miß tãnde 
herabzusetzen und selbst im Auslande in Mißkredit zu bringen 
suchen. Der Kongreh erwartet von der Regierung und dem 
Parlament den weiteren Ausbau der sozialen Gesetzgebung und 
die Zurückweisung der Bestrebungen zur Einschränkung des 
Koalitionsrechtes der Arbeiter bei Regierung und Parlament. 
Der Kongrehz empfiehlt als wirksamsses Mittel zur Abwehr 
gegen die antisozialen Strömungen die Stärkung der auf 
christlichem und sozialem Boden stehenden Organisationen der 
Arbeiter und Angestellten. — In ausführlicher Weise wurden 
hierauf in weiteren Anträgen die Grund⸗ und Einzelfragen des 
ichwierigen Problems der Sozialpolitik und der Stellungnahme 
der einzelnen christlichen Verbände hierzu erörtert. — Kurz 
nach 5 Uhr wurde die Verhandlung auf Dienstag vormittag 
d Uhr vertagtf. 
— —— 
Deutsches Reich. 
Die Kandidatur des Prinzen Wied. Nunmehr scheint eine 
Einigung der Großmächte wegen der Kandidatur des Prinzen 
zu Wied für den albanischen Fürstenthron erzielt zu sein. Der 
Temps meldet aus Petersburg, dah die Botschafter der Groß⸗ 
mächte in Berlin in den nächsten Tagen dem Unterstaatssekretär 
des Auswärtigen Amtes, Herrn Zimmermann, mitteilen werden, 
daß sie in bezug auf die Ernemung des Prinzen von Wied zum 
Fürsten von Albanien einig geworden sind. Die Botschafter 
werden die Regierung auffordern, daß sie bei dem Prinzen 
anfrage, ob er bereit ist, die Vorschläge der Großmächte anzu⸗ 
nehmen. 
Neues aus Zabern. Gestern abend 7 Uhr traf General⸗— 
maior Kähne, Kommandeur der 830. Feldartilleriebrigade 
in Straßburg, in Zabern ein und begab sich in die Kaserne. 
Die Mehrzahl der am Freitag von den Militärpatrouillen 
Verhafteten. bis ietzt zwanzig, erstattete bei der Staats⸗ 
anwaltschaft Strafanzeige wegen ungesetzlicher 
Festnahme. Außerdem wurde von ihnen eine Reihe von 
Zivilklagen anhängig gemacht wegen Schadenersatz durch 
den Militärfiskus. — Am Sonntaäg wurden noch drei Land— 
wirte wegen Beschimpfung von Offizieren auf der Straße ver— 
haftet. Erst nach langwierigen Verhandlungen des Kreis— 
ditektors mit dem Militärrichter wurden die Leute wieder in 
Freiheit gesetzt. Dieser erklärte dem Kreisdirektor als Ver— 
reter der Zivilverwaltung, er führe nur den Befehl des 
Dberiten Reuter aus. — Am Montag durfte kein Elsässer 
des 99. Infanterieregiments die Kaserne verlassen oder Be— 
suche empfangen. — Nach einer Mitteilung, die uns von 
besrinformierter Seite zugeht, ist kaum daran zu zweifeln, daß 
man an den maßgebenden Miilitär- sowie den Zivilinstanzen 
den Maßnahmen des Obersten von Reuter in Zabern nicht zu— 
sttimmit. und daß der Reichskanzler am Mittwoch im 
Reichsstag dem Ausdruck auch verleihen wird. Im Kriegs— 
ministerium hat man übrigens seit Sonnabend abend noch 
rcine neuen Nachrichten erhalten. Die Berichte wurden für 
Sonntag und Montag erwartet; bis dahin hält man mit 
seiner Meinung zurück. weist nur mit Nachdruck darauf hin, 
daß die Untersuchung noch nicht abgeschlossen ist. Daher sind 
auch alle Meldungen über geplante Versetzungen und Verab—⸗ 
schiedungen vorläufig noch verfrüht. 
Das nene Wätigesetßz zur Konzessionierung der 
Buchmacher sollte, wie gemeldet wurde, bereits die kaiser— 
liche Unterschrift erhalten, und das Immediatgesuch des Union— 
Klubs in dieser Sache also keine Berücksichtigung gefunden 
haben. Wie wir aus bester Quelle wissen, ist diese Nachricht 
unrichtig. Der Kaiser hat das Gesetz noch nicht unterschrieben, 
und das erwähnte Immediatgesuch unterliegt noch immer der 
Prüfung. 
Reichsmittel sür San Frauzisko? Im Reichstag wurde ein 
Gesetzentwurf über die Bereitstellung von 2 Millio— 
nen Mark aus Reichsmitteln für die Teilnahme an der Welt— 
ausstellung in San Franzisko als Antrag der Nationallibe— 
ralen, der Fortschriitlichen Volkspartei, der Sozialdemokraten 
und der Mehrheit des Zentrums eingebrachk. 
DTie deutsche Militärmission in Konstantinopel. Von in⸗ 
formierter Seite wird uns geschrieben: Nach Zeitungsberichten 
soll Rußland bei seinem Widerstand gegen die Entsendung der 
deutschen Militärs nach Konstantinopel bei Frankreich und Eng⸗ 
land Unterstützung finden. Dah der Pariser Vorfall, der sich 
zudem persönlich durch die deutische Macht gekränkt, fühlt, ge— 
horsam einschwenkt, obgleich sein finanzielles Interesse für eine 
Stärkung der Türkei spricht, nimmt niemanden Wunder. Daß 
England, dessen Admiral die gleiche Kommandostellung über die 
türklische Flotte einnimmt, wie der deutsche General über das 
Korps Don Konstantinopel, den Widerstand mit— 
macht, ist. im höchsten Grade, unwahrscheinlich. Authen⸗ 
tisch verlautet aber, daß die Reichsregierung in 
der Entsendung der Militärs, wie in der Wahl des Stand— 
ortes sich durch den panflawiftisch-französischen Lärm in keiner 
Weise irre machen lafsen wird. Für, die Wahl des „Stapd— 
ortes sind nicht politische. sondern ausschließlich militärische Ee— 
ichtspunkte maßgebend. Eine Aenderung dieses Ortes fkönnte 
daher nur in Frage kommen, wenn der deutsche General auf 
Grund von Beobachtungen und, Erfahrungen an Ort und Stelle 
nach verherigem Benehmen mit dem türkischen Kriegsminister 
nen Wechset empfehlen würde — Die Kölnissche Zeitung 
eidet bffiziös gaus Berkin: Die WMeldungen, der 
d dishen Zeitungen über eine grohe amtliche Aktion 
er Mäachte des Drefverbandeées in der Ängelegenheit 
— deuttsden Rilitärmifsien in Konstantinope! 
Heinen Singhüchrerungspverzuche zu sein, von denen 
nan sich, wie man glaubt. mit Unrecht eine Wirkung auf 
»ie Saltung der Pforte verspricht. Bisher ist ein ge— 
neinsames Vorgehen Rußlands, Frankreichs und Englands in 
zonstantinopel nicht erfoigt. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß 
inn, Schritt Rußlauds unternommen wird, beror en russische 
Ministerpräsident Kotophode der zum Zaren nach 
Livadia gefahren ist, diesem Vortrag in der Angelegenheit er⸗ 
dattet hat. Man hält dafür, daß allmählich eine ruhigere 
Zeurteilung der Sache Plaß greifen wird. daß“ vdem 
ßenreral Liman von Sanders“ im Konstantinopel die 
Militärdiktatur übertragen werden sollte, ist natürlich 
ine pon den russischen und franzoͤfischen Blaͤttern verbreitete 
Jebertreibdung. Im übrigen ist es, Sache der Türkei die 
Befugnisse der sechs Schuloffiziere, die in das türkische Heer 
intreten, im einzelnen festzusetzen.Es hat auch nicht, den 
Inschein. als ob sich die Türkei dieses Recht schmälern lassen 
volle. 
9* 
* 
Ausland. 
— Desterreich⸗ Ungarn. 
Tas 65. Regierungsjubiläum Kaifer Fran 8. Di 
Wiener Abendpost, widmet Kaiser e edeset an 
eines bbjährigen Regierungsjubiläums einen Suldigungsartikel, 
n welchem es unter anderem heißt: Der unermidien u 
orge Kaiser Franz Josefs ist die Schaffung des modernen Bone, 
Jeeres, die Neubegründung der Kriegsflotie und die allseitige 
Ausgestaltung der vaterländischen Wehrmacht du danfen Doch 
ach den Absichten des Monarchen soll die Wehrmacht siets ein 
Werkzeug der Friedenspolitik sein, und niemals wurde der Dan⸗ 
ür dieses Walten Kaiser Franz Josefs heißer empfunden, als 
in diesen Tagen, da alle Welt unter dem Eindrug steht, dal 
seiner Erfahrung, Autorität und Renschenliebe der grte dn 
eil an der Erhaltung des Weitfriedens gebuhrt.“ Dieffi 
iöfe Beglücwünschung Deufshlanbs findei in der 
Lorddeutschen Allgemeinen Zeitung folgenden Ausbrd: „65 
Jahre iind am 2. Dezember seit dem Tage verflossen, an bem 
Zaiser Franz Josef den Thron beftiegen hat. Sene Kegierung 
äͤllt mit der Entwicklung der europäischen Verhälmisse u 
ammen, die den Herrscher Oesterreich Ungarns vom Beginn 
einer Regierung an vor, eine Reihe der schwersten Aufgaͤben 
tellte. Mit vorbildlicher Pflichttreue hat der Nonarch die unter 
einem Zepter vereinigten Voölker durch die Schwierigkeiten einer 
Vnannigfach bewegten Geschichtsepoche hindurchgeführt. Die 
dankbarkeit der Mitwelt für die weise Verwaltung feines fürst 
ichen Amtes wurde dem verehrungswürdigen Herrscher in unge— 
ählten Kundgebungen zu seinem bOjährigen Regierungsjubi⸗ 
äum und zur, Vollendung seines 80, Lebensjahres darge- 
rocht. In Oesterreich- Ungarn und weil über die Grenzen des 
ilten Kaiserstaates hinaus, vor allem in Deutschland, fanden 
Liebe und Verehrung einen beredten Ausdrud, Erneut befand 
ich seitdem die so off bewährte Staaftskunst Kaiser Franz Josefs 
rnsten Problemen gegenüber. Auch auf die leßten Eregnisse 
ann die österreichischungarische Monarchie mit dem Bewußtsein 
atrũckblicken, daß ihre Lebensinteressen mit Kraft und Nachdrud 
ewahrt worden find, In dem unverbrüchlichen Bündnis mit 
Deutschland und Itaglien vereint, sieht die zsterreichisch- ungarische 
Monarchie machtvoll da im Rate der Nationen. SHeute wie 
por fünf Jahren gelten die innig empfundenen Worte, die unser 
daiser „dem edlen Herrscher, treuen Bundesgenossen und, mäch⸗ 
igen Hort des Friedens“ widmete, als unter Führung Seiner 
Najestät die deutschen Bundesfürsten in feierlicher Stunde in 
schönbrunn dem hohen Jubilar ihre Glückwünsche darboten. 
zo vereint sich das deutsche Volk abermals mit den Volkern 
Zesterreich Ungarns in den herzlichsten Segenswünschen. für 
Zaiser Franz Josef und für seine, Länder, die unter seinem 
zepter zu steigender Wohlfahrt, fortschreiten 
Enthüllungen über die Ballankonvention. Die Neue Freie 
Bresse berichtet uber die Militärkonvention zwischen 
ubland, Serbien, Bulgarien und Montenegro: 
die Konvention soll bereits im Februgr 1912 geschlossen 
vorden sein. Es handle sich um mehrere Militärkonventionen, 
die als Ergänzung des zwischen Serbien und Bulgarien be— 
tehenden Bündnisvertrages anzusehen waren. Die Militär— 
onventionen hatten ein gemeinsames Vorgehen der 
extragschliehenden Teile zum Ziele, und standen im 
Jusammenhang mit den durch den serbisch-bulgarischen Bünd⸗ 
iispertrag vorgesehenen Konktliktsfällen; sie sollen sich in 
erster Linie gegen Oxesterreich-Ungarn gewandt 
haben. Rußland übernahm die Verpflichtung, alle beim russi— 
schen Generalstab einlaufenden militärischen Infor— 
nationen Serbien, Bulgarien und Montenegro zur Kenntnis 
zu bringen und die Kriegsgusrüstung der Verbün— 
deten durch Sendungen von Kriegsmazterjal und die Zu⸗ 
vendung von Geldmitteln zu unterstützen. Die Kon— 
entionen enthielten guch eine Bestimmung, wodurch den Krieg⸗ 
ührenden im Konfliktsfall gegen die Türkei oder einen anderen 
Zalkanstaat, womit Rumänien gemeint ist, ein Rücken- 
schuß gegen Oesterreich-⸗Angarn garantiert wurde. 
Frankreiꝛ. 
PC. Die 13005Millionenanleihe argenomunen. Die An⸗ 
leihe debatle in der Kammer hat mit einem Siege der Regierung 
geendet. Die Kammer nahm das Anleihegesetz über die 1800- 
Millionenanleihe gemäh den Regierungsvorschlägen mit 291 
gegen 270 Stimmen an 
Zünrkei. 
PC. Die türkische Buße für die Gefangennahme Kawakli 
Mustaphas. Anläßlich des Besuches, den der Großwesir am 
Sonntag in der Angelegenheit des gefangenen KawakliWMustapha 
em russischen Botschafter in Konstantinopel abgestattet hat, 
rückte der Großwesir noch einmal sein Bedauern über die Sand⸗ 
ungsweise der Polizei aus und brachte gleichzeitig eine offi⸗ 
ieile Entschuldigung der Türkei vor. Der russische Botschafter 
rtlärte rund heraus, daß diese Entschuldigung ungenügend sei 
her Botschafter, vetlangte namens seinet, Regierung ein 
Jixierung der Entschuldigung in l(chriftlicher 7 und als 
zeitere, Sühne die Absetzung des Polizeichefs Admi-Bey. der 
tamnntlich zum Wali von Ädang ernannt worden ist. Allen 
iesen Wünschen des russischen Botschafters wurde vom Groh— 
vesir noch Sonntag abend entsprochen. 
Amerika. 
Ein internationaler Abriitungskongretz in Washinaton? 
das Heitglied des Kongresses, Gran, brachte eine Gesetzesvor⸗ 
age ein. die den Präsidenten ersucht, Delegationen der VParla⸗ 
nente aller Rationen zu der internationalen Konferenz in 
Vafhington für den nächsten Herbst einzuladen. Der Zwed des 
ongrestes soul sein, eine Einiqung wegen des Planes der Ab⸗ 
utung und der sofortigen Einstellung des Kriegsschiffbaues her⸗ 
zeizuführen. — * 
Mexllo. 
DP. Suertas Flucht aus Mexiko? Die Köolnische Zeitung 
neldet aus Newnork: Aus der Siadt Mexiko wird gemeldet, 
d Vedliden Suerta Sonnlag deimlich nach Veracrus abge—⸗ 
ceist sei. — 
Deutscher Reichstag. 
Sitzung vom 1. Dezember 1913. 
Echluß.) ——W 
Abaqa Dr. Pachnicke (Gortschr. Vpt.): Deutschlande 
kngland gegenüber nicht geschwächt, weder politisch noch 
vitischaftuich. Unsere politischen Beziehungen zu England 
haben sich verbessert; das ist ein Erfolg unserer quswärtigen 
holitik, die sonst nicht überreich an Erfolgen ist Unser 
BSarenaustausch mit England ist auf 115 Milliarden 
Jjestiegen. Was das für unsere Industrie, den Handel und 
suür die Ärbeitslöhne bedeutet, sollten die Herren auf der 
Rechten zu würdigen wissen. Wenn auch ein liberales Blatt 
für ein Spezialinteresse eine Schadigung zugestanden hat, 
o würde doch die liberale Presse auf die Frage, ob sie 
Reses Gesetz ablehne und damit unsere Handelsbeziehungen 
erschüttern wolle, für den Zollfrieden und nicht für den Zoll⸗ 
leg einircten. Möge die Regierung den Abschluß eines 
neuen Handelsvertrages erstreben. Jetzt liegt dieses Provi⸗ 
sorium im deutschen Interesse wie im englischen. 
Abg. Dr. Hoesch (Deutschkons.): Wir sollen immer erst 
am 1. Deaember beichließen, was vom 1. Januar ab geschehen 
wird. Dadurch sind wir in eine schwierige Tage gebracht. 
In dem Interesse der kanadischen Regserung an der Weißen— 
ausfuhr liegt für uns eine Waffe, um beffere Handelsber— 
räge zu ermöglichen. GSehr richtig! rechts) Dem ko— 
ossalen Anwachsen unserer Einfuhr von Rohstoffen müßle 
auch die Ausfuhr unserer Fabrikate entsprechen. (Sehr 
richtig! rechts.) Von unseren Berechtigungen in den bri— 
tischen Kolonien wird Stück für Stück abgebröckelt. Ein 
Provisorium, das nicht durch Gesetzgebung und Vertrag fest— 
—— 
jsenigen, die es nicht so gewissenhaft meinen, wie Deutsch- 
land. Wir können uns damit nicht zufrieden geben; auf einen 
definitiven Handelsvertrag muß hingewirkt werden. 
Abg. Bernstein (Soz.): Was soll nach Ablehnung ge— 
chehen? (Zuruf von rechts: Wie stellen Sie sich vor, wenn 
er Etat abgelehnt wird?) Das ist doch ganz etwas Anderes. 
dier handelt es sich um unser Verhältnis zu einem Weltreich. 
Damit schließt die erste Beratung. In zweiter Lesung 
dird das Gesetz ohne Diskussion unverändert gegen die 
Deutschkonservativen angenommen. 
Es folgt die erste Beratung des Gesetzentwurfes über die 
Viederaufnahme eines Disziplinar- 
derfahrens. 
Staatssekretär Dr. Delbrück: Dieser Gesetzentwurf be⸗ 
eutet die Erfüllung einer Zusage der Verbündeten Regie— 
ungen bei Verabschiedung des Kolonialbeamtengesetzes; 
ie hat sich länger verzögert, als gewünscht. Das Diszipli— 
narverfahren gegen Beamte kommt erfreulicherweise nur 
elten zur Anwendung, sodaß äußerst selten von diesem Ge— 
etzentwurf Gebrauch gemacht werden wird. Die ersten 
eiden Abschnitte dieses een schließen sich an die Straf— 
rozeßordnung an mit den Anderungen, die sich aus der 
Figenart der Beamtenstellung ergeben. Bei der Wahl— 
»wischen Schadloshaltung in Geld und einer Wiederein— 
etzung ins Amt hat man sich für ‚den letzteren Weg ent⸗ 
chieden, da er sich für die Beamten auch in materieller Be— 
ziehung als vorteildafter erwies. 
Abg. Landsberg (Soz.): Gegen den Grundgedanken 
des Gesetzes wird niemand etwas einzuwenden haben. Denn 
venn ein rechtskräftiges Urteil sich als falsch herausstellt, 
nuß die Möglichkeit der Aufhebung gegeben sein. Unser 
Zeamtengesetz ist nicht mehr zeitgemäß. Die Verbündeten 
Regierungen hätten die Züsammensetzung der Disziplinar—⸗ 
kammern ändern können. Wir halten ein Wiederaufnahme—⸗ 
verfahren auch für notwendig gegen Warnungen, Verweise 
und Geldstrafen, zumal recht hohe Geldstrafen verhängt wer⸗ 
den können. Die Strafprozeßordnung ist kein besonders 
zutes Vorbild, denn sie verfolgt das Prinzip, daß möglichst 
venig Urteile durch das Wiederaufnahmeverfahren aufge— 
soben werden. Dagegen müssen wir protestieren. Ebenso 
ingerechtfertigt ist es, wenn ein zu unrecht aus dem Dienste 
intlassener Beamter nicht wieder voll in seine Stellung ein⸗ 
esetzt wird. Den Fall nicht voller Dienstfähigkeit könnte 
nan ja ausdrücklich von der Wiedereinsetzung ausnehmen. 
der Beamte muß auch im Falle einer Freifprechung im 
diederaufnahmeverfahren Anspruch auf die vollen Bezüge 
aben, die ihm beim Verbleiben im Dienst gewährt worden 
dären, nicht nur auf 34, und dieser Anspruch muß, wenn der 
zeamte inzwischen verstorben ist, ungekürzt auf seine Hinter⸗ 
lJiebenen übergehen. Ich beantrage, die Vorlage einer 
dommission von 21 Mitgliedern zu überweisen. 
Abg. Bolz (Ztr.): Die Vorlage ist ein Fortschritt. Aber 
— weiteren Reform, besonders 
insichtlich der Personalakten. Mit der Kritik des Vorred- 
jers an der Vorlage kann ich mich einverstanden erklären. 
das, was den Beamten, die nach einer Strafpversetzung im 
Viederaufnahmeverfahren freigesprochen werden, durch die 
horlage zugebilligt wird, ist wohl das mindeste, was man 
hnen gewähren muß. Es ist auch die Frage, ob nicht einem, 
heamten, der im Wiederaufnahmeverfahren seine Unschuld 
nachweist, eine angemessene Entschädigung zuzubilligen 
väre. Auch Disziplinargewalt und -Verfahren gegenüber 
den Reichstagsbeamten müßte geregelt werden. Ich schließe 
mich dem Antrag auf Sommissionsberatung an. 
T. Abg. Dr. Thoma (Natl.): Es wäre zu erwägen, ob das 
Biederaufnahmeverfabren nicht auch auf Ordnungsstrafen,“ 
berwarnungen und Geldstrafe auszudehnen ist. Die vorge⸗ 
chlagene Regelung der Entschädigung eines zu Unrecht Ver⸗ 
arteilten scheint auch mit vollstaͤndig ungenügend geregelt 
zu sein. Der Beamte muß, soweit möglich, schadlos gehalten 
verden, auch um den Preis eines Prozesses mit dem Fiskus 
ind einer größeren finanziellen Belastung. Ist ein des 
Dienstes entlassener Beamter nach seinem Tode freige-⸗ 
— dann darf seinen Angehörigen nicht erst vom 
odestage ab eine Entschädigung zustehen. Außerdem 
nüssen auch nicht direkt in Geld auszudrückbare Schäden. 
gedeckt und bei Strafversetzungen Umzugskosten und andere, 
Schãden ersetzt werden. Auch wir beanfragen Überweisung 
an eine Kommission von 21 Mitgliedern. Beifall.) 
*Abg. Liesching (Fortschr. Vpt.) wünscht dem Beamten eine 
sewiffe Kontrolle seiner Personalakten zu gewähren (Zustim⸗ 
mung links) und in das Gesetz einen ähnlichen Paragraphen, 
wie den 8 10 des Kolonialbeamtengesetzes hineinzubringen, 
Pill auch nichts gegen eine Erörterung des Koalitionsrechtes 
der Beamten einwenden. Notwendig sei auch eine Berufung 
jegen Vorenthaltung der Dienstallersvorrückung, wie in 
dem neuesten Beamtengesetß für Elsaß-Lothringen. Auch 
e die Beamten, wenn sie wieder in ihr Amt eingesetzt 
würden, das erhalten, was ihnen zustehen würde, wenn sie 
nicht in das Verfahren verwickelt worden wären. 
Abo. Dr. v. Veit (Deutschkons.); Auch wir erkennen ein 
Recht der Beamten auf Wiederaufnahme an. Es genügt 
ber ein Wiederaufnahmeverfahren bei Entfernung aus 
—D für! 
tücklich geregelt. Es ist vollkommen gerecht, daß dem im 
diederaufnahmeverfahren freigesprochenen Beamten ein 
viertel seines Gehalts entzogen wird, da der Beamte in der 
Zwischenzeit Gelegenheit hat, sich anderweitige Einnahme⸗ 
selien zu verschaffen. Unser Reichsbeamtengesetz darf nur 
oweit geandert werden, daß die Dissziplin nicht erschüttert 
dird. GZustimmung rechts.) Wir wunschen Verweisung an 
die Kommission. Geifall bei den Deutschkons.). 
Abg. Dr Liebknecht egg, Es ist ungerecht, daß der zu 
Inrecht Verurteilte für die Zwischenzeit keine Entschädigung 
erhält. Eine Verschlechterung ist es auch, daß das Wieder⸗ 
nifnahmeverfahren nur dann zulässig sein soll, wenn jeder 
Schnibberdocht aus dem Wege geraäumt ist und Tatsachen 
vornegen, die geeignet erscheinen zu einer Freisprechung des 
dis ißuͤmerten zu führen. Auch hier wünschen wir eine 
nderung denn diefe VBestimmung ist, gegenüber den Be⸗ 
timmungen der Strafprozeßordnung eine wesentliche Ver⸗ 
chlechterung. Das Wiederaufnahmeverfahren muß er⸗ 
eichtert werden. F 
Die Vorlage ging an eine Kommission von 21 Mit- 
gliedern. 9J F 
Es folgten Berichte der Petitionskommission. 
Fin wegen Brondstiftung unschuldig Verurteilter bittet 
im Rechtsschutz und Rechtshilfe. . 
Iie Kommsfion empfiehlt Berücksichtigung der Entschä⸗ 
des Betreffenden aus Billigkeitsgründen 
ind berweisung der Petition als Material für Neubearbei-— 
ung der einschlägigen Gesetze. Die Sozialdemokraten be· 
inttagen Berücksichtigung der Petition und eine Erhöhung 
der fur unschuldig erlittene Freiheitsstrafe gezahlten Ent⸗ 
schädigung. F 
Aba. v. Graefe-Güstrow (Kong); Die Kommission hat 
einmütig diesen traurigen Vorfall bedauert. und wenn es
	        
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