Full text: Lübeckische Anzeigen 1913 (1913)

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* 
einen, Zweites Raff. 
J 
Ausgabe MA. 
Montaq, den 4. Dezember 1913. 
Abend⸗Blatt Ur. 608. 
— 
—⸗— 
Dor hundert Jahren. 
1813. 
1. Dezember. 
Nach der Schlacht von Leipzig sind noch Wochen und 
Monate vergangen, bevor die Verbündeten sich zur Fortsetzung 
des Krieges aͤuf französischem Boden entschlossen. Am 85. und 
3 Rovember waren die verbündeten Monarchen in die alte 
Aardnungsstadt Frankfurt eingezogen, die für die nächsten Monate 
um Ort des Hauptquartiers wurde. Hier wurden in langen 
Berhandlungen Beratungen gepflogen, ob und unter welchen 
Umständen der Krieg weitergeführt, oder ob er nicht ũberhaupt 
zurch einen möglichst schnellen Frieden beendigt werden sollte. 
Auf Betreiben des österreichischen Ministers Graf Metternich 
purde Napoleon unter den gunstigsten Bedingungen ein Frieden 
ingeboten, der ihm nicht nur die Pyrenäen und Alpen, sondern 
ruch den Rhein als Grenze zuficherte. Da ist es besonders 
5. M. Arndt gewesen, der durch seine berühmte Schrift: „Der 
Rhein Deutschlands Strom, aber nicht Deutschlands Grenze“, 
eine Stimme erhob und vor einem Frieden warnte, der das 
hemals deutsch gewesene linke Rheinufer in französischen Haͤnden 
afsen sollte. Glücklicherweise antwortete Napoleon auf 
ie ihm gemachten Friedensvorschläge mit Forderungen, die 
ruuch von den zum Frieden geneigten Mächten nur kurzweg 
abgewiesen werden konnten. Verlangte er doch, daß die Be— 
atzungen aus den Festungen, die noch in französischen Händen 
waren, mit Wafen, Geschütz und Vorräten ungehindert nach 
Frankreich zurückkehren durften. Sogar die Brückenköpfe am 
rechten Rheinufer sollten in seiner Gewalt bleiben. Wie sehr 
ihm der Kamm dadurch geschwollen war, daß man ihm zu neuen 
Rüstungen Zeit gelassen hatte, bewies die von ihm gestellte 
Forderung, daß das Königreich Westfalen bestehen bleiben 
sollte. Selbst in die innersten Angelegenheiten Deutschlands 
wagte er sich noch einzumischen. Deutschland sollte auf jede 
Vereinigung der deutschen Staaten durch eine gemeinsame Bun⸗ 
desverfassung verzichten. So erfüllte sich wenigstens die Hoff⸗ 
nung auf eine Fortsetzung des Krieges. Nach der Zumutung, 
die Napoleon in seinen unannehmbaren Gegenvorschlägen ge— 
macht hatte, wurde am 1. Dezember die Fortsetzung des 
Krieges und der Einmarsch der verbündeten Heere in Frankroich 
heschlofser 
Gemeindewege mit Laubbölzern und Zwischenpflanzungen von 
Nadelholz. 
Luftfahrt. 
WM. Preisverteilung der Nationgl⸗Flugspende. In der 
jerten Verwaltungsausschußsitzung des Kuratoriums der Na— 
ional⸗Flugspende wurde beschlossen, in Anerkennung der uner⸗ 
vartet großen Leistungen der Zivil- und Militärflieger im 
Vettkampf um die von der National⸗Flugspende ausgesetzten 
zreise für Fernfllge sämtliche Preise zur Verteilung 
u bringen. Nach dem bisher festgestellten Ergebnis kommen 
rlüge in folgender Reihenfolge in Frage: 2078 km Viktor 
3töffler, Aviatik, Muülhausen, 100 000 M; 1506 km Schlegel, 
VBaggonfabrik Gotha, 60 000 M; 1371 km Thelen, Albatroß, 
zohannisthal, 50 000 M; 1228 km Oberleutnant Kastner, 
Nilitärverwaltung, 40 000 M; 1175 km Stiefvater, Jeannin, 
sohannisthal, 25 000 M; 1157 km Lt. Geyer, Militärver⸗ 
baltung, 15 000 M; 1115 km Caspar, Waggonfabrik Gotha, 
0 000 M. Die Preisverteilung erfolgt nach der endgültigen 
xeststellung der Entfernungen in einer feierlichen Sitzung des 
duratoriums der National-Flugspende am 18. Dez. 1913,- zu 
er auch Prinz Heinrich von Preuhen sein Erscheinen zuge— 
agt hat. Etwaige Erinnerungen gegen die bisherigen Fest— 
etzungen werden von der Geschäftsstelle der National-Flug- 
pende, Kronenstrahe 61,63, bis zum 5. Dea. 1913 entgegen⸗ 
enommen. 
Einen Ueberlandtlug ven acht Stunden ohne Zwischen⸗ 
andung führte der deutsche Flieger Georg Hans auf einem 
Doppeldecker der Luft-Verkehrs-Gesellschaft aus. Er startete 
nit einem Passagier an Bord in Johannisthal am DTonnerstag 
urz vor 8 Uhr morgens. Er flog zunächst nach Dresden, 
dann über Leipzig, Halle, Bitterfeld und Rathenow nach 
Johannisthal zurück, wo er nachmiitags bald nach 4 Uhr alatt 
andete. 
W. Eine Konkurren; sür Wasserflugzeuge plant der Aero⸗ 
lub von Frankreich für den Sommer 1914. Der Wettbewerb 
oll sich über die ganze französische Seeküste von Dünkirchen bis 
Biarritz erstreceen. Die Propositionen dieses Wettbewerbs wer—⸗ 
den zu iächst der Syndika!skammer der fran ö ischen F'ugzeug⸗ 
Industrie zur Begutachtung unterbreitet werden. 
5W. Tetuan, 29. Nov. Heute vormittag ist zum ersten 
Male ein Militär Doppeldecker vom hiesigen Flugplatz 
iach Arzila geflogen. Die Flugzeit betrug 90 Minuten. 
Aebersee und Nationalflugspende. Die bei den Deutschen 
im Auslande veranstaltete Sammlung ist nun, nachdem der letzte 
Beitrag (aus Chile) eingegangen ist, zum Abschlusse gelangt. 
Das Gesamtergebnis steillt sich darnach wie folgt. Es 
gingen ein von den Deutschen aus 
Amerika... ..... .154 832. 24 
Asien.. 3710 .62. 
Afrikea....... 18445.62 
Auitralien“...... 5881.33 
Summa 216 264. 721 M. 
Außerdem wurden gesammelt in China weitere 25000 Mefür 
ein Luftschiff in Tsingtau, und in Aegypten noch etwa 12 000 M. 
o daß der Gesamtbetrag der überseeischen Sammlungen eine 
iertel Million übersteigt. Wo die überseeischen Deutschen dem 
ationalen Werke mit offenem Herzen und Beutel Beistand lei⸗ 
keten, und wo dies in minderer Weise geschah, das geht aus 
en oben veröffentlichten Zahlen mit solcher Deutlichteit her⸗ 
or, daß es eines weiteren Kommentars nicht bedarf. Es er— 
cheint uns aber als Pflicht, ganz besonders die große Opfer⸗ 
dilligkeit der in Brafilien lebenden Deutschen hervorzuhehben. 
lus den Listen geht hervor, daß dort Hunderte und Aber— 
zunderte armer deutscher Bauern ihr Scherflein von 100, 150 
»der, 200 Reis (12 bis 25 Pfg.) beitrugen, und daß der in 
Brafilien zusammengekommene stattliche Betrag von nahezu 
30 000 Musich zum großen Teile aus den bescheidenen Bei— 
trägen des „kleinen Mannes“ zusammensetzt. Auch in manchen 
anderen Ländern, beispielsweise in Portugiesisch-Ostafrika, haben 
die Deutschen fast ohne jede Ausnahme sich an der Spende 
eteiligt. So ist der Eifer, mit dem viele Tausende von 
Deutschen der Uebersee dem nationalen Rufe gefolgt sind, ein 
chönes Zeichen der Anhängqlichkeit an die alte Heimat. 
I * J J Lauenburg. * 
Lauenburg, 1. Dez Zum Sendtor wurde mit sämt- 
ichen abgegebenen 154 Stimmen Reeder Matthias Burmester 
Jewählt. Er tritt an die Stelle des Senators Lübbert, der 
jach abgelaufener Wahlzeit mit Ende dieses Jahres aus dem 
Nagistrat ausscheidet und wegen vorgerückten Alters eine aber⸗ 
alige Kandidatur abgelehnt hatte. — Zur großen Armee 
us den stark gelichtelen Reihen der Kriegsveteranen abgerufen 
burde am 11. Nov. der Invalide Franz Scheer, seit 1872 Ein⸗ 
johner unserer Stadt. 1865 zum Füsfilier-Kegiment Nr. 90 
conscribirt“, machte er 1800 den Feldzug nach Bayern und 
370/71 die Belagerungen von Metz, Toul und Paris sowie 
ie Schlachten und Gefechte bei Dreux, la Madelaine, Belleme, 
zazoche les Nantes, Artenay, Orleans, Meunf s./LK., Beau⸗ 
ency, Loynes, Freteval und Le Mans mit. Aus diesen zahl—⸗ 
eichen Kämpfen ohne Verwundung und mit Ehrenzeichen heim— 
jekehrt, war der Verstorbene doch wohl durch die Folgen der 
zroßen Kriegsstrapazen vorzeitig gealtert und invalide geworden. 
— Einen Einheitspreis von 16 Pfg. für das Kubik— 
neter Gas läßt das Gaswerk A-G. vom 1. Jan. 1914 ein⸗ 
reften 
Großherzo gtũmer Medlenbaura. 
Sternberg. 1. Dez. Landtag. Sitzung vom Sonn⸗ 
bend. dem 29. Nov. Für Universitätsneubauten, und zwar für 
inen Neubau des pathologischen Instituts und der chirurgischen 
tdlinik in Rostock, werden von der Schweriner Regierung 
800 000 Mverlangt. Für eine Anstalt für weibliche Zwangs- 
öglinge,. die konfirmiert sind, in Ludwigslust werden 40 000 M 
zerlangt. Als Landeshilfe für den Marien⸗Frauen-Verein wer— 
en auf zehn Jahre jährlich 7500 Mvorgeschlagen. Weiter 
verden verlangt 60 000 Meäzur Anschaffung von Mesothorium 
zur Krebsbehandlung) für das Rostocker Krankenhaus. 
Ludwigslust. 1. Dez. Apothekenve-kaufs. Die 
zofapotheke ging durch Kauf in den Besitz des Apothekenbesitzers 
stichard Bremm aus Leisnig i. S über Die Uehergabe er— 
olgte sofort. 
Bützo w, 1. Dez. Verschwunden ist seit Donnerstag 
achmittag der 13jährige Schüler Paul Scharlemann. Der Knabe, 
em seine Lehrer das beste Zeugnis ausstellen, ist am 26. Nov. 
aittags aus der Wohnung seiner Tante, der Ackerbürgerwitwe 
dröger, gegangen; gegen 36 Uhr trafen ihn noch Schulkollegen, 
ann ist er aber nicht nach Hause zurückgekehrt. Alle bisher 
ingestellten Nachforschungen sind ergebnislos verlaufen. 
s88 Grevesmühlen, 1. Dez. Nach dem Advents— 
ericht sind im verflossenen Kirchenjahr in hiesiger Gemeinde 
jetauft 133 Kinder, konfirmiert 148 Kinder, getraut 47 Paare. 
egraben 98 Personen, von denen 9 zwischen 80 und 90 Jahren 
iit waren. Das heilige Abendmahl empfingen 1276 Personen. 
— Im Gewerbeverein hielt Rechtsanwalt Jess einen Vor— 
rag über „Die Gefahren des Wechselverkehrs für den kleinen 
zewerbetreibenden — eine Warnung vor den sogenannten Dar— 
ehnsvermittlern“. — Im Kriegerverein wurde ein Kom— 
nissionsantrag beraten und angenommen, dalingehend, daß mit 
»em 31. Dez. 1913 die Unterstützungs- und Sterbekasse des 
gereins aufgelöst wird. Unterstützungsfälle, die zur Jeit der 
luflösung schweben, wie auch die sonstige Liquidatson des Ver—⸗ 
nögens der Kasse sind nach den jetzigen Satzungen zu erledigen. 
»Rehna, 30. Nopy. Der Männerturnverein 
zeranstaltete ein Schauturnen mit nachfolgendem Tan kränzchen. 
— Die Kranken- und Sterbekasse sür HSand— 
werker und Gewerbetreibende E. H. wird mit dem 
31. Dez. d. J. aufhören zu bestehen. Die Kasse beabsichtigt, sich 
nom 1. Jan. 1914 ab in einen Versicherungsverein auf Gegen— 
eitigkeit umzuwandeln 
Aus den Nachbargebieten. 
Schleswia⸗Solftein. 
Kiel, 1. Dez. Die berechnete Einwohnerzahl 
Kiels hat sich im Monat Oktober 1913 um 1470 vermehrt. 
Die fortgeschriebene Bevölkerung beträgt somit z. 3t. 218 716. 
Großherzogtum Oldenburg und Fürstentum Lubed. 
K. Ahrensbök, 1. Dez. Eine Zwangsinnungder 
Stellmacher und Böttcher für das Fürstentum wird 
gierselbst am 1. Febr. 1914 auf Antrag der bisherigen Stell⸗ 
macher⸗ und Böttcherinnung errichtet. J 
O Suülel, 1. Dez. In sein Amt eingeführt wurde 
Somntag der neue Pastor Freiherr von Steinäcker durch Kirchenrat 
Rahtgens und seine Assistenten Pastor Harms, Eutin, und Pashor 
Namenkauer, Ahrensbök. Der kirchlichen Feier folgte ein Essen 
mit nachfolgendem Kaffeetisch im Gasthof. 
O Sulsel, 1. Dez. Landwirtschaftliche Ver—⸗ 
sammlung. Tierarzt Trolldenier, Neustadt, hielt einen wert⸗ 
bollen Vortrag über die Rindertuberkulose und ihre Tilgung. 
Der Referent empfahl dringlich den Anschluß der Einzelviehbe⸗ 
tände wie auch der Molkereien an das Tuberkulosetilgungs⸗ 
dersahren der Landwirtschafttskammer für Schleswig-Holstein. 
Der Gebührentarif beträgt für 1256 Tiere 3 M Grundgebühr 
ind für das Rind 1 M. Die Grundgebuhr ermähigt sich nach 
»er Zahl der Tiere. Bei Anschluß von Molkereien und Kuh— 
gilden wird die Grundgebühr auf 60 00 ermäßigt. Einen 
weiten Nortraa bielt SäockeEdels dorf über Bepflanzung der 
r— 
Tangomanie. 
Von Else Grüͤttel, Hamburg. 
Eben lomme ich aus der Tanzstunde. Der kleine Bacfisch 
aus der Villa nebenan, das fsesche Ehepaar von gegenüber 
waren auch mit dabei. Großmutter, Mutter und Kind .... 
de lernen's alle, alle. Und die dementsprechenden Männlich- 
eiten ebenfalls. 
Tango ist etwas, das man kennen und können muß, wenn 
man gebildet und modern sein will. Ohne Tango tein Tee, 
ohne Tango kein Ball und keine Abendunterhaltung. Es wird 
ruch hier sehr bald so kommen, 
Mit Tanzturnieren fangen sie ja schon an. Das ist 
immer ein bedenkliches Zeichen. „Und wenn er erst ein Dutzend 
dat, so hat er auch die ganze Stadt“, der Tango. Erst 
Arzlich auf einer eleganten Hochzeit hier in Hamburg hab⸗ 
ich's gesehen. Da setzte sich die siebzehniährige Braut ans 
Klavier und spielte den Choclo, und ein sehr jugendliches 
Paar tanzte Tango. Tanzte den argentinischen Kaschemmentanz 
nitten in der vornehmen Gesellschaft mit sehr viel Grazie und 
Beherrschung. Und alles rundum kam sich völlig unmodern 
vor, weil es diesen neuesten aller importierten Tänze noch 
aicht „konnte“. 
Man geniert sich. 
Und plötzlich fallen einem die Ballettmeister wieder ein. 
„Man“ ist zwar vielleicht nicht immer mehr ganz jung, aber 
das tut der Begeisterung keinen Abbruch. Haben sie nicht auch 
mm Rokokozeitalter sämtlich die neuen Tänze einstudiert? Unb 
ruher ... und später , Madamo sans gene? , Unfertouchen“ 
⸗man besinne sich nur.... 
Und siehe da, das Ungeheuerliche geschieht: die Hamburger 
nehmen plötzlich Tanzstunde. Ob Familienvater, ob unbeweibt 
und kaum konfirmiert, ob kleines Mädel oder Dame von Weln 
— gleichviel, man tanzt. 
Es ist wirklich sehr amusant in der Tanzstunde. Ganze 
Familien und einzelne Paare lösen einander ab, der Bolleit- 
nteister kommt kaum zum Atemholen, jede Stunde hat er be— 
edt und muß fich muhsam fortstehlen, um in irgend einer 
Pause sein auf das Primitivste beschränktes Mittagessen ein 
wich'ehen. Ununterbrochen muk er tamen. tanzen, tanzen. 
zoston. Uebersetzschritt, einfachen Schritt. Und immer muß er 
iebenswürdig sein, wenn seine Tangoschüler sich noch so unge⸗ 
ehrig anstellen, immer lächeln, wenn sie nach einer neuen 
Nelodie die eben erlernten Schritte nicht selbständia zum Ganzen 
omponieren können. 
Denn der Tango ist schwer. Weil er aus der Kaschemme 
ammt? O bitte, nein, das beweist gar nichts. Wenn wir 
atsächlich den echten, vulgären Tango der Argentinier tan⸗ 
en sollten, würden wir ihn wahrscheinlich nie lernen. Ganz 
infach, weil er uns Norddeutschen nicht liegt. Aber der Tango, 
en wir heute auf unserem Parkett bewundern, hat nur noch 
ehr wenig gemein mit jenem Naffstanz, der ursprünalich und 
eißblütig war. 
Unser Hamburger Tango ist unecht. Euvropäifiert von der 
entimentalen Einleitung bis zum feierlichen Finale. Wir lernen 
»en Tango nicht so, wie er entstand, sondern fein geknetet 
ind zugerichtet, wie er in unsere Gesellschaft taugt. Und 
»as tut seinem Ruhm und seiner Wirkung durchaus keinen Ab— 
zruch, denn auf diese Weise haben wir ihn wenigstens 
ind bringen in das Einerlei der Walzer, Rags und Steps 
ine choreographische Abwechselung, die äuherst reizvoll ist. 
IUnd nebenbei veranlaßt uns der neue Tanz, unsere gesamte 
Zewegungstechnik ein wenig zu revidieren und neu zu kul—⸗ 
ivieren. Zum Turnen und Gymnastiktreiben nahm sich nie— 
nand gern die Zeit, Tango aber ist Mode, folglich muß man 
hn können, denn wenn auch heute noch auf einem Hausball 
in besonders geschickter Herr mit seiner Partnerin das tango— 
anzende Paar darstellt, so werden wir — und dazu braucht's 
icherlich nur ganz wenige Wochen — sehr bald so weit sein, 
aß diejenigen Gäste auffallen, die es nicht können. Und zu 
iesen bekennt sich niemand gern. War es doch von jeher 
des Hamburgers sehnlichstes Bestreben. nie und durch nichts 
rufzufallen. 
Gelernt muß also der Tango unter allen Umständen wer⸗ 
»en. Und zwar so rasch wie möoglich, denn demnächst werden 
bir, so heißt es, in einem unserer großen Hotels den ersten 
egelrechten Tango⸗Tee erleben. Aber leicht ist die neue Kunst, 
odie gesagt, nicht. Hauptsache ist Beherrschung der Glieder und 
zewegungen. Man hampelt nicht, man zappelt nicht und 
vadelt nicht. Der Oberkorper bleibt volllommen ruhig und 
sur die Knie und Fühe arbeiten. Der Tango ist ein Rundtanz 
Aun 
mit der Anmut des Kontre und der Ruhe etwa eines Walzers, 
wie ihn die Schweden tanzen. Doch liegt in dieser beinahe 
unheimlichen Ruhe etwas Verhaltenes. eine Leidenschaft. die wohl 
nöchte, aber nicht darf. 
Wenn man eimnal ein bißchen hinter die Kulissen gegudt 
»at und weiß, wie der Tango bisweilen einstudiert wird. ... 
Zunächst natürlich mit Schritten und Uebungen. Doch dann 
'allen diese Studien zu schwer, und man schreibt sich die Reihen⸗ 
'olge der einzelnen Figuren auf. Schreibt sie sich auf und trägt 
o den neuen Tanz schwarz auf weiß getrost nach Hause. Da—⸗ 
zeim hat man dann sein Grammophon mit den bekannten 
Tanzmelodien von Valverill und Villoldo, und nach dem Buch- 
taben wird so der Tango eingepaukt. 
„Bisweilen“, sagte ich.... Diese Methode ist natürlich 
icht allgemein üblich. Aber sie beweist, wie schwerlebig wir 
jeworden sind. Tango sollte man tanzen wie eine Eingebung, 
m sicheren Spiel der Glieder, mit wohlbeherrschten Sinnen, 
ind sollte' sich dabei doch dem einschmeichelnden Rhythmus 
er spaniichen Klänge willig überlassen. Gebändigte Sehnsucht, 
ezuügelte Wildheit spricht aus diesen Tanzfiguren, die, wie all⸗ 
emein behauptet wird, nur von wirklich musikalischen Menschen 
etanzt werden können. Jedensfalls läht sich der Tango sehr 
erschiedenartig auffassen, und die Tanzweise im Palais de danse 
orrespondiert natürlich keineswegs mit dem scheu⸗grazibsen Ver— 
alten, das unsere Hamburger Damen in der Tanzitunde gern 
eobachten. 
Das äst unser Fehler. Wir fsollen ja gewiß nichts von 
enen heiklen Mätzchen annehmen, mit denen in der leichtfertigen 
Welt ein moderner Tanz ausgestattet wird, aber wir sollten 
»eim Tanzen weniger zuruckhaltend in unseren natürlichen Be— 
degungen sein, Tänzer sowohl wie ihre Partnerinnen, und das, 
das wir als schön erkannt haben, auch wirklich durch Grazie zum 
Ausdruck bringen. Zu Hause —, gewiß, da können fie's alle 
ind ganz allerliebst und sehr gewandt sogar. Aber sobald 
»s in die Oeffentlichkett geht — — — 
Das paßt nicht zum Tango. 
D. ich möchte nur ein einziges Mal einen Blick durch alle 
ene zugezogenen Gardinen werfen dürfen, hinter denen bei uns 
eit einigen Wochen leidenschaftlich Tango gelernt und geübt wird. 
Fs müßte reizend sein..
	        
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