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Beilagen: Vaterstädtische Blätter. — Der Familienfreund.
Amtsblatt der freien und Hansestadt Lübeck 163. Jahrgang Nachrichten für das Herzogtum Lauenburg, die
Geiblatt: Gesetz und Verordnungsblatt xt ee Fürstentũmer Katzeburg, Lübeck und das angren
—RX ——&& 2 zende mecklenburgische und holsteinische Gebiet.
Drud und Verlag: Gebruder Borchers G. m. b. S. in Lũbeck. — Geschäftsstelle Abeα Konigstt. 46). Fernspre cher 9000 u. 9001.
Ddonnerstag, den 20. November 1913.
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Woͤchentlich 13mal (Wochentags morgens und
abenbs, Sonntags morgens) erscheinend. Bezugs⸗
preis für das Vierteljahr 3,30 Mark einschließlich
Bringgeld in Lübeck. Durch die Post bezogen ohne
Bestellgeld 3330 Mark. Einzelnummern 10 Pfg.
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Ausaahe
Abend⸗Blatt Nr. 588.
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Erstes Blatt. hierzu 2. Biatt.
Umfang der heutigen Nummer 6 Seiten.
Nichtamtlicher Teil.
München. Nürnberg, Leipzig, Frankfurt, Mannheim, in ganz
Wurttemberg usw. — In der Reichsversicherungsordnung blieb
eider die wichtige Arztfrage ungelöst, obwohl ohne die ge—
wissenhafte und bereitwillige Mitwirkung der Aerzte die Lei—
tungen der Krankenversicherung nicht erstattet werden können.
Der Arzt muß ebenso wie der deutsche Richter unabhängig
ind frei sein, dann wird auch das Volk wieder größeres Ver—
rauen zur sozialen Gesetzgebung bekommen. Das Ver—
rauen zum Arzt ist ein wichtiger Seilfaktor;
s darf deshalb niemand gezwungen werden, sich an einen
zestimmten Arzt zu wenden. Bei dem Zwangsarztsystem kann
s vorlommen, dak in einer Familie jedes Mitglied von
inem anderen Arzt behandelt wird, so daß jede Erfahrung, die
»er Hausarzt durch jahrelangen Verkehr mit den Familienmit-
lliedern sich angeeignet hat, dadurch wertlos wird. Die For—
erung der freien Arztwahl ist auch notwendig, um Volks—
euchen erfolgreich bekämpfen zu können. So hat die Allge⸗
ieinheit das größte Interesse an einem freien Aerztestand,
vie eine deutsche Reichsgerichtsentscheidung vom 11. Juni
907 anerkennt, welche besagt: „Der ärztliche Beruf
nuß frei sein kraft der ihm innewohnenden
ittlichen Waärde undimöffentlichen Interesse“.
Deshalb wäre auch eine Verstaatlichung der Aerzte, abgesehen
»on den groken Kosten, vom Uebel. Für den Falleines
Krieges ist es notwendig, daß das Deutsche
deich über eine genügende Anzahl erfahrener
lerzte verfügt. Wenn man aber Tausenden der deutschen
lerzte jede Möglichkeit nimmt, in ihrem Berufe tätig zu sein
und Erfahrungen zu sammeln, so muß beim Ausbruch eines
trieges ein großer Mangel an deutschen Aerzten entstehen, die
m Kriege verwendbar sind. Aus diesem Grunde schon sollten
in erster Linie die staatlichen Krankenkassen (Bahn- und Post⸗
trankenkassen) den Aerzten ihre Ausbildungsmöalichfeit nicht
chmälern.
Die freie Arztwahl ist notwendig, wenn die Ziele der sozial⸗
»olitischen Gesetzgebung überhaupt erreicht werden sollen. Die
lerzte fordern nicht, daß sie versorgt werden, sie fordern nur
»as Recht, wie an der Privatpraxis, so auch an der Kassen⸗
praxis auf Grund ihrer staatlichen Approbation teilnehmen zu
önnen. Für sie bedeutet der Kampf um die freie Arztwahl
ugleich den Kampf um die wirtschaftliche und ideelle
sreiheit. Die Gründe für die Bcwegung der Aerzte behufs
kinführung der freien Arztwahl waren von Anfang an in
rster Linie ideelle und erst in zweiter Linie materielle.
der dumpfe Druck, der auf der sittlichen Kraft des Standes
astet, wird von der Aerzteschaft schwerer empfunden, als das
zanze Elend der unwürdigen Bezahlung. Das muß immer
vieder betont werden gegenüber denjenigen, die in der ärzt—
ichen Bewegung nichts weiter sehen wollen, als einen Lohn⸗
ampf, obwohl die Bezahlung der Kassenärzte — wie allgemein
»vekannt — in Deutschland sehr schlecht ist. Dabei setzen
di⸗e Merzt⸗ sich und ihre Familie⸗n großen Ge—
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fahren aus. Die ekelhaftesten Verrichtungen bei den ver«
chiedenen ansteckenden Krankheiten bleiben dem Arzte über⸗
assen. Es hat sich gezeigt, daß bei freier Arztwahl sich von
elbst eine gewisse soziale Tätigkeit der Aerzte entwickelt. So
at sich z. B. in Munchen innerhalb des Vereins für freie
Irztwahl eine Kommission für Arbeiterhygiene und Statistik
gzebildet, der eine Reihe von sozialhygienischen Einrichtungen zu
erdanken ist, z. B. die Gründung der Zentrale fur Säug⸗
inasfürsorge in Bayern, Tuberkulosesrsorge, Fürsorge bei
mistedenden Krankheiten. Wohnungshygiene uswp. Durch die
reie Arztwahl wächst eben die Berufsfreudigkeit der Aerzte und
das Interesse an sozialen Fragen. Die freie Arztwahl hakt
sich als das vernünftigste, zwedmäkigste und sozialste System
ärztlicher Versorgung erwiesen.
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W. Berlin, 19. Nov. Die Berliner medizinische Fakultäl
at gestern einstimmig eine Kundgebung beschlossen, in welcher
ie ihre volle Sympathie mit den Beschlüssen des außerordent
ichen Aerztetages au drüdt und den Aerzten in ihrem Kampf
um die persönliche und berufliche Freiheit Erfola wünscht. J
die Revolution in Meriko.
W. Newnork. 19. Nov. Nach einem Telegramm aus
Brownsville in Texas nahm der Insurgentenführern
ßonzales die Stadt Viktoria ein und machte die Gar—
tison bis auf den letzten Mann nieder. Gonzales
meldet, daß die Schlacht die blutigste der ganzen Repolufiom
var.
W. Brownmsvlle (Texas), 19. Nov. Nach einem Bericht des
Infsurgenten Generals Gonzales glich die Stadt Viktorida
zinem Trümmerhaufen, als sie am Dienstag abenð
»on den Bumdestruppen nach zweitägigem Straßenkampfe ge—
äumt wurde. Hunderte von Bundessoldaten sind nieder⸗
jemetzelt worden. Der Hof und die Hallen des Regierungs
alastes sind mit Leichen dicht bededt. Auch der Eigen—
umsschaden ist grok. Viele Gebäude in den Hauptstraßen sind
rurch Geschützfeuer zerstört oder niedergebramt.
W. Newnork, 19. Nov. (Meldung der Associated Preß..
dach einer Depesche aus Mexiko erklärten die Freunde
puertas, dieser betrachte eine Interdention als
rahrscheinhich. Gestern erließ er an die Gouverneure
er Einzelstaaten Befehle, unverzüglich die Soldatenzahl anzu⸗
jeben, die sie bis Domerstag, dem Tage der Eröffnung des
dongresses, bereitstellen können. Nach einer amtlichen Versiom
ollen diese Befehle eine Folge des jüngsten Dekrets zur Heeres⸗
dermehrung auf 150 000 Mann sein.
Frankfurt, 19. Nov. Wie der Frankft. Ztg. aus Mexilko
jemeldet wird, hat der deutsche Gesandte v. Hintze die Vor—⸗
tände der deutschen Vereine der Hauptstadt zur Schaf—⸗
ung einer Bürgerwehr zusammenberufen. Das Gleiche
jaben alle fremden Gesondten vetan Au— der Haurtstadt sind
M
nir gegenüber ich zweifle, das eine der Geschmeide vor Augen
„ielt,.“ fährt Irene erregter fort.
Madame Lolo springt von ihrem Sessel in die Höhe.
ihr ganzes Gesicht ist gespanntes Interesse. brennende Neugierde.
„Wer war das, wenn man fragen darf ?
„Fürst Wladimir Orloff.“
Jetzt lacht Madame Lolo dustig auf.
„Fürst Orloff? Hahaha! Der ist ja unser Freund! Nod⸗
zor einer Stunde —“
Sie stocht und beißzt sich auf die Lippen, während ihr
ohnehin lebhaft gefärbtes Gesicht noch röter wird und ihre Augen
den Boden suchen.
„Was war vor einer Stunde?“ forscht Irene beunruhigt.
„Richts, nichts!“ wehrt Madame Lolo verlegen ab. Du
nachst einen wirklich ganz nervös mit deiner Inquisitorenmiene.
daß doch die Vergangenheit ruhen! Vielleicht hat der Fürst
das Ding irgendwo bei einem Juwelier erstanden, weil es ihm
zefiel! Welches war es denn?“
„Das Medaillon mit dem Wappen in Brillanten und den
zudern von — von — —“
„Na ja, ich weiß schon. Was ist weiter dabei? Er wird
dich kaum nach dem Miniaturbild erkennen. Und wenn doch?
Bah. dann muß eben geleugnet werden!“
Madame Lolo tritt vor den hohen venetianischen Ankleide⸗
piegel und zupft fich ihre komplizierte, etwas zerdrũckte Haar⸗
risur zurecht, indes Irene mit erregten Schritten im Zimmer
ruf und ab geht.
Plötzlich wendet Madame Lolo sich mit einer hastigen
ßewegung um.
SHast du mich noch etwas zu fragen ?“
Frene hält inne in ihrem unruhigen Mife und Abgehen
bleibt vor der bereits wieder ihrem Spiegelbilde zu lächeln⸗
Mutter stehen. Ihr Gesicht ist sehr bleich.
„Ich sagte dir neulich schon, daß ich die Angelegenheit“ —
ie stockt. um dam entschlossen fortzufahren —, „daß ich
die Angelegenheit betreffs des Kindes von nun an selbst in
ie Hand nehmen werde. Gib mir die Adresse der Leute, wo es
4 Vflseoe ist!“
Was wollen die Aerzte?
Unter dieser Ueberschrift veröffentlicht Dr. Scholl nach-
tehende Ausfuhrungen, die wir mit Erlaubnis des Verfassers
hier wiedergeben, da sie das allseitig interessierende Thema
bon neuen Gesichtspunkten aus behandeln:
Die Geschichte lehrt, daß ganze Berufsstände, die bei freier
Entwicklung emporgekommen waren, durch eine Aenderung wirt⸗
chaftlicher Gefetze schrrer gefährdet, ja ganz vernichtet wurden.
Einer solchen tragischen Krise geht jetzt der ärztliche Stand
in Deutschland entgegen, der sich im Laufe der letzten Jahrzehnte
ur höchsten wissenschaftlichen Höhe emporgerungen hat, wenn
es ihm nicht gelingt, sich jetzt durchzufetzen und seine Be⸗
rufsfreiheit zu wahren. So kämpftdie deutsche Aerzte⸗
schaft das erste Vorpostengefecht far arle aka⸗
demischen Berufssstände, die fich jetzt noch ͤhrer
Freiheit erfreuen. Man kann bei diesem Kampfe leider
erkennen, wie sehr die Achtung vor der geistigen
Arbeit gesunken ist. Es ist traurig und für die Allge—
meinheit nicht ohne Gefahr, daß ein so wichtiger Berufsstand
eine Kräfte, die er ganz der leidenden Menschheit widmen
ollte, durch aufreibende wirtschaftliche Kümpfe zersplittern muß.
Die Entwicklung der sozialen Gesetzgebung, die gewiß sonst
JIrotzen Segen westiftet hat, bat den Arzt als unabhängigen,
nur direkt mit dem Kranken verkehrenden und allein von
dessen Vertrauen getragenen Hausarzt zu einem abhängigen
Angestellten gemacht, abhängig von einem zwischen Arzt und
Patienten durch die Gesetzgebung eingefchalteten Faltor, die
Arankenkasse. Die immer größer werdende Ausdehnung der
Krankenversicherung entzog auch immer mehr Patienten der
freien Ausubung des ärztlichen Berufes, und zwar in wachsen⸗
dem Maße solche leistungsfähiger Kreife. Unter dem Drud
dieser wirtschaftlichen Notwendigkeit hat sich die deutsche Aerzte
chaft zu einem kräftigen Verbande zufammengeschlossen.
Die Aerzte verlangen, um unabhängig und berufsfreudig
iu bleiben, die sogenannte organisierte freie Arzi—
wahl. d. h. die Zulassung jedes approbierten Arztes zur
Kassenpraxis, der sich den von den Krankenkassen und den
ärztlichen Organisationen aufgestellten Bedingungen unterwirft,
wobei die Kassenmitglieder unter diesen Aerzten freie Wahl
jaben. Daß die freie Arztwahl vertragsmäßig durchführbar
st, ohne die selbstverständlich gleichfalls zu berücksichtigenden
Interessen der Krankenkassen zu gefährden, ist praktisch überall
dort bewiesen, wo flie bhoreitse durchgeführt ist so — Rin
Irrlichter des Glückhßs.
Ein Gesellschaftssoman von der Riviera.
Von Erich Friesen.
20. Fortsetzung Nachdrudk verboten.
dieses ganze Gemisch von Ltatnrorphare, das Irenes vor—
nehmes Empfinden heute besonders zurückstößt?
Sie glaubt, die Mutter werde sofort auf ihren Spiel—⸗
verlust zurückkommen und die Tochter aufs neue um Decung
der Schuld bestürmen. Zu ihrer Verwunderung jedoch berührt
dieselbe den Punkt gar nicht mehr; im Gegenteil — sie erscheint
rußerst zusrieden, ja übermütig lustig.
„Ich bat dich um deinen Besuch aus zweierlei —X
Mutter.“ beginnt sie etwas- nervös, als beide Platz genommen
jaben und Madame Lolo sich, eine Operettenmelodie vor sich
inträllernd, eine Zigarette anbrennt. „Du entsinnst dich, daß
ich dir vor Jahren — damals, als das Unglũck über mich kam
— einige Schmuckgegenstände in Verwahrung gab. Ich habe dich
nie wieder danach gefragt, hatte ihre Existenz fast schon ver⸗
gessen. Da —“
„Und was hat jene schöne Zeit wieder in dir aufleben slassen 2
ällt Madame Lold mit leisem Spott ein.
Irene ignoriert das Verletzende in dem Ton der Mutter.
Nur ein ernst vorwurfsroller Blick aus ihren schönen Augen
rliegt hinüber zu der kräftig paffenden Frau, die sich, ihrer
Hewohnheit gemäß, in die Polster des Sessels geschmiegt hat
wie eine kleine Katze.
„Ich bitte dich, mir die Schmuckqegenstände zurückzuqgeben,
Mutter.“
Madame Lolo lächelt gezwungen.
„Bist du verrückt? Du weißt doch, daß sie verkauft
vurden!“
„Verkauft ?“
„Schon vor Jahren.“
An wen?“
Anntiutig zuckt Madame Lolo mit den Schultern.
„An wen! An wen! Das soll ich jetzt noch wissen?
Zermutlich an einen Juwelier! Oder an einen Pfandleiher!
ß3ah!“
Irene richtet die Augen fest auf das gepuderte Gesficht
der Mutter. Ein angstvolles Forschen zittert in ihrem Blick.
„Mutter! Weißt du, weshalb ich diese Frage an dich
tellte?“
Wieder jenes eig ensinnige Achselzucken.
„Weil mir gestern jemand, an dessen ehrlichen Absichten
8.
Dunlelheit senkt sich herab. Die elektrischen Lichter auf
der Promenade des Anglais flammen auf. Und noch immer
wartet Irene auf ihre Mutter, die sie für heute abend au einer
urzen Unterredung zu sich gebeten.
Es ist an einem Donnerstag — der einzige Abend der
Woche, den der Marquis in seinem Klub verbringt. Der
einzige Abend, an dem seine Gattin allein ist. Und klopfenden
berzens bangt Irene. daß er vorübergehen könne, ohne daß
die ersehnte Aussprache mit der Mutter stattgesunden hat. Daß
ie weitere acht Tage warten muß.
Viertelstunde auf Viertelstunde vergeht. Stern auf Stern
blitzt auf am dunklen Firmament. Mählich verhallt der Trubel
auf den Straßen.
Und noch immer sitzt Irene in ihrem Boudoir und warte
— wartet — —
Endlich — die antike Barockuhr auf dem marmornen Ka—
minsims schlug bereits die elfte Stunde — hält ein Wagen
vor dem hohen gußeisernen Tor der Villa Fortuna.
Gleich darauf tritt Madame Lolo ein in das Boudoir
ihrer Tochter — mit ihrem girrenden Lachen, das Gesicht leb⸗
haft gerötet, als habe sie feurigen Weinen kräftig zuge—
wrochen, umraschelt von einer leuchtenden Seidenschleppe
„Mein teures Kind. entschuldige, daß ich d'ch warten ließ!
Ich hatte noch eine wichtige Abhaltung. Wie behaglich du es
ast! Luxus mit Komsort vereinigt! Ach, wie hab' ich
das Hotelleben satt! Wie verlanat es mich nach einem eigenen
Heim!“
Irene hat sich erhoben und geht laugsam ihrer Mutter
mtgegen. Die schlanken Glieder umfließt ein zartblaues Kasch⸗
mirgewand, das ihre Wangen besonders bleich erscheinen läßt.
Oder ist es das gewisse Etwas, das Madame Lolo stets
imschwebt — das aufdringliche Parfüm, die auffallende, üiber⸗
noderne Kleidung, die vielerlei Schönheitsmittelchen, mit denen
nie alternde Frau ihre welken Züge aufzufrischen sucht —