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Da
Ausqgabe
⸗—
Der neue Krupp⸗Prozeß.
4Schlutz des 3. Tages.)
Berlin, 25. Okt.
Zeuge Dröse glaubt, daß Brandt auch im günstigen
Sinne berichtet habe. Der Zeuge schildert dann, wie er wãh⸗
rend seiner Krankheit das Bestellbuch mit nach Hause genommen
und wie Brandt ihn des öfteren in seiner Wohnung besuchte und
Einblid in duͤses Buch genommen habe. Erhebliche Vorieile
habe er von Brandti nicht gehabt, weder Geldgeschenke noch
sonstige Vergütungen. Zeuge Linke, Magistratzassistent,
rüherer Zeugseldwebel bei der Artillerieprüfungskommisston,
Jat Brandt Forderungszettel, mit denen er zu tun hatte,
mitgeteilt. Es handele sich hierbei um Versuche. Der Zeuge
bestreitet entschieden. von Brandt Geld erhalten zu habea. Auch
habe Brandt nicht für ihn die Zeche bezahlt. Zeug leutnant
ßooge hat Brandt bereits im Jahre 1906 kennen gelernt.
Die Beziehungen seien erst im Jahre 1912 aufgenommen wor⸗
den, als Brande sich an ihn, der inzwischen zur Artillerieprüu—
fungskommission verfetzt worden war, mit dem Ersuchen ge⸗
wandt habe, ihm alles Material, was für die Firma Krupp
Interesse hätte, zu übermitteln. Er habe Brandt mit um
so weniger Sorge das fragliche Material überwiesen, als
Brandt sich sehr gut orientiert zeigte und von iym, dem
Zeugen, nur das bestätigt haben wollte, was er bereits wisse.
Wenn Brandt mit seinen Mitteilungen Mißbrauch hätte treiben
wollen, dann hätte er ganz andere Dinge zur Sprache bringen
rönnen, da er über alles besser orientiert war, als er selbst.
Größete Geldgeschente und Darlehen habe er nicht erhaien
mit Ausnahme eines Darlehens im Jahre 1907, das er m
den Jahren 1908 und 10910 zurückerstattet habe. Auf die
Vernehmung des Zeugen Pfeiffer wird seitens des Ober⸗
staatsanwalts endgültig verzichtet. Der Oberstaatsanwalt
beantragt, die Zeugen Tilian und Genossen unver⸗
eidigtezu lassen, worauf Justiztrat Gordon den Antrag stellt,
die Zeugen Linke, Dröse und Hooge zu vereidigen, da es sich
bei diesen nicht um Bestechung handele. Nach jängerer Aus—
sprache zieht sich der Gerichtshof zurück und beschließt gemäß
dem Antrag des Oberstaatsanwalts. Darauf wird um 3 Uhr
30 Min. die Vernehmung abgebrochen. Die nächste Sitzung
findet Montag vormittag 9 Uhr statt. Es soll die Verne h⸗
ede der Direktoren der Firma Krupp istatt⸗
inden.
Der außerordentliche Aerztetag.
Machdruck verboten. S.&I. Berlin, 26. Okt.
Krieg den Krankenkassen! Das war das Zeichen,
unter dem der außerordentliche Aerztetag, der heute unter dem
Vorsitz des San.Rats Dr. Dippe C(Leipzig) stattfand, ge—
standen hat. Erschienen waren nahezu 500 Delegierte, die eine
Gesamtzahl von mehr als 20000 Merzten vertraten. Aber
der weite Saal im „Rheingold“ vermochte die nach Tau⸗
senden zählenden Aerzte, die als Zuhörer den Verhandlungen
beiwobnten, nicht zu fossen, auch die Tribũnen waren über⸗
füllt. Die Kampfstimmung herrschte bei allen anwesenden
Aerzten. und in dieser Stimmung ergriff zunächst der Vor—
sitzende des Geschäftsausschusses des Deutschen Aerztevereins⸗
bundes Dr. Dippe (Leipzigh das Wort zu einer program⸗
matischen Eröffnungsanfsprache. Redner gab in län—
geren Ausführungen ein Bild von dem Verlauf der Verhand⸗
lungen des Aerzteverbandes mit den Vorständen des Betriebs-
krankenkassenverbandes. Er betonte, daß der Aerzteverband
von dem ehrlichen Willen beseelt war, mit den Krankenkassen
Frieden zu schließen. Er hat, um zu diesem Ziele zu gelangen,
die Forderungen der Aerzteschaft bis auf die äußerste Grenze
reduziert und sich trotßdem bereit erklärt. auch noch weiterhin
mit den Kronfonsaitonnersaenden z3u verhandosn. dieso abor seien
Variser Saison⸗Anfang.
Paris, Anfang Oktober.
Trotz des noch hochsommerlichen Wetters gewinnt das
Hariser Leben allmählich wieder an Intensität. Mit den
Bädeckerfremden verschwinden allmählich die englischen und
deutschen Aufschriften in den Strahßen, die wieder don den
charalteristischen Typen der Pariser Gesellschaft bevölkert werden.
Die ausgestellten neuen Herbstmoden in den großen Schneider⸗
palästen und in den Warenhäusern, die auch hier an Be—
keutung für die wirkliche Eleganz gewinnen, haben zunächst
die vielen Frauen zurüdgelockt, die nie etwas anzuziehen haben.
Die beendigten Mandver und die abgeschlossene Automohil⸗
Triumph-⸗Rundreise des Präsidenten Poincaré haben die Mi—
nister und Behörden nach Paris zurückkehren lassen. Die be—
vorstehende Wiedereröffnung der Comédie Francaise ruf. die
dstige Elite zusammen, die wieder aufgenommenen Rennen in
ongchamps endlich und die aviatischen Veranstaltungen ver—
ammeln die weniger tätige als repräfentgtide Gefellschaft.
Toch ist dies giles vorläufig mur die Modilisierung der
danipagane und die Erscheinungen der beginnenden Saison be—
uten nur die hors d'oouvres deg agaroken mintecrlichen
Dem politischen Interesse der Pariser fehlt es noch an Ob⸗
ekten. Daher reibt man sich altgewohnterweise an Deutsch-⸗
sand. In diesem Punfte, scheint es, bleiben die Framzosen
monomon. Das früher so geistige und intellektuell repu⸗
blifanische Poris erscheint heute wier die Zauptstadt eines durch
und durch milftärischen Staates Man sieht hiet mehr, vün
taͤr und findet hier eine eifrigere und prattischere Anteil-
nahmean allen Ängelegenheiten der Ärmee als in Berlin.
Die Mandver haben eine qauffälüg schlechte Presse gehabt.
Man klagt mit indeutigen Worien. daß die Mannschaft. und
oer allem die subalterne Führung, mangelhaft durchgebildet
—AA die Generalitat der
Verjüngung bedürftig. Doch jst diese überirieben strenge Hal⸗
tung der Rresse allzu durchfichtige sie bezweckt nichts gis Stim⸗
mungsmacherei fur erweiterte Nilitärvorlagen. Andererseits
verden gile Nachrichten von Disziplinwidrigkeiten oder fri—
minellen Vorfällen in der deutfchen Armee min gehãssigem Be⸗
ꝛagen breitgetreten, Zufale unergeordneter Art Bdie un—
seie Landung bes Leutnants Steffen in Boulogne sur Mer)
lürnrunzelnd fast wie unmittelbare Krsegsbrohungen besprochen
rfroulicherweise mehrt aber diese Polit ein hen gasses ud
Rie Stimmen, die vor den Schaden folcher Vexhetzung warnen.
Das Hrößte Aufsehen erregte ein Arute des Senatsmitglie des
und Bürgermeisters von Lyon. der ohne Umschweife dem fran—
zösischen Chauvinismus allein die Schuld an depr Mißver⸗
hältnis zu Deutschland zuschob, mit den unwilligsten Woͤrten
diese forlgesezten unwürdigen Beleidigungen einegnatüe
derurteilte und mit größter Energie die Änbahnung verstãnd icer
Beziehungen Jum deutschen Rachbar perlanate“ D
b
Montag, den 27. Oktober 19135.
2
J
Abend⸗Blatt Ur. 545.
es gewesen, welche alle Einigungsvorschläge der Aerzteschaft
rundweg abgelehnt haben. Und nicht nur das, die Kranken⸗
assen haben die Einigungsverhandlungen absichtlich in die
änge gezogen, um bis zum Ausbruch der offenen Feind-
eligkeiten Zeit zu gewinnen, mit den Aerzten, die über die
Zachlage nicht orientiert waren, Einzelverträge abzuschließen.
Jetzi aber, da nichts anderes übrig bleibt, als der Kampf.
im den Verfall des ärztlichen Standes aufzuhalten, empfinde
nan doch ein Gefühl der Erleichterung, denn auch der Fried⸗
ertiglte und Gewissenhafteste muß erkennen. daß man für
ine gute und gerechte Sache kämpfe. Man streite nicht um
ersönliches Wohlergehen, sondern man wolle dem deutschen Vater—
ande seinen köstlichen Schatz, einen freien Aerztestand, erhalten
Die mit flammender Begeisterung vorgetragene Rede wurde
nehrfach durch stürmische Beifallskundgebungen unterbrochen und
am Schlufse erntete Redner einen minutenlangen, lauten Beifall.
— Der zweite Redner, San-Rat Hartmann (eipzio) führte
ms, daß die guten Absichten der Aerzteschaft an dem Hoch⸗
rut, dent Uebelwollen und dem Mach.titzel der Krankenkassen⸗
ewaltigen zerschellt sind. Die Aerzte hätten nicht den Krieg
eabsichtigt, denn fie wollten ihre besten Kräfte nicht in
ewerkschaftlichen Keempfen verzetteln. Man sagte, daß die
rankenkassenvorstäände durch die neuen Bestimmungen der Reichs⸗
ersicherungsordnung verärgert, fich dadurch rächen wollten,
n der Arztfrage eine recht große Verwirrung anzurichten. Das
väre eine Desperadopolitik. aber dann hätten die Kahsen
ie Verhandlungen nur zum Schein gepflogen und mit der
janzen Oeffentlichkeit ein frevelhaftes Spiel getrieben. Wenn
ie Redensarten, daß den Kassen eine große Zahl von Streil⸗
rechern zur Verfügung stände, auch übertriebene Prahlereien
eien, so müsse doch ein für allemal diesem widerlichen
S„treitkbrechergewerbe ein Ende gesetzt werden. Jetzt
önne nur noch ein Kampfauf der ganzen Linie be—
chlossen werden, es gebe jetzt nur noch einen vertraglosen
zustand, und der Kampf muß zum Sieg führen, nicht eher
varf Friede geschlossen werden, als bis alle Forderungen der
lerzteschaft erfüllt sind. Sollten sich an einzelnen Orten
ber wirllich Söldlinge um Indaslohn bereit finden, ihren
Kollegen in den Rücken zu fallen, so wolle man nicht eher
uhen, als bis diese den Schauplatz ihrer Schmach verlossen
zaben. — Auch dieser Redner fand für seine Ausführungen
urmischen Beifall. — Nach längerer Debatte wurde mit allen
gegen vier Delegierte, welche zusammen 164 Aerzte vertreten,
eine längere Erklärung angenommen, in der den Krankenkassen
der Krieg erklärt wird. Nicht eher sollen die Aerzte mit
iner Kasse Verträge abschließen, als bis der Merztevereins-
hund dazu die Genehmigung erteilt. — Damit hatte der
Aerztetag sein Ende erreicht.
Tus den Nachbargebhieten.
Hanseftãdte.
Hamburg, 27. Okt. Schwedisches Konfulat. Der
Attachs des schwedischen Konsulats, N. L. Jaenson, ist an das
chwedische Generalkonsulat in Helsingfors versetzt und der
rtige Attaché, Birger Johansson, an seine Stelle dem hiesigen
chwedischen Konsulat zugeteilt worden. Der bisherige Attach
es hiesigen Konsulats, Torsten Lundgren, ist in gleicher Eigen⸗
chaft dem schwedischen Konsulat in Algier zugeteilt worden.
Vom zukünftigen Hamburger Stadtpark. Die
Planierung des Geländes des zukünftigen Stadtparks ist seit
;»em Sommer d. J. im allgemeinen durchgeführt, und gegen⸗
värtig wird, soweit die Geländearbeiten in Betracht kommen,
ifria an der Fertigstellung der Straßen gearbeitet, die an
en Grenzen des Stadtparks entlang und durch diesen hindurch⸗
ühren. Der durch das eigentliche Stadtparkgehölz, den früheren
Sierichschen Bar“ hbindurchgeführte Beramen mirn naraussichtiick
— — — —
noch vor Eintritt des Winters in der Pflasterung fertig. Der
Spiel⸗ und Sportplatz wird erst nächstes Jahr hergerichtet. Die
ändliche Milchwirtschaft in der Nordecke des Parkes ist im
Außenbau fertig; sie präsentiert sich im Stile eines nieder
ächsischen Bauerngehöftes. Das Café am Parksee wird noch
»or Eintritt des Winters unter Dach gebracht.
Bremen, 27. Okt. An die Bluttat des geistes
estörten Döerfsehrers Schmidt In der Marienschule
rinnert eine der Bürgerschaft sugcü gugens Vorlage des Senates,
in der die Erstattung der Pflegekosten. Beerdigungskosten usw,
us Stgalsmitlein an die Eltern dbeantragt wird. Es heißt
n der Vorlage, daß drei Kinder sofort getötet und der Lehrer
Möllmann sowie dreizehn Kinder so 63 verletzt worden
baren. daß sie in die Krankenhäuser geschatgt werden mußten.
zwei von den verletzten Kindern sind noch gestorben. die
sbrigen sämtlich geheist worden. Die Verpflegung des Lehrers
Nöhsmann im St. eee hat allein 900 Muge—
ostet. Insgesamt werden für bonera Pflegekosten, Be—
rdigungen uünd Grabstellen 2000 gefordert, Bezüglich des
dehrers Möllmann besagt die Vorlage, daß ihm 8 wegen
eines, die höchste Anerkennung verdienenden Verhaltens die
Bezahlung nicht uͤberiafsen bieiben könne.
Gtroßherzoatümer Medlenburg.
Schwerin, 27. Ott. Auszeichnung der Herzogin
ohann Albrecht. Der Kaiser hat der Herzogin Johann Al⸗
hrecht zu Mecklenburg die Rofe-Kreua-Medaisle 1. Klasse ver-
iehen.
Warnemuünde, 27. Okt. Ein John⸗Brindmann⸗
Stein soll hierselbst errichtet werden. Der hiesige plattdeutsche
Berein hat die Angelegenheit in die Hand genommen. Der Rein-
rtrag aus der Aufführung eines nlattdeutschen Volksstückes,
»ie Donnerstag abend hierselbst stattfand, soll für den Denk⸗
nalsstein verwendet werden.
Brunshaupten, 27. Okt. Zwangsversteigerung
des Kurhauses. In der Zwangsversteigerung des hiefigen
kKurbauses blieb der frühere Besitzer, o. Kehler aus Berlin W.
Zchaperstr. 23, Meistbietender. Wie verlautet, beabsichtigt der
neue Käufer das Kurhaus gleich zu verkaufen. Es sind zirka
30 000 21 Spwotheken ausgefallen.
Dahsow, 27. Okt. Schulnachrichten. Vorbe—⸗
jaltlich der Genehmigung durch die Regierung soll von jetzt an
er Sandarbeitsunterricht an der hiesigen Ortsschule für die
Mädchen sämklicher Klassen obligatorisch sein. Die Mädchen
»et UÜnterstufe werden wöchentlich 2 Stunden, die der Ober⸗
und Mittelstufe 6 Stunden Unterricht erhalten. Als Lehrerinnen
verden Frl. Goldschmidt und Fri. Schröder fungieren. — Die
schon seit längerer Zeit geplante Einschulung der Schüler
rus der streuzschen Ortschaft Schwanbed nach Dassow steht
nahe bevor. Die Schule in Schwanbed-Siechenhaus wicd, eig
— und de Gebäude und Ländereien als Büdnerei verkauft
verden. Dafür wird die Schule in Sülstorf vergrößert werden
ind die Schuier aus Zarnewenz aufnehmen. die lonit aum
Siechenhaus pilgerten.
88 Grevesmühlen, 27. Okt. Eine Jahrhundert⸗
eier beging der Kriegerderein Friedrichshagen durch ein Preis-
chießen, Abbrennen eines Holzstoßes und Ball. — Anläßlich
rer Jahrhundertfeier hat Senator Dieterich 500 Müzur
Lerfüqung gestellt, um den von dem Srielplatz beint Tannen⸗
zerg über die Weide nach den Callies-Anlagen führenden Pro—
renadenweg mit Alleebäumen zu bepflanzen. Der Weg soll
en Namen„Jahrhundert⸗Allee“ führen. — Einen wilden
„chwan erlegt hat der Jagdnächter Warncke auf dem
darrfenteiche an der Upahler Chaussee. Der Vogel hat eine
zügelsrannung von 2,20m. — Die zweite Schulst elle
erwaltet in Roggenstorf seit Beginn der Winterschule der Schul⸗
isfistenrt Baguhr aus Wismar.
—Gadebusch, 27. Okt. Diamantene Hochzeit. Sonn⸗
iibend feierten Zahntechniker Chr. Grothlarst und seine Frau die
iamantene Hochzeit. Der Großherzog ließ den hochbetagten Ehe—
leuten ein Gludwunschschreiben übersenden und machte ihnen eine
Bibel mit eigenhändig geschriebener Midmung und eingetragenem
NRiheisoruch unm Geschent
udte Pointe dieses Artikels war aber, daß er an der ersten
Stelle des — Figaro erschien der damit ein stummes pater
peéecenavi gesacrt haft⸗
c
ist aber zu fürchten. daß Cogeau in Paris zu wenig
Publikum findet; und es ist schon deshalb allen Freunden
pon drene die sich über die frischen Quellen der franzö⸗
ischen Dramatik unterrichten wollen. ein Besuch dieses inter⸗
essasen Theafers anzuraten
*3
*
Der Eröffnung des Théatre Francaise ist ein ileines Vor⸗
piel vorausgegangen: Die Einweihung des prächtig reno—
jerten Hauses durch den Präsidenten, die Minister und, die
Mitglieder des Senats und der Akademie. Im wesentlichen
andelte es sich um eine Ehrung des großen dekorgtiven Malers
Besnard, der den Zuschauerraum durch neue Plafondmatereien
zeschmüct hat. Dieser Plafond zeigt jetzt neben den üblichen
Allegorien (Apollo und die Musen, usp) im Hauptöild—
Adam, Eva und die Schlange der Versuchung, die von links
uind rechts von der Figur der Komödie angelächelt, deeee
veise von der Tragödie mit einem nassen Blid betrachtei werden.
Unzufriedene behaupten nun, daß Besnard damit den Prohlem⸗
reichtum der französischen Bühne ironisieren wollter Nun,
ver weiß. ob die französische Theaterkunst nicht drauf und dran
st. diese Jronie durch ungeahnt lebendige“ Motive Lügen zu
trafen, In den Varietés wenigstens hat hier eine erstaun
iche, Mode eingesetzt, die die Helden sensationeller Lokal- und
Zlatschereignisse an den Vortzagstisch beruft. So sprach
begoud in einem, Montmartre-Variets über seine abiaischen
Zaltomortale, der famose Quadranstein brachte Enthüllungen nher
den Diebstahl des Milkonenhalsbondes, und man erwartet so—
gar demnächst die eben freigesprochene Heldin einer Liebe—
nordaffäre als Confsrencière erscheinen zu sehen. Abetr viel—⸗
eicht kommt, es doch nicht so weit; denn der gesunde Ge—
chmad des Pariser Kleinhürgers hat schon den Herrn Quadran—⸗
fein fürchterlich qusdepfifföen
e
Tas sportliche Interesse der Pariser wächst außerordentlich
ind ist für Pferderennen. Automobil- und Radwettfahrten. Box—
ämpfe, Golf, Tennis und Leichtathletik gleich lebhaft entfacht.
rür die Berliner Olympiade treffen die Franzosen die umfang⸗
eichsten Vorbereitungen und die für den nächsten Frühling in
esem Sinne gusgeschriebene Konkurrenz des „vollkommenen
thleten“ findet von allen Seiten Förderung und Teilnahme.
Van behandelt hier jetzt alle leichtathletischen Wettkämpfe fast
vie nationale Angelegenheiten. da man sie propagandistisch
ehr geschikt mit den brennenden Problemen der Rassenper
esserung und Geburtenvermehrung zu verquicken gewußt hat.
Uber die größte Begeistereng erregt natürlich die Avjiatik,
veil zurzeit die franzestschen Fleges tetächlich glle Rekorde
vn praktischer Bedencung palten. Der Akxobat vegoud. der
Jeberflieger des Mittelländeschen Meeres. Garros. die beim
sordon⸗Bennett⸗Rennen eben erzielten phantastischen Seneilig⸗
eits⸗elorde sind wit unvergleichlichem (Aber wohlverdienten)
Enthusiasmus gefeiert worden. Die von Prevost und Vedrines
rreichte Stundengeschwindagkeit von 2027 km 6o m in der
Sekunded eröffnet tgtsachlich ungeahnte Ausblicke. Die Ueber—⸗
puerung des Atlantischen Ozeans (auf dem Wege über Schott-
iand, Island, Grönlgnd. Terra nouova und, Kanada) vird hier
bereits ganz ernsthaft digkutiert. Man muß auch zugeben, daß
die Franzosen in ihrem Rotetionsmosfor GGnome) einen allen
anderen 2 auch den deutschen) Flugzeugmotoren weit über—
legenen Faktor haben. Hier in ie wichtialte Nufgabe der
deufschen Konstrukteure
**
Uebrigens gibt es auch schon ernsthaftere Theaterereignisse:
Jaaues Cogeau, ein Führer der allermodernsten Pariser Lite—
atur, hat eine neue Bühne „Le petit colombier“ eroffnet. Er
oill hier alles vereinigen, was von neueren Begabungen an den
zroßen. literarischZonservativen, Theatern niemgls zu Worte
ommen könnte. Er will ein Theater der Intellektuellen schaffen,
das aller gesellschaftlichen Beitaten, die das franzosische Buͤhnen⸗
eben vollkommen überwüchern, enttleidet ist. Er enthält sich
atser Reklame, befleitzigt sich in der Inszenierung strengster (aber
filvoller) Einfachheit, arbeitet nicht mit Stars, sondern mir mit
ungen Schauspielerindividualitäten und, bofft auf diese We'se
an den niedrigen Eintrittspreisen festhalten zu können, die
en Besuch eines wirklich intelligenten (aher wentg bemittelten)
Zublikums sichern sollen; denn er sieht in der Biiligleit
ie beste. Waffe gegen die Gefahbr der Mitläẽuferschaft von
zildungssnobs. Das einzige Organ dieser Bühne ist eine neue
eitschrift, die sich allerbester junger Mitarbeiter (also nicht
ie Mirabeaus, Rostands und Rechepins) erfreut. Cogean sindet
n der ganzen literarischen Presse Frankreichs die ernsthafteste
Anerkenyung für sein Unternehmen, das als eren gegen
das spekulative System selbstgeschästsmacherischer Star-Auloten
ver neuen französischen Literaktur bisher sehr gefehlt hat. F—
Auch der Hang des Warssers zur „Blague“ hat durch
leine Ereignisse schon willzommene Rahrügq gefunden. Aber
nie Spottlust der Franzosen woandelte sich fast in Graufen. ais
ie die Ankündigung eines demnächst sinttfindenden fulurifli-
chen KZonzerts 5i lesen bekamen. Diese Anarchisten der Kunst
verheihen, Darbetungen eines Orchesters von 15 Instruments
zruiteurs“ (Also nicht mehr Bles- und Streich-. sondern
geradezu Lörminstrumente), befehligt von zwei — Maalern.
amens Buffolo und Piatti. Die Namen der einzelnen In—
rumente sind rirklich erschrecklich. Es giht in diesem
Orchester drei Bourdonneurs“ (fiefe Bruramer), „wei Cilo
eurs“ (Knaller) einen „Tonneur“ (Donaer), drei Siffleurs“
Pieifer), zwei „Bruisseurs“ (Lärmmacher), zwei Glauglauteurs“
Gurgler) und zwei Renauteurs“ (Hämmerer). Zur Aufführung
gelangen folgende Stücke: Erwachen der Großstadt. — Rendez-
wus der Automobile und Aeroplane. — Diners auf der
asinoterrasse. — Escarmouche in der — Eine
Sinfonie in der Form eines Hohlraumes!“ Wenn das nich
ie mahre Vorzukunftsmusik üte! Q. X.