Full text: Lübeckische Anzeigen 1913 (1913)

so doch als hauptsächliche Kandidatur für das Amt des end⸗ 
zültigen Prägßidenten von Mexiko seine eigene Kandida— 
ur aufstellt. England hat schon zu erkennen gegeben, daß, 
alls die Wahl auf Huerta fällt, die Anerkennung Englands 
hm sicher sei. Es kann sich dabei stützen auf den nicht zu über⸗ 
ehenden Umstand, daß alle fremden Kolonien in Mexiko Sulerta 
üur den geeignelen Mann halten, um Ruhe und Ordnung her⸗ 
uftellen, und daß die gleiche Auffassung sogar in manchen 
amerikanischen Kreisen besteht. Deutschland hat eben— 
alls ein Interefse daran, die Präsidentschaftsfrage in 
Mexiko durch die Uebertragung des höchsten Amtes auf eine 
energische Persönlichkeit gelöst zu sehen. Nach den Proben, die 
zuerta bisher in der Behandlung innerpolitischer Schwierig keiten 
jegeben hat, scheint man ihm das Zeugnis nicht versagen zu 
zunen, daß er die unter den gegenwärtigen Verhältnissen für 
inen Präsidenten Mexikos erforderlichen Eigenschaften mit— 
zringt. Die Regierung der Vereinigten Staaten ist ve— 
anntlich einer endgültigen Präsidentschaft Huertas abgeneigt, 
hat aber bisher keine Vorschläge zu einer anderen Lösung der 
Präsidentschaftssrage gemacht.“ — Wie hierzu perlautet, hat 
wischen der englischen und der deutschen Regierung 
ein Meinungsaustausch über die wünschenswerte Neu⸗ 
»rdnung der Dinge stattgefunden. Man ist der Ansicht, daß 
hie Dinge in Mexiko so nicht weiter gehen können, da bei der 
Fortdauer des jetzigen Zustandes das Leben vieler Europäer 
ruuf dem Spiele steht, und die beiden Mächte sind sich darin 
einig, daß ein energischer Mann, der mit eisernem Besen zu kehren 
an der Spitze Mexikos stehen muß. um dort Ruhe zu 
chaffen 
W. Newyotk, 24. Okt. Eine Depesche aus Mexiko be⸗ 
agt, Huerta habe gestern in einer Zusammenkunft der Diplo⸗ 
maten positiv erklärt, daß er nicht Präsidentschafts« 
kandidat sei und für den Fall, daß bei der Wohl ihm die 
Majorität der Stimmen zufalle, er es für seine Pflicht halten 
vürde, dem Kongresse mitzuteilen, daß diese Stimmen zu an⸗ 
iullieren seien. 
— Wie die Newyork Tribune aus Mexiko meldet, wurde 
das gesamte Personal von Felix Diaz verhaftet 
und ein Haftbefehr gegen Felix Diaz erlassen, unter der An— 
chusldigung, daß er für den Fall seiner Niederlage bei den 
Wahlen die Revoution vorbereite. 
Wolkenbruch in Südfran kreich. 
PO. Paris, 24. Okt. Ein ungewöhnlich heftrger 
Wolkenbruch ist gestern über Bezieres im Depactement 
õobault niedergegangen. Die ganze Umgebung ist stundenweit 
überschwemmt, die Chausseen sind unpassierbar und der 
Verkehr kann nur mit Hilfe von Kähnen aufrecht erhalten wer—⸗ 
den. Die Orbe ist über die Ufer getreten und hat großen 
Schaden angerichtet. In verschiedenen Dörfern sind mehrere 
Hhäufser zerstört worden, deren Bewohner nur mit Mähe gerettel 
verden konnten. Es besteht die Befürchtung, daß auch die 
ainderen Flüsse des Gebiets über die Ufer treten werden. da 
zie sämtlich um sechs Fuß gestiegen sind. 
Bluttaten eines Wahnsnwigen an Bord. 
BZ. London 24. Okt. Furchtbare Szenen haben sich an 
Bord des österreichischen Dampfers „Dako Cap Boianowitsch“ 
ibgespielt, der gestern auf dem Tyne einlief. Das Schiff war 
von Südrußland nach Rotterdam unterwegs und hatte drei 
Lassagiere, einen Oesterreicher namens Nikolaus Muraltti, 
eine Frau Isabella Glawick und deren Tochter Marie, die 
zeide Verwandte des Kapitäns sind. Auf der Höhe von Kap 
Trafalgar wurde Muratti, als alle drei auf der Brücke des 
Kartenhauses beim Mittagessen saßen, zudringlich. Der Kapitän, 
der in diesem Augenblick hinzutrat, mußte intervenieren und 
machte Murarti über sein ungehöriges Benehmen Vorwürfe. 
Dieser zog einen Revolver und feuerte blindlings auf den 
Kapitän los, ohne jedoch zu treffen. Der Kapitän eilte ins 
Kartenhaus, um seine Browningpistole zu holen, während Frau 
Hlawick und ihre Tochter verfuchten, die Brücke zu verlassen. 
Plötzlich krachlen wieder zwei Schüsse. Als der Kapitän jetzt 
hinzutrat, fand er seinen ersten Offizier mit einer Schuß— 
wunde im Unterleib und das junge Mädchen mit einer 
Schußwunde in der Hüfte auf der Brücke liegen. Das Mädchen 
chleppte sich trotz der schweren Verletzung in den Salon hinunter. 
Muratti folgte ihr dahin nach. Als der Kapitän ebenfalls den 
Salon betrat, feuerte der anscheinend wahnsinnige Murattt 
zwetweitere Schüsse ab, von denen einer das Ohc des 
Karitäns streiste. Der Kapitän schoß auf Muratti der sich in 
eine Kajütte einschloß. Kurz darauf erschohßer sich selbst. 
Der Kapitänsserbat durch Signale ärztliche Hilfe, die auch bald 
don dem britischen Schlachtschiff „Dartmouth“ eintraf. Die 
unge Dame wurde in Gibraltar an Land gebracht. wo Muratti 
zeigesekt wurde. 
Vom Grubenunglück in Dawlon. 
W. Dawten (Neu-Mexiko), 24. Okt. Bis Mitternacht 
varen aus deer Hirschschluchtgrube 283 Bergleute lebend 
und 38 als Leichen zu Tage gefördert worden. 
Mman befürchtet. daß die übrigen 261 tot sind 
— 
Die Shakespearebühne. 
Lübeck, 23. Oktober. 
Vorbemerkungen zur demnächstigen Aufführung 
des „Hamlet“im Stadttheater. 
Als gegen Ausgang des sechzehnten Jahrhunderts englische 
Schauspieltruppen nach Deutschland herüberkamen und neben 
inderen zeitgenössischen Autoren Shakespeare mitbrahten, fan—⸗ 
den sie hier noch keinerlei Heimstätte, wo man ihre Kunst 
berufsgemäß gepflegt hätte, und sie zimmerten sich darum 
iüberall ein Schaugerüst nach dem Muster ihrer Londoner 
Theater zurecht. Diese altenglische Vührne fußl!e auf dem Grund⸗ 
atz, daß im gesprochenen Drama dem Wort das Hauptinteresse 
zebührt. Die Bühne gibt nur den neutralen Spielraum für 
den Darsteller ab; sie erscheint in keiner Weise örtlich ausgestaltet. 
Sie in den jeweils gedachten Schauplatz der Handlung umzu⸗ 
»enken, bleibt allein der von des Dichters Kraft überzeugten 
Phantasie des Zuschauers überlassen. Es wurde ein rechteckiges 
Podium freistehend erbaut, an drei Seiten von Zuschauern 
Angeben, die sogenannte Vorderbühne. Nur an einer Seite 
des Rechtecks gliederte sich ein von Wandtapeten umkleideter 
Innenraum an, gegen die Vorderbühne durch eine Gardine 
ͤbschließbar: die Hinterbühne. In ihr wickelten sich gemeinhin 
die im geschlossenen Raum gedachten Szenen ab, auf der 
Vorderbühne die im Freien spielenden. Dekorationen gab es 
nidht. Ein Thronsessel, ein Bumstumpf, eine Mauerzinne deu— 
teten den Ort der Handlung an. 
Diese im Wesen germaniiche Bühne wäre die Heimat des 
deutschen Schauspieles geblieben, wenn nicht der dreißigiährige 
Krieg die Kunstfahrten der Engländer unterbundm und mittler— 
veile ein Wettbewerber sich breit gemacht hätte, das italienische 
Der neue Krupp⸗Prozeß. 
Berlin, 24. Oktober. 
(Zweiter Tag.) 
Der Vorsitzende erorfnet kurz nach 9 Uhr die Verhand⸗ 
ung und teilt mit, daß er voraussichtlich morgen mit der 
zeugenvernehmung beginnen werde. Zunächst sollen die Direb 
oren der Firma Krupp vernommen werden. Dann gibt Rechts 
inwalt Dr. Löwenstein eine Aufstellung der Jahresaus- 
raben des Angeklagten Brandt. Danach habe ihm 
ur den Verkehr mit ehemaligen Kameraden nur eine Summe 
on 400 Mi zur Verfügung gestanden. Der Oberstaats— 
nwolt weist darauf hin, daß es nicht Sache der Staatsam 
zaltschaft sei, sich in den Haushalt des Herrn Brandt einzu— 
nischen; es frage sich nur, ob die Repräfentationsgelder dazu 
ewährt worden sind, daß Brandt einen angenehmen Hausstand 
aähren konnte, oder ob sie ihm den Verkehr mit Kameraden er⸗ 
öglichen sollten. Rechtsanwalt Dr. Löwenstein: Für' die 
Zerteibigung ist es aber von Wert, festgestellt zu haben, was 
uf den Verkehr mit Kameraden entfallen könnte. Dann möchte 
ch. daß Brandt sich noch darüber äuhert, ob das Nachrichten- 
ammeln seine alleinige Beschäftigung gewesen ist. Der Ange— 
lagte Brandt gibt darauf ein Bild seiner Tätigkeit. Er 
rklärt. daß er in der Hauptsache Bureauvorsteher gewesen ist, 
ie Verteilung der Eingänge zu besorgen hatte und zum Teil 
zesuche empfing. Alles andere habe von ihm außerhalb der 
Ddiensistunden besorgt werden müssen. Dann wird in die 
Vernehmung des Angeklagten Direktor Eccius 
ingetreten. Dieser erklärt: Ich habe selbstverständlich meiner 
Firma gegenüber die volle Verantwortung für 
as, was geschehen ist, übernommen. Bald, nachdem 
e Angelegenheit in Fluß kam, habe ich bei dem Aufsichtsrat der 
zirma Krupp mein Demissionsgesuch eingereicht. Dieses wurde 
ber abgelehnt, worauf ich meinen Dienst in der bis herigen 
Veise weiter versehen habe. Ich trat bei Krupp 18097 ein, 
zurde schließlich in das Direktorium berufen und erhielt unter 
iderem das Dezernat für die Preisfestsetzungs-Bureaus und 
ur das in⸗ und ausländische Kriegsmaterial. Wegen des großen 
Imsanges des Geschäftes mußte ich vieles meinen Mitarbeitern 
berlassen, namentlich auch während größerer Auslandreisen. Das 
ezernat über das Berliner Bureau wurde mir ubertragen, 
is ich mich nach längerer und schwerer Krankheit im Süden 
efand. Da meine Hauptaufgabe das ausländische Kriegsmaterial 
etraf, so konnte ich mich um das inländische Geschäft so gut wie 
ar nicht bekümmern. Das Berliner Bureau sollte ferner mit 
en Abnehmern vorsichtig Fühlung nehmen und Informationen 
ber die die Firma interessierenden Dinge besorgen. Der Leiter 
„er Vertretung hat besondere Direktiven nicht erhalten. Selbst⸗ 
zerständlich war es uns interessant, die Preise der Konkurrenz 
ind die ausstehenden Aufträge zu erfahren. Zu dem offiziellen 
zericht des Herrn v. Schütz kamen später die Geheim be⸗ 
richte des Herrn Brandt. Darüber, daß diese nicht un⸗ 
erschrieben waren, habe ich mir Gedanken nicht gemacht, ebenso 
denig über die Art, wie sich Brandt diese Informationen ver— 
chaffte. Der Verkehr mit alten Kameraden hat keinen Anstoß 
cregt. Von den Unkosten Brandis ist viel gesprochen worden, 
on unlauteren Machenschaften nicht. Der in dem neuen Ab⸗ 
ommen mit Brandt ihm zugestandene Mehrbetrag war nicht 
uffällig. Auch Herr v. Metzen erhielt eine Zulage von 10 000 
Mark. Herr v. Metzen ist niemals an mich mit dem Bedenken 
erangetreten, daß Brandt vielleicht eine strafbare Handlung 
eging. Es ist niemals der Verdacht ausgesprochen worden 
aß eine Bestechung vorliegt. 
Der Vorsitende geht dann auf das Jahr 1912 ein. Es 
vird festgestellt. daß Direktor Eccius sich bis zum' 1. Ok⸗ 
ober wegen Krankheit von allen Arbeiten zurückhielt. Eccius 
agte dann weiter: Anfang Oktober wurde über die Affäre 
Retzen⸗-Brandt nicht in einer regulären Sitzung der Direl⸗ 
jon, sondern zwischen dem Geheimen Rat Mühlberg, Dr. Mühlon 
ind mir verhandelt. Es wurde besprochen, daß Herr v. Metzen 
drohungen ausgesprochen habe und sich weigere. eine Anzahl 
on Kornwalzern, die er beiseite geschafft hatte, herauszugeben. 
zrandt wurde nichts Ungesetzliches zum Vorwurf gemacht. Die 
Interredung Direktor Drägers mit Brandt bezog sich auf die 
deubesetzung der Berliner Stellen, wofür ich Herrn v. Dewitz 
ir geeignet hielt, der aber in Essen für unentbehrlich gehalten 
urde. Mit Rücksicht auf Herrn v. Metzen hat Brandt dem 
irektor Dräger nochmals mitgeteilt, er sei sich nicht bewußt, etwas 
Unechtes getan zu haben. Direktor Dräger erklärte sich dann 
ereit. die Leitung des Berliner Bureaus vorlãufig zu üũber⸗ 
ehmen und die Berichterstattung zu beaufsichtigen. Er entschied 
etzt über die Berichte. Die Kornwalzer betrafen in der 
aubtsache Submissionsresultate und Vergebung. Wir erfuhren 
ie Konkurrenzpreise erst später nach Abgabe unseres Ange⸗ 
otes. Die Kenntnis dieser Preise hatte nur Wert *üt jpaãtere 
leichartige Vergebungen und für die Prüfung unserer Kal 
ulatienen. Falls bei letzteren Fehler vorgekommen waren 
purden die Preise ermäßigt, bei richtiger Kalkulation wurden 
eine Veränderungen vorgenommen, auch wenn die Preise dern 
Fonturen, wesentlich höher waren. Ich selbst habe die Korn 
Opernhaus, die Stätte der auf cußerliches Schaugepränge ab „ie⸗ 
enden Ausstattungsoper, mit seiner — heute noch gebrãuch⸗ 
ichen — gucdkastenartig vertieften, nur von vorne Einblid 
ewährenden Bühne, mit den perspektivischen Dekorationen, die 
en jeweiligen Spielort durch tkünstlerische Illusionsmalerei als 
irklich vortäuschen. Das später neu auflebende Schauspiel 
dar froh, in diesen bestehenden Opernhäusern ein Dach über dem 
opf zu finden und nahm es mit in Kauf, daß Appige Dekn⸗ 
aͤfionen die Aufmerklamkeit vom Dichterwort ab, auf Maler⸗ 
unststücke hinlenkten, daß riesige Bühnenräume eine intime 
Zeelenschilderung lähmten, daß umständlicher Dekorationswechse! 
ftmals die Stimmung zerriß. 
Spätere Autoren schrieben ihre Werke im Gedanken an dies 
)pernhaus, ihm angepaßt. Jede Shakespeare-Auffühtrung aber 
ebar nun natürlich unzählige Widerstände. Shakespeare hat 
ir eine dekorationslose Bühne geschrieben, die sich raschem 
)rtswechsel gefügig anschmiegt. Da jagen sich kurz vorüber— 
iegende Bilder, kaum eine halbe Drucseite füllend. Da tritt 
wischen zwei tragische Szenen, wie zum Aufatmen, eine leicht 
mische, unendlich wichtig für das innere Gleichgewicht des 
tückes, doch nicht sachlich bedeutsam genug, um lange Vausen 
im Dekorationswechsel zu rechtfertigen. Die Dekorationsbühne 
ersagte! Zusammenziehende Bearbeitungen der Stücke zersörren 
meist eher deren dramatische Schlagkraft, als daß sie sie 
ir die Illusionsbühne eingerenkt hätten. 
Als erster wies Ludwig Tieck durch Wort und Tat nach, 
ie Shakespeares Werke in ihrem ursprünglichen bunten Wechsel, 
nbelastet vom Schwergewicht dekorativen Apparates, am tiefsten 
irken. Auf seine Weisungen gegründet, mehrten sich die Ver⸗ 
uche, in eine bestehende Dekorationsbühne eine der alt—⸗ 
aglischen wesensverwandte Szene einzubauen, ohne damit zu 
walzer nicht bearbeitet, sondern nur Einblick hineingetan. 
Zeatbeitung war die Sache des Herrn Mauths und später 7 
zerin v. Dewitz. Die Heeresverwaltung hat nicht nur' keim 
Nachteile, sondern nur Vorteile von dem ganzen Verfahren ge 
abt. Die Aufträge, bei denen Brandt eine Rolle spielte, de 
ragen nur den Bruchteil eines Prozentes des Gewinnes de 
Firma Krupp. Die Namen der Militärs, mit denen Brand 
a Verbindung stand, sind mir erst durch die Vorunterfuchung 
ekannt geworden. Ich habe an Brandt keine Anweisungen ge— 
eben. Allerdinas war mir klar, daß Brandt den Militärbeamten 
eine Geschenke geben durfte. Ich wußte auch, daß die Militärs 
unicht über alles sprechen durften. Dagegen war mir unbekannt. 
dah eine absolute Schweigepflicht bestand. Ueber eine straf 
hare Verwendung der Brandt gewährten Funktionszulagen habe 
ch nichts gewuht. Es ist mir auch niemals eine Andeutung 
arüber gemacht worden. Im Gegenteil hat mir Direktor Dräger 
viederholt erklärt, es liege nichts Strafbares vor. Die Höhe 
es Gehalts und der Zulagen bei Brandt war nichts bessnderes. 
Ich kann auch nichts Bedenkliches darin finden. wenn Brandi 
die neuen Anschaffungen für Möbel liquidierte. 
Sierauf wird in die Besprechung der Kornwalzet 
eingetreten und für den Rest der heutigen Sitzung die Deffenk 
lichkeit ausgeschlossen. Die nächste zffentliche Sitzung 
findet Sonnabend 9 Uhr statt. 
Schluß 113 Ubr 
— — — — — 
Vermischtes. 
Fichte über das Zeitungslesen. Auf die Notwendigkeit 
ja die Pflicht, an den Ereignissen der Zeit Anteil zu nehinen, 
ich mit ihr in Verbindung zu halten, weist schon Fichte hin, 
ind wenn wir seine Worte lefen, scheinen sie direkt auf das 
zeitungslesen geprägt zu sein. Wos er von dem Leser ver⸗ 
angt, ist die eigene und persönliche Stellungnahme, das selbst— 
andige Verarbeiten aller Anregungen. Fichte sagt: Wir 
rüssen über die großen Ereiganisse unserer Tage, ihre Beziehung 
uf uns und das, was wir von ihnen zu erwarten haben, 
ut eigener Bewegung unserer Gedanken nachdenken und uns eine 
lare und feste Ansicht von allen diefen Gegenständen und ein 
nischeidendes, unwandelbares Ja oder Nein uber die hierherfallen⸗ 
en Fragen verschaffen; jeder, der den mindesten Anspruch auf 
zildung macht, soll das. Das tierische Leben des Menschen 
ãuft in allen Zeitaltern ab nach denselben Gefetzen, und hierin 
st alle Zeit sich gleich. Verschiedene Zeiten sind da nur fin 
en Verstand, und nur derjenige, der sie mit dem Begriff durch⸗ 
ringt, lebt sie mit und ist da zu diefer seiner Zeit; ein an⸗ 
cres Leben ist nur ein Tier- und Pflanzenleben. Alles, was da 
eschieht. uwernommen an jich rorübergehen zu jassen, gegen 
essen Andrang wohl gar geflissentlich Auge und Ohr zu ver— 
topfen, sich dieser Gedanken osigkeit noch als großer Weisheit 
u ruhmen, mag anständig sein cinem Fehen, an den die Meeres 
vellen schlagen, ohme daß er es fuhlt, oder einem Baumstamm 
den Stürme hin und her reihen, ohne daß er es bemerkt. 
teineswegs aber einem denkenden Wesen. 
. x. dDer Salsausschnitt des jungen Mannes. Sophie La 
Roche, die Freundin Goethes,. die, in den strengen Zeremonien 
des Rokoko aufgewachsen, sich nur langsam in den „Sturm 
ind Drang“ einer neuen Zeit fügte, äußert sich einmal beson⸗ 
ders entsetzt über die „affreuse neue Mode“ der Herren, „die 
freie Männerbrust zu zeigen.“ Und wahrlich! Es bedeutet eine 
Revolution in der Serrentoilette, als die ungestümen Rousseau- 
Jünger und Tyrannenfeinde die zarte Schönheit des Spitzen⸗ 
ragens und das feine Gefältel des Jabots rüchsichtslos her⸗ 
mterrissen und den bloßen Hals dem Winde darboten. Es 
cheint, als wolle diese Mode der Sturm- und Drangzeit, die die 
xreiheitsschwärmer des 19. Jahrhunderts nur vereinzelt nach⸗ 
ihmten, nunmehr wieder zu ncuem Leben erwachen. Auch wir 
eben ja in einer Epoche, in der man dem Natürlichen, der 
reien Körperbewegung und dem Sport huldigt. und wie die 
ungen Leute den Hut als lästig empfinden, so wollen sie auch 
den engen Kragen abwerfen und erklären also den „Sirls- 
nsschnitt“ für die letzte Neuheit der Herrenkleidung. Ein 
ranzösisches Blatt stellt fest, daß man in den Sommerfrischen 
zieses Jahres gerade bei den elegantesten Jünglingen ein Auf—⸗ 
jeben des hohen Kragens lonstatieren konnte. Der Kragen 
zer Jade war zurücgeschlagen und ließ in einem sritzen Aus⸗ 
chnitt ein Stück der Brust frei. Zuerst waren es hauptsächlich 
Imeritaner, die so auftraten, aber sie fanden bald Nach⸗ 
ihmung, und nun hat sich diese Sommermode auch im Herbssl 
ebensfaͤhig erhalten und findet immer mehr Verehrer. 
cE. Vom lustigen John Bull. Das böse Gewilsen. 
zum erstenmal ist der kieine Tommy im Schwimmbad und plät— 
qhert nach Herzensiust. Aber plöbtzlich schleicht er bedrüct zu 
eisem Vvaäter: O, Vapi“, flüstert er bleich. „ich habe etwas 
Wasser geschludt: werden sie fsehr böse sein?“ — Der verz 
anterStalp. „Tantchen“, fragte die kleine Helza, „bist 
hu eine richtige Inbianerin oder haft du nur einen, Judanet 
geheiratet?“ „Aher um Gotles willen, wie kommst du auf 
'sese Idee?“, Ja, aber ich habe doch auf deinem Touette⸗ 
sch einen ganzen Haufen Skalpe gesehen. “— DerFleine 
Aiunrsorfcher. Wer kann eine Raupe beschreiben ?“ „Ich, 
ßerr Lehrer.“ Schön. Jimmy, was ist eine Raupe?“ JZimmny 
ai. TEine Raupe ist ein aenolsterter WMurwm!“ 
— 
primitver Derorationslosigkeit zurüczukehren, denn heutzutage 
würde das Auge die liebgewordene Schau farbenfroher Dekora— 
cionen schwer vermissen. 
Die Neuinszenierungen von Karl Hagemann Ddamals Hof— 
theater Mannheim) und des Munchener Künstlertheaters haben 
idlich durch organische Verbindung beider Elemente eine ge— 
ungene Lösung gefunden. Sie bauen, auf die Hinterbühne 
onentriert. Dekorationen auf. die den üblichen, an malerischer 
Wirhung und unmittelbarer Ueberzeugungskraft mindestens eben— 
— die Szenenentwürfe 
n Mannheim und München von der Hand erster Künstler. Sie 
umtahmen aber das Bild durch eine architektonisch stabile 
Vorderbühne, so daß die Dauer des Dekorationswechsels dod 
wesentlich verringert wird. 
Fast alle führenden deutschen Bülmen folgen für Shakespeare 
zegenwärtig dem Vorbild der genannten zwei Theater. Das 
dübecker Stadttheater wird nächster Tage mit einer Neuinsze 
nierung des „Hamlet“ gleichfalls den erprobten Weg beschreiten 
Modernem dramaturgischen Empfinden scheint die Shake⸗ 
pearebühne Direi Vorteile zu bieten: Das gesprochene Wort 
erscheint als Selbstzweck, ohne dekoratives Beiwerk. Die flache, 
eliefmähige Raumanordnung gewährlcistet klarste Uebersicht und 
nnigen Kontakt zwischen Spieler und Zuschauer. Vor allem 
ber erlaubt die Unabhängigkeit vom technischen Apparat, genau 
»es Dichters Absichten zu folgen, zwar nicht in einer völlie 
mgestrichenen Aufführung, da deren Länge erfahrungsgemäf 
ie Aufnahmefähigkeit des Zuschauers überschritte (hier wird die 
einsinnige Bearbeitung von Leverkühn zugrunde gelegt) — 
aber doch weit genauer und getreuer, als dies die Dekorations 
hühne bisher jemals zuließ. Dr. phil. E. Drach.
	        
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