Full text: Lübeckische Anzeigen 1913 (1913)

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Ausgabe A. 
die Befreiung von Kassel. 
Wohl die glänzendste und kühnste Unternehmung. die in 
den Parteigängerkaͤmpfen“ der Befreiungskriege ausgeführt 
vurde ist der berwegene Ueberfall des russischen Generals 
Vchernitschew auf 8 der der Herrschaft Joromes. des 
Zruders Napoleous. und dem Konigreich Westfalen ein jähes 
knde bereitete. Dem keden Kosakenführer hatte der ewig 
zaudernde Bernadotte nach jangem Drängen die Genehmigung 
zu dem, Zuge gegeben, in Anbetracht, daß das Gelingen einer 
solchen Unternehmung den französischen Einfluß in Norddeutsch⸗ 
land sehr erschutern prüsse“, gber, unter der Bedingung. sich 
dinnen zwei Wochen wieder beim Nordheere einzufinden. So 
konnle Ischernitschew feine Erfolge nicht recht ausnutzen, aber 
xras ihm gelang, war' von einer ganz außerordentlichen morg⸗ 
ischen Wirkung, Wwut 2000 Reitern und 6 Geschützen glückte 
es ihm, auf fehr beschwerlichen Schlupf- und Gebirgswegen 
ziemlich unbemerkt bis nach Kassel vorzudringen, Ein dichter, 
ichwerer Herbsinebel, der alles in dunkle Schleier hüllte, be— 
wtigee fcinen Plan und frug dazu bei. daß Jérome, als er 
von dem Andringen feindlicher Reiterei Kunde erhielt. die 
Streitkräfte des Gegners außerordentlich üherschätzte. Er ließ 
ich von der Handvoll, Kosaken, der seine Truppen weit über 
egen waren, so ins Bocshorn jagen daß er unter sicherer 
Bebeckung mebrerer Batailsone und Schwadronen eilig seine 
Kesidenz verließ. Tschernitschew hatte unterdessen — es war 
am 28. Sept. — das Ddorf Bettenhausen vor Kassel ange— 
griffen; die Reiter stürzten sich im dichten Nebel mit Wart 
auf das hier stehende westfälische Bataillon und nahmen es 
jefangen; dann drangen sie in Kassel ein und wurden von 
en Bewohnern mit Freuden aufgenommen, so daß sie einen 
Teil der Stadt behaupteten. Dem fliehenden König sandte 
Tschernitschew den Obersten Benkendorf nach, der sich auf die 
Rachhut warf, 10 Offiziere und 289 Mann gefangen nahm und 
inen großen Teil des königlichen Gepäds eroberte. Mit Mühe 
und Not retiete sich der König, dessen Devise das „Morgen 
wieder lustick gewesen war, nach Marburg und kam dann in 
zinem recht kläglichen Aufzug nach Koblenz. „Mein Mann“ 
'd schrieb die Königin klagend, „hat seinen Rüdzug mit einem 
inzigen Kleid auf, dem Leibe antreten müssen; alles, was er 
zesaß, ist tatsächlich in der Gewalt des Feindes. Er ist nur 
don sehr, wenigen Personen begleitet.“ — Ischhernitschew hatte 
einen ersten, gelungenen Äeberfall nicht ausnützen können, weil 
der westfälnsche Genergl Bastineller mit einem Korps heranrücte. 
In der Nacht, vom 28. zum, 29. Sept. wandte sich der russische 
Reiterführer ihm entgegen, aber der westfälische Genergl wartete 
»en Angriff der Kosaken nicht ab, sondern ging zurück; er war 
einer Truppen nicht mehr sicher, die sich zum großen Teil 
reiwillig gefangen nehmen ließen, oder zu den Russen über⸗ 
zingen,. Auch in Kassel selbst ergriff jedermann für die Be— 
reier Partei; in durzer Zeit bildete sich aus Ueherläufern, 
Studenten, und Freiwilligen ein Hilfsbataillon, das dem lang- 
ährigen Widersacher Joͤromes, dem Maior p. Dörnberg, unter⸗ 
stellt wurde. Rur der General Alix, dem der König die Ver— 
eidigung, seiner Residenz dringend ans Herz gelegt, hatte. er⸗ 
ichlete Varrikaden in der Stadt und, war entschlossen, sich zu 
alten. — Am 30. Sept. wird die Stadt aus 18 Geschützen 
zestig beschossen; das neu errichtete Fussvolk stürmt das Leipziger 
or Zund dringt in Kassel ein, von, den Bürgern mit Freude 
und Jubel begrüßt. Nun muß Alix kapitulieren; er läßt dem 
Sieger noch 22 Kanonen, eine Kriegskasse von 79 000 Talern usw. 
urück und zieht mit seinen 2700 Mann ab, von den Kosaken 
friedlich herausgeleitet. Ein rauschender, jauchzender Empfang 
vird Ichernitschew zuteil, als er am 1. Oktober in das be— 
ireite Kassel feierlich seinen Einzug hält und im Namen des 
Zaren und Bernadottes die Auflösung des Königreichs Westfalen 
droklamiert. In Wilhelmshöhe nimmt er von den Gemächern 
des Königs Besitz, läßt aber alles unberührt, nur ein paax 
Bilder und ein bronzenes Tintenfaß werden als „Andenken“ 
nitgenommen. Am Abend große Galavorstellung in Jéromes 
doftheater. Am 3. Okltober zieht er wieder ab, reich mit 
Kriegsvorräten beladen, von Hunderten von Freiwilligen ge— 
'olgt, um zur rechten Zeit von seinem „Ausflug“ zum Haupt 
eere zurückzukehren. Jérome konnte noch ein kurzes Gastspiel 
n KHassel geben, bevor er endgültig sein Reich verließ: aber 
der Eindrudk des glänzend geglückten Streiches war außerordent— 
rich, so bedeutend, wie eine gewonnene Schlacht. Napoleon er— 
kannte dadurch an einem besonders schlagenden Beispiel, auf 
wie tönernen Füßen seine Herrschaft in Deutschland stand; er 
gab zum großen Teil deswegen seine Stellung bei Dresden 
ↄöllig auf. „Die Lustbarkeiten des Königreichs Westfalen“, 
sagie er mit bislerem Spott. werden nun dald beendet Jein.“ 
Aus den Nachbargebieten. 
Großherzogtum Oldenburg und Fürstentum Lübed. 
OD- Ahrensbök, 30. Sept. Gartenbauausstel— 
iung. Die letzte Ausstellung imerhalb des Verbandes der 
Hartenbauvereine hatte Sonntag der hiesige Gartenbauverein 
oeranstaltet und zwar mit einem Erfolge, der dem Verein alle 
Ehre machte. Staatspreise erhielten für Aepfel: Amts— 
richter Witthauer, Tischler Pohl, Landwmirt Maack-Lebatz, Lehrer 
2 rons, 
— 
Berliner Brief. l 
Eigenbericht der Lübeckischen Anzeigen.) — 
Berlin, 27. Sept. 
Aussterbende Großstadtfiguren. 
TDaͤe Lebenskraft Berlins ist so überwältigend, daß sie hier 
ever täglich neu verspürt. Sie befiegt Abstumpfung. Wer 
aus ruhigeren Wohngefilden, etwa ron der Wannseebahn mitten 
ins Herz der Stadt geführt wird, verspürt, wenn er noch 
halb verträumt den Potsdamer Platz betritt, an jedem neuen 
Morgen wieder einen jähen Schrech; es ist, als träfe ihn eine 
itarke plötzliche Entladung, wenn er plötzlich sich in das 
tobende Chaos wie sinnlos durcheinander laufender Wagen 
und Menschen versetzt sieht. Nimmt man sich Zeit, dies Ge— 
wirre auf den Hauptstraßen und -plätzen ins einzelne zu beob— 
achten und nach Jahren das Einst und Jetzt zu vergleichen, 
dann kommt einem freilich zum Bewußtsein, wie sehr in der 
Flucht der Erscheinungen auch hier das in der ganzen Natur 
geltende Gesetz wirlsam ist, daß das unaufhörlich weiter bran— 
dende Leben zugleich ein unausgesetztes Sterben, ein ewiger 
Umformungevrozeß ist. Wer Berlin noch vor etwa 15 Jahren 
näher kannte, den muten Straßenbilder, die in seiner Er— 
innerung haften geblieben sind, heute schon fast wie Kleinstadt- 
idylle an. Wie gemütlich lungerten damals noch an allen 
Ecken Straßenhändler, Obstfrauen, Würstchenverkäufer, Hausierer, 
die Andenlen an Berlin feilboten, Streichholz⸗· und Schuhbän⸗ 
derverkäufer und nicht zuletzt auch Krüppel und Bettler umher. 
Fast alle hat die immer wachsende Lebensgefahr und in den 
letzten Jahren der unerbittliche Polizeibesen Jagows weggefegt. 
Auch die vielen Bassermannschen Gestalten, die man sonst gerade 
im Stadtinnern zu sehen gewohnt war, und die in London einem 
in so erschrechender Häufigkeit begegnen, sind aus dem Weich- 
birde Berlins fast ganz verscheucht worden, man sieht sie hier 
aur auf verschwiegenen Gartenplätzen in stierender Trostlosigkeit 
nuf den Bänken hocken oder in langer, düsterer Säule, unter 
der Auff'icht von Polizisten aneinandergereiht, wernn an genau 
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9 2 — 6 — 5* 3 
Renstag, den 30. September 1913. 
Abend⸗Blatt Nr. 495. 
Brell, Redakteur Hormann, Ratsherr Priess und Landwirt 
drückhammer-Spechserholz. Birnen: Organist Jung, Amts— 
ichter Witthauer, Bäcker Kiekbusch, Uhrmacher Muus, Hof— 
esitzer Drückhammer und Organist Schoolmann-Gleschendorf. 
Steinobst: Hofbesitzer Mentz-Hörsten. Obst- und Geie⸗ 
nüsekonserven: Postmeister Teut und Landwirt Maack— 
debatz. Schnittblumen: Hofbesitzer Mentz-Hörsten. Ge— 
nüse: Organist Schoolmann-Gleschendorf, Ratsherr Priess, 
MNandatar Fidelius, Landwirt Drüdhammer-Spechserholz, Land⸗ 
airt Muhs-Holstendorf, Amtsrichter Witthauer, Oberbrief⸗ 
räger Dohm und Landwirt Babbe-Schwochel. In der Blumen— 
bteilung (Topfgewächse), Blumenpflege der Schulijugend wurden 
4 Preise verteilt. 
O Säüsel, 30. Sept. Abgebrannt ist Sonntag 
bend die Schmiede zu Gronenberg (Stubbenberg). Leider 
ind zwei Schweine in den Flammen umgekommen. Als 
Ursache des Brandes wird Heuentzündung angenommen. 
Lauenburg. 
B Lütjiensee, 30. Sept. Verkauft hat Gärtner 
Matzel zwei Bauplätze an einen Herrn aus Hamburg. 
BLabenz, 30. Sept. Elektrisches Licht. Der 
Inschluß an die Lübecker Ueberlandzentrale ist jetzt gesichert. Die 
Installation der Häuser und der Bau des Ortsnetzes ist dem 
Inhaber des Eieklrizitätswerkes in Bleckede erteilt worden. 
DSteinhorst, 30. Sept. Zwechs Melioration 
»es Bodens ist seit einigen Tagen auf der Kreis-Domäne Päch— 
er R. Jansen) ein Dampfpflug in Arbeit. 
SSchiphorst, 30. Sept. Noch glücklich verpütet 
vurde ein Schadenfeuer. Kleine Kinder spielten im Kuhstall 
ines Landmannes mit Streichhölzern und hatten dort ꝛinen 
zaufen Stroh in Brand gesteckt. Erwachsene tamen hinzu 
ind konnten die Gefahr beseitigen. 
SGroß-Klinkrade, 30. Sept. Verpachtet wucrde 
zeim Gastwirt Grel. die diesjährige Streunutzung auf dem Klink⸗ 
ader und Lüchower Moor. Freitag soll die Streunutzung im 
Behrensteich und die Oberteichskoppel in Parzellen in Ort und 
Stelle verpachtet werden. 
Großherzogtümer Medlenburg. 
Rostock, 30. Sept. Gedenkfeier. Wie 1863, so wird 
uch in diesem Jahre die Wiederkehr des Schlachten⸗ 
ages von Leipzig durch eine große vaterländische Gedenk— 
eier in der Vaterstadt Blüchers festlich begangen werden. 
rür den 18. Okt. sind Festakte in sämtlichen Schulen vorgesehen, 
achmittags findet ein Schau⸗ und Wetturnen der Schüler auf 
em Vögenteichplatze statt, später ein Festgottesdienst in der 
?t. Marienkirche. Am 19. Okt. wird die Hundertjahrfeier durch 
slochengeläute und durch Böllerschüsse eingeleitet werden. In 
er Mittagsstunde wird Konzert auf dem Neuen Markt statt⸗ 
inden; für den Nachmitkag ist ein Festzug hach den Barnstorfer 
agen Abbrennen eines Holzstoßes und ein Fachelzug vor⸗ 
esehen 
Ludwigslust, 30. Sept. Anläßlich des Geburts— 
ages der Großherzogin prangte Montag die Stadt 
n reichem Flaggenschmuch. Von 924 Uhr an fand Gratulations— 
Tour bei der Großherzogin satt. Um 11 Uhr 24 Min. traf 
ßrinz Heinrich der Niederlande hier ein. Um 1u Uhr fand Gala— 
afel zu 65 Gedecken statt. Nach der Tafel begaben sich die 
rürstlichkeiten nach Friedrichsmoor. Die Großherzogin spen—⸗ 
oete für die Armen der Stadt Ludwigslust 300 M. 
Schwerin, 30. Sept. Ein schwerer Junge wurde 
jierselbst in der Mecklenburgischen Bank abgefaßt, als er. 
dort französisches Geld, das aus einem Diebstahl in Rostoch 
jerrührte, wechseln wollte. Die Bank war von dem Diebstahl 
»ereits unterrichtet. Die Kriminalpolizei fand im Koffer des 
Verbrechers im Schweriner Hof verschiedene Daͤebeswerkzeuge. 
Uebrigens bringt man den Verhafteten mit den kürzlich in 
einigen Villen im Schloßgarten verübten Einbrüchen in Zu— 
sammenhang. 
Parchim, 30. Sept. Zum Einbruch und Selbit 
nord des Dragoners ist noch zu berichten, daß dieser 
ich wahrscheinlich mit Ueberlegung und Bewußtsein den Tod 
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leußerungen scheint er Angst vor Bestrafung gehabt zu haben. 
Die sofort eingeleitete Unftersuichune hat auch bhereifts skwoer 
— — 
Belastendes gegen ihn ergeben in der Weise, dah er schon 
früher in Abwesenheit des Majors sich Wein und Zigarren durch 
kinbruch aus dessen Vorräten verschafft und mit anderen Sola 
daten verpraßt hat. 
Rehna, 30. Sept. Seine Antkrittspredigt 
hzielt am Sonniag Pastor Müller. — Der Männerturn— 
derein unternahm am Sonntag einen Ausflug nach dem 
Körnerdenkmal in den Rosenberger Tannen. Nach der Rücktehr 
'and im Körnerschen Lokale ein Familienabend statt. — Ge⸗— 
uft hat Graf von Bernstorff auf Bernstorff das in Losten 
ei Kleinen belegene Seegrundstück von Karl Zinzow bei so— 
fortiger Uebernahme. — Ein Diebstahl wurde dieser Tage 
n Gr.⸗Salitz ausgeführt. Der dort in Arbeit stehende Kuh— 
melker bekam Besuch von seinem Bruder und zwei Bekannten des 
etzteren aus Berlin, welche dort freundlich aufgenommen und gut 
»ewirtet wurden. Ste wollten nur einen Abstecher machen und 
im anderen Tage nach Hamburg weiterfahren. Als der Ober—⸗ 
chweizer nachmittags vom Melken zurückkam, bemerkte er, daß 
»er Besuch und auch der Melker verschwunden waren, gleichzeitig 
ehlten auch 150 Mvon seinem Gelde. Sofort wurde die Gen— 
armerie benachrichtigt, welcher es gelang, die Täter auf dem 
Bahnhofe in Gadebusch zu ermitteln. Nach anfänglichem Leug⸗ 
ien gestand der Melier den Diebstahl ein und konnte ihm das 
»ollzählige Geld so ort wieder abgenommen werden 
Hermiichtes. 
Das Vergnügungs-RAuto als Aderpflug. 
Fast täglich werden neue Versuche angestelit, das Automobil 
ür neue Zwecke nutzbar zu machen. Eine sehr vraktische Ver— 
vertung besteht u. a. darin, daß man es durch, Verbindung 
nit einem Traltor in einen Ackerpflug umwandelt. Das dazu 
rforderliche Verfahren, ist so einfach, daß auch der Ungeühteste 
in wenigen Minuten die Verwandlung zur, Ausführung bringen 
kann. Mit einer soschen Pflugmaschine, bei der die Hintercäder 
des Autos in der Luft schweben, sind bisher Geschwindig'eiten 
von 50 km in der Stunde erzielt worden. d. h. ine Arbeits- 
leistung, wozu sonst zehn Pferdegespanne erforderlich wacen. 
Der größte Kran der Welt. F 
Auf der Werft vdon Blohm & Voß in Hamburg ist 
ein Riesenkran fextiggestellt worden, der gegenwärtig an Größe 
zuf der ganzen, Wer von keinem zweiten erreicht wird. Seine 
Tragfähigkeit itt „nur“ 250 000 kg groß, seine Spitze raet 
100 m über den, Wasserspiegel empor und sein gewaltiger 
Ausleger hat eine Länge von 58 m. Das durch Elektrizität be— 
riebene Riesenwerk verfügt über zwei von einander udilig un— 
abhängige Hebezeuge, deren jedes durch einen einfachen Hebeldrud 
in Tätigkeit gesetzt werden kann. 
PC. Die Perlenha 1Sbandaffäre im Varieté. 
Ddie Affäre des gestohlenen PVerlenhalsbandes ist in 
Baris zu einer Marietéenummer geworden, die viel amüsanter 
wusfiel. als die Veranstalter dachten. Die Folies Bergeres 
atten, wie uns die Preß-Zentrale meldet, Herrn 
Zuadratstein, den Zeugen aus der Halsbandgeschichte, der durch 
oie Londoener Tribunabberhandlungen bekannt geworden ist, enga⸗ 
niert, um das Publikum dieses lustigen Hauses mit einer klieinen 
Fonserence über die launige Diebstahlsgeschichte zu amüfieren. 
zerr Quadratstein, der trotz seines vierecigen Namens ein ziem— 
ich rundliches Aussehen hat, war kaum auf der Bühne erschienen, 
As ein furchtbarer Tumult im Saale ausbrach. Das 
Lublikum begrüßte den harmlosen Conferencier mit den größten 
zchimpfworten und ließ ihn nicht zu Wort kommen. Und so 
nußte Herr Quadratstein sich zurückziehen, bevor er seine Mätzchen 
um belten geben konnte. 
PO. Eintödlicher Wespenstich. Eine der bekanntesten 
Damen der Londoner Gesellschaft, Lady Jane Graham 
Vtolesworth, die Gattin Sir Lewis William Moleswocths, ist 
Sonnabend an den Folgen eines merkwürdigen Unfalles ge— 
torben. Sie besand sich in ihrem Gartensalon, als sie von einer 
Rurch das offene Fenster gekommenen Wespe in den Hals ge— 
tochen wurde. Der Hals schwoll sofort furchtbar an und ehe 
ioch ärztliche Hilfe zur Stelle war, stürzte Lady Jane tot zu 
Boden. Man nimmt an, daß das Insekt Ptomain durch Be— 
ührung mit Abfällen an seinem Stachel hatte und daß der Stich 
eine Arterie getroffen hat. so daß sich das Blut augenblicklich 
ersetzte. Die so jä. Dahingeschiedene erfreute sich der größten 
Zeliebtheit der Londoner Geselischaft. Sie stand im 38. Lebens— 
ahr und war eine geborene Amorikanerin 
— — v— 
sirmen bei der Einkleidung ihres riesigen Verkäuferheers bei— 
hehalten worden. 
Jedes Kind weiß hier, daß die Tage des Droschkengauls 
zezählt sind und er bald, wie das selige Tramwaypferd, den 
Weg des billigsten Fleisches wandeln wird. Man hedient fich 
»er Droschken nur, wenn man iit ohnmächtiger Wut 10 schon 
»esetzte Automobile hat vorbeisausen lassen müssen, und was 
oll der schwerfällig auf seinem Bock sitzende Droschkenkutscher 
— man sieht unter dem Lackzylinder bezeichnenderweife fast 
rur noch graue und weihe Köpfe — in der Hetziagdder Straßen? 
luch diese vierschrötigen Gestalten werden bald verschwinden und 
em behenden,. selbstbewußten Chauffeur das Feld räumen 
rüssen. Nun dringt in die Oeffentlichleit auch die bewegliche 
dUage. daß der Berliner Dienssimann abzudanken gesonnen ist. 
e?ͤr kann den Wettbewerb mit den hurtigen Messenger Boys 
ind den ihnen jüngst zugesellten Messenger Girls — wir haben 
a für alles so schöne und bezeichnende deutsche Worte — nicht 
estehen. Wo sind die Zeiten, da der Berliner Vollswitz zum 
roßen Teil vom Dienstmann — Nante bestritten werden mußte 
ind jedes Berliner naturalifstische Trama eine Komikerrolle für 
»en Dienstmann bereit hielt, der beim Betreten der Bühne fast 
mimer „Uff!“ zu sagen hatte. Seine Ehrlichkeit war ebenso 
prichwörtlich, wie die des Droschkenkutschers, der ein Trink- 
jesld, das 10 Pfg. überjtieg, wie geraubtes Gut von sich 
ibwies. All diese biedern, schwerhufigen Trampeltiere, die oft 
ie zierlichsten Brieflein zu überbringen hatten. werden heute 
chon als vorsintflutlich empfunden, ihre Zeit ist um, ihre Erb- 
chaft haben die quechilbrigen, schlanken und flinken Boten 
der neuen Zeit angetreten, die ebenso anspruchsvoll sind wie 
hre Namen, die um so vieles mehr kosten, aber auch — 
und das gibt den Ausschlag — so viel mehr leisten können 
ind sich den raffinierten Anforderungen eines ungeduldigen 
Heschlechts um so vieles besser anzupassen verstehen. 
Spektator. 
bestimmten Stellen allnachmittäglich die mit Annoncen dicht 
vedechten Blätter verteilt werden, diese für die Arbeitslosen 
estimmten Sonderausgaben der großen Zeitungen, auf denen 
ie in ihnen angekündigten offenen Stellen zusammengefaßt 
ind. Hier ist alles geregelt und organisiert; geduldig wartet 
eder, bis an ihn die Reihe konmt und er den Jettel in die 
Sand gedrücktt erhält. den er dann sosort mit fiebernder Eile 
iberfliegt. 
In früheren Jahren spielte der „fliegende Buchhändler“ 
ine aroße Rolle. Ueberall tauchten die kleinen mit alten 
ind oft überaus köstlichen Schmökern bedechten Wagen auf. „Je— 
»es Buch 20 Pfennige!“, und man konnte hier für einen 
Bappenstiel die schönen Erstausgaben, die herrlichsten Kupfer— 
tiche und die entlegensten Seltenheiten erwerben. Der Krämer 
ah geduldig zu, wenn der Kunde das Oberste zu unterst kehrte, 
ind nur, wenn einer gar zu lange die anderen am Suchen hin— 
erte und keinen vertrauenerwedenden Eindruck machte, erscholl 
er Ruf: „Buddeln Sie nicht so mang die Bücher!“ Heute 
ind auch die fliegenden Buchhändler nur an ganz bestimmte 
bunkte gebannt, sie umgrenzen namentlich die Straßen in 
nmittelbarer Nähe der Universität, und wer sich aus ihren 
etzt wohlgeordneten Bücherreihen herrliche Ueberraschungen 
erauszusischen hofft, sieht sich unfehlbar enttäuscht. Die Ein⸗ 
eweihten wissen, daß sogar dieser Handel mit alten Büchern 
sier monopolisiert ist, daß die Verkäufer die Angestellten 
ines einzigen Antiquariats sind, das die Schwarten sorgfältig 
uusgemustert und die Preise ganz genau festgelegt hat. Auch 
ieser Rest von Romantik, der den Bücherwurm manchmal mit 
üßen Schauern erfüllte, ist aus Berlin verwiesen. Auch der 
Nilch⸗ und Brotmann, der früher beflissen von Haus zu Haus 
ing, ist nahezu verdrängt worden vom Bollewagen, der ein 
vichtiges Glied in der erstaunlich organisierten Nahrungsmittel⸗ 
ersorgung der Millionenstadt geworden ist, und von den 
dutomobilen der Dampfbrotbädereien. Nur die alten blauen 
zitteluniformen und Schirmmützen sind von den Monopol-⸗
	        
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