Full text: Lübeckische Anzeigen 1913 (1913)

und es ist sehr schwer, die hölzernen Pfüge, die aussehen 
als ob sie aus trojanischen Zeiten stammten, dem anatolischen 
Landmann abzugewöhnen. Viel schwerer natürlich ist es noch, 
moderne Sämaschinen, Mähmaschinen und Dreschmaschinen ein⸗ 
zuführen, von Tampfpflügen gar nicht zu reden. Hat der Bauer 
glücklich — sagen wir eine MWähmaschine gekauft, so läßt er 
das Ting im Winkel kegen, sobald irgend etwas daran entzwei 
geht. Tie Maschinen funktionieren aber in der Regel sehr 
schnell nicht mehr, da der Bauer völlig ungeschickt in der Hand⸗ 
habung ist. Zu dem Verkauf al's muß eine regelrechte Unter- 
weisung hinzutreten, wobei jedoch eine einmalige Unterweisung 
nicht genügt. Die Gesellschaft hat deshalb neuerdinas den Ge— 
danken gefaßt, eine landwirtschaftliche Zeitung in türkischer 
Sprache herauszugeben, die unentgeltlich an die Torflehrer 
geschikt werden soll, damit diese — die ja in der Regel die 
einzigen Schreibkundigen im Dorfe sind — den Bauern den In— 
zalt vorerzählen. In der Zeitung soll außer Beschreibungen 
randwirtschafttlicher Maschinen nementlich auch die Tarstellung 
von Tüngungsmethoden sich finden. Den Ersolg halte ich 
freilich für zweifelhaft. Weit wichtiger wäre es wohl, wenn 
Angestellte der Gesellschaft im Lande herumreisten und immer 
wieder den Bauern persönlich den Gebrauch der Ackergeräte 
zeigten. Taneben müßten an wielen Punkten des Landes Repa— 
raturwerkstätten eingerichtet werden. So hat also die Anato⸗ 
üsche Handels- und Industriegefellschaft noch ein weites Betäti⸗ 
gungsseld vor sich. Sie hat sich auch auf den Vertrieb von 
Nähmaschinen gelegt, doch kann fie hier sehr schwer mit der 
amerikanischen Singergesellschaft kankurrieren, die eine bewun⸗ 
dernswerte Organisation besitzt und den Bauern die Maschinen 
auf kleinste Teilzahlungen abgibt. Man kann sich denken 
wieviel Nähmaschinen die Singergesellschaft verkaufen muß, damil 
sich die hohen Einziehungsbosten, die mit diesen Teilzahlungen 
in dem großen Lande verbunden sind, rentieren. Singen 
arbeitet auch schon seit drei oder vier Jahrzehnten in Kleinasien 
Diae Erfahrungen, die er mit der Kreditwürdigkeit der Be⸗ 
wohner gemacht hat, sind vorzüglich. Tie besten und sichersten 
Zahler sind die Türken, aber selbst Griechen und Armenier 
zahlen, im Vergleiche etwa mit Balkanverhältnissen, recht gut. 
Der brave Provinztürke — und damit tritt seine Anständig- 
keit und Ehrlichkeit am schönsten hervor — spart sich das Letzte 
ab, um nur den Gläubiger zu befriedigen, und kauft vor 
allem nichts, wovon er nicht im voraus überzeugt ist, daß er 
es bezahlen kann. Die Kaufkraft des angtolischen Bauern ist 
dabei viel größer, als man in Europa annimmt. Für die 
nächste Zeit wird die gute Ernte dieses Jahres das wieder 
ersetzen, was der Krieg dem Lande angetan hat. 
Es ist deshalb geradezu umverstämdlich, daß nicht noch viel 
mehr deutsche Firmen sich in Matolien festgesetzt Faben. Im 
Innern des Landes trifft man, wenn ich von der Anatolischen 
Handels⸗ und Industriegesellschaft absehe, kein einziges deut 
sches Handelshaus, das Importgeschäfte betreibt. An Export 
firmen kenne ich auch nur ein Unternehmen, und dieses ist 
obwohl sein Inhaber Reichsdeutscher von Geburt ist, öster— 
reichisch. Ich meine den anatolischen Eierhandel, den ein Herr 
Kaul aufs beste orgamsiert hat, ein Handel, der übrigens in 
den letzten Jahren infolge der inneren Wirren wieder zurüd— 
gegangen ist. Kaul exportierte in den guten Jahren Millionen 
bon anatolischen Eiern recht guter Qualitätt. 
Anders liegen die Verhältnisse natürlich in den großen 
Hauptstääpdten am Schwarzen Meer, anders dauch in Smyrnqd 
und seiner Umgebung. Schließlich rechnet auch die zilizische 
Ebene für sich. Dort steht vor allem die Bodenkultur auf sehr 
viel höherer Stufe als im soustigen Kleinafien. Den Baum— 
wollbau habe ich bereits erwähmt, aber auch der Weizenbau 
wird sehr intensiv betrieben. In Zilizien sind — wie einige 
behaupten, schon 80 — nach meiner Schätzung etwa 40 Dampf—- 
pflüůge in Tätigkeit, die von Unternehmern mietweise auf 
Tage abgegeben werden. Zwischen der Baumwolle wird Sefam 
gepflanzt, der guten Raum hat, da die Baumwollstauden 
ziemlich weit auseinanderstehen müssen; dies zeigt schon, wie 
eifrig jeder Fußbreit Boden ausgenutzt wird. Freilich ist der 
zilizische Boden — ganz Zilizien ist Alluvialland — weit frucht⸗ 
barer noch als der Boden in irgend einem anderen Teil Klein— 
asiens. Um so mehr Veranlassung für uns. auf Zisizien he— 
sonders zu achten. 
Auch deutsche Reisende und deutsche Kataloge verirrten sich 
bisher kaum nach dem eigentlichen Anatolien. Die Bewohner 
sind ũberhaupt durch Geschäftsreisende nicht verwöhnt. Die 
Inhaber der großen Kaufhäuser — und es gibt sehr große 
Detatlaeschäfste — gehen zweimal im Jahre nach Konstantinopel. 
um hier einzukaufen, — entweder bei Firmen, die selbst in 
Konstantinopel sitzen, oder bei Kommissionären europäischer 
Häuser. Würden deutsche Firmen ihre Reisenden direkt ins 
Land schicken, sie würden es nicht zu bereuen haben. Ge— 
braucht wird alles, was etwa auch in Südamerika gebraucht 
wird, wo deutsche Reisende doch schon so tätig sind. Jetzt, 
wo die Bahn das Land quer durchschneidet, liegt es auch 
nicht mehr außerhalb der Welt. Mindestens aber sollten die 
deutichen Warenhäuser und Versandgeschäfte ihre Kataloge nad 
Kleinasien senden, wie es Pariser Häuser schon lange machen 
In diesem Frühjahr hat der Pariser Printemps, das bekannt 
Warenhaus, ganz Anatolien mit seinen Katalogen überschwemmt 
Deutiche Ingenieure der anatolischen Bahn haben mir bekannt 
daß sie dargufhin beim Printemps große Bestellungen gemacht 
bätten. Meiner Frage, weshalb sie denn bei einem franzö 
sischen Hause kauften, kamen sie schon mit der Gegenfrage zuvor 
„Weshalb entschließt sich kein deutsches Versandgeschäft, Kata 
loge hierher zu schicken?“ Diese Kataloge müßten natürlich 
auhßer in deutscher Sprache auch in türkischer Sprache herge— 
tellt werden. Die französische Sprache könnte und mühte man 
sich dagegen vollständig schenken. Der Printemps ist äußerst 
kulant; er verlangt mit der erstes Bestellung eine kleine 
Anzahlung. später begnügt er sich neit Zahlung nach Empfang 
der Ware. Er scheint dabei doch keine schlechten Erfahrungen 
qemacht zu haben. 
Das Allerrichtigste und Allerwichtigste für Deutschlands 
Industrer und Handel wäre es aber, wenn sich eine große 
Reihe von Industrie- und Handelsfirmen zusammentäten und 
in den größten Orten Anatoliens Musterläger errichteten. Immer 
wieder bin ich in Anatolien von Deutfchen gefragt worden, 
warum man denn in Deutschland nicht auf diese naheliegende 
Idee käme. Schwierig freilich — ich gebe das zu — wird 
es sein, die geeigneten Leiter für diese Mustecläger zu finden 
Es müssen Leute sein, die das Land aufs genaueste kennem. 
Europäische Kaufleute, die dies von sich sagen können, gibt 
es wenig. und so bleiben denn eigentlich nur Griechen und 
Armenier, die bekanntlich mit größter Vorsicht zu genießen 
sind. Man kann vielleicht so verfahren, daß ein Grieche oder 
Armenier dem Musterlager vorgesetzt wird und daß die Ober— 
aufsicht immer über zwei, drei oder vier Läger ein Deutscher 
führt, der ständig von einem Lager zum anderen reisen müßte. 
In einigen Jahren aber, wenn das Interesse für Anatolien in 
Deutschland allgemein geworden sein wird werden wir hoffent 
lich schon genug Deutsche für alle diese Posten zur Ver— 
fũgung haben. 
BZum Schluß möchte ich noch von der Bewässerungs-Gesell 
chaft in der Koniaebene sprechen. die ein Gebiet von 50000 
hektar in fruchtbarstes Land verwandeln wird. Von diesem 
großartrgen Unternehmen aber, das ebenfalls auf die Deutsche 
Bank zurückgeht, soll in einem besonderen Artikel die Rede 
sein. 
die Kaisermanöver. 
Bei dem schon gemeldeten Vorgehen der roten 6. Kavallerie 
division wurden die zugeteilten 6. Jäger auf Kraftwagen be— 
sördert. Die Kavallerie griff die blaue Grenzfchuhztruppe, die 
aus dem, 6. Jägerbataillon und Teilen des 3. Garderegiments 
u Fuß sowie anderthalb Batterien und, Maschinengewehren be⸗ 
teht, zunächst erfolgreich an. Die Absicht der roten Kavaklerie, 
ich den anrückenden blauen Kolonnen vorzulegen, gelang, aber 
runicht, weil die Kolonnen der 10. blauen Division vom 5. Korps 
exeits in der linken Flanke der, roten Kavallerie auftraten 
Die rote Kavallerie ging deshalb hinter den Zerlaabschnit 
urück, wobei sie bereits von der Artillerie der blauen 10 
Division, die über Himmel vormarschiert war, befeuert wurde 
Die rote Kavallerie ging in der Höhe des Nomenbusches zu 
rüch, die roten 6. Jäger in die Strecee bei Zedlitz. 
Rot gegenüber haben die Marschkolonnen des hlauen 5. Korpe 
ingefähr die gemeldeten Marschziele erreicht, als die Linie 
dohenfrie dberg Halbendorf ⸗ Teichau ¶Striegau, und zwar die 
aue 10. Division mit ihrem Anfang Sohenfriebberg, die blaue 
9. Divifion mit ihrem Anfang Striegau. Vom Vormarsch des 
roten 6. Korps weiß man nur, daß er, wie beabsichtigt, an 
zetreten ist, daß also die rote 11. Division auf dem rechten 
Flügel von Reichenbach auf Schweidnitz und die rote 12. Divin 
on als linte Kolonne parallel marschiert. In den Rachmitfags 
runden dirrfte sie eine Linie von Schweidnitz südwestlich erreichen 
die 12. Division etwa bis Merkelshöhe. Die 6. rote Kavallerie 
didisijon hat sich hinter die Front ihres Korps zurückgezogen. 
Der Kafser erhielt gestern vormittag,. während. er die 
ßömpfe an der Zerle beobachtete, eiine Meliduns 
Zeppelins. Dieser war früh 4 Uhr nach Liegniß gefahren 
ind hatte von dort die Fahrt, gquf dem I mitgemacht 
Die Meldung wurde in der Nähe, des Kassers abgeworfen 
Das Luftschiff fuhr am Gebirge entlang, hatie bei Reichenbach 
den roten Flughafen zerstört und wurde bei Reichenbach durch 
Flieger verfolgt, die ihm aber nicht beikommen konnten. 
Der Kaiser, nahm gestern vormittag in Gegenwart des 
Kznies von Sachsen, des Königs der Hellenen und des Kron 
prinzen von Griechenland einen Vortrag des Haupt⸗ 
wanns Prausniser vom Großen Generalstab über die 
Schlacht bei Hohenfriedbers entgegen und verweiste 
päter kurze Zeit am Denkmal für die gefallenen österreichischen 
und kursächsischen Krieger. 
Der österreichische Generalstabshef Conrad von Sötzzen— 
dorf und der italienische Generalstabschef PoIIio verweilten 
neistens bei Striegau. Generalfeldmarschail Grafo. Häseler. 
der auch im Gelände Quartier genommen hatte, besleitete 
meistens die 11. Kavalleriebrigade. Die Fußtruppen biwafieren 
sämtlich. Die berikttenen Truppen beziehen zum Schutze des Pferde 
materials enge Quartiere. Gegen Abend arbeiteten wieder 
zahlreiche Flugzeuge. 
Dae rote Zweite Armee besteht qus fünf Armeekorps 
und weiteren Truppenkörpern. Hiervon find vorhanden das 
6. Armeekorps unter, General W. Prihßelwiß 24 Gataillone. 
Schwmadronen, 24 Batterien, Spezialwaffen, ferner die 6. 
Kavalleriedivisisn mit 24 Schwadronen, berittenen Pionieren, 
radfahrenden Jägern, reitender Feldartillerie, Maschinengewehren 
und Fliegern. Die Anschlußtruppen im Wesien und Osten stellen 
Teile des Grenadierregiments König Friedrich Wishesm rf mi 
Kavallerie und Artillerie dar. 
Die blaue erste Armee hat ebenfalls fünf Armee 
korps, Grenzschutztruppen und die Festung Breslaus Hiervon 
ind vorhanden das 5. Armeekorps unter Generaf v. Stranß 
24 Batgillone, 8 Schwadronen, 23 Batterien, Spezialwaffen 
erner die 48. Infanteriedivision und Greußschutzadteilungen. 
Den Anschluß der Truppen im Westen und Ssten siellen Teile 
yes 3 Gorderegiments mit Kavallerie und Arltillerie dar. 
M. Bad Saltzbruun, 8. Sept. Der Kaifser kehrte um 
2 Uhr aus dem Mandvergelände zurüd. 
Unfall des „3 1“. 
V. Siegnitz, 8. Sept. Bei der Rügkehr des Luftschiffes 
1 auf dem sich Graf Zeppelin befand. fetzte das Luflschiff 
o schwer auf den Boden auf, daß mehrere Sftreben 
zerbrachen. Auch die Seitenwand wurdebeschädig? 
uno aufgexissen. Ein Mann gerjet bei der Landung 
unter das Schiff und erlitt so starke Quetschungen, daß e 
ns Lazarett gebracht werden mußte Der Unfoll des Vuftfchiffee 
tellte sich später als nicht so schwer hergus, wie anfäng— 
lich angenommen wurde. Man erwartet, dah Z1 morgen 
wieder flott ist. Graf Zeppelin hat bei dem Ünfali 
keinen Schaden erlitten: ⸗er ist mit Automobil ins 
Hauptquartier gefabren. 
* * v 
Alldeutscher Verbandstag. 
II. 
(Unber. Nachdr. verb.) 8. KE. Breslau, 8. Sept. 
Nachdem gestern eine Sitzung des Gesamtvorstandes vor— 
angegangen war, tral heute unter der Leitung des ersten Bor— 
itzenden, Rechtsanwalts Claß (Mainz), der Audeufsche Verdand 
u seiner Hauptversammlung zusammen, die von Bertreteen aus 
allen Teilen des Reiches sowie aus Hesterreich außerordentlich 
tark besucht war. Nuch fast sämtliche nationalie Verbände 
nde und Oesterreichs hotten zu der Taquna Ro⸗troter 
nliang 
Der Vorsitzende, Rechtsanwalt Claß, begrüßte die An 
vesenden in einer jängeren Ansprache, in welcher er darauf 
inwies, dah die Hauptstadt Schlesiens vor hundert Fahren 
ie Stälte manches weittragenden Entschlusses, nanner dedeul— 
amen Staatshandlung, mancher anfeuernden und hinreißenden 
kat abgegeben hat. Bei seinem Rückblick über die seit der letzten 
zauptocrsammlung verflossene Zeit sprach der Redner zu 
ächst seine Befriedigung aus, daß inzwischen eine große Sorge 
on dem Verbond, genommen wurde, indem der Ruf nach dem 
AUusbau des, deutschen Heeres, nach der wirklichen Durchführung 
er allgemeinen Dienstpflicht nicht mehr ungehört perhallt ist 
Die große Wehrvorlage ist gekommen und sie ist duichgesetz! 
vorden. Wir nähern uns der Durchführung der allgemeinen 
ARienstpflicht und sehen wesentliche Mängel im Zustand unseres 
veeres beseitigt. Nicht alle unsere Wunsche sind füllt, mauches 
ind nicht Anwichtiges bleibt zu tun und wir sind entschlossen, 
in Gemeinschaft mit dem Wehrverein für den steten Ausbeö 
unseres Heeres einzutreten, vor allem quch dafür zu wirken 
daß der tapfere männliche Geist in unserem Volke lebendig bleibt 
ohne den auch das zahlreichste Heer und die besten Waffen nutz 
los sein werden. Ob die Regierung daraus, daß das Bolkein 
diefer, höchst hedeutsamen Frage seinen Willen zum Dafein so 
entschieden bejaht hat, ihre Folgerungen ziehen wirb, muß im 
hbinblick auf ihre Haltung vor dem Einbringen der Wehrovor— 
age und während des parlamentarischen Kampfes darum be— 
weifelt werden. — Nunmehr heißt es wieder an unsere Flotte« 
u denken und wir sind nach wie vor der Ansicht, dah vor 
allem die Vermehrung unserer Panzerkreuzer betrieben werden 
muß. In seinen weiteren Ausführungen kam der Voxsitzende, 
dechtsanwalt Claß, auch auf die Welfenfrage zu sprechen. Ei 
tellte fest daß die klaren und unzweideufigen Willenserklä⸗ 
rungen von seiten der in Betracht lommenden Mitglieder des 
pelfischen Hauses, wesche die Voraussehung einer sogenannten 
Aussöhnung sein“ müßten, nicht vor der Familienverbindung 
wischen den Welfen und den Hohenzollern verlangt und ge 
geben worden sind. Es muß verlangt werden, daß der Serzoe 
on Cumberland und Prinz Ernst, August der Welfendatte 
ine offene Abpsage erteilen und daß Prinz Ernst August füi 
ich und alle Rachkommen endgültig auf alle, Ansprüche auf 
Hannover verzichtet. — Weiter streifte der Redner die Ent— 
vidlung der Dinge im Reichsland, namentlich die Gestalfung 
des Preßacsetzes und Vereinsrechtes. Hinsichtlich der Vorgänge 
in Galizien. die einen großen Teil des dortigen Judentums 
zur Manderung noch Mesten gezwungen hahen verfonnite ve 
Redner, daß unverzüglich die Grenzen gegen vie judis ai 
wanderung aus den Osten geschlossen — ee 8 
die deutsche Einwanderung nach Möglichkeit unterstüßt werdenr 
Nach einem kurzen Rücdblick auf die Entwichlung der Kolontet 
Zebiete und dem Verhalten der auswärtigen Politik während de 
Ballankrieges sowie einem Resümee über die Stellung Deutfe 
lands zu den europäischen Mächten, schloß der Redner init einemn 
Dank an das preußische Volk für die rettende Tat des dahres 
1813 sowie der Versicherung, alles zu tun, damit die seelischen 
Kräfte in uyserem Volke lebendig bleiben, die solche Talen 
gebären. — Das von dem Redner auf den Kaiser ausgebracht 
Hoch fand stürmischen Widerhall. 
Nachdem die Vertreter der Deutschen Kolonialgeseltschagr 
des Ostmarkenvereins, des Flottenvereins, des Evangelischen Ar 
beiterbundes, des Deutschen Turnerbundes usw. die Tagung be— 
zrüßt hatten, referierte Regierungsrat Gerstenhauer (Meiniagen) 
iber „Die Lage des Deutschtums in Südafrika“. Er wies 
zuf den Kampf hin, den auch heute noch die Buren gegea die 
ẽngländer sühren und betonte die Tatsache, daß das Nieder- 
deutsche in Südafrika immer weiter vordringe. Fuͤr die Zukunft 
des Hochdeu“schtums in der Union und den deutschen Kolonien 
Afrikas ist es eine Lebensfrage, daß der nationgale Gegensatz 
der Niederdeutschen gegen das Britentum fortbesteht. Dis deut— 
chen Interessen erfordern eine Annäherung an das RPeeder— 
deutschtum, die von diesen selbst gewünscht wird. Geifall.) — 
Dr. Flitner (Weißenfels) behandelte das Thema: „Rassen und 
Rassenpflege.“ Er führte aus, daß ein gesundes Volk an seine 
zukunft denke, die von der Zahl und der Gesundheit oflen 
dolksgenossen abhängig sei. Im weiteren Verlaufe seiner Aus 
ührungen wies der Redner auf den Einfluß einer günstigen 
inanziellen Lage des einzelnen, auf die Bevölkerungszunghme 
iin und gab einen Ueberblick über die Mittel, die namentlich ir 
lmerika gegen die Rassenentartung angewendet werden. Fün 
die deutlschen Verhältnisse bezeichnete er die Anregung, die 
hekandidaten vom, Standesamte aus zu einer ärztlichen Ünrer— 
zuchung zu veranlassen, als wenigstens diskutabel. Die Haupt- 
sache sei, daß besonders unsere tonangebende Oberschicht und 
anser volkserneuerndes Bauerntum noch recht viel germanisches 
Blut in sich habe. Man solle den schwedischen gutrassigen AÄus— 
vandere: srom von Amerika zu uns herlenken und dafür die 
Atgrenze gegen unerwünschte Eindringlinge mehr, absperren. 
Das eifrige Bestieben aber soll es sein, dafür zu sorgen, daß 
— 
Beifall) — Pfarttrer Friedland GBromberg) berichtete über 
Polnische Foruschritte und, den Abbau der preußischen Poten- 
»olitik“. Er führte im ersten Teil seines Berichtes aus, deßß 
has Poientum bis zum Jahre 1911 seine wirtschaftliche Organi— 
sation ausgebaut, dann aber besonders auf politischem Gebieil 
tätig gewesen sei um für das Jahr 1913, dem 50. Jubeljahr 
der leßzten pomischen Revolution, gerüstet zu sein. Die Balkan— 
virren Und der drohende allgemeine europäsische Krieg hätten 
die polnischen Hoffnungen ins Maßlose gesteigert. In seinen 
veiteren Aussührungen suchte der Redner den Beweis zu er⸗ 
zringen, daß das Verhalten der preußischen Staatsregierung in 
den letzten Jahren den Schluß ziehen lasse, als sollte die 
gesamte preußische Politik abgebaut werden. Die Verantwortung 
für den unheilvollen Kurswechsel tragen der Reichskanzler, der 
Landwirtschaftsminister und der Oberpräsident der Provinz 
Posen. Der Redner schloß mit dem Hinweis darauf, vaß gar 
nicht genug geschehen könne, um das Volk auf die Gefahren der 
ietzigen Untätigkeit der preußischen Regierung aufmerksam zu 
nochen. GBeifall) — Es wurde sodann folgende Entschrießung 
vorgelegt: „Der Verbandstag des Alldeutschen Verbandes 
fordert von der preußischen Staatsregierung die Rückkehr zu 
der bewährten BismarckBülowschen Ostmarken⸗Politik. Die 
Lösung der Nationalitätenfrage im Sinne des Deutschtums 
innerhalb der Ostmart ist nur möglich, wenn 1. durch eue 
ausgedehnte Bauernaunsiedlung die deutsche Unterschicht auf, dem 
Lande vergrößert und damit auch dem städtischen Deurschtum 
eine festere und breitere Grundlage gegeben wird; 2. durch 
das endlich zur Verabschiedung zu bringende Parzellierungsgesetz der 
Vermehrung des polnischen Kleingrundbesitzes ein Riegel vor— 
geschoben wird; 3. das Enteignungsgesetz vom Jahre 1908 
in wirksamer Weise zur Anwendung gebracht wird, damit der 
Ansiedlungskommission durch Enteignung polnischen Größtgrund⸗ 
befitzes für längere Zeit genügender Landvorrat für die Siede— 
lung bereitgestellt wird.“ 
Die Resolution wurde einstimmig angenommen, worauf den 
Vorsitzende zum Schluß noch der großen Verdienste gedachte, 
die Preußen im Laufe der letzten Jahrhunderte sich um die 
deutsche Sache erworben habe und mit einem Hoch auf Preußen 
die Versammlung für geschlossen erklärte. 
⸗ 
Vom Balkan. 
Beginn der Konstantinoveler Verhandlungen. 
W. Konßtautinovel,8. Seyt. Einem offiziellen Communiqus 
zufolge wurden die zu den Verhandlungen mit der Türkei ein— 
getroffenen bulgarischen Delegierten dem Großwesir vorgestellt, 
der in einer kurzen Ansprache den Wunsch ausdrückte, daß 
die Verhandsungen möglichst rasch zu einem beide Länder be— 
friedigenden Ergebnis führen. General Sawow erwiderte in 
Neichem Sinne und drückte Wünsche für das Glück und Wohl- 
ergehen des Sultans aus. Nach der Prüfung der Vollmachten 
wurde die Sitzung unter dem Vorsitz des ersten türkischen Tele— 
gierten Talaat Bei eröffnet. Die Beratungen begannen mit 
einem Gedankenausftaussch üher die Grenz⸗ und Nationalitäten⸗ 
krage. 
W. Konstantinopel, 8. Sept. Der Sultan empfing den 
Musti von Adrianopel, der hm für die Spende von 2000 
Pfund zugunsten der Armen Adrianopels dankte. Der Sultan 
erklärte, er habe Adrianopel, das in ihm bei seinem Besuche 
imnverleßliche Erinnerungen zurückgelassen habe, ins Herz ge— 
chlossen. Er sei durch die Einnahme Adrianopels seitens der 
Bulgaren lebhaft erschüttert gewesen, er habe mehrere Tage 
geweint und nichts gegessen. Der Sultan empfahl, die Be⸗ 
oölkerung der Stadt nicht zu beunruhigen, denn Adria- 
nopel werde unter —inem Zepter bleiben. 
Die Unabhängigkeits-Erklärung Westthraziens. 
W. Konstantinopel, 8. Sept. (Meldung des Wiener Telegr.— 
Korresp.-Bureaus.) Die Musftis, Notabeln und Ulemas von 
Gümüldschina, Dedeagatsch, Xanthi, Kosaikawah. 
Ehitschelebi, Dahidere und Kirdschali haben den Blättern tele— 
zraphisch den Entschluß mitgeteilt, eine Unabhängigkeitserklärung 
u erlassen. Sie begründen diese mit der Umwandlung der 
Moscheen in Kirchen, mit der gewalisamen Bekehrung der 
Musesmanen zum Christentum und mit Grausamkeiten, deren 
WBiederholung sie bei einer zweiten Besetzung durch die Bul— 
zaren befürchten. Sie erklären, dah sie den Kampf, an dem 
vie Griechen teilnehmen würden, ewig fortsetzen werden, und 
jeben der Hoffnung Ausdruck, daß die Pforte die Gebiete den 
ßulgaren nicht überlassen werde. Nach den Blättern umfaßet 
die Unabhängigkeitserklärung das ganze Wilajet Adria— 
ropel. Der Chef und vier Mitglieder der provisorischen Regie— 
ung begaben sich nach Adrianopel, wo sie dem französischen 
Konsul als dem Doyen des Konsularkorps erklärten, daß sie 
hr Land mit allen Kräften verteidigen würden, um nicht unter 
»as Joch der Bulgaren zu geraten. Sie würden nach Kon— 
stantinopel reisen, um ihren Enischluß der Pforte und den 
Botschaftern mitzuteilen. 
— In Teketschiftlik bei Akabe versuchten sechs bul— 
garische Reiter die Gronze zu überschreiten. Die Türken er⸗ 
öffneten das Feuer, worauf sich die Bulgaren zurüchzogen. 
Der „Hamidiieh“ vor Konstant'nopel. 
DT. Konstantinopel, 8. Sept. Der Kreuzer „Hamidiieh“ 
ist heute hier eingelaufen und von der Bevölkerung iubelnd 
empfangen worden
	        
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