Full text: Lübeckische Anzeigen 1912 (1912)

Auszugꝰ 
aus dem 
Jahresbericht der Handelskammer zu Lübeck 
über das Jahr 1912. 
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Wirtschaftliche Übersicht. allem die Unsicherheit des schließlichen Ausgangs der Balkankrisis mahnen 
jedoch gerade jetzt alle Wirtschaftsfaktoren besonders eindringlich zu ruhiger 
Die im Wechsel der Konjunktur vor etwa drei Jahren einsetzende aussteigende Besonnenheit und zur Fernhaltung jeder Überschwenglichkeit. Nur so kann der 
Entwidlung der Weltwirtschaft hat sich im Jahre 1912 in verstärktem Maße Wirtschaftsverlehr gegenüber plötzlichen Rückschlägen widerstandsfähig und vor 
sortgeseßt. In den führenden Ländern blicken Handel, Industrie, Schiffahrt stärkeren Erschütterungen bewahrt bleiben. 
und VSandwirtschaft auf ein Jahr intensiver Tätigkeit zurück So lebhast war 
die Anspannung der Kräfte, daß der Grad der Beschäftigung vielfach den 
Charalter einer Hochkonjunktur trug. Die Gunst der allgemeinen Wirtschaftslage ist auch Lübeds Handel, 
Die Lage der internationalen Politik war an und für sich einem unge— Industrie und Schiffahrt zugute gekommen. Wie die Berichte der einzelnen 
sorien Jonscrin der Winhanlsenn alng hänsig wenig gunstige Aber in anchen erte nnen lassen herrschte mi geringen Ausnahmen im Handel ein 
Gegensah zu früheren Jahren, in denen das Geschäftsleben auf unvorher— flotter Geschästsgang und in der Industrie eine lebhafte Beschäftigung vor. 
sesehene Wendungen der Politik mit einer ost übertriebenen Angstlichkeit Das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern war nicht gestört. 
reagierte, war in diesem Jahr der Glaube an den Fortbestand der günstigen V Einkaufspreise und Produltionslosten sind in den meisten Handels und 
Konjunkiur ein so allgemeiner, daß weder der italienisch-türkische Krieg, noch Industriezweigen gestiegen, während die Verkaufspreise vielfach nicht dement- 
die Wirren im Innern Chinas, noch vor allem der Balkankrieg und die zeit— sprechend erhöht werden lkonnten, sodaß im ganzen der Geschäftsgewinn hinter 
Peise brohende Gefahr unabsehbarer Verwiclungen unter den Großmächten dem früherer günstiger Konjunkturperioden zurückgeblieben ist. Im Kleinhandel 
ben lebhaften Verlauf der Weltwirtschaft dauernd zu hemmen vermochten. Einen beeinflußte die Teuerung der Lebensmittel die Kaufkraft der Bevöllerung merk- 
träftigen Rückhalt fand das europäische Geschäftsleben an der während des ganzen lich. In der Vautätigkeit haben, abgesehen von gewissen auch hier zutage ge— 
Iehres gunsuigen Wirsschaftslage der Voereinigten Staaten von Amerita, die tretenen ungesunden Verhältnissen im Bauunternehmertum, die Schwierigkeit 
von den europäischen politischen Vorgängen kaum berührt und auch von der der Beschaffung von Hypothekengeldern und die hohe Belastung des Im⸗ 
Präsidentenwahl diesmal bei weitem nicht so stark wie sonst beunruhigt war. mobilie nmarktes mit Reichs - und Staatsabgaben in diesem Jahr eine Be— 
Der glänzende Ausfall der Ernte in der Union hat übrigens der Unterneh— lebung noch immer nicht zugelassen. Besonders günstig gestaltete sich die Lage 
mungslust starke weitere Antriebe gesichert. der Seeschiffahrt; namentlich die sfreie Schiffahrt erfuhr eine bedeutende 
In der deutschen Volkswirtschaft hat sich der erfreuliche Aufschwung, der Besserung des Frachtenmarltes. 
das ablaufende Jahr kennzeichnet, auf alle Gebiete des Erwerbslebens, mit Die industrielle Entwicklung Lübecks hat im Berichtsjahr gute Fortschritte 
Ausnahme allerdings des Baugewerbes, erstreckt, namentlich auch auf die Land— gemacht. Bedeutende Erweiterungen hat namentlich das Hochofenwerk er⸗ 
wirischaft und in bescheidenerem Maße auf die Binnenschiffahrt, die noch im fahren, das im Laufe des Berichtsjahrs mit dem Bergischen Gruben⸗ und 
vorigen Jahr an der allgemeinen Besserung aus besonderen Gründen nur Hüttenverein in Hochdahl einen Verschmelzungsvertrag unter gleichzeitiger Er- 
wenig Anteil hatten. Bei dem verhältnismäßig geringen Werte, den Deutsch-— höhung seines Altie nkapitals von 6 auf 84 Villionen Mark abschloß. Die 
lands Verkehr mit den Balkanländern im Vergleich zu den Ziffern des deut— Ubernahme des Hochdahler Betriebes sicherte dem Wert eine um 509000 
schen Gesamthandels repräsentiert, konnten die infolge der Kriegsunruhen dort erhöhte jährliche Beteiligungsquote am Roheisensyndikat und setzte es damit 
ersitlenen Einbußen wenigstens teilweise durch Ausdehnung des sonstigen W— in den Stand, einen dritten Hochofen zu bauen. Zugleich erfolgten verschie de ne 
sahes ausgeglichen werden. Die Beschäftigung der Industrie war so stark, daß Anlagen zur besseren Verwertung der Neben⸗ und Abfallprodulte. So wurde 
de Nachsrage oft nur mit langen Vieserfristen entsprochen werden konnte eine Gasmaschinenze ntrale errichtet, bestehend aus einem 1200 Ps- und einem 
Von schwereren Konflikten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ist das 3000 Ps Viertatt⸗Gasmotor, die beide mit Hochofengas betrieben werden; 
deutsche Wirtschaftsleben, abgesehen von den nur kurze Zeit dauernden Lohn— ferner zur Ausbe utung der Kokereigase eine Einrichtung zur Gewinnung von 
ampfen im Ruhrrevier, verschont geblieben. Im Handel kam die lebhafte Leuchtgas sowie eine neue Ammoniakgewinnungsanlage Erstere Anlage liefert auf 
Geschäftslage in erhöhten Umsätzen zum Ausdruck. Bemerkenswert erscheint Grund eines mit der Stadt Lübec abgeschlossenen Vertrages das Leuchtgas 
e die n vandel wie uchein der Ferigndustrie hanfig wieberiehrenden durch eine Fernleitung an das übecer Gaswert. Endlich wurde dem Hech— 
Klage, daß die Verkaufspreise sich in diesem Fahr den sleigenden Gestehungs— ofenwerk eine Eisenportland⸗Zementfabrik zur Nutzbarmachung der Hochosen- 
kosten nicht angemessen anpassen konnten; zahlreiche Branchen haben also nur schlacke angegliedert, und die zur Entlöschung der Erz und Kohlendampfer be 
eine Arbeitskonjunktur, nicht auch eine Gewinnkonjunktur zu verzeichnen. Die stehenden mechanischen Vorrichtungen wurden beträchtlich erweitert. Alle diese 
Seeschiffahrt, insbesondere die freie Frachtschiffahrt, hatte sich einer ungewöhn- Erweiterungsanlagen wurden im Dezember in Betrieb gesetzt. In Aussicht 
lich günstigen Entwickelung des Frachtenmarktes zu erfreuen. Trotz der un— geno mmen ist ferner der Bau einer Kupferhütte im Anschluß an das Wert. 
befriedigenden Meldungen der Saatenstandsberichte hat ferner auch die Auch die Entwicllung der UÜberlandzentrale entsprach durchaus den Er 
deutsche Landwirtschaft im großen und ganzen eine recht gute Ernte, wartungen. Außer zwei großen landwirtschaftlichen Elektrizitätsgenossenschaften 
namentlich in Getreide, Kartoffeln und Rüben, erzielt. wurden im Berichtsjahr die Insel Fehmarn, die lubeclischen Straßen bahnen 
Die Wirischaftsstatistit spiegelt den Aufschwung des deutschen Erwecbs— und eine Reihe von industriellen Unternehmungen angeschlossenn Mit mehreren 
lebens deutlich wieder. Die Intensität des Warenverkehrs ergibt sich einmal Kreisverbänden und Fabriken sowie mit der Eisenbahndireltion Altona sind 
aus den Zahlen des deutschen Außenhandels (Spezialhandel) und ferner aus weitere Stromlieferungsverträge bereits abgeschlossen, während mit anderen 
ben Verkehrseinnahmen der Eisenbahnen. Die Wertsteigerung des Außen— großen Verwaltungen und mit verschiedenen Industriellen die Verhandlungen 
handels betrug in den ersten 10 Monaten gegenüber dem gleichen Zeitraum noch schweben. Von Bedeutung für die Zulunft des Werles ist ferner der zum 
hes Vorjahres bei der Einfuhr 8,19 und bei der Ausfuhr 91 9; verglichen Teil schon verwirklichte Beschluß der lübeckischen Verwaltung, innerhalb des 
mit 1910 hat sich die Einfuhr im Werte um 15,39, die Ausfuhr um 179 Weichbildes der Stadt Drehstromverteilungsstellen zu errichten zum Zwecke der 
gehoben. In absoluten Zahlen wird der Wert des gesamten deutschen Außen— Lieferung von Drehstrom aus dem Netz der Überlandzentrale für gewerbliche 
handels (Gesamie igenhanden ohne Edelme talley mit Ende dieses Jahres dien Bettiebe 
20. Milliarde erreichen gegen 19 161 Millionen Mark im Jahre 1911 und Der Bau und die innere Einrichtung der Salzsiederei der Gewerhchast 
61h ilnonen Mar im ahre 1d1d. Die innahmon aus vem Omterbetehr derr Vartashall ist dem Vernehmen nach im Lause des Jahres vollendet worden . 
deuschen Esenbahnen wuchsen in den erften 1d Monaten im Verhannis zum Vor. Der Betrieb, der auf einem ueuen Salzsiedeversahren beruht soll im Laufe 
jahre um 8 9. Der Beschäftigungsgrad in der gewerblichen Warenherstellung hat in des kommenden Jahres gleichzeitig mit der Eröffnung eines besonderen Salz- 
einem außerordentlich lebhaften Tempo zugenommen; die Zahl der gewerblich Be⸗ steueramtes aufgeno mmen werden — 
schäftigten stieg seit Januar bis Oltober von 5,25 auf 5,61 Millionen. Im Eine hiesige Kohlengroßhandelsfirma hat mit dem Lübeckischen Staat einen 
banisen Slenlohle nbergban uberholle die Fordetung der ersten d Monate die langfristigen Pachtvertrag abgeschlossen. um am Hasen unterhalb des Konstin⸗ 
des gleichen vorjährigen Zeitraumes um 96 und kam damit auf bisher un— plates eine mechanische Vorrichtung zwecls Entlöschung von Kohlen⸗ und Erz 
Meiche Zahlen wahTenbe zugleich die Einsfuhr auslandischer Stemtohle arheba dampfern zu errichten, wodurch die Versorgung des hiesigen Lates mit go 
lich zurlgegangen ist. Dem flotten Geschäftsgang in den weiterverarbeite nden hoffentlich wirksame Erleichterungen und Verbilligungen erfahren wird. Von 
Industriezweigen enisprach ferner die deutsche Roheisengewinnung, die bis einer anderen Kohlenaroßhandlung wurde eine maschinelle Kokssortieranstal 
nde November eine außerge wöhnlich siarite Zunahme — um u,2 — Eeebaut. 
erfahren hat. Auch die Versandzahlen des Stahlwerksverbandes übertrafen die Sehr bedeutende Erweiterungen ihrer Betriebsanlagen hat eine hiesige 
dorahrigen bebe nende Der Geldmarn halle im allgemenen mn höheren Fabrik von Sauerstoffapparaten vorgeno mmen. Auch verschiedene andere schon 
Geldsätzen als im Jahre 1911 zu rechnen; besonders die leßten Monate brachten seit längerer Zeit hier ansaͤssige industrielle Unternehmungen haben lich zu 
eine wachsende Versteifung und gaben mit einer zweimaligen Erhöhung des Vergrößerungen ihrer Fabrikanlagen veranlaßt gesehen. 
Reichsbanldislontes gewissermaßen das Signal der Warnung vor einem zu Der für die wirtschaftliche Lage Lübecks besonders bedeutsame Verlehr RNuntn 
hastigen Vorwärtsdrängen. Die Börse zeigte im großen und ganzen eine sehr mit den nordischen Ländern verlief im Berichtsjahre in fast allen Richtungen 
zuversichtliche, zeitweise sogar übertrieben sorglose Beurteilung der Wirtschafts— lebhaft. 
lage. Anläßlich der Verschärfung der politischen Lage im Herbst erfolgten plötzlich Dies gilt namentlich wieder von Lübecks Verlehr mit Rußland. Die 
starle Kurssenkungen, die jedoch in Deutschland bei weitem nicht den Umfang gewaltige wirtschaftliche Entwicklung, welche mit der Beilegung der das ganze Reich 
wie an anderen europäischen Börsen erreichten. erschütternden inneren Unruhen des Jahres 1905 in dem mächtigen östlichen 
Am Jahresschluß deutet die angespannte Tätigkeit auf allen Gebieten des Nachbarreiche Deutschlands eingesetzt hatte, hat auch im vergangenen Jahre 
Erwerbslebens darauf hin, daß die Konjunktur an und für sich wohl die Kraft angehalten Schon im letzten Jahresbericht ist darauf hingewiesen worden, 
besitzt, sich noch einige Zeit zu behaupten. Der Ernst der politischen Lage, vor daß diese glänzende Entwicklung ihren Hauptgrund hat in der mächtigen 
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dorrae der aubst einen ausführlicheren Bericht über die Taätigleit der Handelslammer, insbesondere guch die Berichte über den Geschaftsgang in den e Zweigen von Lũbecks Handel, 
dustrie und Schiffahrt enthält erscheim in den nächsien Tagen und ist durch die Handelslammer zu beziehen 
Lgübeck den 831. Dezember 1912 Die Handelslammer
	        
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