Full text: Lübeckische Anzeigen 1912 (1912)

Reichardt der heinste! 
Die auch vom Publikum anerkannte unübertroffene Reinheit der Reichardt⸗Fabrikate gründet sich insbesondere auf zwei Faktoren: sorgfältige Auswahl des Roh. 
materials und technisch vollendetste Reinigung. Damit geht die Reichardt-Gesellschaft weit über die für die Industrie als Norm beschlossenen Reinheitsvorschriften hinaus 
und verwirklicht zugleich das Reinheitsideal, wie es auf den internationalen Kongressen als wünschenswertes Ziel ins Auge gefaßt worden ist. Hiernach sind die Kakaobohnen 
nicht nur von Schalen, sondern auch von Samenhäutchen und Keimen zu reinigen, während die unter deutschen Fabrikanten vereinbarte Norm nur eine Entfernung 
der Schalen fordert. 
Auf diese feststehenden Tatsachen wies die Reichardt Compagnie im April hiu. Eine kleine Zahl von Kakaofabrikanten fühlte sich getroffen und beantragte bei der 
Kammer für Handelssachen zu Altvna eine einstweilige Verfügung, die im Beschlußverfahren und ohne irgendwelche Anhörung der Reichardt-Compagnie erlassen wurde. 
Um den Instanzenzug in Gang zu setzen, war die lehtere gezwunen, die Gegner vor dieselbe Kammer zum Widerspruch zu laden, womit die Bestätigung des Beschlusses 
von selbst gegeben war. 
Es hat also in dem Verfahren bisher lediglich ein Richter gesprochen. Dagegen hat sich weder das Oberlandesgericht noch das Reichsgericht zu äußern vermocht 
da das Verfahren soeben erst in die Berufung gelangt ist. 
Den vom ersten Richter extrahierten Beschluß beuten unsere Gegner in ihrer neuerlichen Annonce vom 16. d. M. abermals aus. Sie verfolgen hierbei wiederum 
die Taktih den Kernpunkt der Sache zu unterdrücken, über Inhalt und Umfang des Gerichtsbeschlusses zu täuschen, so daß dem Publikum Wahrheit und Unwahrheit nicht 
mehr erlennbar ist. Auf Grund der Tatsachen steht folgendes unabwendbar fest: 
Wahrheit ist, daß die Firmen, die unter dem neuen Inserat der Gegner verzeichnet stehen, die einstweilige Verfügung nicht erwirkt haben; nur 
ein Teil derselben hat den Antrag gestellt. Die übrigen haben nach Falstaffscher Manier die Vorsicht als den besseren Teil der 
Tapferkeit betrachtet, machen sich jetzt aber den Beschluß zu Nutze, der wohl keinen mehr überrascht hat, als die Gegner selbst. 
Wahrheit ist daß die Reichardt-Compagnie voll berechtigt ist, die wahre Tatsache zu behaupten, sie reinige ihre Kakaos bis zu der äußersten 
Grenze technischer Möglichkeit, also nicht nur von Schalen, sondern auch von Samenhäutchen und Keimen. Ueber diese un— 
bestrittene Tatsache, die sattsam nachgewiesen ist, hatte das Gericht überhaupt nicht zu befinden. Nur die unter meiner Ver— 
antwortung gewählte Form des Hinweises auf die mangelhaften Reinheitsvorschriften der Industrie stand zur Entscheidung. 
Wahrheit ist, daß die Reinheitsvorschriften der übrigen Industrie eine Entfernung lediglich der Schalen fordern. 
Vahrheit ist, daß die Thesen der internationalen Kongresse, so auch in Genf, übereinstimmend mit der Fabrilationspraxis der Reichardt— 
Compagnie auch die Beseitigune der Samenhäutchen und Keime verlangen. 
Vahrheit ist daß der bereits früher genannte deutsche Kongreßvertreter erklärt hat, die Verbandsleitung, der er als Syndikus angehört, habe 
fast zwei Jahre daran gearbeitet, eine Beseitigung der Genfer Beschlüsse zu ermöglichen. 
Vahrheit ist. daß es die übrige Industrie unterläßt, die bestehenden Reinigungsvorschriften zu ändern, wie sie auch zu der diesjährigen Versamm— 
lung des Bundes Deutscher Nahrungsmittelfabrikanten und Händler trotz Aufforderung keinerlei Abänderungsanträge gestellt hat. 
Wahrheit ist, daß die Reichardt-Compagnie dem Gericht 84 Analysen von vereidigten Nahrungsmittelchemikern und gerichtlichen Sachverständigen 
der verschiedensten Orte vorgelegt hat, wonach in den untersuchten Kakaos, die von den Gutachtern in allen Preislagen eingekauft 
wurden, nicht nur Samenhäutchen und Keime, sondern auch Schalenteile bis zu den erheblichsten Mengen festgestellt worden sind, 
gerade auch in Fabrikaten eines großen Teiles unserer jetzigen Gegner. Ja sogar Schimmelmycel und Eosinfärbung wurden 
analysiert. Bei einer Anzeige hätte dies gesetzlich als Verdorbenheit und Verfälschung von Nahrungs- und Genußmitteln beurteilt 
werden müssen. Die Reichardt⸗Compagnie glaubte das Interesse der Allgemeinheit wahren zu können, auch ohne Anzeige zu er⸗ 
statten oder die Analysen zu veröffentlichen. 
Wahrheit ist, daß die gegnerische Firma S. in B. in einem neuen Warenkataloge nachstehendes kundgibt? „Unser Konsumkakao wird aus nur 
einwandsfreien und unbeschädigten Rohbohnen und unter gänzlicher Entfernung der Kakaoschalen und Keime hergestellt. Diesem 
Prinzip wird leider nihht von allen Fabrikanten gehuldigt.“ Diese Firma weist hier also nicht nur auf die früher vom 
Kaiserlichen Statistischen Amt bestätigte Einfuhr verdorbener Kakaobohnen nach Deutschland hin, sondern sie betont sogar als 
branchekundige Tatsache die bloße Schlußfolgerung der Reichardt-Compagnie, daß aus den bestehenden Reinheitsvorschriften her 
vorgehe, wie weit die übrige Industrie grundsätzlich von dem Reinheitsideal der internationalen Kongresse entfernt sei. Im 
Widerspruch hierzu steht freilich die Tatsache, daß unter den dem Gericht überreichten Analysen sich auch solche über Fabrikate 
dieser Gegnerin, sogar mit Schalen, vorfinden. Dieses mehrfache Doppelspiel ist für die Mittel, mit denen der der Reichardt- 
Compagnie aufgezwungene Kampf geführt wird, bezeichnend. 
Wahrheit ist. daß ein gegnerisches Organ, nämlich der „Konfitüren-Markt“, unterm 15. Mai 1912 als Grund für das Verschweigen der Namen 
der Antragsteller in der ersten Veröffentlichung des Gerichtsbeschlnsses den Umstand angibt, daß die Mitglieder des Ver— 
bandes geschont werden sollen, die in ihrer Maschinerie rüchständig sind und daher ihre Kalaos tat ächlich von Schalen, Samen⸗ 
häutchen und Keimen nicht völlig befreien. 
Wahrheit ist, daß dieselbe Zeitschrift unterm 15. Juli erklärt, daß trotz des Gerichtsbeschlusses nicht zu verschweigen sei, daß recht viele „ihrer“ 
Fabriken keineswegs auf der Höhe sind, daß deren Kakao stark zu wünschen übrig läßt, was seine Vermahlung und Pulverisierung 
anbetrifft, und daß ihr Aufschließungsverfahren mehr oder weniger fehlerhaft ist. Der Artikel fügt hinzu, daß, falls diesen 
Fabriken die Verbesserung ihres Verfahrens nunmehr als dringende Notwendigkeit erscheint, der Hinweis der Reichardt-Compagnie 
sein Gutes gehabt habe. 
Wahrheit ist. daß die Reichardt-Compagnie schon vor Jahren die Offentlichkeit anrief, um dergestalt von außen einen Zwang zur weiter⸗ 
gehenden Reinigung auszuüben; daß sie im Jahre 1910 von neuem, durch ihre auch öffentlich bekanntgegebene Eingabe an den 
Bundesrat, die es Ziel zu erreichen suchte, — eine Eingabe, die die übrige Industrie trotz der Bitten der Reichardt ⸗Compagnie 
nicht unterstützte. 
Wahrheit ist, daß die Reichardt-Compagnie lediglich zu dem gleichen Zwedde in ihrem Inserat vom 3. April d. J. auf die derzeitig noch 
geltenden beschränkten Reinheitsvorschriften hinwies. 
Wenn angesichts der vorgeschilderten unwiderleglichen Tatsachen die fortgesetzten Anstrengungen der Reichardt⸗Compagnie, die Durchführung der weitgehendsten 
Reinheitsbestrebungen im Interesse des Publikums zum Gemeingut der deutschen Industrie zu machen, von den Gegnern zu einem Verstoß gegen die guten Sitten 
gestempelt werden, so kann diese völlig neue und eigenartige Ausdehnung des Begriffes der guten Sitten bei dem konsumierenden Publikum niemals Verständnis und 
Billigung finden. Bei dieser Auslegung würde Vernunft —Unsinn, Wohltat—Plage. Daran ändert auch nichts die von den Gegnern aus dem Zusammenhang gerissene 
und einer Reichsgerichtsentscheidung, die mit dem gegenwärtigen Fall nicht den geringsten Berührungspunkt hat, entlehnte Begriffsbestimmung. 
Wohl aber enthält es handgreiflich den gröbsten Verstoß gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, einen noch nicht rechtskräftigen Beschluß 
ohne Publikationsbefugnis in der unerhörtesten und entstelltesten Weise auszubeuten, und ebenso ist es der Gipfelpunkt der Arglist, wahrheitswidrig einen Erfolg vorzu— 
spiegeln, wie dies diejenigen Firmen tun, die sich durch Unterzeichnung des Inserats nachträglich als Prozeßpartei hinstellen, obwohl sie sich dem Verfahren beizutreten 
wollweislich gehütet haben. So sehen die Dinge in Wahrheit aus. uslo 
Deshalb können auch die gegenwärtigen Ausführungen mit den Worten geschlossen werden: Reichardt der Reinste und 
e eres 
Hamburag, im Juli 1912. Dr. jur. Mar von Obstfelder.
	        
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